Tersteegen, Gerhard – Briefe in Auswahl -Die Nähe des Herrn Jesu in den Herzen der Gläubigen ist die wahre Beseligung.

In dem Herrn Jesu, der Euch ganz zum Eigentum nehmen möge, herzlich geliebte Schwestern!

Um Euch zu zeigen, dass ich Euch lieb habe und dass mir Eure beiden Briefe angenehm gewesen sind, muss ich Euch auch einmal mit Hand und Herz begrüßen. Ich besuche Euch zuweilen mit meinem Herzen, Euch recht innig des HErrn Segen und Gegenwart in Euerm Kämmerlein zuwünschend. Ja, der HErr ist mitten unter Euch und im innersten Kämmerlein des Herzens, auf Euch wartend, um Euch durch sich selbst von allem Übel zu erlösen, zu guten, lieben Kindlein zu machen, und Euch zu beseligen durch seine Mitteilung und sein köstliches Einwohnen. O, liebe Kinder, achtet doch darauf; es ist keine Täuschung, sondern eine ewige Wahrheit! Bewahrt doch das Herzkämmerlein; lasst den Herrn Jesus nicht vergebens darin auf Euch warten, Er will Euch selig machen. Denkt nicht: ich sehe oder fühle Jesus nicht; glaubt es nur auf sein Wort (Offenb. 3,20; Joh. 14,23). Das Sehen und Fühlen hat noch Zeit; und säht Ihr auch nur Elend, Finsternis und Verdammnis, so glaubt dennoch sicher, dass Ihr dieses nicht so sehen und fühlen würdet, wenn Jesus nicht nahe wäre als das Licht, was Euch solches erblicken lässt, denn auch dieses gehört zum Seligmachen. Er, nicht wir selbst, wird sein Volk selig machen von ihren Sünden (Matth. 1,21). Wir müssen also die Sünden und die Verdammnis fühlen, um zu glauben, dass wir unselig sind in uns selbst; und wir müssen unser Unvermögen, uns selbst selig machen zu können, fühlen und schmerzlich fühlen, um uns nach Ihm als den Seligmacher zu kehren, der uns so innig und so liebevoll gegenwärtig ist. Inwendig ist Verdammnis und Hölle; nach innen muss der Seligmacher und die Seligkeit kommen. Euer ganzer Wille des Gemüts wende sich also aufrichtig von der Welt, von der Kreatur und von aller Verdammnis in Euch selbst ab und neige sich mit kindlichem Vertrauen zu dem Seligmacher, der so innig nahe ist. Erwartet Ihn mit Stille, mit Folgsamkeit; folgt Ihm treu; gebt Ihm und seiner göttlichen Wirkung, die Er Euch von Zeit zu Zeit empfinden lassen wird, Raum; ja, überlasst Ihm Euer Herz ganz; denn dieses will Er; dann macht Er uns gut, sanft und selig durch sich selbst. O dann haben wir genug und können alles andere vollkommen gut entbehren! Nochmals grüße ich Euch mit meinem Herzen. Lasst uns doch in unsern Tagen so wandeln, dass wir dem HErrn und seinen Kindern eine Freude sind! Ich hoffe Euch in meinen schwachen Gebeten nicht zu vergessen. Tragt auch mich oft dem HErrn auf, denn ich bedarf dessen sehr.

Durch des HErrn Gnade bleibe ich

Euer treu verbundener schwacher Bruder. Mülheim, den 6. Januar 1746.