Römer K. 8. V. 37.
In dem allen überwinden wir weit um deß willen, der uns geliebt hat.
Als Elias in der Höhle des Berges Horeb weilte, kam zu ihm das Wort des Herrn und sprach: Gehe heraus, und tritt auf den Berg vor dem Herrn. Und siehe der Herr ging vorüber! Vor ihm her ging ein starker Wind, der die Berge zerriß und die Felsen zerbrach; nach dem Winde kam ein Erdbeben, und, nach dem Erdbeben kam ein Feuer: doch der Herr war nicht in dem Winde, in dem Erdbeben und in dem Feuer. Endlich kam ein stilles, sanftes Sausen, und in diesem war der Herr.
Etwas Aehnliches mag, seitdem das göttliche Strafgericht der jetzt herrschenden Seuche uns heimgesucht hat, den frommen Gemüthern unter uns, die stets die Gegenwart des Herrn fühlen, begegnet seyn. Das erste Herannahen dieser Plage war wie ein Sturm, der sie niederwarf, wie ein Erdbeben, das sie erschütterte, wie ein loderndes Feuer des göttlichen Zorns. Der Herr forderte Buße durch solche drohende, schreckliche Zeichen, und auch wir, die wir damals zu Euch sprachen, wir versuchten Euch die Stimme des Herr n zu dolmetschen, wir ermahnten Euch Buße zu thun, und Euch so auf die Heimsuchung des Herrn vorzubereiten. Heil Denen, welche diese Pflicht erfüllt haben! Denn mitten unter dem Wehen der Herbstwinde, welche jetzt die Blatter von den Bäumen herabschütteln, mitten unter den Klagetönen, welche über die von der Seuche Weggerafften erhoben werden, vernehmen sie gewiß ein sanftes Sausen, und sie ahnen's: In diesem Sausen ist der Herr! Sie fühlen seine Liebe mitten im Laufe seiner strengen Gerichte; und sie erkennen's: War Buße nothwendig als Vorbereitung auf die jetzige Prüfung, so kann diese doch nicht anders überwunden werden, als durch die Liebe zu dem Herrn, womit seine Liebe uns erfüllt.
In diesem Sinne ruft auch der Apostel: In dem Allen überwinden wir weit um deß willen der uns geliebt hat. Alles, meint er, womit ein gläubiger Christusjünger damals zu kämpfen hatte, Trübsal, Angst, Verfolgung, Hunger, Blöße, Fährlichkeit, Schwert, dies Alles wird überwunden, kann nur überwunden werden, durch Liebe. Auch wir, meine Brüder, gedenken nicht bei der gegenwärtigen Noth stehen zu bleiben, sondern von dem Standpunkte aus, zu welchem sie uns erhoben hat, unser ganzes Leben, und alle unsere Anfechtungen zu überblicken, und Euch zu zeigen, daß wir durch Liebe zum Herrn besiegen erstlich die Sünde; zweitens das Leiden; drittens den Tod.
Erstlich: durch Liebe zu dem Herrn überwinden wir die Sünde. Denn die Sünde ist ja eine falsche, verkehrte Liebe zu den Kreaturen; wodurch könnte diese anders überwunden werden, als durch die rechte, geziemende Liebe zu dem Schöpfer?
Gott, der Unendliche, ist allein vollkommen; der Mensch, der immer endlich und beschränkt gewesen ist, besaß doch die Vollkommenheit, das vollkommne Wesen auf eine vollkommne Weise zu lieben. Dies war seine Bestimmung; ganz beseelt von diesem Triebe, erfüllte er zu Anfang, auch ohne eigentliches Gebot, den göttlichen Willen; und in dieser Erfüllung war er heilig, selig, ein König der Schöpfung. Denn wer Gott über Alles, sich selbst aber, und alle Geschöpfe und Güter, nur in Gott, und um Gottes Willen liebt, der wird von keinem Dinge beherrscht, sondern beherrscht alle Dinge.
