Dieser Psalm ist ein köstliches Zeugnis davon, wie wohl es einer Seele geht, die über dem Glauben hält: 1.) sie dankt von ganzem Herzen dem Herrn für den treuen Beistand der Seinen in der Not; 2.) sie bittet in fröhlicher Gewissheit um immer erneute Gnade und Hilfe wider alle Feinde. Das erste, das Danklied, reicht von V. 2-13, das zweite, die Bitte, von V. 14-21. Jener Dank und diese Bitte sind die beiden Stücke, innerhalb deren, wie zwischen zwei auf- und niedergehenden Hebeln, sich die ganze streitende Kirche Gottes und jedes den guten Kampf kämpfende Christenherz auf Erden bewegt. Der Glaube, der seinen Gott als den gerechten und gnädigen, und darin treuen und wahrhaftigen Gott kennt und festhält, ist der Mittelpunkt, um den sich die beiden Stücke, Dank und Bitte, bewegen; er ist es auch zugleich, der die scharfe Scheidung der Frommen und Gottlosen macht, die sich auch durch diesen Psalm hindurchzieht. Zeit und Gelegenheit, wobei er verfasst ist, sind nicht daraus zu erkennen.
Der Sinn der Überschrift ist sehr zweifelhaft. Vielleicht bezeichnet sie die Melodie eines bekannten Liedes, wonach der Psalm gesungen werden soll. Dann würde sie zu übersetzen sein: „Dem Sangmeister nach der Melodie „Tod dem Sohne“ ein Psalm Davids“.
V. 2. Danken will ich dem Herrn von ganzem Herzen, erzählen alle Deine Wunder. V. 3. Freuen will ich mich und jauchzen in Dir, und singen Deinem Namen, Du Höchster, V. 4. dass rückwärts weichen meine Feinde; sie fallen und kommen um vor Deinem Angesicht. V. 5. Denn hinausgeführt hast Du mein Recht und meine Sache; bist hingesessen auf den Stuhl, ein gerechter Richter, V. 6. schaltest Völker, brachtest den Gottlosen um, ihren Namen löschtest Du auf immer und ewig. V. 7. Die Feinde, vernichtet sind sie, Trümmer für alle Zeit, und Städte hast Du umgekehrt; vertilgt ist ihr Gedächtnis samt ihnen. V. 8. Aber der Herr thront ewig; aufgestellt hat Er zum Gericht Seinen Stuhl. V. 9. Und Er wird richten den Erdkreis in Gerechtigkeit, Recht sprechen Nationen in Geradheit. V. 10. Werde der Herr Feste dem Bedrückten, Feste für Zeiten der Not! V. 11. So werden trauen auf Dich, die Deinen Namen kennen; denn nicht verlässt Du, die Dich suchen, o Herr! V. 12. Singet dem Herrn, der Zion bewohnt, verkündigt unter den Völkern Seine Taten! V. 13. Denn der Ahnder der Blutschuld hat ihrer gedacht, nicht vergessen der Elenden Schreien.
Es gehört unter die seligsten Werke und Aufgaben eines Christenmenschen, in seinem Lebensgange die Gnadenwunder Gottes zu erkennen und vor Gott im Dankopfer und vor Menschen im Zeugnis zu preisen (V. 2). Bei jedem neuen Denkstein Seiner Barmherzigkeit soll man, wie David, aller Seiner Wunder gedenken, dann wird man mit Wollust getränkt als mit einem Strom; denn die reinste und größte Freude auf Erden besteht in dem Preise des geoffenbarten Gottes, die reinste, weil man nichts Eigenes mehr dabei sucht, die größte, weil sie den Größten und das Größte an dem Herrn zum Gegenstande hat.
