Die Liebe Christi dringt uns also. 2 Kor. 5,14.
1. Wenn wir, liebste Herzen, unsere Gestalt, sowohl was wir in der Natur sind, als was wir durch die Gnade werden sollen, sowohl wie wir aussehen oder ausgesehen. haben, so lange wir noch tot in Sünden sind, als welche Leute aus uns werden sollen durch die Mitteilung des Lebens, das aus GOtt ist, recht eigentlich wollen abgebildet sehen; dann müssen wir aufschlagen das 37. Kapitel im Propheten Hesekiel, da der HErr diesem Gottes-Manne ein weites Feld voller sehr dürrer Toten-Gebeine zeigte.
In der Tat, wenn es dem HErrn gefallen sollte, uns (wie dem Propheten) die Augen des Geistes zu eröffnen, es würde uns das weite Feld dieser untern Welt und, wollte GOtt! ich müsste nicht dabei sagen, das weite Feld unserer sogenannten Christenheit eben also vorkommen. Wir würden, ach leider! an allen Enden und Orten, und in allen Ständen fast nichts erblicken, als eitel Toten-Gebeine, tote Herzen, tote Schein Christen, tote Worte, tote Werke, toten Wandel, toten Gottesdienst. Und unter dieser Menge Toten-Gebeine würden wir uns auch selbst mit finden, so lange wir noch im Natur-Stande liegen.
2. Es konnten diese Toten-Gebeine Hesekiels nicht so sehr dürre und elend aussehen, als unsere Herzen gestaltet sind, so lang wir, leer und fremde von dem Leben, das aus GOtt ist, ohne Saft und ohne Kraft der Gottseligkeit da auf der Erden liegen. Wer würde es diesen Toten-Gebeinen des Propheten angesehen haben, dass sie ehedem so schöne menschliche Körper gewesen? So gar hat der Mensch durch den Sünden-Fall seine ursprüngliche Gestalt verloren; so gar ist er ein gräuliches Ungeheuer geworden, dass man nichts Ähnliches mehr dran sehen kann. Man sollte es nicht sagen, dass dies der herrliche Gottes-Mensch gewesen, der ehedem so überaus schön aus den Händen seines Schöpfers hervorgekommen.
3. Zwar es hat der gefallene Mensch noch ein Leben; aber ein solches Leben, wie mans bei den Toten-Äsern und Gebeinen zu finden pflegt. Man findet im Toten-Aas kein natürliches, sondern ein fremdes Leben; es wimmelt und lebt von Würmern und Ungeziefer. Auch in unserm an GOtt erstorbenen Herzen ist ein dergleichen fremdes widernatürliches Leben eingedrungen; es wimmelt nicht weniger von allerhand weltlichen, sündlichen, unordentlichen Lüsten, Affekten, Neigungen und Begierden, als so vielem gräulichem Ungeziefer, Schlangen und Skorpionen, so dass wir ein rechter Abscheu vor GOtt und Engeln, und erleuchteten Menschen geworden; wie man etwa ein Toten-Aas verabscheut. Ja, ich bin gewiss, wenn wir uns recht in dieser unserer widernatürlichen Ungestalt erkennen sollten, wir würden kein Ding mehr verabscheuen, als uns selbst, wir würden uns selbst wie anekeln.
4. Du Menschenkind, sprach der HErr zum Propheten, meinst du auch, dass diese Gebeine wieder lebendig werden? HErr, HErr, antwortete er, das weißt du; als hätte er sagen wollen: Das kann ich, als ein Menschenkind, nicht für möglich erkennen; das muss ich deiner Weisheit und Allmacht anheim stellen. Weissage, spricht der HErr, von diesen Beinen, und sprich zu ihnen: Ihr verdorrten Beine, hört des HErrn Wort, und wie es da weiter heißt. Worauf dann auch der Prophet weissagte und siehe, da rasselte und rauschte es; und die Gebeine kamen wieder zusammen, es wuchsen Adern und Fleisch darauf; aber es war noch kein Odem, keine Seele darin. Eben so wenig ist bei dem gefallenen Menschen einige menschliche Möglichkeit oder Ansehen der Möglichkeit zu seiner Wiederlebendigmachung zu finden, als bei diesen Toten-Gebeinen war.
Und wer uns, die wir von der Gnade ergriffen worden, sonderlich manche unter uns, vor einigen Jahren, vor einem Jahr, vor einem halben Jahr gekannt hat, in unserem damaligen verderbten Zustand und Wandel, der hätte auch mögen fragen: Meinst du, dass aus einem solchen Toten-Bein und abscheulichen Toten-Aas noch ein lebendiger Mensch werden wird? Meinst du, dass aus einem solchen sichern, eiteln Sünder, oder wohl gar aus einem solchen gräulichen und frechen Höllen-Brand, noch ein begnadigtes Kind GOttes werden wird? O mein GOtt! wie so wenig Ansehen und Hoffnung konnten wir dazumal zu einer solchen Veränderung geben!
5. Inzwischen, es ist in dem Namen des HErrn über uns geweissagt worden; der HErr hat sein Wort gesandt, und seinem Wort die Kraft des Geistes beigelegt; es ist unter uns an diesem Ort ein Rauschen, Rasseln und Lärmen entstanden. Die Welt hats gehört, und sich gewundert, was aus den Toten-Beinen werden wollte. Der Fürst der Finsternis ist drüber bestürzt und bange worden, dass ihm zu viele Untertanen aus seinem Toten-Reich entgehen möchten: die Toten Gebeine haben. sich zusammen gegeben, Bein zu seinen Gebeinen: so sitzen wir jetzt hier. Die Welt sieht uns nun vor so Leute an; wir sehen so aus wie Menschen, nämlich wie Christen-Menschen: es ist wenigstens so eine Gestalt, so ein Körper, herausgekommen. Aber, ist auch die rechte Seele, der Odem, die freie Lebens-Bewegung in diesem Körper? So wenig der Mensch aus einem bloßen Körper besteht, so wenig besteht das Christentum in der bloßen Form und Gestalt, im bloßen Mitgehen oder Mitreden, in gezwungenem Tun oder Lassen.
6. Zwar, dem HErrn sei davor Dank und Ehre! es ist doch auch ein Leben in uns gekommen; denn wo wäre sonst das Geräusch, das Zusammenkriechen der Totenbeine her entstanden? Ist doch in uns selbst von Natur nicht die geringste Bewegung oder Neigung zum Guten: aber es ist wohl eine durchgängige, freie, leichte Lebens-Bewegung? oder nur ein so halbes, kriechendes, kümmerliches Leben? Das vergnügt ja nicht; das muss ja weiter gehen.
Es ist eine Veränderung, ja eine merkliche Veränderung bei manchem unter uns vorgegangen: allein, liebste Herzen, fühlen wirs nicht, merken wirs nicht, dass noch so was fehlt? und noch vieles fehlt? Das Herz reget und bewegt sich noch nicht recht in dem Christen-Körper; man kann GOtt nicht so recht lieben, trauen, anhangen, und in ihm und seinen Wegen seine Lust haben: man will wohl, aber man kann nicht; das Herz ist noch so träg, so kalt, so tot; es sinkt noch so leicht ohnmächtig zur Erden. Das muss ja anders gehen.
7. Will man einen leblosen, oder in Ohnmacht liegenden Körper nur etliche Fuß weit von der Stelle bringen, welch eine Mühe und Arbeit muss man da nicht anwenden! welch ein Geschlepp gibt das nicht! Und ach! liebste Herzen, gehts nicht bei manchen fast eben so mühsam, so gezwungen und gedrungen im Werk und Lauf der Gottseligkeit her? Wie lange und kümmerlich schleppt man sich nicht mit dem Leibe des Todes! Man enthält sich von dem und von jenem; aber so kaum, man muss sich so zwingen; es kostet so was. Man übt sich in diesem und in jenem, das man für gut erkennt; aber wie muss man sich anstrengen, und Gewalt antun? Man möchte wohl gern beständig, treu und heilig sein; aber ach! man bringts nicht weit. Siehe, so gehts; und es kann wohl nicht besser gehen, so lange wir nur so einen halb-lebenden Christen-Körper haben. Wir müssen eine Seele, einen Geist haben, der diesen Körper frei beleben und bewegen könne.
8. Man kann endlich einen seellosen Körper mit großer Mühe wohl empor heben, und ihm eine Stütze geben: aber was hilfts, wo nicht eine Seele, ein Leben in denselben kommt? Dass uns GOttes Güte so mancherlei Gnadenmittel vergönnt zu unserer Aufweckung, Ermunterung und Stärkung, das sollen wir ja nicht gering achten, sondern als unschätzbare Gnaden und Wohltaten GOttes demütigst erkennen. Allein wenn wir nicht unter und bei dem Gebrauch aller solcher Mittel uns hauptsächlich um Christi Geist, Kraft und Liebe bekümmern, da mögen wir, als einmal in den Sinnen bewegt, und, wie jener Körper, emporgehoben werden; es währt aber nicht lang, der tote Klotz fällt wieder zur Erden, in seine vorige Trägheit und angewohnte Dinge.