Was ist denn nun aus uns geworden, und wer löset uns das Räthsel unseres jetzigen Zustandes? Ist Gott nicht immer die höchste Vollkommenheit und Schönheit? Ja! Erkennen wir ihn nicht dafür? Ja, denn wir müssen wohl, wir mögen wollen oder nicht. Lieben wir ihn aber? Nein. Ich frage Diejenigen, die Christum nicht kennen, und ich bitte Diejenigen, die ihn kennen, sich in die Zeit zurückzudenken, wo sie ihn nicht kannten, und sie müssen antworten: Nein, der Mensch liebt Gott nicht von Natur; Gott ist ihm ganz und gar gleichgültig. Wenn ihm doch nun wenigstens Alles gleichgültig wäre! Aber nein, so ist es nicht, sondern darin besieht eben das große Räthsel, und der unerklärliche Widerspruch, daß er kalt bleibt für das Vollkommne, das Schöne, für Gott; und entbrannt ist für das Unvollkommne, das Häßliche, für sich selbst und die Welt. Die Liebe ist geblieben, aber sie hat ihre Richtung verändert; sonst ging sie hinauf zum Himmel, jetzt geht sie herab auf die Erde; sonst löschte sie ihren Durst in der lebendigen Quelle, jetzt löscht sie ihn in dem stehenden faulen Sumpf; sonst umfaßte sie das ewig blühende Leben, jetzt umfaßt sie Graus, Moder und Tod.
Und dabei bleibt es immer eine Liebe. Denn wenn es nur ein Irrthum des Verstandes wäre, so ließe er sich berichtigen. Man dürfte nur das ewige Gut und die vergänglichen Güter neben einander halten, und man würde inne werden, daß jenes den Vorzug verdient. Man erkennt es auch; ja noch mehr, das Gewissen erhebt seine Stimme, und, verstärkt durch das göttliche Gebot, ruft sie: Du sollst Gott lieben, und nicht die Welt. Ich verehre dich, heiliges Gebot, und ich begreife, daß du mir nichts befehlen würdest, was mir unmöglich wäre. Aber ach! wenn du doch diese Liebe, die du gebietest, mir auch einflößen könntest! Jetzt erfülle ich vielleicht in manchen Fällen das, was du vorschreibst, doch ohne es zu lieben. In den mehrsten Fallen aber unterlasse ich das, was du vorschreibst, weil ich es billige, ohne es zu lieben; und ich thue, was du untersagst, weil ich es liebe, ohne es zu billigen.
Dadurch aber bin ich mit mir selbst in den qualvollsten Widerspruch gerathen; denn das Gute, das ich will, das thue ich nicht, und das Böse, das ich nicht will, das thue ich. Ich verdamme mich selbst; und Gott, der allein Liebenswürdige, den ich niemals geliebt, Gott, dessen heiliges Gesetz ich so oft übertreten habe - der sollte mich nicht verdammen? Hier, zum ersten Male in meinem Leben durchdringen mich Schrecken der unsichtbaren Welt! Von Gott verdammt, von ihm zurückgestoßen werden in diesem Leben, und noch mehr in dem zukünftigen, ihn nicht zum Freunde, sondern zum Gegner haben: - ich fasse nicht ganz was darin liegt, aber was ich davon fasse, das ist schauervoll, entsetzlich. Und ein solches Schicksal war mir bestimmt; und eine solche Last, unter der ich jetzt schon zu Grunde gehe, soll ich die Ewigkeit hindurch tragen? - Wie ist mir aber auf Einmal geschehn? Die Last ist mir abgenommen; die Aussicht nicht auf Qualen, sondern auf Seligkeit ist mir eröffnet. Konnte ich kurz zuvor mein Elend nicht fassen, so fasse ich jetzt eben so wenig mein Glück. Und wem verdanke ich's? Dem, der mich von Ewigkeit an geliebt hat. Er saß zur Rechten seines Vaters; um ihn her die Herrlichkeit des Himmels; da drang sein Blick herab auf diese arme Erde, auf die grauenvolle Wüste und Einsamkeit, wo ich lag, angefallen, verwundet, zerschlagen von der Sünde, schwimmend in meinem Blute. Ihn jammerte mein, er sprach: Du sollst leben und nicht sterben. Alle seine Herrlichkeit verließ er, und kleidete sich in die Gestalt meines sündlichen Fleisches. Auf dieser harten Erde wandelte er umher, und seine heiligen Füße ermüdeten indem er mich suchte. Endlich fand er mich; er goß Oehl und Wein in meine Wunden. Ich erwachte aus meiner Betäubung, und da ich die Augen aufschlug, da ich ihn, den Unbekannten und doch bald Bekannten, so um mich beschäftigt sich, da mußte ich weinen vor übergroßer Freude und vor Ahndung der Seligkeit, die meiner wartete. Meine zerrissenen, blutigen Kleider zog er mir aus, und schmückte mich mit dem Gewande seiner Gerechtigkeit. Was Er gethan hatte, das ward mir beigelegt, und was ich gethan, was ich gesündigt hatte, das ward auf ihn geworfen. Wie aber? Wenn er es auf sich nimmt, so wird er ja auch die Straft tragen, die ich verdiente, und in welcher die Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes, deren Glan; nie verdunkelt werden darf, hervorleuchten mußte. Wohl wird er es! Schon geht er hin, um meine Schuld zu bezahlen. Ich sehe, wie die Angst, die ich empfunden, wie das Gefühl, von Gott verlassen zu seyn, das ich schon im Vorschmack gekostet hatte, ihn ergreifen; ich sehe, wie er mit dem Tode ringt und betet, wie blutiger Schweiß ihm auf der Stirn steht, wie es ihm schwer wird mich zu retten, wie es nicht anders geschehen kann, als, auf Kosten seines Lebens, wie er aber auch dieses dahingibt, - und wie nun mein Schuldbrief zerrissen ist.