Das ist ein Maßstab für unsere Freuden (V. 3). Auch was zum rechten Dankopfer gehört, sieht man hier klar und deutlich: vor allem das ganze und nicht das halbe Herz; zum andern die Demut, der alle Wohltaten Gottes als unbegreifliche Gnade, als lauter Wunder erscheinen, wie sie es denn sind; zum dritten die keusche Treue, die nicht an der Gabe hängen bleibt, sondern stracks auf den Geber geht und allein in Ihm ruht; zuletzt das erleuchtete Auge, das nach der Art der Gabe auch den rechten Namen des Gebers kennt und nennt („Du Höchster!“). Wofür dankt nun David dem Höchsten? Für den Sturz seiner Feinde und für seine Rettung vermöge des gerechten Gerichtes Gottes. Beides fällt einem erleuchteten Auge stets zusammen. Es erblickt in jedem Sturz der Feinde nicht nur ihr immer mehr sie ergreifendes Verderben, sondern auch die tatsächliche Aushilfe der Frommen, beides zur Stärkung des Glaubens; und um so treuer muss man das behalten, so man es an einem recht hervorspringenden Falle geschaut hat, weil oft große Dunkelheiten über des Herrn Wege gebreitet sind. Denn obgleich die Dunkelheiten nicht auf den Wegen selbst, sondern auf unsern Augen liegen, so will doch der Glaube, wenn er nicht solches Öl von den sonstigen Wegen des Herrn bei sich hat, oft schier ans Weichen kommen (V. 4 u. 5). In erschütternder Weise wird uns nun das Los des Gottlosen vor Augen geführt (V. 6 und 7). Wie wird er doch so völlig ausgezogen, wenn Gottes Gerichtsstunde über ihn kommt; nicht bloß das Seine wird zerstört, sondern er selbst, ja er selbst bis auf den Namen und dessen Gedächtnis hin! Er wird verwesen und bleibt in Finsternis bedeckt (Spr. 10,7; Pred. 6,4). „Er wird nicht angeschrieben im Buch des Lebens mit dem Gerechten“ (Ps. 69,29). Die Furcht des Herrn aber macht einen ewigen Namen und das Gedächtnis der Gerechten bleibt im Segen. Dabei ist es gerade für die Frommen ein ebenso großer Trost, als es für die Gottlosen ein gewaltiges Schreckwort ist, dass der Herr ewig thront (V. 8 u. 9). Das sagt uns, dass, ob wir auch in einer Welt leben, wo das Recht entsetzlich gebeugt wird, wo Ansehen der Person und Menschenfurcht und Menschengefälligkeit schwere Sünden begehen, es zuletzt sich doch Alles finden und Alles ans Licht kommen wird. So sind auch die Armen und Elenden, für die im Hinblick auf Gottes ewiges Thronen und gerechtes Gericht David Fürsprecher wird, in der Welt sehr verachtet und hintenangesetzt, indem mit den Menschen in der Not die Welt ebenso wenig zu tun haben will, als mit der Not selbst. Aber Jehovah sind sie die Nächsten und Liebsten, Er schämt sich ihrer nicht; Sein Gnadenschoß ist aller Kinder Gottes Freistadt (V. 10). „Der Name Gottes ist ein festes Schloss, dahin läuft der Gerechte und wird beschirmt“ (Spr. 18, 10). Darum saugt der Glaube Honig aus der Not, aus der der Unglaube nur Gift saugt. Auf dass es wahr werde, dass wir aus Seiner Fülle nehmen Gnade um Gnade, wachsen im Schoße Gottes dem Glauben die Flügel; David spricht's V. 11 aus als selige Folge der Erfahrungen am Herrn: „So werden auf Dich trauen, die Deinen Namen kennen“. Man lerne daraus aber zugleich, wie die Kenntnis des Namens Gottes kein oberflächliches Wissen, sondern die aus der Not geborene und im bußgläubigen Herzen haftende Erfahrung von dem Heil und der Kraft dieses Namens ist; so tief muss der Hoffnungsgrund gelegt sein, wenn es bis zu einem wirklichen, bis zum