Ganz ein anders ists mit Menschen, die ein geistlich Leben haben: die mögen wohl schläfrig, träg und matt, und hingegen durch Versammlungen und andere Gnadenmittel wieder aufgeweckt, genährt und mächtig unterstützt werden in ihrem Lauf. Wer aber kein geistliches Leben oder Seele, bei seiner Gottseligkeit erlangt; ach! liebste Freunde, dem helfen alle, auch die besten Stützen in die Länge nicht; sie verlieren ihre Kraft an uns. Menschen, die's nur beim Gehen und Hören bewenden lassen, und sich nicht um die inwendige Kraft der Gottseligkeit bekümmern halten in die Länge nicht Stand, und können nicht Stand halten; der schönste Körper wird bald stinken, faulen und Würmer kriegen, wo keine Seele hinzu kommt.
9. Mit einem Wort: So nötig es war, dass der Prophet Hesekiel zum andernmal im Namen des HErrn weissagte, und zum Wind oder Geist sprach: Wind, komme hervor aus den vier Winden, und blase diese Getöteten an, dass sie lebendig werden; worauf auch ein Odem in sie kam, und sie wieder lebendig wurden: eben so unumgänglich nötig ist es uns, die wir eine anfängliche Regung zum Gnadenleben in uns empfunden haben, dass auch über uns noch einmal im Namen des HErrn geweissagt werde, damit der rechte Geist des Christentums in uns komme, und was Lebendiges und Ganzes aus uns werde. Komm, du Geist! soll auch unser Herze schreien, komm und blase mich toten Menschen an, dass ein Odem, eine Seele in mich komme! Diese Seele, dieses Leben, diese Kraft der Gottseligkeit, ist nun nichts anders, als die Liebe Christi, welche uns zu lebendigen, tätigen Christen macht. Ach! um diese Liebe haben wir uns zu bekümmern.
10. Dergleichen lebendige, tätige, heilige Christen waren nicht allein die Apostel, sondern überhaupt die Gläubigen zu den Zeiten der Apostel. Sehen wir diese ersten brünstigen Christen an, und fragen nach: Wie habt ihr Leute das können tun, was ihr getan? das können leiden, was ihr gelitten? so können leben, wie ihr gelebt habt? So antwortet uns der heilige Apostel Paulus in ihrer aller Namen, mit den Worten unseres Textes: Die Liebe Christi dringt uns also.
11. Nach Anleitung dieser, durch den Geist ausgesprochenen Worte, wollen wir denn bei unserer jetzigen Versammlung unter GOttes Beistand mit einander betrachten:
- Die Liebe JEsu Christi, und - derselben göttliche Kraft.
O mein liebster HErr JEsu Christe, ich will nicht unterwinden von deiner Wunder-Liebe zu zeugen, ach, siehe nicht an meine Unwürdigkeit, meine Untüchtigkeit. Nahe dich zu meinem Herzen, und entzünde es; rühre meine unbeschnittene Lippen mit einer glühenden Kohle von deinem Altar, damit ich nicht kraft- und saftlos von deiner brünstigen Liebe reden möge! Amen.
12. Es hat dem heiligen Geist nicht gefallen, uns deutlicher anzuzeigen, ob in den verlesenen Textesworten durch die Liebe Christi gemeint sei die Liebe, womit Christus uns liebt, oder aber die Liebe, womit gläubige Herzen Christum lieben: vielleicht eben darum, damit wir beides zusammen nehmen sollten. Es hängt auch wirklich ganz genau an einander; eines fließt aus den andern, und es ist im Grunde eins. Denn, mein! wo hätten wir auch nur einen Funken der Liebe zu Christo, wo er uns nicht erst geliebt hätte? und die Liebe, womit wir ihn lieben können, ist nicht weniger seine Liebe, als die, womit er uns in Zeit und Ewigkeit geliebt hat. Christus macht denn den Anfang mit Lieben; drum müssen wir in dieser unserer Betrachtung auch mit seiner Liebe zu uns den Anfang machen.
13. Christus liebt uns mit einer mehr als treuesten, und mehr als größten Freundschafts-Liebe. Christus liebt uns und will uns lieben mit einer mitleidigsten, sorgfältigsten und unermüdeten Mutter-Liebe. Christus liebt uns und will uns lieben mit einer zartesten, genauesten, seligsten Bräutigams-Liebe.
Christus, sage ich, liebt uns mit einer mehr als treuesten, und mehr als größten Freundschafts-Liebe. Eine Freundschafts-Liebe unter den Menschen besteht in der freien innigen Herzens-Neigung, kraft welcher man einander alles Gute gönnt und gerne zuwege bringt, hingegen allen Schaden und Unglück abzuwenden, auch in allen Bedürfnissen einander zu helfen und beizuspringen sucht. Und mit einer solchen Freundschafts-Liebe ist uns Christus in der Wahrheit und im höchsten Grade zugetan.
Wenn wir uns eine Freundschafts-Liebe am treuesten wollen vorstellen, dann müsste es eine sein, die in der Not Stand hält: wo findet man aber unter den Menschen einen Freund in der Not? Und wenn wir uns diese Liebe am allergrößten wollen einbilden, dann müssten wir den Fall sehen, da ein Freund das Leben für den andern lässt. Und wo wird man unter Menschen einen solchen Freund, eine solche Freundschaft finden? An Christo haben wir wirklich einen solchen Freund, und in seinem Herzen eine solche Freundschafts-Liebe zu uns. Niemand, spricht er selbst Joh. 15,13. hat größere Liebe, denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde. Ach, liebster Heiland! was sagst du von Freunden? Feinde und Rebellen waren wir, und doch hast du dein Leben für uns gelassen. Christus ist, nach Pauli Ausdruck, für uns Gottlose gestorben. GOtt preist seine Liebe gegen uns, dass Christus für uns gestorben, da wir noch Sünder waren. Röm. 5,6. Darum habe ich mit gutem Bedacht die Liebe Christi genannt eine mehr als treueste, und mehr als größte Freundschafts-Liebe.
14. O erstaunenswürdiger Brand der Liebe Christi! Du und ich, liebe Seele, waren aus GOttes Freundschaft, Licht, Liebe und Gemeinschaft in das allergrößte Unglück, Elend und Hölle gefallen; du und ich waren nicht mehr Freunde, sondern Feinde, nicht mehr liebens- sondern hassenswürdig, zornwürdig; dennoch jammerte GOtt in Ewigkeit dieses unser über alle maßen großes Elend. Er ließ es sein bestes kosten; er schenkte uns, zu unserm Heil, seinen Sohn, sein Schoßkind, und in seinem Sohn, das Herz seiner Liebe. Das kann weder Engel noch Mensch begreifen noch ergründen; man muss es glauben, man muss es verehren, und mit Christo selbst bewundernd sagen: Also hat GOtt die Welt, die elende Welt, geliebt.
15. Christi mehr als treueste Freundschafts-Liebe drang ihn aus dem Himmel. (Hört doch diese erfreuliche Wunder-Geschichte! es ist keine Fabel, sondern eine gewisse Geschichte. Hört dieses herrliche Evangelium des seligen GOttes, nicht als eine Sache, die ihr ohnedem schon wisst, und von Jugend auf in der Bibel und im Katechismus gelernt habt; sondern hörts als eine wichtige, neue Zeitung1); hörts doch heute einmal also, als wenn ihrs euer Leben lang noch nicht gehört hättet!) Christi mehr als treueste Freundschafts-Liebe, sage ich, hat ihn gedrungen aus dem Himmel, uns zu retten und zu helfen. Und damit er solches tun, und wir nicht vor ihm erschrecken möchten, kleidete er sich ein in unsere armselige Menschheit und sündliche Gestalt, er nahm (als unser Goel2) und naher Verwandter) unsere Sündenlast und Schulden, als seine eigene wirklich auf sich; er hat in die vierunddreißig Jahre für dich und für mich, liebe Seele, gearbeitet, gebetet, gerungen, beim allerfürchterlichsten Anblick und empfindlichsten Gefühl des durch die Sünde erregten göttlichen Zorns gezittert und gezagt, Blut geschwitzt, göttliche Verlassung und Höllenangst empfunden; mit einem Wort, alles das gelitten und ausgestanden, was du und ich, liebe Seele, ewig, ewig unserer Sünden wegen hätten leiden müssen: und dieses alles hat er aus einer freiwilligen Freundschafts-Liebe getan, damit er uns durch den unschätzbaren Wert seines Bluts wieder aussöhnen, und ihm zu seinen Freunden erkaufen möchte.
16. Siehe, wo kann eine größere Liebe erdacht werden? Ist nicht Christus ein wahrer Freund in der Not, ein rechter Freund bis in den Tod! Und dieses alles hat er nicht nur überhaupt für uns, sondern für einen jeglichen unter uns gelitten. Also sah es Paulus an, Galat. 2,20. Christus hat mich geliebt, und sich selbst für mich dahingegeben. Ei, lieber Paule, was sagst du? ist dann Christus allein für dich gestorben? O ja, allein für mich, und allein für dich. Denn so sollen wir die Sache ansehen, um sie mit bestem Nutzen anzusehen; und so liebt Christus einen jeden mit einer solchen sonderbaren Liebe.
