Werte Schwester!
Nach dem Innern lebe ich so auf Gottes Gnade hin. Ich darf nichts wollen und nichts machen, und muss, Gott mit mir schalten lassend, zufrieden sein. Alles Hinblicken auf mich selbst macht mich verwirrt. Es ist sonderbar, dass man so vernichtet und elend sein, und doch so sehr auf Gott vertrauen kann. O das gute Wesen! O diese wahrhafte Güte! Uns liebend, sieht Er nicht auf das Unsrige, und Ihn liebend will Er auch, dass wir uns ganz vergessen sollen. Er ist das Ganze, was uns ruhig und selig macht. Zu dieser Zeit lässt Er uns uns selbst sehen und fühlen, und wieder zur andern Zeit lässt Er uns sehen und empfinden, was Er uns ist und in uns verrichtet. Aber zu seiner Zeit auch verbirgt Er seinen Weg und sein Werk in und über uns unserm Blicke, um uns einfältig zu machen, uns zu säubern und uns nur auf Ihn schauend zu machen und uns zum gänzlichen Hingeben in seine Hände zu führen. Wir haben nichts anderes zu tun, als nur Ihm zu folgen und seinem Schalten mit uns,' Ihm nachzugeben; und selbst dieses muss Er uns erst lehren und verleihen. Ich, liebe Schwester, muss beinahe täglich noch kämpfen und überwinden zum Beweise, dass ich noch lange nicht tot bin. Das heißt: wenn ich reden, schreiben, Besuche machen und dergleichen tun muss, zeige ich mich dazu zwar bereitwillig, weil ich glaube, dass es Gottes Wille sei, aber meistens muss ich mich dabei doch etwas überwinden. Gott allein genügt; Gott allein ist unser Ruheort. Es wird mein Fehler sein, dass ich in Einsamkeit und Ruhe mich am wohlsten fühle.
Doch wir verstehen nicht das Beste zu wählen: und was uns angenehm ist, gefällt nicht immer Gott! Ihm also suche man nur zu genügen! Er bewahre sein Heiligtum, damit keine Kreatur weiter als in den Vorhof gelange! Amen.
Der tiefe Friede Gottes, der Gott selbst ist (Richt. 6, 24), sei deine Speise und Festigkeit Deiner Seele bei allen Stürmen dieses nichtigen Lebens! Dies wünscht
Dein Mitbruder in dem HErrn.
Mülheim, den 3. Dezember 1745.