Dies habe ich gesehn, ich habe es in meinem Herzen empfunden, und dadurch ist mein Herz umgewandelt. O daß ich doch eine so große Liebe, durch alle diejenige, die mein Herz zu fassen vermag, und die dagegen immer gering seyn würde, vergelten; o daß ich doch ihm, der nun mit dem Geheilten vorangeht, und oft durch einen gnadenvollen Blick mich stärkt, daß ich doch ihm unverrückt folgen, und dadurch mich vorbereiten könnte, auch ewig mit ihm zusammen zu seyn! Willkommen was diese Verbindung befestigt! Sind es Beschwerden - ich will sie tragen; sind es Pflichten - ich will sie erfüllen; sind es Opfer - ich will sie darbringen. Ich lerne lieben, was mir sonst unerträglich war; aber auch das, was ich sonst liebte, wird mir nun unerträglich. Wenn ich mich jetzt einer irdischen Leidenschaft hingebe, wenn ich jetzt ein irdisches Gut eifrig wünsche, und wenn ich auch zehnfach mehr als das Gewünschte erreiche, habe ich dadurch gewonnen oder verloren? Ach! nur verloren! Denn indeß verlor ich ja ihn aus den Augen; er ist weiter gegangen; ich bin zurückgeblieben, ich bin von ihm getrennt. Alles achte ich für Schaden, was mich von ihm trennt; so sehr es der Welt gefallen mag, so sehr es mir selbst in früheren Zeiten gefiel; mir ist es wirklich und wahrhaft ergangen, wie ich als Kind es habe in den Mährlein erzählen hören: ein reizendes Blendwerk verschwindet und das Gemeine, das Schlechte, das Abscheuliche, das darunter verborgen war, tritt hervor. Fahr wohl, Welt; fahr wohl, Sünde; ich liebe euch nicht mehr. Ihr liebt sie nicht mehr, meine Brüder, Ihr, deren Bekehrung ich in diesem Selbstgespräche geschildert habe? So habt Ihr sie denn auch überwunden, überwunden um deß willen der Euch geliebt hat, überwunden durch eine Liebe, die sich an der seinigen entzündete; denn man hat Sünde und Welt überwunden, so bald man sie nicht mehr liebt. Die Sünde ist noch in Euch vorhanden; sie regt sich in bösen Gedanken und Aufwallungen, die wie feurige Pfeile durch Euer Inneres fahren. Aber Ihr liebt sie nicht, diese Gedanken und Regungen; Ihr williget nicht darein; Ihr kehrt mit einem schmerzlichen Blicke Euch von ihnen hinweg zum Licht der Gnade. Seyd getrost, die Schlange ist zwar noch da, aber der Kopf ist ihr zertreten; Ihr kämpfet zwar noch; aber Ihr überwindet weit um deß willen der Euch geliebt hat.
Zweitens durch Liebe zu dem Herr n überwinden wir das Leiden. Was heißt: das Leiden überwinden? Heißt es, gefühllos dagegen seyn, wenig dadurch erschüttert werden, wenig Thränen vergießen, und bald zu allen früheren Gewohnheiten zurückkehren? Wird der immer überwunden, der größere Schmerzen empfindet, später seine Thränen trocknet, und in das Geleise seines früheren Lebens später oder gar nicht wieder eintritt? Beide Merkmale sind zweideutig, wir müssen ein Anderes suchen, und wir finden es in den Worten des Apostels, die auf unsere Textesworte folgen. Nachdem er gesagt hat: In dem allen überwinden wir weit um deß willen der uns geliebt hat, fährt er fort: Denn ich bin gewiß daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstenthum, noch Gewalt, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Kreatur, mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn. Was er zuerst überwinden genannt hat, das nennt er darauf, nicht geschieden werden von der Liebe Gottes. Mag das Leiden noch so tief Euch niederbeugen, bleibet Ihr nur in der Gemeinschaft Gottes - Ihr überwindet; mögt Ihr noch so stark und muthig Euch dagegen stellen, tretet Ihr heraus aus der Verbindung mit Gott - Ihr seyd überwunden.