17. Christus liebt uns, sagte ich zum andern, und will uns lieben mit einer mitleidigsten, sorgfältigsten, unermüdeten Mutter-Liebe. Ist irgendwo ein Kindlein krank, ist ein Kind gefallen, verwundet und liegt da schmerzhaft und weinend vor den Augen seiner Mutter, siehe, so hassts die Mutter nicht, seines so elenden Zustandes wegen, sondern sieht das arme Kindlein an mit herzlichem Mitleiden, und sucht ihm auf alle mögliche Weise zu helfen und es zu erquicken. Solche mütterliche Liebes-Eingeweide zieht Christus an gegen uns gefallene Sünden-Kinder, sonderlich wenn wir unseren Schaden bußfertig fühlen und beweinen. O da sieht er uns mit innigst mitleidigem Herzen und Augen an. Das glaubst du armes, reuiges Kind wohl nicht, dass dich Christus also liebt, dass er dich also ansieht; du meinst, du wärst gar zu erschrecklich zugerichtet, und hast dich mutwillig in allen den Jammer hineingestürzt, darum achte er deiner jetzt nicht mehr. Nun, so höre denn, was er beim Hesekiel 16,6. davon sagt: Ich sehe dich wohl in deinem Blut liegen, und so gewiss er dich sieht, so gewiss wird er auch, wenn seine Stunde da ist, zu dir sprechen: Du sollt leben, ja du sollt leben. Wir sollen nur auf Ihn im Glauben sehen, wie die kranken Kinder mit tränenden Augen auf die Mutter zu sehen pflegen.
18. Eine bußfertig-bekümmerte Seele kann es oft gar nicht glauben, dass ihr Weinen und Klagen gehört und erhört werde. Allerdings, liebe Seele, der HErr hörts wohl, wie Ephraim klagt, und, wie es da weiter heißt: Ist nicht Ephraim mein teurer Sohn und mein trautes Kind? ich gedenke noch wohl daran, was ich ihm geredet habe: darum bricht mir mein Herz gegen ihn, dass ich mich sein erbarmen muss, spricht der HErr. Jer. 31,20. Wenn das nicht eine mitleidigste Mutter-Liebe zu nennen, dann kenne ich keine. Wir dürften dergleichen zarte, mütterliche Liebes-Bewegungen GOtt ja nicht zuschreiben, wo es der HErr nicht selber täte. Ach, bußfertige Seelen! könnten wirs glauben, könnten wirs sehen, auch unsere Herzen würden vor kindlicher Gegenliebe brechen müssen.
19. Christus liebt uns, und will uns lieben mit der sorgfältigsten Mutter-Liebe. Eine natürliche Mutter hat ihrem Kinde dieses zeitliche Leben gegeben, und es in diese jammervolle Welt geboren: Christus wiedergebiert uns zur ewigen Licht- und Freuden-Welt, und schenkt uns ein Leben, das unvergänglich ist. Eine Mutter nährt ihr Kind aus ihren Brüsten: und Christus gibt sich selbst, sein Fleisch und Blut, seinen wiedergeborenen Kindern zur Speise: das tut doch keine natürliche Mutter.
20. Eine Mutter reinigt ihr Kind, hegt, trägt und pflegt ihr Kind, bis es angewachsen; sie hat immer was mit dem Kinde zu schaffen, und ihre mütterliche Liebe macht, dass sie nicht ermüdet. Ach, ach, wer muss nicht mit Scham und Bestürzung daran gedenken, wie sich der ewig liebende GOtt mit uns unartigen Kindern schleppen muss, dass ich so menschlich rede, wie so viele Mühe wir ihm machen mit unsern Sünden! ja, es ist nicht auszusprechen, was er nicht mit einer einzigen Seele zu tun hat, sie groß3) zu ziehen. Der HErr drückt selber diese seine geschäftige, helfende Mutter-Liebe aus im 46. Kapitel Jesaja, da es im dritten und vierten Vers also heißt: Ihr vom Hause Israel, die ihr von mir im Leibe getragen werdet, und mir in der Mutter liegt. Ja, ich will euch tragen bis ins Alter und bis ihr grau werdet. Ich hab es getan, spricht der HErr, und ich will es tun, ich will heben und tragen und erretten.
21. Eine natürliche Mutter bewahrt ihr Kind vor allem Unfall, und sucht sein Bestes, so viel sie kann; Christus, unsere ewige Liebes-Mutter, bewacht und bewahrt die, so aus ihm geboren sind, unvergleichlich genauer, dass der Arge sie nicht kann anrühren, ja auch kein Härlein von ihrem Haupte fallen kann ohne seinen Willen. Alles, was solchen Gnaden-Säuglingen zustößt im Kleinen und im Großen, im Innern und im Äußern, das lenkt und regiert die mütterliche Liebe Christi, dass es ihnen alles, alles zum Besten dienen muss.
22. So wenig ein natürlich Kind sorgt, wie es solle groß werden; eben so wenig darf auch ein Kind der Gnaden sorgen, wie es werde anwachsen, stark und heilig werden. Die mütterliche Liebe Christi sorgt in dem allem; das gute Kind soll nur im Schoß der Mutter bleiben, und betend, glaubend, liebend, aus der Brust der Gnaden Saft und Kraft zum Leben und Wachstum saugen. Und in diesem Liebes-Schoß liegend, darf das schwächste und ärmste Kind sich nicht fürchten vor einiger Gefahr.
23. Es verhängt ja wohl die Liebe mancherlei Proben, Versuchungen und Leiden über die Gnaden-Kinder, zu ihrem Besten; es geht oft in der Dürre und Dunkelheit wohl so weit, dass man mit Zion klagt: Der HErr hat mich verlassen, der HErr hat mein vergessen: aber, wie weit fehlt nicht die Seele in ihrem Denken! Kann auch, fragt der HErr selbst, ein Weib ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie desselben vergäße, so will ich doch dein nicht vergessen: Siehe, in die verwundeten Hände habe ich dich gezeichnet. Ach, Seele, Seele, das geht dich, das geht mich an! Also liebt Christus, und also will er lieben. Sollten wir nicht eine solche Liebe verehren? Sollten wir uns nicht einer solchen mütterlichen Liebe und Sorge Christi mit Leib und mit Seele auf ewig anvertrauen?
24. Christus liebt uns auch und will uns lieben mit einer zartesten, genauesten und seligsten Bräutigams-Liebe. Ach ja, die Liebe Christi wirbt recht um die Herzen der armen verlorenen Sünder. wie so lange muss er nicht freien! wie so lange muss er uns nachgehen, ehe er das gesuchte Ja-Wort erhält! wie so oft hast du, und habe ich, seine angebotene Gewogenheit und Liebe nicht schändlich abgewiesen und zurückgestoßen; und dennoch ist er nicht müde worden, uns zu suchen. wie so zärtlich liebt er, auch ehe er noch geliebt wird! aber noch unendlich zärtlicher, wenn er nun seinen Zweck erreicht und er sich mit der Seele, als mit seiner Braut, verloben kann in Ewigkeit, und vertrauen in Gerechtigkeit. Da erfolgen öfters manche teure, auch empfindliche, beseligende Ausflüsse seiner Liebe in die Seele. Christus schenket ihr manche unschätzbare Himmelsgüter und Kleinodien, und lässt sie, nach ihrem Maß, erfahren Gerechtigkeit, Friede und Freude in dem heiligen Geist.
25. Und da Christus seine anfänglich-verlobte Braut so ganz nackend, ja so bettlermäßig bekleidet findet, so reißt er ihr, durch seine Liebe und durch heiliges Kreuz, ihre garstigen Bettler-Lumpen ab, bekleidet sie mit seiner Gerechtigkeit, flößt ihr, mit seiner Liebe, auch seinen ganzen Sinn, Bild und Gestalt immer mehr ein, dass sie mit seiner Demut, mit seiner Sanftmut, mit seiner Reinheit, Einfalt, Unschuld und allen göttlichen Tugenden bekleidet wird. Und nachdem er sie denn durch sich selbst schön gemacht hat, siehe, alsdann freut4) er sich über sie, wie sich ein Bräutigam freut über seine Braut. Siehe5), du bist schön, meine Freundin, spricht Christus, der göttliche Bräutigam. Nein, antwortet die Braut, nur du bist schön, mein Geliebter; auch die Schönheit, die du in mir siehst, ist die Deinige. Es sind dies keine leere Worte oder Einbildungen, sondern große Wunder der Liebe Christi. Wollte GOtt, dass wir solche nicht nur im Hohen Lied, sondern auch in unsern Herzen durch eine selige Erfahrung lesen könnten!
26. Es ist unaussprechlich, liebste Herzen, welch eine innig-tiefe Liebes-Neigung und brünstiges Verlangen in Christo ist, unserer Herzen wieder habhaft zu werden, uns wieder bei sich haben zu wollen, uns wieder mit sich, und sich mit uns auf ewig zu verbinden und zu vereinigen. Engel und Menschen könnens nicht begreifen, sondern werdens in einer ganzen Ewigkeit mit tiefster Bewunderung anbeten. Bis6) zur Eifersucht zu verlangt unser der Geist Christi, der in den Gläubigen wohnt. Er kanns gar nicht dulden, dass ein Herz, das ihn so teuer zu stehen kommen, ein Herz, das er so sehr liebt, noch andern Dingen nachhängen, und ihm nicht ganz und allein gewidmet bleiben sollte. Er liebt die Seele als seine Einzige, und sie muss ihn auch wieder lieben als ihren Einzigen. Denn die Liebe Christi, das ist, die innig-tiefe Neigung Christi nach der Seelen, erweckt in ihr eine gleichmäßig innig-tiefe Neigung nach Christo. Die Liebe Christi berührt und zieht die Seele an sich, und sie folgt: Zeuch mich, so laufen wir. Ihr Innigstes und ihr Alles sehnt und neigt sich aus allem heraus, nach immer genauerer Vereinigung mit ihrem Geliebten. Und was da für Liebes-Begegnungen, Liebes-Umfassungen, Liebes-Vertraulichkeiten, Mitteilungen und Vereinigungen vorgehen und vorgehen können, das mögen reine, abgeschiedene Herzen wohl erfahren, aber nimmermehr aussprechen; gehört auch mehr zur Ewigkeit, als zu dieser Zeit. Einmal, die Liebe Christi ist ein großes Geheimnis der Gottseligkeit, und ein unerschöpflicher Abgrund von lauter Seligkeiten.
