Tersteegen, Gerhard – Briefe in Auswahl – An Freunde, die sich in schwerem Druck und Leiden befanden, zum Trost und zur Aufmunterung.

In Jesu, unserm göttlichen Haupte und erstgeborenen Bruder, sehr werte und herzlich geliebte Freunde, lieber Bruder und liebe Schwester!

Ich brauche Euch wohl nicht zu sagen, dass ich Euer schweres Leiden und Trübsal kenne, von Grund meines Herzens teil daran nehme und Euch innig dem HErrn anbefehle, diesem mitleidigen Hohenpriester, der gelitten hat und versucht ist (Hebr. 2, 18), wie wir, und der darum auch wirksames Mitleiden haben wird und helfen kann und will. Mein Herz spricht seufzend: HErr, sieh, deine Kinder, die Du liebst, sind krank! Ja, Deine Augen sehen es wohl; erfülle dann doch auch an jedem von ihnen Dein göttlich Wort: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen“ (Psalm 50, 15). O ja, meine Vielgeliebten, es diene Euch zum vollen Trost und zur Ermunterung, dass dieser Gott, unser Gott alles sieht; dass seine väterliche Hand nicht allein alles schenkt, sondern auch in Euch trägt. Wahrlich, Ihr tragt es nicht allein; der HErr ist bei Euch, er wohnt in Euch und verlangt, dass Ihr Euch selbst und Eure Bürde auf Ihn niederlegt. Wir sind ja die Seinigen; wir sind in seinen Händen; wir können so fest auf Ihn vertrauen, dass Er alles gut machen werde, und dass das Ende des HErrn herrlich sein wird. Nur noch ein Stündlein, und dann haben wir unsern Kelch geleert, und der Nachgeschmack ist ewige Freude. Noch haben wir die köstliche Gelegenheit, das Herz des HErrn zu erfreuen durch Leiden und Unterwerfung, und bald sind alle Leiden für ewig vergessen, und ewige Freude ist die Frucht. Sollte es dem HErrn gefallen, Euch beide oder einen von Euch wieder genesen und noch etwas bei uns zu lassen, und wir auch die Lust schmecken, einander von Angesicht zu Angesicht zu schauen, dies würde mir sehr erfreulich sein. Aber da dieses ungewiss ist, so kann ich Euch, lieber Bruder und liebe Schwester, wenn der HErr Euch zu sich nehmen wollte, mit aller Zuversicht und Ruhe aus meinen Händen (doch nicht aus meinem Herzen) in die unsres treuen Seligmachers übergeben. Er nehme dieses elende Kreuzleben nur getrost hin.

Jesus ist unser wahres und ewiges Leben. Wir haben uns mit dem HErrn und untereinander nicht für diese Zeit, sondern für die unendliche, selige Ewigkeit verbunden, da hoffe ich Euch in vollkommener Freude wieder zu finden und zu umarmen und mit Euch ewig bei dem HErrn zu sein. Geht dann hin im Frieden, wenn Er Euch ruft, meine Vielgeliebten; gehet ein in die Seligkeit Gottes! Geht getrost durch das Blut Jesu ein in das Heiligtum! Gehet hin, um dies selige und beseligende Wesen von Angesicht zu Angesicht vollkommen und in alle Ewigkeit zu beschauen, anzubeten, zu lieben, zu verherrlichen, zu genießen in der himmlischen Gemeinschaft aller vollkommenen Geister! Ihm, der auf dem Stuhle sitzt und dem Lamme sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit (Offenbarung 5, 13)! Amen.

In der demütigen Hoffnung, bald diesen Lobgesang mit Euch anzustimmen, bleibe ich

Euer liebender Mitgenosse im Leiden.