Finden ausdauernden Suchen kommen soll. Dieser Gott aber, des Namen man kennt, und der nicht verlässt, die Ihn suchen, ist kein anderer, als der Gott, der zu Zion wohnt. Zum Preise des Zionsgottes als des geoffenbarten Gnadengottes, fordert daher V. 12 auf, und wer ließe sich lieber von Menschen Lob gefallen, als der Zionsgott! Er bereitet ja erst das Herz zum Lobe, Sein heil ist dem Sünder das köstlichste Kleinod, mit Ihm bekommt man Alles geschenkt, und von Ihm nimmt man Alles als unverdiente Gabe hin. Jedoch nicht nur nach oben steigt die Opferflamme des dankbaren Herzens im Lobe des Herrn, auch nach unten, auch der Länge und Breite auf Erden in der Verkündigung Seines Thuns unter den Leuten; wer das Erste übt, kann das Zweite. Freilich, wenn Er die Seinen unterliegen, ja gar in Todesnot verderben lässt, so scheint uns oft wenig Grund vorhanden, Sein Tun zu verkündigen; unser törichtes Herz denkt da gar bald an ein Vergessen der Seinen, Sein Arm scheint uns verkürzt; aber da mögen wir bedenken, dass zuerst nichts verdorben ist, was zum Leben gefördert wird, und sodann ist ein Denkzettel vor Gott geschrieben über alles unschuldig vergossene Blut; wie das die Schrift von Abels Blut durch aller Propheten Blut hindurch bis zu dem des letzten Blutzeugen Jesu vor dem Tage des Gerichts bezeugt: „Er gedenkt daran und vergisst nicht einmal eines einzigen ganz verborgenen Seufzerleins“ (V. 13. Ps. 72,14).
V. 14. Sei mir gnädig, Herr, siehe an mein Leid von meinen Hassern, der Du mich emporrichtest von des Todes Toren, V. 15. auf dass ich erzähle all' Deinen Ruhm in der Zionstochter Toren, juble ob Deines Heils. V. 16. Versunken sind Völker in der Grube, die sie gemacht; im Netz, das sie bargen, ist gefangen ihr Fuß. V. 17. Kund tat sich der Herr, Gericht vollzog Er, im Werk Seiner Hände verstrickend den Gottlosen. (Saitenspiel) Sela. V. 18. Zurück müssen Gottlose zur Hölle hin, alle Heiden, die Gottes vergessen. V. 19. Denn nicht wird für immer vergessen des Armen, geht der Elenden Hoffnung unter auf ewig. V. 20. Steh' auf, Herr, nicht trotze der Sterbliche; es müssen gerichtet werden Heiden vor Deinem Angesicht! V. 21. Setze, Herr, einen Meister ihnen, dass die Heiden erkennen: Sterbliche sind sie. Sela.
Wie das rechte Dankopfer im vorigen, so kann man hier das rechte Gebet lernen. Es gehört dazu vor allem, dass man nichts als Elend an sich finde, nichts von Verdienst aufweisen kann und lediglich auf Erbarmen sich verlassen muss (V. 14); sodann, dass man kühn im Glauben die Macht, wie die Barmherzigkeit Gottes zur Hilfe ins Herz fasse (V. 19); zum Dritten, dass man diesem treuen Gotte die Sachen befehle, Ihm nichts vorschreibe, sondern unter Anheimstellung an Seine Weisheit nur um Offenbarung Seines Willens und Weges anhalte; und zuletzt, dass man nur Seine Ehre als das legte und allein rechte Ziel vor Augen habe (V. 15). Voran steht die Bitte um Gnade. Die Vergebung der Sünden öffnet das Vaterherz Gottes in Christo, darum muss sie nicht nur um der Erreichung unseres Zweckes, sondern um unseres eigenen Herzens willen immer das Erste im Gebet sein. Und nun gibt David seiner Bitte zwei mächtige Stützen. Er erinnert seinen Gott an die erfahrene Treue, da er Ihn bereits als Emporrichter aus des Todes Toren kennt; er deckt Ihm zum andern sein eigen Herz auf, welches nach Gewährung der Bitte verlangt, damit er dann in den Toren Zions des