27. Nun dann, ihr unsterblichen Herzen alle, die ihr mit mir zum Lieben und einen GOtt zu lieben, erschaffen, erlöst und berufen seid, seht doch, (ach hätten wir offene Augen zu sehen!) wie uns GOtt in Christo liebt, und so zärtlich liebt. Schämen müssen sich alle, die GOtt zu einem Tyrannen und Menschenhasser machen wollen. Nein, in GOtt ist kein Zorn, als nur wider das Böse; nein, GOtt hat uns nicht geschaffen, dass er uns wollte hassen, oder von uns gehasst werden; sondern zu dem Ende allein, dass er uns wollte lieben, und in Ewigkeit von uns geliebt werden. Aber, ach! aber ach! wo sind Herzen, die diesen GOtt wieder lieben! Ach! dass ein solcher GOtt, ein solcher Christus ist, ein Christus, der uns Menschen also liebt; dass eine solche Liebe Christi ist, und wird doch so wenig und von so wenigen erkannt, erfahren und genossen.
28. Tausendmal sagen die Menschen mit ihrem Munde: Lieber GOtt! lieber Heiland! Aber, ach! wie stehts um das Herz? was hat wohl unser Herz von der Kraft dieser Liebe Christi erfahren? Denn wir müssen uns so keine phantastische, kraftlose, schädliche Liebe Christi einbilden, als wenn Christus uns könnte und sollte lieben, wenn wir gleich immer böse Buben bleiben; wie etwa manche Eltern dergleichen tolle Liebe zu ihren Kindern haben, dass sie ihnen in allem ihrem bösen Willen folgen, und sie so ins Verderben laufen lassen. So möchte sich auch der irdische, verkehrte Sinn des Menschen eine Liebe Christi und göttliche Barmherzigkeit wünschen, da Christus ihn, nach alle seinem Willen, in gesunden Tagen, der Weltlust und Eitelkeit genießen ließe; hernach, wenn er dann ja sterben müsste, und am Ende GOtt etliche gute Worte gäbe, da sollte GOtt so barmherzig sein, und Christus ihn so lieb haben, dass er ihn von Stund an in den Himmel nähme. Nein, törichter Mensch, solche Liebe Christi, und solchen Himmel baust du dir in deiner Phantasie; bei GOtt ist dergleichen nicht zu finden. Christus liebt dich, auch wider deinen Willen, weit mehr, als du dich selber liebst: Er will dir lieber wehe tun und genesen, als schmeicheln und dich verderben lassen.
29. Die Liebe Christi ist denn keine solche törichte Einbildung, sondern eine lebendige, geschäftige und mächtige Kraft GOttes, die uns aus unserm Irrwege, Verderben, Sünde und Tod, wirklich auf- und zurecht hilft, neues, wahres Leben einflößt, zu allem Guten willig, lustig und vermögend und zu recht glückseligen Menschen macht. Die Liebe Christi ist der Anfang, der Grund, die Seele des Christentums und aller Gottseligkeit. Wer die Liebe Christi nicht hat, der hat entweder keine, oder nur eine gemalte, tote Gottseligkeit oder Frömmigkeit. Es muss uns Christus, dafern er uns selig machen soll, nicht so ferne bleiben. Wir müssen die Kraft seiner Liebe an unsern Herzen und sodann auch in unsern Herzen erfahren, und ihr Raum geben; sonst bleiben wir, bei allem Reden und Hören von der Liebe Christi, tote und unselige Menschen.
30. Allerdings macht Christus den Anfang mit Liebe. Wenn nämlich die Liebe Christi den Menschen dringt zur Bekehrung, da bestraft ihn dieser Liebes-Geist über sein Unrecht, überzeugt ihn von der Notwendigkeit der Buße und Bekehrung, beunruhigt ihn über seine Sünden und gefährlichen Seelen-Zustand. Es ist was, das geht dem Menschen so nach; das dringt so auf ihn an, er soll sich bekehren, GOtt ergeben, ein anderer Mensch werden. Das hält nun zwar der blinde Mensch, in großem Unverstand, wohl für Teufels-Anfechtungen, denen er widerstehen müsse; oder er siehts an als seine eigene ihm von Ungefähr einfallende verdrießliche Gedanken, für was Böses, für Schwermütigkeit. Inzwischen, ob er dergleichen öfters nur gern wieder quitt sein möchte, kommts doch als wieder, zum Beweis, dass es nicht vom Menschen selbst herrühre. Jahr und Tage geht, ach leider! mancher in solcher Klemme dahin, und erkennt nicht, dass es eben die herumholende Liebe Christi sei, die so auf ihn andringt.
Ja, wahrlich, da steht der erbarmende, ewig-liebende JEsus, an deiner Tür, und klopft an; er bittet und bettelt recht um dein Herz, eben als wenn ers nötig hätte: Gib mir doch, gib mir, mein Sohn, dein Herz! Lass dich doch mit GOtt versöhnen! Siehe so dringt die Liebe Christi. Und wie so oft, wie so lange hat sie solches nicht bei uns getan! Wie so oft hat er uns nicht versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel, da es uns noch nicht gelegen kam, und wir nicht gewollt haben! Wir rennen ja in unserm sichern Natur-Stande spornstreichs zum Verderben; ist das denn nicht Liebe, wenn uns der Heiland Einhalt tut? Wir wandeln wie auf dem Rande der Hölle; ist denn das nicht Liebe, dass er, auch mit unserm Schmerzen, uns ergreift und zurückzieht? Ach, was hat wohl der allgenugsame GOtt davon, dass er dir und mir so nachgeht? bedarf er denn unser? hat er Vorteil von uns? ists nicht pur lautere Liebe Christi? Ach, liebe Seele, wenn du7) erkennst die Gabe GOttes und wer der ist, der mit solchem Dringen zu dir spricht: Gib dich über, nun nicht länger! Fürwahr du würdest dich nicht weiter wehren oder ausweichen, sondern den Augenblick ihm zu Fuß fallen, und dich hineinwerfen in die Arme seiner Liebe.
31. Ist nun die Seele so glücklich, dass sie dieser ziehenden und herumholenden Liebe still hält, sie Gehör und Eingang bei sich finden lässt, dass das Herz in wahrer Buße gedrückt, gebückt, zerknirscht, zu der Gnade seine Zuflucht nimmt: siehe, so ist solches abermals die Liebe Christi, wodurch die Seele in ein solch schmerzliches Gefühl hinein gedrungen wird. Nach der Natur möchte sie wohl gern das Ding wieder aus dem Sinn schlagen, und, wie vorhin, frei, lustig und fröhlich in den Tag hinein leben; aber nein, es ist ihr so ein Päcklein aufs Herz gefallen, das sich so nicht wieder wegwerfen lässt; sie fühlt ihre Sünden, ihre Not, ihre Seelen-Gefahr; sie fühlts, wo sie geht und steht. Die Liebe Christi, sage ich, dringt sie in dieses Gefühl; ob die Seele gleich noch nichts von dieser Liebe, sondern nur von Zorn und Verdammnis weiß. Sie hats gehört, sie hats erkannt, dass eben sie den liebenden Christum mit ihren Sünden gekreuzigt habe. Das geht ihr durchs Herz, das tut ihr wehe; das soll sie hier ein wenig fühlen, damit sie es nicht ewig gar zu hart fühlen müsse. Ist das nicht Liebe?
Die Liebe Christi dringt sie in ein solch Gefühl des Schadens, damit der Schade und dessen Not sie beugen und dringen möge in die Liebe Christi hinein, daselbst ihre Erleichterung und Genesung zu finden. Denn das ist eben die einzige Absicht GOttes bei diesen schmerzlichen Umständen nicht, dass er uns wolle von sich stoßen, in Verzweiflung und Verderben stürzen; sondern, dass wir sein liebendes Herz sollen suchen, dass wir, aus aller Sünde und Sünden-Not, in Christi Liebe sollen bußfertig hinein hungern, in Christi Versöhn-Blut, teures Verdienst und ewige Gnade: nicht zwar durch eine unkräftige, selbstgemachte Zuneigung, sondern durch demütiges Herzens-Sehnen und Stöhnen nach Christi Gnaden- und Liebes-Kraft; wie sich solche zur Beruhigung des beklemmten Herzens und Gewissens wirklich erfahren lässt. Da soll die Seele, bei solchen Umständen, sich nur fein beugen, fein schuldig geben, fein wegwerfen, und von nichts, als Liebe Christi und ewiger Gnade wissen wollen. Und wenn die Sünde und Sünden-Schuld, Zorn und Verdammnis, groß, größer, allergrößte, ihr aufs Gemüt käme, sonst nichts dabei tun, als sich immer tief, tiefer, allertiefest in diesen eröffneten Abgrund der ewigen Gnade und Liebe Christi hinein senken. Siehe, so sollen wir uns durch die Liebe Christi in die Buße, und durch die Buße zur Liebe dringen lassen. Da erfolgt denn endlich gewiss, dass die Liebe Christi der Sünden Menge zudeckt, dass man sich hernach, wie es im Propheten8) heißt, recht schämt vor demütigem Dank und Bestürzung, wenn einem der HErr so alle Sünden vergibt, und gleichsam mit lauter Liebe bezahlt: da dann wohl solche, denen vor andern viele Sünden vergeben sind, auch vor andern viel lieben.