Und man kann es nicht leugnen, in der Trübsal liegt für den natürlichen Menschen eine Versuchung sich von Gott zu entfernen. Gott, der überhaupt seinem Herzen fern ist, dessen Liebe er nicht kennt, und für den er keine Liebe empfindet, Gott hat nun wieder eine solche Noth über ihn kommen lassen, hat seine schönsten Hoffnungen vernichtet, hat ihn an der empfindlichsten Seite verwundet: denn wer anders hat dies doch am Ende gethan als Gott? Ihm hat er es gethan, ihn hat er so behandelt, während er doch Andere, die, so meint er, nicht mehr sondern weniger werth sind als er, mit seinen Gaben überschüttet. Eine solche Vergleichung wäre dem frommen Psalmdichter selbst beinahe zum Anstoß geworden. Er bekennt es, wenn er spricht: Ich aber hätte schier gestrauchelt mit meinen Füßen, mein Tritt hätte beinahe geglitten. Denn es verdroß mich auf die Ruhmräthigen, da ich sahe daß es den Gottlosen so wohl ging. Der Stolz, der in rechtschaffenen Leuten, die nicht zugleich gläubige Christen sind, sich zu regen pflegt, und der von der Vorstellung ausgeht, als ob Gottes Wohlthaten verdiente Belohnungen wären, der flößt nun wohl Gedanken ein, wie diese: Was wird mir nun dafür, daß ich mein Herz rein erhalten habe von bösen Leidenschaften, meine Hände von dem Gute des Nächsten, meine Zunge von Afterreden und Verleumdung, daß ich niemals krumme, sondern immer gerade Wege zu meinem Ziele gegangen, und niemals dem Besseren in seinen Weg getreten bin? Da ich nun doch einmal keinen Nutzen von meiner Rechtschaffenheit habe, wäre es mir eben sehr zu verdenken, wenn ich, minder gewissenhaft in der Auswahl der Mittel zu meinen Zwecken, nur diesem jammervollen Leben so viel Glück und Genuß als möglich abzulisten und abzutrotzen suchte? Und haben auch diese sündlichen Mittel nichts geholfen, dann stellt sich wohl jene Gott lästernde Verzweiflung ein, in welcher das Weib des frommen Hiob, da er auf seinem Aschenhaufen saß, ihm zurief: Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Ja, segne Gott, und stirb! Was verschlägt es nun, ob man in einem solchen Zustande trotzig einhergehe oder verzagt, trocknen oder nassen Auges, ob man lache oder weine? Besiegt hat man doch nicht seine Leiden; sondern man ist von den Leiden überwunden.
Und gibt es nun wohl einen größern Jammer, als so von den Leiben überwunden zu werden? Gott, unser himmlischer Vater entschließt sich, uns heftige Schmerzen, zu senden; sie sollten, indem sie unser Herz verwunden, auch zugleich die Neigungen ertödten, wodurch es an die Welt gefesselt wird, auf daß es freier und leichter sich zu ihm erheben könne. Und alle diese Schmerzen, alle diese Wunden, die sie uns schlagen, und die unser Leben hindurch bluten, diese Armuth und Noth, die uns drückt, dieses Siechthum unsers Körpers, diese Leiden der Krankheit, diese Ungerechtigkeit der Menschen, diese immer sich zeigende und immer wieder verschwindende Hoffnung, diese Schläge und Trennungen durch den Tod - dies Alles bleibet umsonst für unser Heil! Und wenn es doch wenigstens umsonst bliebe; doch wenigstens unser Herz in seinem frühern Zustande ließe! Aber es verschlimmert denselben. Erst war es durch sein Glück, nun ist es auch durch seine Leiden von Gott getrennt; erst war es kalt gegen ihn, nun ist es auch gegen ihn erbittert! Auf dies jammervolle Leben wird ein anderes folgen, und wird keine Linderung, wird nur noch größeren Jammer mit sich führen! Und hier, meine Brüder, drängt sich mir ein furchtbarer Gedanke auf, den ich Euch nicht verschweigen kann. So wie ich es Euch schilderte, ist es vielen Menschen ergangen; wie nun, wenn es unter dem Druck der Leiden, die Gott über die Menschheit, und über dies Land, diese Stadt verhängt hat, Vielen unter uns eben so erginge? Wenn sie sich durch diese Leiden überwinden ließen? Wenn diese Plage, die uns jetzt betroffen hat, mit den Schrecken, die ihr vorangingen, mit der Trauer, die sie wie eine finstere Wolke über unsern Horizont verbreitet, mit den Verheerungen die sie anrichtet, mit ihren in so manches Familienleben hinein treffenden furchtbaren Streichen, wenn sie, die ein Gnadenmittel seyn soll nach Gottes Absicht, durch unsere Schuld eine Versuchung würde, und, wenn sie hinweggezogen seyn wird, über unsere Stadt - was durch Gottes Gnade bald geschehen möge - nicht nur bevölkerte Kirchhöfe und leere Hauser, sondern auch leere und Gott entfremdete Herzen zurückließe!
