Tersteegen, Gerhard – Briefe in Auswahl – Von dem großen Unterschied zwischen Gottes Rat und unserm Rat. Gottes Rat und Absicht ist unsre eigne Vernichtung, damit Er allein groß und herrlich in uns werden kann.

Friede sei mit Dir in diesem neuen Jahr! Sehr werter und in Jesu herzlich geliebter Bruder!

Bis hierher hat uns der HErr geholfen; gesegnet sei sein Name. Unsre Seele ist und sei abermals in seine Hände gelegt! Dass Er, unser guter Seligmacher, der so wunderbar als unser Leiter und Beherrscher unsre rechte Hand gefasst hat, uns bis ans Ende geleite durch seinen Rat, und uns endlich aufnehme in die Herrlichkeit, die Er selbst ist! Wir sind dem HErrn sehr großen Dank dafür schuldig, dass es Ihm gefällt, uns nach seinem Rat, und nicht nach unserm Rat und Gutdünken zu führen; ja, dass Er dieses aus lauter Barmherzigkeit getan hat, obschon wir uns nicht immer dieser Führung so hingegeben haben, wie es hätte sein sollen. Unser Rat und Gutdünken geht nur darauf hinaus, uns selbst zu erhalten, das Unsrige zu suchen und die Herrlichkeit mit Gott zu teilen; aber Gottes Rat und Absicht in Christo ist, dass alles Fleischliche und Eigene vernichtet werde, und alle Höhe der Menschen sich bücken und demütigen muss, und der HErr allein hoch sei in uns (Jes. 2, 17); und Er, nachdem Er uns arm, schwach, gering und zunichte gemacht hat, uns aus lauter Barmherzigkeit aufnehme in sich, und allein unsre ganze Heiligkeit und Herrlichkeit werde. O, wie anbetungs- und liebenswürdig ist dieser Rat und diese Führung unsres Gottes. Ich bete, dass Er uns nie, auch nicht im Kleinsten, unsrer eignen Leitung überlasse, sondern durch Sendung des Geistes seines Sohnes Jesu uns täglich mehr bis in den Grund beugsam, einfältig und kindlich mache, um Ihn mit uns schalten zu lassen bis an das Ende, darauf vertrauend, dass Er gut ist, und ein Ende machen wird um unsertwillen (Ps. 138, 8).

Ich habe Dir, geliebter Bruder, mit dem Anfang dieses Jahres so herzlich ein gutes neues Jahr zugewünscht und mich mit Dir und noch einigen Wenigen im Geiste besonders im HErrn vereinigt, gleichsam ein Bündnis gemacht, um durch Gottes Gnade auch in diesem Jahre Freude und Leid mit einander zu tragen und zu teilen. Ich sage Dir dies so kindlich, als es in mir aufstieg. Der HErr tue, was Ihm wohlgefällig ist! Übrigens Übrigens habe ich im abgelaufenen Jahre, zumal in den letzten paar Wochen, seltsame Gemütsleiden empfunden, die wie auf mich geworfen wurden, ohne dass ich weiß warum? oder ihr Wesen begreife; es auch nicht begreifen will. Plötzlich aber trat Veränderung ein. Dem HErrn sei Dank, der den Frieden im Herzen durch Ergebung bei allem zu erhalten versteht, ja ihn durch Leiden zu reinigen und in Ihm vertiefter zu machen weiß! Ich verlange, immer mehr ein Kindlein zu werden, das zufrieden ist mit allem, ohne es anders zu wollen, als so, wie es geht. Ich suche meinen Reichtum in meiner Armut und meine Kraft in meiner Schwäche. Es ist so wünschenswert, scheint mir, dass wir nichts sind und Gott alles sei. Und darum will ich auch recht zufrieden sein (wenn es Gott gefällt), bin ich auch gleich noch weit entfernt von dieser Kindlichkeit. Ich will Gott nicht missfallen. Wir dürfen kein Behagen an uns haben, sondern nur an Ihm und seinem Wohlgefallen. O, wie göttlich ist der Friede, der hieraus entspringt! Nun, mein lieber Bruder, diesen Frieden Gottes wünsche ich Dir von Grund meines Herzens. Dieser Friede, der höher ist, als alle Vernunft, tiefer als alles Gefühl, und umfassender, als alle menschliche Tätigkeit, erhalte unsre Herzen, Sinne und Gedanken in Christo Jesu zum ewigen Leben! Amen. Ich grüße und umarme Dich im Geiste, und bleibe durch die Gnade

Dein

in dem HErrn verbundener Bruder.

Mülheim, den 10. Januar 1744.