32. Die Liebe Christi dringt sodann weiter eine bekehrte Seele aus der Sünde, Welt und ihren Eitelkeiten heraus. Man kann nicht mehr so mitmachen, oder man wird beklemmt. Warum denn? Fürchtest du etwa der Eltern, der Herrschaft, der Obrigkeit Strafe? O nein, es werden ja bei einem geahndet sogar solche Sünden, die kein Mensch weiß oder wissen kann; auch sogar die kleinsten Dinge, die wohl nicht ins Straf-Amt der Obrigkeit und Menschen fallen. Warum denn? Spotten und verachten einen etwa die Leute, wenn man so eitel dahin geht, und nicht fein fromm lebt? Keineswegs, vielmehr spotten und lästern sie, wenn9) man nicht mehr mit ihnen in eben dieses unordentliche Wesen läuft. Ei, warum machst du denn nicht mit, und hältst dich so eingezogen? Sollte ein Bekehrter nach dem eigentlichen Grund hierauf antworten, dann würde er sagen müssen: Die Liebe Christi dringt mich also, dass ich diese Dinge soll und will verlassen; ich darf nicht mehr, ich will nicht mehr, meiner verderbten Natur, meinem eiteln Sinn folgen. Es ist übrig genug, dass ich die vergangene Zeit nach heidnischem Willen zugebracht habe. Lange genug habe ich meinen lieben Heiland mit meinen Sünden gekreuzigt; den Heiland, den Christum, der mich also geliebt, dass er um meinetwillen nicht nur die Welt, sondern den Himmel verleugnet hat, sollte ich um seinetwillen nicht eine garstige Sünde, nicht eine eitle, vergängliche Weltlust verleugnen?
33. Ja, die Liebe Christi dringt nicht nur auf die Verleugnung der groben Welt, und der toten Werke der Sünden; sondern auch auf die wirkliche Absagung der im Herzen steckenden Liebe der Welt und Anhänglichkeit am Geschaffenen, auf die Verleugnung des falschen und tief eingedrungenen eigenen Lebens, auf die Ertötung der Lust- und Zorn-Begierden, auf die Aufopferung seines eigenen Willens, seiner Selbst-Liebe und Selbst-Gefälligkeit im Kleinen und Großen, im Natürlichen und im Geistlichen.
Welche düstere und fürchterliche Vorstellungen machen. wir uns nicht öfters von der Verleugnung! Wie lassen sich schwache, ungeübte Seelen, nicht öfters ohne Not abschrecken! O! denkt man, das ist ja ein peinliches Leben. da du keine freudige Stunde mehr in der Welt würdest haben können, das kannst du unmöglich aushalten; von dem und dem Teil wirst du nimmermehr können los werden, usw. Ach, liebe Seele, wie bildest du dir doch immer deinen GOtt so unrecht ein! GOtt hat unserer Verleugnung seinetwegen nicht nötig, aber wir haben sie nötig. Er ist nicht so, wie ein harter Mann, der einem das Leben und den Weg zum Himmel so peinlich und schwer machte, und in der Welt keine Freude gönnte. Denn solche dumme, blinde, ausgeartete Kinder sind wir, dass wir unser wahres Glück und Heil nicht erkennen, und das Freude und Lust nennen, was doch unser wirkliches Verderben, Qual und Hölle ist; wie etwa ein Kind, das mit dem Messer spielt, in seinem Unverstand weint und widerstrebt, wenn die sorgfältige Mutterliebe demselben das Messer hinzulegen befiehlt. Alle das innere Andringen zum Verleugnen, sollen wir nicht so gesetzlich, sondern als einen Andrang der Liebe Christi ansehen. Er will uns törichte Kinder freundlich bereden, wir sollen das schädliche Messer aus der Hand legen; und will das freundliche Bereden nicht helfen, dann lässt er wohl einmal zu, dass wir uns schneiden, bloß dass wir das schädliche Messer mögen hinwerfen. O, es ist eitel Liebe! Christus will gern das ganze Herz haben, und durch solche Verleugnungen alle Hindernisse bei Seite räumen, die im Wege liegen, damit er uns seiner wahren, gründlichen, ewigen Freude, Liebe und Vergnügung möge können teilhaftig machen. Ja, je genauer der HErr eine Seele in die Verleugnung führt, je weniger er ihr erlauben will, desto sonderbarer ist die Liebe Christi zu solchen Seelen.
Wie wir nun den Andrang zur Verleugnung nicht gesetzlich, sondern als Liebe Christi ansehen sollen; also müssen wir uns auch nicht gesetzlich in der Übung der Verleugnung betragen, sondern die Liebe Christi uns zum Verleugnen dringen lassen. Wenns nur immer bei der Seele heißt: Du musst, sonst bist du ewig verdammt; und man dann so ohne Christo, in eigener Kraft, aufs Verleugnen fällt, ach! das ist so ein mühseliges Leben, so man doch als mit in der Erfahrung schmecken muss. Es ist wohl wahr, wir müssen, oder wir sind verdammt; allein, ist das nicht schon ein Stück der Verdammung, immer müssen, und nimmer von Herzen willig sein? immer müssen, und nimmer können? Nach Christi Liebe sollen wir hungern, in Christi Liebe die Willigkeit und die Kraft zum Verleugnen suchen, und so lange suchen, bis wirs finden; bis die Liebe Christi uns dringt, dass wir gern uns selbst und allen Dingen absagen, und wir uns glücklich schätzen, ihm unserm Freund, unserer Mutter, unserm Bräutigam, zu Liebe was zu verleugnen, was zu wagen, und zu allem Gefallen leben zu mögen.
Ja, wenn ich gerade reden soll zu begnadigten Seelen, zu Seelen, die so herzlich gern sich verleugnen wollen, aber, zu ihrem Leidwesen, sich überall zu kurz finden: dann wollte ich sagen, denkt nicht einmal so viel an verleugnen, an treu sein, an heilig und genau leben:- liebt nur, hungert nach Liebe, übt euch in der Liebe. Die Liebe verleugnet immer, ohne die Bitterkeit der Verleugnung zu schmecken, und fast ohne ans Verleugnen zu denken. Denkt nur, wie ihr Christum lieben, immer herzlicher lieben, und seiner Liebe alles zu Gefallen tun mögt.
34. Die Liebe Christi dringt die Gläubigen ins Kreuz und durchs Kreuz. Das klingt wunderlich, und ist doch die Wahrheit. Man gerät manchmal so wunderlich und unversehens in eine Not und Druck, dass man nicht weiß, wie es zugeht. Man wird so recht hinein gedrungen. Da muss der oder jener just so reden, so mit uns handeln, da muss eine Sache oder ein Wort so unrecht aufgenommen werden; da müssen die Dinge just sich so zutragen, und aufeinander folgen, dass wir eben ein Pröbchen Kreuz und Leiden kriegen mögen. Die Dinge dürfen auch nicht eben allemal so groß oder wichtig sein; die Liebe Christi bedient sich manchmal einer Kleinigkeit, und weiß uns damit eben auf das empfindliche Plätzchen zu treffen. So gehts im Äußeren und Leiblichen, und so gehts auch im Geistlichen, auf unzählig unterschiedene Arten. Und das tut die Liebe Christi, wenn wir gleich denken, diese oder andere Dinge wären Ursach daran.
Schwache, blöde Seelen können sich manchmal gewaltig ängsten, durchs ungläubige Voraussehen auf zukünftige, äußere oder innere Leiden, Versuchungen, und ich weiß nicht welche Proben, die vielleicht nie über sie kommen werden. Wenn du einmal das leiden solltest, denken sie, was jenem aufgelegt worden? wenn du in diese oder jene harte Wege solltest geraten, das würdest du unmöglich aushalten können! Ach, Seelen! plagt euch doch nicht mit vergeblicher Sorge und Kummer: trauts doch der Liebe zu, dass sie euch werde dringen in Kreuz und durchs Kreuz, ich will sagen, bleibt doch nur kurz im Gegenwärtigen. Die Liebe teilt die Kreuze weislich aus: sie verstehts besser als wir. So lang wir so kleine, schwache Kinder sind, wird sie uns keine große Päcke auflegen.
Was aber im Gegenwärtigen zu leiden vorfällt, das sollen wir gerade aus der Hand der Liebe Christi, und nicht von dem oder jenem annehmen. Wie Christus litte, da nahm er sein Leiden nicht von Juda, von Pilato, von den Pharisäern an, sondern gerade von der Hand seines Vaters: Sollt ich den Kelch nicht trinken, hieß es, den mir mein Vater gegeben hat? Denkt dann nicht so sehr ans Kreuz, als an den, ders Kreuz gibt. Ists wahr, liebe Seele, glaubst du es, dass eben Christus dir dieses oder jenes Kreuzchen gibt; o wie so köstlich, wie so ehr- und liebenswürdig muss dir nicht alles sein, was von dieser Liebes-Hand kommt? Denke, welch ein Großes hat er für dich gelitten: willst du dann, ihm zu behagen, nicht ein kleines Kreuzchen tragen?