Und darum frage ich Euch, meine Brüder: werdet Ihr in diesen Leiden überwinden; habet Ihr das, was allein verhindern kann, daß die jetzige Noth Euch nicht von Gott trenne; habt Ihr Christum; habt Ihr im Glauben die Wirkung seiner erlösenden Liebe empfunden; seyd Ihr von Liebe für ihn beseelt? Denn hoffet hier nicht anders zu überwinden, als um deß willen der Euch geliebt hat. Habt Ihr ihn, dann mögen Welt und Trübsal von der einen Seite an Euch reißen; Er hält Euch fest, durch ihn verharret Ihr unverrückt und unbeweglich in der Gemeinschaft mit Gott. Denn wie? Dieser Gott, dessen Strafgerichte sich jetzt so furchtbar über die Erde verbreiten, ist es nicht derselbe, der die Welt also geliebt hat, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben; derselbe, der uns erwählet hat, ehe der Welt Grund gelegt war, daß wir seyn sollten vor ihm heilig und unsträflich in der Liebe; derselbe der uns hier durch so wunderbare Mittel erweckt und erleuchtet hat; derselbe der schon für uns die Seligkeit des Himmels bereit hält, um durch sie seine übrigen Wohlthaten zu krönen? Er mag uns Plagen über Plagen senden, wenn er es also beschlossen hat; er mag alle Strahlen seiner Freundlichkeit zurückziehen, und in grauenvolles Dunkel sich hüllen - dennoch, dennoch, bleiben wir fest an ihm! Dennoch zweifeln wir nicht an seiner Liebe, denn wir haben sie zu deutlich in Christo erkannt! Dennoch lassen wir unsern Geist nicht einnehmen von Unmuth und Erbitterung, sondern wir rufen auch bei der stärksten Erschütterung unsers gebrechlichen Fleisches: In deine Hände befehle ich meinen Geist, du hast mich erlöset du treuer Gott. Ein Zeichen haben wir, in dem wir überwinden, und welches in den härtesten Strafen uns nichts als Liebesschläge erkennen läßt: das Kreuz Jesu Christi. Zu diesem blicken wir empor, und ein neuer Muth wehet aus demselben uns an, mit der Welt und deren Trübsal zu kämpfen. In dem allen überwinden wir weit, um deß willen der uns geliebt hat bis in den Tod, und der uns stärkt auch ihn bis in den Tod zu lieben. Furcht, Besorgniß, Tage voll Trauer, Nächte voll Schrecken, Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes in Christo Jesu unserm Herrn.
Nur nicht scheiden? Ist das Alles? Wenn die Trübsal uns nicht scheiden kann von Gott, mit dem wir nun einmal in Christo fest und unauflöslich verbunden sind, so muß sie das Entgegengesetzte bewirken, sie muß uns noch inniger mit ihm verbinden. So geschieht es ja immer unter Denen die einander lieben, daß ein Verlust der den Einen, oder der sie Alle traf, ihre gegenseitige Liebe noch erhöht. Wenn Freunde aus ihrem Kreise einen Freund, wenn Geschwister aus ihrer Mitte einen Bruder oder eine Schwester verlieren: nun, sprechen sie, indem sie den Entschlafenen beweinen, wir wollen näher zusammentreten, wir wollen unsern Bund fester schließen, und was er an Umfang eingebüßt hat, das soll er an Innigkeit gewinnen. Wenn liebenden Ehegatten ein Kind gestorben ist, über der Leiche ihres gestorbenen Kindes reichen sie einander die Hand, stumm, mit thränenden Augen blicken sie sich an; und dies Händereichen, dieser stumme Blick sagt: Du siehst mir jetzt noch näher, bist mir noch theurer geworden als sonst. So wenn einem Gottliebenden Christen die größten Güter genommen sind, über dem Grabe des Kindes, der Gattin, über dem Grabe seines ganzen irdischen Glückes reicht er dem himmlischen Freunde die Hand, und spricht: Viel habe ich verloren, aber Du bist mir geblieben; eine ungeheure Leere ist in mir entstanden, aber Du wirst sie ausfüllen; habe ich Dich geliebt, da noch so manches Andere meine Liebe mit Dir theilte, wie werde ich Dich lieben, da Du sie ganz und ungetheilt besitzest!
