Tersteegen, Gerhard - Briefe in Auswahl - Neujahrswunsch.

Jesus sei unser Leben und alles! Herzlich in Ihm geliebte Brüder und Schwestern!

Ich wünsche uns allen mit dem Anfang dieses Jahres herzinnig aus dem Überfluss und der Fülle von Gottes Allgenügsamkeit in Christo Jesu Gnade, Frieden, Leben und Ausdauer in der Willigkeit und Nachfolge.

Ja, dieses und alles, was ich mir selbst wünsche und für das Beste erkenne, habe ich Euch und meinen übrigen lieben Reisegenossen schon in den ersten Stunden dieses Jahres gewünscht, und meine innigen Gebete für Euch alle sind dieselben. Dies Leben ist mit allem, was darin ist, sehr nichtig, aber auch sehr kostbar in Hinsicht auf unsre Vorbereitung für das Leben in der Ewigkeit. Es ist unsre Pflicht, dem HErrn für jeden neuen Tag zu danken; aber wir müssen auch willig von Ihm lernen, unsre Tage zu zählen, damit wir keinen derselben mehr verlieren. Gottes gütige Weisheit sieht, dass wir noch einige Zeit zur Vorbereitung für die Ewigkeit bedürfen; darum schenkt Er uns dieses neue Jahr. Wir wollen es Ihm von Herzen und mit Wahrheit wieder zurückgeben. Es werde nur allein für Ihn verwendet! Besser ist es, nicht zu leben, als nicht vor Gott und für die Ewigkeit zu leben. Ja, es ist süß und gut, wenn man so jeden Tag, jede Stunde dem HErrn wiedergibt, wozu uns seine Gnade ruft. Wir wissen nicht, meine Lieben, wie weit wir es in diesem begonnenen Jahre bringen werden. Bleiben wir daher emsig in der Gegenwart, jeder nach seinen Kräften: die Zukunft ist in aller Hinsicht ungewiss. O, über das törichte und gefährliche Aufschieben! Gott hält uns nicht auf, aber wir halten sein Wert auf; Er erwartet uns; so wollen auch wir Ihn erwarten im Geist und nicht müde werden. Er steht vor der Tür unsres Herzens, jeden Tag, jede Stunde davor harrend. Selig sind die Knechte und klugen Jungfrauen, die der HErr, wenn Er kommt, wachsam findet! Der HErr befördere unsere Vorbereitung und Vollendung, und schenke dem von uns, der zuerst zu Ihm gehen soll, diese Wachsamkeit und viele Barmherzigkeit in unserm letzten Stündlein! Wahrscheinlich erlebt der eine oder der andere von uns nicht das Ende dieses Jahres, vielleicht nicht einmal die Hälfte desselben. Jeder muss hierauf gefasst sein und sich darauf vorbereiten. Wir haben einander schon lange Jahre gekannt und geliebt. Viele aus unsrer Mitte sind schon hingegangen, aber nicht verloren. Sie erwarten uns, und könnten wir ihre Stimmen vernehmen, was würden wir nicht hören! Wir haben uns ja, Vielgeliebte, nach Gottes gütiger Vorsehung in der Zeit gefunden, aber nicht vor der Zeit, um Hand in Hand fortzueilen aus uns selbst und aus der Zeit nach unserm Gott und seiner unendlich seligen Ewigkeit. Nun, dies wird ja auch wohl in diesem eingetretenen Jahre in unserm Herzen bleiben; lasst uns darauf abermals Hand und Herz reichen, um mit Gottes Hilfe bei dem HErrn und bei einander auszuhalten, und zusammen zu leben und zu sterben, um uns dereinst vollkommen und ohne Aufhören zu laben vor Gottes Angesicht, beschauend, anbetend, liebend, verherrlichend den großen Gott, der uns liebt und erkauft hat durch das kostbare Blut seines einzig geliebten Sohnes, unsers Heilandes Jesus Christus. Amen! Amen!

Meine Lieben, ich lasse meinem Herzen und meiner Feder freien Lauf, weil ich Euch lieb habe; denn Ihr wisst ja schon alles, was ich schreibe. Ach! möchten wir nur alle die gründliche Wahrheit erkennen! Da ich durch Gottes Barmherzigkeit weiß, dass die Wahrheiten des inwendigen Lebens nichts weniger als künstlich erfundene Fabeln sind, so jammert es mich zuweilen innig, dass berufene Seelen sich selbst so schwer im Wege stehen, und so wenig diese große Angelegenheit empfinden. Dies bewegt mich dann zuweilen zum Schreiben und Sprechen, wo ich anders lieber schweigen möchte. Ich grüße Euch alle, meine Reisegefährten, herzlich, mich Euern Gebeten empfehlend, und bleibe

Euer in Liebe verbundener Bruder.