Denke nicht so sehr ans Kreuz, als an die Liebe Christi. Liebe nur, dann kannst du alles leiden. Was kann die Liebe nicht! Was haben nicht so viel tausend Märtyrer und unzählig andere heilige Seelen gelitten, und leiden können, nur weil die Liebe Christi sie also drang! Die Liebe Christi flößt immer mehr einen Leidenssinn ein, und hält die Seele auf eine geheime Weise, wie angenagelt am Kreuz, so dass, wenn es auch manchmal kümmerlich hergeht, sie doch nicht vom Kreuze sollte herabsteigen, und wieder Luft für die Natur suchen wollen, wenn es ihr auch gleich freigestellt würde.
35. Die Liebe Christi soll uns dringen zur Heiligung. Wie so fürchterlich und unmöglich machen. sich nicht manche Seelen ihre Heiligung! So genau leben, wie die Schrift es vorstellt, so demütig, so sanftmütig, so treu, so andächtig, so lauter, so unsträflich, so heilig werden, ach, das ist nicht möglich, denken sie, das können sie keineswegs aushalten oder erreichen. Ja, liebe Seele, wenn Mosis scharfe Zucht im Gewissen dazu dringt, dann ist es unmöglich; wenn du dich selbst dazu dringst und zwingst, dann ist es nicht zu erreichen; wohl aber, und gar leicht, wenn wir uns die Liebe Christi dringen lassen zur Heiligkeit.
Ach, wie tun nicht manche so recht ängstlich, und lassen sichs sauer werden mit ihrem Selbst-Heiligmachen! O ihr Herzen! liebt nur, vereinigt euch nur mit Christo durch Glauben, Liebe und Gebet, wie der Rebe sich vereinigt mit dem Weinstock. Ei, fällt es denn einem solchen Reben so schwer, dass er süße Trauben trage? darf man es mit befehlen, drohen, schütteln und rütteln erzwingen? nein, es geht alles sanft, leicht und ganz natürlich zu: der Rebe bleibt nur am Weinstock, lässt sich von dessen edlem Saft durchdringen, so grünt er, und trägt Frucht, ohne dass er sonst was hinzu bringt. Siehe, so sollen wirs auch machen: Bleibt10) in mir, spricht Christus, so bringt ihr viele Früchte. Wir sollen nur lieben, wir sollen nur eingekehrt bleiben in der Liebe, und, als in uns selbst dürre Reben, uns von dem reinen göttlichen Saft und Kraft der süßen Liebe Christi durchdringen lassen; o da werden wir wie von selbst, heilige, liebe und gottgefällige Leute werden, erfüllet mit allerhand süßen Früchten der Gerechtigkeit, zum Lobe JEsu Christi, da werden uns die Tugenden wie natürlich und leicht; und wir werden uns selig schätzen, dass wir Christo zu allem Gefallen leben mögen. Und wirklich, wenn es gleich möglich wäre, so doch nicht ist, dass wir aus uns selbst heilig werden könnten; so wäre das doch alles nur ein gebrechliches, totes und unwertes Ding, das aus menschlichem Willen und Kräften hervorkäme, und worin wir nur uns selbst beäugelten und liebten. Die Liebe Christi muss aller Gottseligkeit, allen Werken und Tugenden das rechte Leben, Kraft und Gültigkeit geben. Drum weiß Paulus diesen vortrefflichen Liebesweg nicht hoch genug anzupreisen: Wenn ich, spricht er, mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz; und wie es weiter heißt, im 13. Kap. des ersten Briefs an die Korinther, so wir zu Haus nachlesen mögen.
36. Die Liebe Christi dringet zu allem Fleiß, Wachsamkeit und Munterkeit in allem Werk, und im ganzen Wandel der Gottseligkeit. Durch Furcht und Schläge kann mancher, im Todesschlaf der Sünden sicherer Mensch, erschreckt und erweckt werden; durch göttliche Gerichte, Krankheit, Todesangst, Sterben naher Anverwandten, oder sonstige Gewissensrügungen können gewaltige Bewegungen und die ernstlichsten Entschließungen bei einem Menschen entstehen, dass man ja denken sollte, es würde was rechts daraus: allein, wie so bald gehts wieder vorüber, wo nicht die herzerneuernde Gnade und Liebe Christi hinzukommt! Schmutz und Tod, und Hölle, mögen dringen wie sie wollen; dringt die Liebe Christi nicht mit, so schläft man wieder ein. Die äußerlichen Mittel der Gnaden können auch dienlich sein, träge, schläfrige Herzen zu erwecken und zu ermuntern; wollen wir aber durch die Gnadenmittel, die uns GOtt an die Hand gibt, auf eine fruchtbare und bleibende Weise erweckt werden, so müssen wir nahe bei unserm Herzen bleiben, und auf die mitwirkende Liebe Christi acht geben, die inwendig aufweckt, ermuntert, und mit ihren Rührungen gern tief ins Herz hinein dringt.
Die Liebe weiß zwar von keiner ängstlichen unruhigen Sorge; aber sie weiß auch von keiner Trägheit und Schläfrigkeit. Es liegt einem vom Morgen bis zum Abend immer so am Herzen, was man doch dem Geliebten solle zu Gefallen tun?
Ich gedenke hierbei noch der äußern Trägheit und Schläfrigkeit. Es klagen manche Herzen, dass sie in der Einsamkeit und zur Abendzeit so leicht der Schlaf überfalle. Das hat nun zwar bei manchen, die etwa durch Arbeit stark ermüdet worden, oder schwächlich sind, seine natürlichen Ursachen, da man Geduld haben muss: ich fürchte aber, dass es bei vielen an der Liebe fehlt. Ich habs probiert, dass manche zur Abendzeit der Schlaf überfiel, wenn was Gutes geredet oder gelesen wurde; die aber alsobald sich ermunterten, wenn von andern ihnen beliebten Sachen was vorfiel. Pfui der Schande! Ach hätten wir ein wenig mehr Liebe, wir würden munterer sein!
37. Die Liebe Christi dringt zu guten Werken. Die Gelehrten disputieren allerhand von den guten Werken, von deren Verdienst, ob, und wie weit sie zur Seligkeit vonnöten, und was dergleichen mehr ist. Eine Seele, die Christum liebt, hält sich mit solchen Zänkereien nicht auf. Die Liebe dringt unaufhörlich, nach ihrer Art, zu allen guten Werken, gegen GOtt, gegen die Brüder, gegen den Nächsten, ja gegen die Feinde; die Liebe kanns nicht lassen, sie will jedermann Gutes tun, und sich allen preisgeben. Sie hat immer genug, sie ist reich, sie ist milde, sie gibt gerne hin, und hat sie kein Geld oder andere Sachen mehr zu geben, dann hat sie doch noch ein Herz, das sie hingibt im Mitleiden, Erbarmen und andern möglichen Hilfleistungen. Mit einem Wort: Die Liebe tut immer Gutes, ohne fast daran zu gedenken; sie tut tausend gute Werke, ohne zu fragen, ob sie gute Werke tun müsse; und von Verdienst der guten Werke fällt ihr gar nichts ein. Wenn sie auch vieles getan hat, dann meint sie, sie habe noch nichts getan; jetzt will sie erst anfangen. Siehe, so dringt die Liebe Christi.
38. Die Liebe Christi dringt zum immerwährenden Fortgang in der Gottseligkeit und Heiligung. Das ist noch ein ganz unnötiger Zank, den die Leute haben über die Vollkommenheit, ob man GOttes Gebote auch halten könne? ob man den und den Stand auch erreichen könne? und was dergleichen mehr ist. Mein GOtt! man disputiert von der Vollkommenheit, und sollte billig erst fragen; Hast du auch einen Anfang gemacht? Mich deucht, die Leute verraten mit dergleichen Streitigkeiten nur ihr liebloses, totes Herz.
Die Liebe weiß von keinen Schranken; sie will immer weiter, treuer, frömmer, gottgefälliger werden; sie fragt nicht lange, ob man es könne oder nicht könne; sie geht nur wacker drauf los; sie muss ihrem Trieb, ihrem Dringen folgen. Der Apostel Paulus war ja weiter gekommen, als wir alle; inzwischen was sagt er im 3. Kap. an die Philipper: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich zu dem, das da vorne ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel, dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung GOttes in Christo JEsu. Wie, lieber Paulus! bist du denn noch nicht fromm genug? du bist ja wohl nicht mehr bange vor der Hölle? Ei, spricht Paulus, dies ist es nicht; es dringt mich nicht die Hölle, es dringt mich nicht der Himmel; die Liebe Christi dringt mich also.
39. Die Liebe Christi dringt sich gern in alle unsere Dinge ein. Sie will und muss nicht nur in den großen, sondern auch in den kleinsten Dingen die Hand haben: wäre die Sache noch so klein, alles muss ihr Opfer sein. Alles, was wir hier im natürlichen Leben machen, es scheine so wichtig und groß es immer wolle, ist in sich selbst eine nichtige Lapperei, und nicht wert, dass ein edler Geist sich damit beschäftige; aber durch die Liebe können alle diese Kleinigkeiten recht groß, und ein wahrer Dienst GOttes werden. Wer, so zu reden, auch nur einen Strohhalm von der Erde hübe durch die Liebe Christi, der verrichtete ein großes Werk.