O möchte die Liebe diese ihre Kraft, wodurch sie die Leiden wahrhaft überwindet, wodurch sie, aus einer Versuchung zur Trennung von Gott, ein Mittel der Vereinigung mit ihm macht, möchte sie diese ihre Kraft unter den jetzigen Leiden an uns Allen beweisen; an denen die verloren haben, an denen die fürchten müssen zu verlieren: und wer ist es, der jetzt nicht entweder einen Verlust erlitten, oder einen zu befürchten hatte? Was ist aus dieser Erde geworden, in welcher wir noch vor nicht langer Zeit so ruhig und fest mit unsern Neigungen wurzelten, in deren Verhältnisse uns mehr und mehr einzuleben, wir für unsere vornehmste Bestimmung hielten? Ein brausendes Meer ist sie geworden, das von gefahrvolleren Stürmen, als der Ocean bewegt wird! Was ist jetzt das Menschenleben? Die Schrift nennt es eine welkende Blume, ein verdorrendes Gras, einen vorübergehenden Schatten: ach! wie werden alle diese gewaltigen Bilder durch die viel stärkeren Erfahrungen, die wir seit einigen Wochen gemacht haben, überboten! Nein, es ist doch nichts mit der Welt, mit dem Menschenleben, mit allen Planen, die wir auf Erden verfolgen! Nur Eines bleibet, wenn Alles verschwindet, das ist Gott, und bei ihm werden uns auch Diejenigen aufbewahrt, die wir hienieden verloren haben. Nur Eine sichere Zuflucht bleibt uns, das ist der Himmel, der seine Klarheit und Ruhe über dieser dunkeln und stürmischen Welt verbreitet. O dahin, zu Gott, zum Himmel wendet Euern Blick und Euer Verlangen! Ihr vermögt es um deß willen der euch geliebt hat.
Drittens durch Liebe zu dem Herrn überwinden wir den Tod; denn durch Liebe sind wir mit ihm verbunden, und bei dieser Verbindung kann der Tod uns nicht schaden, weder in der Zeit wo er herannaht, und wo wir ihn erwarten, noch in dem Augenblick wo er uns trifft!
Eine solche Zeit, wo der Tod einem Jeden gleichsam mit schnelleren Schritten naht, ist die gegenwärtige; und eine große Wichtigkeit bekommt jetzt die Frage, wie wir ihn schon aus der Ferne überwinden, und die Pfeile, die er uns sendet, ich meine die geistigen Anfechtungen, zurückweisen können. Dazu werden, so weit wir haben bemerken können, zwei ganz verschiedene, aber wohl gleich trügliche Mittel angewendet. Die Einen überreden sich, daß sie von der allgemein verbreiteten und vergrößerten Todesgefahr, dennoch nichts für sich und für ihr Leben zu fürchten hätten. Nein, sprechen sie, das weiß ich, an dieser Krankheit werde ich nicht sterben. So sprechen sie, aber ob sie es selbst, ob sie in allen Stunden es glauben, ob diese scheinbare Sicherheit nicht eine größere innere Besorgniß verbirgt, dafür möchte ich nicht einstehn. Aber sey's, sie hegen diese Meinung: haben sie denn dadurch den Tod überwunden; ist dies nicht vielmehr eine Lisi, durch welche er sie überwindet und ihnen schadet? Sie wissen es, sie werden jetzt nicht sterben. Ob dem so ist oder nicht, weiß Niemand als Gott, und wenn sie etwas darüber zu wissen meinen, so ist das eine sündliche Vermessenheit, welche sie für alle Segnungen, die Gott in dieser großen und schweren Zeit so freigebig ausspendet, unempfänglich macht.
