In dem Namen JEsu! Amen.
Ob ich zwar, durch GOttes Güte, noch bei gutem Verstande, und in meiner gewöhnlichen schwachen Gesundheit mich befinde; doch aber, meiner bedenklichen Schwächlichkeit wegen, vermuthen muß, daß etwa plötzlich könnte zu sterben kommen, oder aber außer Stand gesetzet werden, etwas nachdenken oder schreiben zu können: so finde ich mich gedrungen folgendes, fürnemlich meinen Anverwandten zur Nachricht, aufzusetzen, als meinen letzten, herzlichen und wohlbedächtlichen Willen:
1. Befehle ich GOtt, meinem himmlischen Vater, meine unsterbliche Seele. in dem Namen, meines getreuen Heilandes Jesu Christi, der mich verderbten, irre gehenden Menschen, und verdammnißwürdigen Sünder, mit seinem theuren Blut mildiglich versöhnet, und Ihm zum Eigenthum erkaufet hat; der mich auch, durch seinen werthen Heiligen Geist und dessen gnädige Erleuchtung, von meiner selbst und alles Geschaffenen, Nichtigkeit, Elend und Unvermögen, lebendig überzeuget, aus Gnaden kräftig gezogen, meine Sünden mir geschenket, das Werk der Heiligung und der Verklärung Jesu in mir höchst Unwürdigen angefangen, mich auch, bei meiner großen Untreu und Trägheit, mit wundernswürdiger Langmuth und Güte getragen, und bis hieher in seiner Grade bewahret hat: Ihm sey die Ehre in Ewigkeit! Amen.
2) In diesen dreieinigen GOTT glaube ich, und denselben bekenne ich nach der Heiligen Schrift, und dem sogenannten Apostolischen Glaubensbekenntniß, sammt allen übrigen in der Heiligen Schrift enthaltenen Wahrheiten. Dieses große Wesen, dieses höchst vollkommene ewige Gut, meinen Ursprung, mein Ende, meinen Gott, will ich, durch seiner Gnaden Beistand, von ganzem Herzen lieben, dienen und verehren, mit allem, was in und an mir ist, beides im leben und im Sterben: auch wünsche und vertraue ich in Jesu, daß er mir eine ganze Ewigkeit schenken werde, worin ich diesen meinen Gott vollkommen und unverrückt lieben, loben und anbethen möge, für das alles, was Er ist, und für alles das, was er an meiner armen Seele gethan hat: alles aber aus pur lauterer Gnade, um des blutigen Verdienstes willen seines eingebornen Sohnes, meines getreusten Heilandes Jesu Christi. Amen, Amen.
3) Alles, was ich je öffentlich gesprochen, oder in gedruckten Schriften von Gott und seiner Wahrheit bezeuget habe, solches bekenne ich noch als Wahrheit nach der Heiligen Schrift. Ich finde mich nicht darüber beschuldiget, als ob ich etwas vorgetragen oder herausgegeben, das unrichtig wäre, oder das von Gott und seinem Wort abführete: ob ich gleich selbst nicht alles, und zu aller Zeit, in der lautern Fassung des Gemüths, und aus einer so reifen Erfahrung geschrieben, als ich gewünschet. Dieses zwar demüthiget mich vor Gott; einen Leser aber kann solches in so weit nicht hindern, maßen es demselben genug seyn mag, daß er wisse, es sei dasjenige, was er lieset, in sich selbst richtige Wahrheit: und davon bin ich vor Gott völlig überzeuget. Noch mehr beuget es mich vor Gott, daß ich mein Zeugniß nicht mit so heiligem Wandel bekräftiget, als ich gesollt, und auch gewollt; aber, ohne Zweifel aus Mangel des Ernstes, und dann, daß ich die Vorsichtigkeit im Innebleiben, so gebrechlich geleistet habe. Denn, ob ich gleich auf meinen gütigsten Heiland kindlich und lediglich vertraue: so hätte doch solches vielleicht meinem Zeugniß bei andern ein größeres Gewicht gegeben.
4) Wo ich irgendwo jemanden in der Welt, wissend oder unwissend, möchte beleidiget, geärgert, oder beschweret haben: so bitte ich solche, daß sie mir selbiges um Jesu willen von Herzen vergeben wollen, gleichwie uns Gott in Christo vergeben hat. Wie ich denn auch allen und jeden, die da meynen möchten, mich irgendwo beleidiget zu haben, es mag auch seyn, Wer, Was und Wie es wolle, aus meinem ganzen Herzen nicht nur vergebe, sondern ihnen auch von Gott inniglich und angelegentlich ausbitte die völligste Beruhigung ihres Gewissens darüber, und den Reichthum göttlicher Gnade und Freude ihres Herzens. (HErr du siehest in meist Innerstes, du wirst es ja erhören, um Jesu willen!) Ich finde auch gegen keinen einzigen Menschen etwas anders in meinem Gemüthe, als nur unbedingte Versöhnung, aufrichtige Beugung und herzliche liebe.
5) Meine leiblichen Anverwandten alle und jede, bitte und ermahne ich zu guter Letzt, daß sie doch aufrichtige Buße thun; daß sie die theure Gnade Gottes in Christo Jesu mit allem Ernst suchen, und in ungeheuchelter Gottseligkeit vor dem Angesichte Gottes wandeln, in diesem kurzen und elendvollen leben: daß sie auch Gottes Kinder lieben, und deren Umgang sich zu Nutze machen; damit ich die Seligkeit in der Seligkeit haben möge, daß ich sie ewig bei Gott wieder finde; wie ich denn demüthigst hoffe, daß ich sein Angesicht sehen werde, nach seiner unendlichen Erbarmunq, um der Verdienste Jesu willen. Gott gebe, daß Ihr treuer und ernstlicher vor ihm wandelt , als ich gethan habe, ohne Euch betriegen zu laßen durch den vergänglichen Dunst dieser eitelen Welt! Er, der Herr, segne Euch zu dem Ende reichlich mit seinem Geist der Gnaden! Amen.