Herrn Ruhm verkündigen könne. In den Toren Zions nämlich ist fröhliches Hallelujasingen, während in den Toren des Todes ewiges Schweigen herrscht. Gottes Ehre wohnt in den Toren Zions, darum weilt Davids Liebe dort, und wie sehr einem David Gottes Ehre am Herzen liegt, merk's daran, dass er allen Ruhm Gottes erzählen will. Und freilich ist's ein rühmenswerter Gott, der die Gottlosen in ihren eignen Netzen fängt! (V. 16). Wo bleibt da die Weisheit der Verständigen, wo die Zaubermacht der aufgetanen Augen, wo die Zuflucht der Lüge und die große List des Argen? Die hellen Augen Gottes gehen drüber und auch der Teufel muss zuletzt ein dummer Teufel sein. Higgajon! Hier ist Saitenspiel der Frommen! Sela! Hier ist Nachsinnens, ein heilig Nota bene! Den Sündern gilt es auch, dass sie daran gedenken, wie die Sünde mit lauter Verderben bezahlt und ihr Sold der Tod ist. V. 17. Sollte das nicht ein starkes Schreckmittel vor der Sünde sein? Doch der Herr muss selbst Israel zurufen: „Israel, du bringst dich selbst ins Unglück!“ (Hos. 13,9.) Aber David verfolgt der Gottlosen Los noch weiter. Nicht seufzend etwa, sondern hoffend mit starker Hoffnung sieht er sie Hoffnung wider Hoffnung dorthin zurückkehren, woher all ihr Wesen und Werk stammt, zur Hölle (V. 18). Das ist eine Hauptaufgabe des Christen, dass er, wie überhaupt die Werke des Herrn, so insonderheit die Spuren Seiner heiligen Gerichte über die Gottlosen aufsuche und verfolge, damit man nicht meine, was menschlich, sondern was göttlich ist. Je mehr unsere Augen in den natürlichen Lauf der Dinge verstrickt sind, desto näher sind wir am Straucheln Assaphs (Ps. 73,16.17), desto nötiger ist das Aufmerken im Heiligtum des Herrn. Da wird denn aber auch ebenso der Blick geschärft für das Tun des Herrn mit den Elenden. Wie macht Er's mit denen? Wohl scheint's, als habe Er ihrer vergessen, darum hält, wenn die Not lange andauert, auch der Gläubige oft die Verheißungen Gottes für verjährt, als hätten sie mit der Länge der Zeit die Kraft verloren, aber ein David weiß es ganz anders: „Nicht für immer wird vergessen des Armen.“ Damit ist gesagt, dass der Herr durch Verzug Glauben und Geduld der Heiligen prüfe, dass aber die ewige Treue Gottes, der sie in Seine Hände gezeichnet und des Wort wahrhaftig und gewiss ist, sich nicht leugnen kann. „Steh' auf, Herr“, ruft daher auch Davids in der Bedrängnis wackerer Glaube, gleichwie die Gläubigen im neuen Bunde in demselben und doch wiederum verschiedenen Sinne rufen: Ach komm, Herr Jesu!“ Warum soll der Herr aufstehen? „Dass nicht trotze der Sterbliche!“ Solches ist fürwahr allen Gläubigen aus der Seele gesprochen; denn wie macht das zeitweise Gelingen ihrer Anschläge und der wachsende Trost aller beharrlichen Sünder sie doch so dreist und frech, dass den Gläubigen oft das Wasser bis an die Seele geht und die Ehre des Herrn tief in den Staub gebeugt ist! Indes die Kehrseite und der Trost der Frommen davon ist, dass dann auch gerade Gottes Stunde gekommen ist und der Meister dazu, der sie meisterlich in ihre Grenzen verweist, und der - ein Zug göttlicher Ironie! oft aus den Gottlosen selbst genommen wird, wie z. E. Nebukadnezar. Und welches ist die scharfe Lektion, die solche Meister sie lehren müssen? Dass sie erkennen, dass sie Sterbliche sind!“ Auch die Christen weiß das liebe Kreuz diese Lektion zu lehren, wie arme und miserable Kreaturen sie sind.