Manche Herzen klagen gar sehr, dass ihnen ihre äußeren notwendigen Geschäfte so viele Zerstreuung, Verhinderung und Schaden brächten. Woher kommts, liebste Seelen? ihr tut vielleicht eure Sachen nur als ein weltliches Ding. Wenn ihr in der Kammer, in der Kirche, in der Versammlung sieht, oder sonst was Gutes lesen oder vorhaben könnt, dann meint ihr, das wäre GOtt gedient, aber auf dem Felde, in der Küche, oder wo sonst ein jeder zu tun hat, seine Arbeit verrichten, das sei der Welt gedient. Ach Jammer und Schade! so würden wir ja die mehrste Zeit im eiteln Dienst der Welt zubringen müssen. Verrichtet eure Geschäfte als einen Dienst der Liebe Christi, so schaden sie euch gar nicht mehr. Wenn uns die Weltbegierde, die Sorge, der Unglaube, oder einige andere Naturkraft dringt zu und in den Geschäften, so muss ja das Gemüt nur immer mehr verfinstert und zerrüttet werden; dringt uns aber die Liebe Christi zu dem Werke, und wir lassen uns von derselben in Schranken halten in den Geschäften, dass wir sie nur so kindlich hin ihm zu lieb und zu Ehren verrichten; nein, dann hindern sie nicht mehr, sondern sie werden ein wahrer Gottesdienst. Dies meint der heilige Geist, wenn es Kolosser 3 heißt: Alles, (merkt es doch, alles), was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles in dem Namen des HErrn JEsu.
40. Die Liebe Christi will uns gern den ganzen Tag bei sich und in ihren Schranken behalten, uns dringen in den Weg, und mit ihrem Dringen verwahren, dass wir weder zur Rechten noch zur Linken beiseits ausweichen. Ach, wenn wir nur fein aufmerksam in ihrem Gleise bleiben möchten! Es machen sich die Seelen öfters so allerhand gute Vorschriften, Ordnungen und Regeln ihres Verhaltens, die ich nicht überall verwerfe; ich weiß, dass den unartigen Kindern Zucht und Ordnung vonnöten ist, oder sie laufen gar ins Wilde; das ist nur Schade, dass alle gute Vorschriften und Regeln so bald wieder gebrochen werden. Es ist keine bessere Regel, Ordnung oder Vorschrift, als die Liebe Christi, die uns so innig nahe ist.
Die Liebe Christi will uns gängeln, wie eine Mutter ihr Kind. Ein Kind, das am Leitband geht, wird so gelenkt, so gehalten! es geht zwar frei und uneingeschränkt; sollte es aber in Kot laufen wollen, oder sonst ein Schaden zu fürchten sein, alsobald würde es fühlen, dass es hinten von was gehalten würde. Auf eine dergleichen Art will uns die Liebe Christi führen, dass wir wandeln sollen in Seiten der Liebe, Hosea 11,4. Wenn wir im Unverstand in was Unrechtes oder Schädliches hinein wollten; wir würden eben dergleichen, wie jenes Kind am Leitband merken, dass uns so was hielte und beklemmte11), nämlich die Liebe Christi.
41. Die Liebe Christi soll und will uns dringen zum Gebet. Beten ohne Herz, aus bloßem Dringen der Gewohnheit, das ist kein Beten; beten, wenn Seelennot und Gefahr, wenn Gefühl der Sünden und Dürftigkeit dringt, das ist ein recht gutes Gebet; wenn aber die Liebe Christi zum Gebet dringt, o das ist das schönste und edelste Gebet! Wir klagen öfters, dass wir nicht wüssten zu beten, dass wir nicht gebührende Lust dazu hätten, dass uns auch wohl die Zeit dabei lang fiele, usw. Siehe, das rühret her aus Mangel der Liebe Christi, Lasst uns nur der Liebe Raum geben, dann wird die Liebe uns schon dringen zum Gebet. Mit lieben Freunden ist man ja so gern ein wenig unter vier Augen allein: wenn wir Christum lieben, und herzlich lieben, dann werden wir gern mit ihm allein gehen, dann wird uns nicht leicht die Zeit bei ihm zu lang fallen: wenn wir Christum lieben, dann werden wir ihm immer was zu sagen haben; und haben wir ihm nichts zu sagen, dann haben wir doch was zu lieben; und das ist beten. Lieben und schweigen in der Gegenwart GOttes, o das ist ein großes Gebet!
O ja, liebste Herzen! wir könnens nicht glauben, welch ein trefflicher Betmeister die Liebe Christi sei, die in Begnadigten so unzählige, unaussprechliche Seufzerlein im Herzen erweckt: möchten sie nur besser gehegt und gepflegt werden! So manches kräftige, süße, verliebte Ach und O macht sie aus dem tiefsten Grunde aufsteigen, ohne dass man sichs öfters vornimmt, oder kaum erinnert. Bald erschallt im Herzen, wenn gleich die Lippen schweigen, ein wahres Ach mein GOtt! O mein HErr JEsu! bald heißt es: Ganz für dich in Ewigkeit! Mein GOtt und mein Alles! Da ein dergleichen einiges Herzensseufzerlein wichtiger vor dem Allerhöchsten ist, und wirklich weit mehr in sich fasset, als ein großes anderes Gebet aus dem Buche oder Verstand daher gesagt, weil es Worte der Wahrheit sind. Ei liebe Seele, in welchem Buche hast du doch immer mehr diese schöne Gebetlein gelernt? ein solches Betbüchlein möchte ich mir auch gern anschaffen? Die Liebe Christi, spricht die Seele, ist mein Betbuch; die Liebe Christi dringet mich also zu seufzen. Nicht nur ist die Liebe Christi der treffliche Betmeister, sondern das Gebet selbst. Die Liebe ist gleichsam das vom Himmel herabgefallene immerwährende Feuer auf dem Altar im Tempel des Herzens, da das edle Rauchwerk einer stillen Geistesandacht so sanft und lieblich aus dem innern Heiligtum aufsteigt, in tausend Lob, und Liebe und Aufopferung und Erhebung und Beugung und Verehrung und Anbetung und Bewunderung des seligsten GOttes; da eine einzige solcher innern Glaubens- und Liebestaten, mehr Leben, Frieden, Wonne und Seligkeit in sich hält, als alle Welt nicht geben kann. Die Seele macht das nicht selbst, kann es auch nicht machen: wer tuts dann? Die Liebe Christi dringt sie also.
Die Liebe Christi dringt, mit einem Wort, die Seele immer mehr, durch selige Züge, zur völligen und ewigen Vereinigung mit dem Geliebten. Sie hat des Wassers der Liebe getrunken, so Christus ihr gegeben, das wird je länger je mehr in ihr ein Brunnen, der da quillet ins ewige Leben. Sie fühlts, es ist für sie nichts mehr hierunten. auf Erden, in allem Geschaffenen und Zeitlichen. O es wird ihr alles sogar unwert, so recht fremde: ihr Alles sehnt sich zum Ewigen, zu Christo; und Christus, ihr himmlischer Liebesmagnet, kann sie auch nicht in die Länge hier im Elende lassen, er zieht sie an, und endlich zu sich. Vater! ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, dass sie meine Herrlichkeit anschauen. Joh. 17, 24.
42. Seht, Seelen, diese Seligkeit, wovon wir so was weniges lallen, ist euch zugedacht, und in Christo angeboten; ja sie ist für Euch, und auch für den allergebrechlichsten und elendesten unter euch. O Herzen! o Herzen! liebt doch den GOtt, der euch also liebt, und ewig lieben will; überlasst euch unbedingt dem Dringen, dem Ziehen dieser beseligenden GOttesliebe; seht dieser Liebe doch keine Schranken, sie führt weiter, als ein menschlicher Verstand begreifen kann, und es sind größere Wunder und Seligkeiten, auch noch bei Leibesleben, in ihr zu erfahren und zu genießen, als Menschen- und Engelzungen aussprechen können.
43. O bejammernswürdige Blindheit und Unverstand der mehrsten menschlichen Herzen in der Welt, dass sie so kalt gegen GOtt und so brünstig gegen andere Dinge sind! dass die Liebe der Welt, der Sünden, der Eitelkeiten, mehr Vermögen haben auf die Herzen, als die Liebe Christi! Die Weltliebe darf nur winken, o da läuft man! Christi Liebe dringt so lange, und doch folgt man nicht, und doch ergibt man sich nicht! O wie lässt sich nicht manches unglückselige Weltkind von der sündlichen Weltliebe dringen und treiben aus einer Sünde, Laster und Eitelkeit in die andere; ist wie ein Sklave, der es fast nicht lassen kann, so wird er gedrungen von seinem harten Herrn: der Satan, die Weltliebe beherrschen und dringen ihn, und werden ihn dringen bis zur Hölle hinein, wo er sich nicht bei Zeiten besinnen wird, und durch Christi Liebe zur Buße dringen lassen.