Ich befehle uns alle nochmals den uns endlichen Erbarmungen und theuren Gnadenbewirkungen Gottes in Christo, damit wir dadurch fähig gemacht werden zu dem schönen Erbtheil der Heiligen in seinem Lichte; und daß wir uns in demselben ewiglich wieder finden mögen. Also wünschet und bittet Euer in liebe geneigter Bruder und Oheim
G. Tersteegen
Als der Selige von einigen Freunden um seinen Lebenslauf ersuchet wurde, antwortete er ihnen Folgendes, mit Beisendung des jetzt vorgedruckten.
Ihr lieben Brüder bestehet darauf, daß ich meine Lebensbeschreibung aufsetzen soll. Ach, Gott! wie so mager, wie so vermischt, oder wohl gar hie und da anstößig, würde das heraus kommen! Doch mir ist Barmherzigkeit wiederfahren. Wie ich vor beinahe 72 Jahren mein Leben im Fleisch kaum angefangen hatte, da sagte man mir's bei meiner Taufe schon zuvor, daß dieses Leben nichts anders als nur ein Tod wäre. Solche Weissagung habe ich rechtschaffen, und auf mehr als einerlei Weise wahr befunden. Zwar bin ich darnach, GOtt sei ewig Dank! eines bessern, nämlich des Gnadenlebens, theilhaftig geworden; habe auch die Gewißheit eines vollkommen wahren und ewigen Lebens, welches bei und in GOtt ist, glücklich erkannt: im kindlich-demüthigen Vertrauen zu der göttlichen Barmherzigkeit in Christo, hoffe und erwarte ich auch nun, daß, wann diese Meine Augen sich werden zuschließen, und ich bei andern todt genannt werde, ich dann allererst obgenanntes wahre Leben vollkommen anfangen und ewig bei dem Herrn seyn werde. Da werdet ihr, meine Brüder, mein Leben sehen, da werdet ihr mit mir leben, und da wollen wir einer dem andern, zum ewigen Lobe GOttes, unsere Lebensbeschreibungen erzählen. Nur jetzt noch ein wenig treu seyn, dulden, warten! bald kommt, der da kommen soll; ja, Amen!
Damit ich aber Eure gut gemeynte liebe nicht so sehr zurück zu stoßen scheine, so theile ich euch hier noch einiges mit, (das ich zwar schon vor sechszehn oder mehreren Jahren geschrieben, wo ich es als eine testamentliche Disposition über meine kleine Nachlaßenschaft aufsetzte,) als Eine unveränderliche Erklärung meines Sinnes.
Dieses schreibe ich in der Gegenwart GOttes expres an dich und für dich, der du es jetzt Liesest.
Jesus spricht, Joh. 13,35.
Dabei wird jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger seyd, so ihr Liebe unter einander habet.
Johannes spricht, 1. Joh. 3, 14, 16.
Wir wissen, daß wir aus dem Tode in das Leben kommen sind, denn wir lieben die Brüder. Wer seinen Bruder nicht liebet, der bleibet im Tode …. wir sollen auch das Leben für die Brüder laßen.
Wie dieser liebesjünger Johannes sterben sollte, ließ er sich noch zu guter Letzt in seinem höchsten Alter in die Gemeine tragen; und da alle was Sonderliches von ihm erwarteten, sagte er nichts, als:
Kindlein, liebet euch unter einander! Kindlein, liebet euch unter einander! Und dieses war sein letztes.
Der heilige Tertullianus, welcher ungefähr zweihundert Jahr nach Christi Geburt gelebet, versichert, er habe es angehöret, daß die Heiden, wann sie gesehen, daß etwa Christen auf dem Wege einander begegnet, einer zum andern mit Verwunderung gesagt:
Sehet, sehet doch, wie sie sich untereinander lieben!
Einige aber hätten auch wohl, nach ihrem bösen Herzen, Arges davon gedacht.
Ach! wo sind wir heut zu Tage!
Doch ja, wir wollen lieben; aber bei dem und dem (sprichst du) find' ich nichts von Liebe, der und der macht es so und so; und ach! ich schreib's nicht für den und den, sondern nur für dich, der du dieses liesest oder lesen hörest.
G. Tersteegen
Ein in der Ferne wohnender geliebter Freund unsers Seligen sandte folgende Grabschrift
Hier ruht ein Gottesmann, ein Menschenfreund und Christ,
Der recht durch Kreuz bewährt, nunmehr vollendet ist.
Ein Priester, von Gott selbst, der stäts vor ihn getreten,
Und tausend Seelen Heil, durch Christi Geist erbethen.
Ein wahrer Seelenhirt, ein Vorbild Christi Heerd.
Der Jesu nur gelebt, und Jesum nur verklärt.
Ach, daß ein solcher starb! Doch nein! es lebt Tersteegen,
Und bleibt bei Zion hier, in ew'gem Ruf und Segen.
Quelle: Des seligen Gerhard Tersteegens hinterlaßene Erklärung seines Sinnes,
seinem Testamente beigelegt;
nebst dessen Ermahnung zur Liebe,
kurz vor seinem Ende,
so den 3ten April 1769 erfolget,
von ihm geschrieben.
Solingen,
bei Pet. Dan. Schmitz, Buchh. 1779