Den Andern ist es wahrscheinlicher, daß auch sie ein Opfer der jetzt herrschenden Seuche seyn werden. Sie haben, ich weiß nicht welche Ahndungen, worauf sie diese Vermuthung gründen. Wohl, denken sie, man muß sich auf das Unvermeidliche vorbereiten. Sie bringen ihre Angelegenheiten in Ordnung; sie suchen sich von dem Leben zu entwöhnen durch Erwägung aller der Beschwerden, die sie schon in demselben ertragen haben; sie erwecken ihre Sehnsucht nach dem Himmel durch die Vorstellung der Wonne, die sie dort hoffen. Alles gut und vortrefflich, wenn dabei nur nicht auch ein Irrthum und eine Vermessenheit zum Grunde läge! Denn auch sie kann man fragen, woher sie es denn wissen, daß sie gerade in dieser Zeit eher als in einer andern sterben werden? Auch sie geben sich einer Einbildung hin, die, sie mögen sagen was sie wollen, dennoch eine Unruhe in ihnen verbreitet, bei welcher sie das große und herrliche Bild des zukünftigen Lebens nicht einmal recht zu fassen im Stande sind. Sie meinten den Tod zu überwinden, und wenig fehlt daran, daß er sie besiegt hätte.
Nun, und wann werden wir ihn denn besiegen? Dann wenn wir uns, aus Liebe zu dem Herrn, über die Zeit und Stunde des Todes auch nicht einmal eine Vermuthung erlauben. Ich sollte denken, erst in späten Jahren zu sterben? Thöricht, denn ich sterbe vielleicht Morgen. Ich sollte denken Morgen zu sterben? Auch thöricht, denn ich sterbe vielleicht erst in späten Jahren. Nicht nur thöricht ist es, es ist auch ein Mangel an Vertrauen und an Liebe zu dem Herrn, daß ich mich mit Dingen quäle, die ich nicht wissen kann, und die ich rein ihm anheimstellen sollte. Mich so zu bewahren, daß ich jeden Tag selig sterben kann, das ist meine Sache; übrigens soll ich meine Gedanken im Zaum halten, ihnen kein ungeregeltes Spiel mit den Bildern des Todes, und mit den Erinnerungen der Vergangenheit gestatten, sondern sie mit den zunächst liegenden Gegenständen meines Wirkungskreises und meines Berufes beschäftigen, und sie mit einer Ruhe und Stille, deren nur die Liebe fähig ist, zu Gott erheben. Ist mir dann so zu Muthe, als möchte ich noch gern länger hienieden im Kreise der Meinigen verweilen, nun so sage ich es ihm, aber ganz still und ruhig, und füge sogleich hinzu: Nicht wie ich will, sondern wie Du willst. Fühle ich eine Sehnsucht bald bei ihm zu seyn, so sage ich ihm auch dies, aber ebenfalls ohne Leidenschaft, ohne Heftigkeit, und füge auch hier hinzu: Nicht wie ich will, sondern wie Du willst. Dies möchte unter den jetzigen Umstanden wohl die beste Verfassung des Gemüthes seyn; und wenn wir uns darin behaupten, wenn wir so die Anfechtungen des uns umgebenden Todes zurückweisen, wenn wir ihn überwinden, geschieht es nicht um deß willen der uns geliebt hat, durch das Gefühl seiner Liebe, und durch die unsrige zu ihm?
Nun aber kommt der Augenblick, den der Herr bestimmt hat: der Tod tritt an uns heran; und eine Macht, die nichts hemmen kann, ist ihm gegeben - über unser irdisches Theil; dieses zerschlägt er; der Tempel, den die Seele bewohnte, ist zerbrochen, sie ist genöthigt ihn zu verlassen. Nun öffnen sich ihr zwei Wege, der eine führet zu Gott und zum Lichte des Himmels, der andere führet hinweg von Gott in die Finsterniß des Abgrunds. Die, welche auf diesem letzten zu wandeln gezwungen sind, das sind die wahren Knechte des Todes, das sind Diejenigen, die er ganz und für ewig besiegt hat. Einige unter ihnen haben immer vor dem Tode gezittert: warum haben sie denn dies Zittern zu unterdrücken gesucht durch Leichtsinn, Weltlust, Zerstreuung, Sünde; warum haben sie denn gegen den gefährlichen Feind niemals die rechten Waffen, die ihnen doch auch dargeboten wurden, ergriffen? Andere unter ihnen hatten dem Tode getrotzt, denn sie kannten ihn nicht; im übermüthigen Gefühle eigener Kraft waren sie dem gewaltigen Feinde, gleich als ob er leicht zu besiegen wäre, entgegen gegangen, und er hat sie nur um so sicherer überwunden. Jetzt kennen sie ihn, jetzt erfahren sie es, daß er nicht nur den Leib, sondern auch, wenn nicht ein Stärkerer ihm wehrt, die Seele zu todten vermag. O hätten sie doch vor ihm gezittert; vielleicht hätte diese Furcht sie angetrieben, bei jenem wahrhaft Mächtigen Hülfe zu suchen! Den Einen aber wie den Andern, den Furchtsamen wie den Trotzigen, beiden fehlt es gleich sehr an Glauben und an Liebe, und nur deshalb hat der Tod sie überwinden können.