44. Lasst uns doch deswegen untersuchen, ihr Seelen, was lieben wir? Was hat bei uns das Übergewicht? woran denken wir des Morgens am ersten? und woran den Tag hindurch am meisten? Denn dabei kann man schon so was prüfen, wo unser Schatz ist. Haben wir wohl die Liebe Christi, auch nur dem Anfang nach), an unsern Herzen lassen kräftig werden? oder stehen wir noch in unserm leb- und lieblosen Naturstande, ohne Christo und seiner Liebe? O unbeschreiblich unglückseliger Zustand! o entsetzlich gefährlicher Stand! Sind wir nicht in der Liebe, so sind wir ja in dem Zorn, im grimmen Reich der Finsternis, da der Zorn GOttes über unserm Haupte, und wir am dünnen Lebensfaden über einem solchen Abgrund schweben: und, o ewiges Unglück, wenn wir in einem solchen Zustande sterben sollten!
45. Ach Seelen, ach unsterbliche Seelen! seht, jetzt hören wir noch von der Liebe Christi: wer weiß wie lange? Jetzt wird sie uns noch verkündet, angepriesen, und durch Christum selbst unsern Herzen angeboten. Ja, Christus liebt euch, ihr Sünder alle, ihr größten Sünder, die ihr gestehen müsst, dass ihr bis dahin noch Sklaven der Sünde und des Satans gewesen seid; ihr dürft nicht verloren gehen, Christus will euch gerne helfen: er bittet euch drum. Ach, gebt euch doch über!
46. Kann euch euer Elend und Gefahr, kann euch GOttes Zorn, die Furcht des Todes und des schrecklichen Gerichtstages, samt eurem eigenen ewigen Unglück und Verdammnis nicht dringen und bewegen, so lasset es doch die Liebe Christi tun. Lasst euch doch den leidenden JEsum vor die Augen malen! Siehe, da liegt er im Blutschweiß und entsetzlicher Seelenangst gleichsam vor euch auf der Erde, winselt und bittet euch! Siehe da hängt er, in höchster Leibes- und Seelennot am Stamme des Kreuzes, hat seine Arme ausgebreitet, kommende Sünder anzunehmen! Siehe, er zeiget euch seine bluttriefende Wunden und preist euch seine Gnade und Liebe an. So gewiss diese Worte zu euch gesprochen werden, so gewiss ist die erbarmende Liebe Christi an euren Herzen geschäftig und dringt euch: ach, übergebt euch doch! Ach tut es doch! damit ihr nicht dermaleinst zu spät den ansehen müsset, in welchen ihr mit euren Sünden gestochen habt. Ergreifet die Liebe, damit euch der Zorn nicht ergreife! Ergreift die Liebe, weil sie noch da ist!
47. Ihr aber, die ihr mit mir ein Fünklein dieser Liebe Christi aus Gnaden seid teilhaftig worden, achtet es doch hoch, es ist eine unschätzbare Perle; und wie klein diese Perle ist, so ist sie doch mehr wert als die ganze Welt; wie klein dieses Fünklein jetzt noch ist, so kann es noch eine feurige Glut, eine Flamme des HErrn werden, wenn es wohl gehegt und gewartet wird. Bewahrt es wohl, durch einen recht behutsamen Wandel; meidet allen unnötigen Umgang, Freundschaft und Einwickelungen mit den Menschen dieser Welt, und alle andere ablockende Gelegenheiten12). In solchen und. dergleichen Gelegenheiten mehr muss man gehen, wie einer der mit einer kleinen Kerze durch den Wind, oder mit einem kostbaren Kleinod durch einen Wald geht: überall sind Seelenräuber, die auf unser Kleinod lauern; da sollen wir stets sorgfältig sein, und aus dem abgesungenen Lied beten: Ach, hilf uns wachen Tag und Nacht, und diesen Schatz der Liebe bewahren, vor den Scharen die wider uns mit Macht aus Satans Reiche fahren. Wir meinen wohl, es hätte nichts zu sagen, wir wollten uns schon in acht nehmen; aber ach, wir kennen des Feindes List und unsre Schwäche, sonderlich zur Stunde der Versuchung, nicht genug. Wir dürfen zu unsrer Warnung Petri Exempel nicht anführen; wir haben davon in der Nähe betrübte Erfahrungen genug. Lasset uns doch uns hüten vor aller Leichtsinnigkeit, Zerstreuung und Vernünftelei. Ich weiß wohl, dass die Liebe Christi uns zu diesem allen dringt, und nach Notdurft belehrt; allein, wir sind leider! nicht allzeit auf dem Plätzchen, da wir solches gebührend können vernehmen. Drinnen sollen wir nahe beim Herzen bleiben, da die Liebe ihre Werkstatt hat, in einem stillen, andächtigen und eingesetzten Sinn.
48. Nun denn, noch ein Wort der Aufmunterung zu uns allen, und damit will ich dann auch beschließen. Hört und nehmt mit mir im Glauben an dieses herrliche Evangelium des seligen GOttes, so uns in dieser Stunde in Schwachheit, doch im Namen des Herrn, verkündiget ist: Christus liebt uns, und will uns lieben; Er will uns mitteilen die Kraft dieser seiner Liebe in uns, und zugleich mit derselben alles Gute in Zeit und in Ewigkeit. Christus liebt uns, ihr Herzen alle! was machen wir doch, was zagen wir noch, was schlafen wir noch!
49. Christus liebt euch, ihr Jünglinge und ihr Jungfrauen, die ihr in euren blühenden Jahren doch was zu lieben. haben wollt. Ach, wie würde michs jammern, wie würde es JEsum jammern, wenn ihr euch durch eine betrügliche falsche Liebe bezaubern ließet! Wäre es nicht ewig Schade, wenn ihr von einer eitlen Liebe dieser Welt solltet verführt, beflecket, geschändet werden? durch die Liebe solcher Dinge, die nichts reizendes, nichts wahrhaft vergnügendes in sich haben, die so bald, so bald verwelken, Eckel verursachen, und verschwinden wie ein Rauch. Christus liebt euch, wisst ihrs wohl? bedenkt ihrs wohl? Für ihn allein habt ihr eure Herzen empfangen; für ihn allein ist euch die edle Neigung zum Lieben so tief ins Herz gepflanzt. wenn ihrs recht wüsstet, was in Christo, was in seiner Liebe zu finden ist, ihr würdet den Augenblick in diese unvergleichliche Schönheit verliebt und brünstig werden.
50. Christus liebt euch, ihr bußfertigen, bekümmerten, kleinmütigen Herzen, und ihr wisst es nicht, ihr glaubt es: Jesus Christus liebt euch; es ist die Wahrheit: wollt ihr noch wegen bleiben in eurer Mutlosigkeit? sollte euch diese fröhliche Botschaft nicht aufspringen machen? Könnt ihrs noch nicht völlig glauben? wohlan, versucht es einmal, wagt es einmal, wie jene Königin, die Esther, komm ich um, sprach sie, so komm ich um: sie nahte mit Furcht zum Könige: und wie sie gedachte, sie wäre des Todes, da ward ihr das Gnaden-Zepter gereicht, und der König umarmte sie. Seelen, kommt nur, ihr werdets erfahren, dass euer Los nicht schlimmer ausfallen werde!
51. Christus liebt uns, ihr alle meine Mitberufenen: sollten wir nicht den Schlaf aus den Augen wischen, unsere Herzensaugen emporheben, Christum wieder lieben, und recht munter in seinen Wegen wandeln? Was machen sich nicht die Leute daraus, wenn sie von einem Könige, Fürsten oder einem andern angesehenen sterblichen Menschen geliebt werden, mit einer Liebe, die dem Geliebten nichts wesentliches und bleibendes mitteilt; und siehe, Christus, der Sohn GOttes, liebt uns als seine Braut: sollten wir uns noch mit den nichtigen Läppereien dieser Erde aufhalten? sollten wir nicht seine Liebe uns dringen lassen, unsere Herzen von allen nichtigen Götzen und Nebenbuhlern völlig abzureißen, und sie auf ewig seiner göttlichen Liebe zu widmen? In Christi Herz sehe ich nichts, als Liebe zu uns: - ach Schande! ach Schande! dass in unsern Herzen noch was anders gesehen wird, als die Liebe Christi.
52. Nun wohlan, es muss besser gehen! Wollen wir denn damit beschließen, dass wir unsern Liebesbund mit Christo nochmals erneuern vor seinem Angesicht? wollen wir uns aufs Neue dem Schönsten in redlicher Gegenliebe ergeben und verpflichten, mit einem unverfälschten und, GOtt gebe! unverbrüchlichen Jawort? Wollen wirs? ist es uns von Herzen bedacht? Wohlan, so gebt mit dem gegenwärtigen JEsu eure Herzenshand, und lasst uns mit wahrer Andacht sprechen:
Ja, Amen, da sind beide Hände;
Aufs Neue sei dirs zugesagt:
Ich liebe dich ohn alles Ende;
Mein Ganzes werde dran gewagt.
Ich will den holden JEsus-Namen
Vor jedermann bekennen frei,
Und schwöre dir jetzt ew'ge Treu,
Auf deine Bundestreue. Amen!
Tersteegen, Gerhard - Die Kraft der Liebe Christi
über die Worte Pauli 2 Kor. 5,14:
die Liebe Christi dringt uns also.
Angepriesen in einer Erweckungsrede den 14. Okt. 1751
zu Mühlheim an der Ruhr
Stuttgart,
zu haben bei der evangelischen Gesellschaft
Hauptstätterstraße Nro. 34.
1847