Vielgeliebte Freundin und werte Schwester!
Lass uns recht treu bleiben dem HErrn, der uns bis zum Tode treu geblieben ist, und der sein kostbares Blut in der reinsten Liebe vergossen hat und mit uns armen Kindern in der Zeit und in der Ewigkeit Gemeinschaft pflegen will. Lass uns Liebe mit Gegenliebe vergelten! Ich rede hier von der festen, herzlichen Liebe, die der heilige Geist in den tiefsten Grund legt, und die bei allen äußern Leiden und innern Entblößungen bleiben kann. Ich rede von der Liebe der Unterwerfung, die uns ganz fähig macht, uns mit der Fülle unsers Willens der höchsten Treue hinzugeben, ihr ganz zu vertrauen, und in immerwährender Abhängigkeit von ihm und von der Führung seiner Gnade zu leben; ich rede von der Liebe der Hochachtung, die uns immer mehr die Schatten aller sichtbaren Dinge und auch uns selbst in jeder Hinsicht verlieren und vergessen macht, um nur die alles würdige Majestät im Glauben zu beschauen, zu schätzen, zu erheben und anzubeten mit fortwährender Unterwerfung alles dessen, was in uns ist, ohne viel auf uns selbst zu sehen; ich rede von der Liebe der Zuneigung, die unser Herz von allem losreißt, um es fest an Gott zu binden, die uns allem entsagen lässt, das wir außer und neben Gott geliebt haben, um alle unsere so sehr verteilten Liebeskräfte und Neigungen diesem höchsten und allein liebenswürdigen Gegenstande ganz zu weihen und in ihm ruhen zu lassen in der völligen Lostrennung von allem andern; ich rede von der Liebe der Gemeinsamkeit, die uns in der Gegenwart unsers guten Gottes wandeln lässt, gleich als ob wir mit ihm allein in der Welt wären, die uns innerlich auch unter andern Arbeiten mit Gott beschäftigt hält, und uns auch in nicht zu vermeidenden Gesellschaften in der Gesellschaft unsers Herzensfreundes erhält, ja, die uns führt zur Liebe der Gemeinschaft und zur gründlichen Vereinigung, in der wir dem HErrn so ankleben, dass wir endlich ein Geist mit ihm werden, wie der Apostel sagt (Röm. 8, 16). O, wie viel große Dinge sind noch in dieser Zeit zu erreichen! wenn wir nur mehr losließen und wie wahre Herzenskinder bei dem HErrn und seiner Leitung in unserm Herzen blieben. Doch dieses weißt Du besser als ich, darum will ich abbrechen. Was ich schreibe, kommt mir unwillkürlich in die Feder; ich wollte nur einen kurzen Wunsch schreiben. Ich grüße Dich nochmals und trage Dich dem HErrn auf, durch dessen Gnade ich bleibe, meine in der Gnade sehr geliebte Freundin,
Dein ergebener Bruder.
Mülheim, den 21. September 1736.