Sehet nun auch Diejenigen, die auf dem andern Wege, auf dem zum Himmel, einhergehn. Ihr Haupt ist geschmückt mit unverwelklichen Kronen des Sieges, und sie rufen: In dem Allen überwinden wir weit um deß willen der uns geliebt hat! Er, der uns geliebt hat bis in den Tod, er hat an dem martervollen Holze die Strafe unserer Sünden getragen. Wir blickten auf ihn hin mit Glauben und mit Liebe: und siehe! alle unsere Sünden waren vergeben, alle ihre Strafen vernichtet. O wie drang uns die Liebe Christi, sintemal wir hielten daß Einer für Alle gestorben ist, der Sünde zu sterben und ihm zu leben! Seine Gnade half uns in diesem redlichen Bemühen, er lebte in uns, er besiegte äußere und innere Anfechtungen. Unsere Todesstunde kam. Wir wollen nicht prahlen; wir wollen bekennen: es mag wohl Keiner unter uns ganz ohne Bangigkeit gewesen seyn. Mag es gezittert haben das Fleisch, es wußte ja daß es durch sich selber nicht siegen konnte. Mag es gezittert haben - jetzt ist dies kurze Zittern vorüber. Denn wir standen ja in Gemeinschaft mit dem Herrn; einige schon seit vielen Jahren; andere um die elfte Stunde Berufene, seit kurzer Zeit, aber sie standen in dieser Verbindung mit dem allmächtigen Ueberwinder des Todes. Der Tod zerschlug den Leib, aber der Seele konnte er nicht schaden. Der Herr hielt uns mit seiner Hand, er zieht uns ihm nach, und wir folgen als Ueberwinder Dem, der für uns Alle überwunden hat.
Immer sind sie, diese beiden Wege, immer sind sie angefüllt mit Solchen, die sich nach dem einen oder dem andern Aufenthalte begeben, der ihnen zur ewigen Wohnung angewiesen ward. Und wie viel größer wird durch die Verheerungen der Seuche die Anzahl derjenigen, welche jetzt von der Erde scheiden! In Schaaren kommen sie aus allen Ländern, wo der Todesengel seine Sense schwingt. Viele hunderte, von seinen Streichen getroffen, haben schon in dem Boden, auf welchem wir wohnen, ihren Leib, haben hinter sich verödete Hauser, trauernde Eltern, Gatten, Kinder zurückgelassen, und sind hingegangen auf dem einen oder dem andern Wege zu wandeln. O wäre es immer auf dem, der zum Himmel führt! O möchte kein anderer als dieser von den jetzt gedrängten Schaaren der Gestorbenen betreten werden! Und Diejenigen unter dieser Versammlung, denen es vielleicht bestimmt ist, an dieser Plage zu sterben, möchten doch auch sie sich mischen unter die Seligen, die ewig rühmen, daß sie überwanden um deß willen der sie geliebt hat!
Was soll sie denn seyn für unser Land und für unsere Stadt, diese Zeit der großen göttlichen Schickungen und Gerichte? Eine Zeit der Niederlage für uns, eine Zeit des Sieges und Triumphes nicht nur für den zeitlichen, sondern auch für den ewigen Tod, eine Zeit des Unglaubens und der Unempfindlichkeit gegen alle Schläge der göttlichen Gnade? Oder nicht vielmehr eine Zeit der Erweckung zur Buße und zum Glauben, wo Alle überwinden, aber wo Keine höher und herrlicher triumphiren, als die, welche äußerlich vom Tode besiegt scheinen? Möchte sie das letztere werden! Und damit dies geschehe, Ihr, die Ihr noch fern von Christo sieht, hört jenen Sturm, sehet jenes lodernde Feuer des göttlichen Zorns, wovon ich zu Anfang gesprochen habe; - und thut Buße! Ihr, die Ihr Christo angehört, vernehmt das sanfte Säuseln seiner Liebe, durch welches Euch der gänzliche, vollkommne Sieg verliehen wird. Möchtet Ihr es, stärkend und beseligend, in den Tiefen Eures Herzens vernommen haben, während wir sprachen; möchtet, Ihr heutigen Abendmahlsgenossen, möchtet Ihr es noch tiefer und inniger vernehmen an jenem Tische, den Euch die Liebe des Herrn bereitet hat; und dort mit einem Borgefühl himmlischen Friedens und ewigen Sieges begnadigt werden! Amen.