Tersteegen, Gerhard – Briefe in Auswahl – Wir müssen dem HErrn für alles danken, aber vorzüglich dafür, dass Er uns die Gnade verleiht, dass wir allein in seinem Willen und Wohlgefallen ruhen können.

In Jesu, der in Deiner Seele Leben und alles sei, herzlich geliebter Bruder!

Deinen mir angenehmen Brief habe ich erhalten und daraus mit Freude und Dank gesehen, dass Du Dich damals wohl befandest; ich kann indessen leicht denken, dass es Dir in Deinen Umständen nicht an kleinen Übeln fehlt. Wir haben ja doch bei allem Ursache, dem HErrn zu danken, dass Er uns noch gibt, was Er gibt, und hauptsächlich, dass Er uns die Gnade schenkt, ganz in seinem Willen zu fußen, und nichts zu wollen, als nur Ihn und das, was Ihm gefällt, zu geben oder zu nehmen; denn wir wissen nicht, was uns gut ist. Wir sind unweise Kinder, die durch unser Wählen und Tun uns nur in Unglück stürzen, und vieles Gute verderben würden. O, wie gut sind wir versorgt und bewahrt, wenn wir uns vergessen und verlieren, und unsern guten Gott nur für uns sorgen lassen, der eine ganz andere Liebe gegen uns hegt, als die ist, mit der wir uns zu lieben, zu versorgen und zu bewahren glauben! Ja, Gott liebt uns mit einer Liebe seiner würdig, d. h. mit einer göttlichen, reinen, unbegreiflichen Liebe; aber diese Liebe wird wenig in ihrer Reinheit erkannt, sondern meistens nur getrübt; wenn aber des HErrn Hand die Eigenliebe in uns austilgt und gibt, dass wir diese ganz bei Seite lassen, und uns in Wahrheit Ihm übergeben, dann wird unser Herz empfänglich für seine Liebe und seinen Frieden werden. Geschähe es auch, dass wir dieses nicht mit einem merklichen Unterschied oder Gefühl gewahr würden, wenigstens würden wir doch das hingegebene Herz in seiner Blöße erkennen, und erfahren, dass da kein Kummer und keine Furcht stattfindet. Ich saß heute einige Zeit in Stille von Augen, und in Frieden von Innen (doch mit Schmerz und Schwäche in meinem Kopf), und es war mir, als ob ich, ohne daran zu denken, sagte: Wo ich selbst noch bin, da ist keine Reinheit, Freiheit und kein Frieden. Aber wo ich selbst nicht bin, da ist mein Heil, mein Gott und der Ort meiner Ruhe. Ich kann sagen, dass es mir köstlich ist, zu wissen, unsre Seligkeit sei in Gott, ja Gott allein. Je weniger wir oder irgend eine Kreatur dabei sind, desto mehr Seligkeit. Dank sei dem liebenden Wesen, das sich unsrer umsonst annimmt, und einen Mittler und Weg gefunden hat, um uns aus der Tiefe unsres Falls zu erlösen, und uns wieder in seine Gemeinschaft aufzunehmen. Amen.

Nun muss ich abbrechen. Ich grüße und umarme Dich im Geist, mein lieber Bruder, und empfehle Dich innig dem HErrn. Er sei mit Dir nach seiner Gnade.

Ich bleibe in Ihm

Dein
durch die Gnade in Liebe verbundener schwacher Bruder.