Taube, Emil - Psalm 14.

Dieser Psalm ist ein gläubiger Notschrei und Hilferuf wider das furchtbare Verderben der menschlichen Natur. Vorauf geht die Beschreibung dieses furchtbaren Verderbens, als eines gar großen (V. 1.), im Lichte des göttlichen Augenscheins klar erwiesenen (V. 2.), ganz allgemeinen (V. 3.) und doch trotz des schändlichen Treibens nicht erkannten (V. 4.) Verderbens (V. 1-6). Dann folgt der gläubige Notschrei und Hilferuf dawider in V. 7. Wer die zwei Hauptstücke, die bei den Psalmen Davids in Acht zu nehmen sind, nämlich den Hinweis auf Christum und die Autorschaft des Heiligen Geistes, wie sie David selbst 2. Sam. 23, 1. 2 also vermeldet: Da sprach der Mann, der versichert ist von dem Messias des Gottes Jakobs, lieblich mit Psalmen in Israel: „der Geist des Herrn hat durch mich geredet und Seine Rede ist durch meine Zunge geschehen“ recht mit Händen greifen will, der versenke sich näher in diesen Psalm. Denn hier redet ein Mensch über alle Menschenkinder und der Mensch einer Zeit über die Menschen aller Zeiten, sowie andererseits der millionenfache Notschrei und Hilferuf der Kinder des alten Bundes um den geglaubten und gehofften Erlöser, gleichsam das volle Herz des ganzen Alten Testament über Eine Zunge geht. Aus dem Munde des Apostels Paulus hat sich der Heilige Geist noch einmal zu demselben Zeugnis Röm. 3, 12 bekannt, nachdem Er im 53. Psalm schon fast ganz einerlei, nur unter einer bedeutungsvollen Veränderung des Gottesnamens, (Jehovah und Elohim), niedergeschrieben hatte. So macht der gute Schreiber selbst diesen Psalm zu einem Hauptstück der Heiligen Schrift.

V. 1. Dem Sangmeister von David. Es spricht der Tor in seinem Herzen: „Es ist kein Gott!“ Verderbt, abscheulich ist ihr Treiben, da ist keiner, der Gutes tue. V. 2. Der Herr schaut vom Himmel auf der Menschen Kinder, zu sehen, ob ein Kluger da sei, der nach Gott frage. V. 3. Alle sind sie abgewichen, miteinander verdorben, da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht Einer. V. 4. Merken es denn nicht alle Übeltäter, die, mein Volk fressend, Brot essen, den Herrn nicht anrufen? V. 5. Alsdann erschrecken sie gar sehr; denn Gott ist im gerechten Geschlecht. V. 6. Des Armen Rat mögt ihr zu Schanden machen; denn Gott ist seine Zuflucht.

Das erste Wort in diesem Psalm hat der Tor, dessen Wesen und Gebaren hier charakterisiert werden soll, und was hören wir von ihm? „Es ist kein Gott!“ Ein furchtbares Wort! Der Ton leugnet den Töpfer, das Geschöpf den Schöpfer - was kann über ein solches Maß von Blindheit und Unverstand, von Verderbtheit und Gräuelhaftigkeit hinausgehen?! Wer wagt es da noch, unsere natürliche Gottlosigkeit zu leugnen?! „Herr, mein Gott! Du bist wahrhaftig gütig über die Undankbaren und Boshaftigen!“ (Luk. 6, 35.) Wäre es selbst möglich, so gewaltige Zeugnisse von der Erbsünde, wie Gen. 6, 5; 8, 21; Ps. 51, 7; Röm. 7, 14-24; Eph. 2, 1; 4, 17-19; Joh. 3, 6 zu streichen, dann würde dieser Psalm noch allein genügen, um die Lehre von dem angeborenen Verderben, von der Erbsünde zu behaupten. Schon der an der Spitze des Ganzen stehende Ausdruck „Tor“ will darauf hinaus. Das Wort „Torheit“ hat nämlich in der Schrift einen weit tiefer greifenden Sinn als im gemeinen Leben; es bezeichnet gar nicht bloß eine leicht anzuschlagende Schwachheit des Verstandes, sondern die völlige Verderbtheit und Verkehrtheit des ganzen Menschen, in der er das erwählt und begehrt, liebt und lebt, was schnurstracks wider Gott, wider Gesetz und Gewissen, wider Gottes Geist und Wort und darum wider sein eignes zeitliches Glück und ewiges Heil anläuft. Die Wurzel davon liegt im Abfall von Gott, wodurch der Hauptnerv des nach Gottes Bilde gezeugten Menschenwesens, das göttliche Licht und Leben, zerschnitten ist, und der Mensch nun das liebt, was er hassen sollte, und das hasst, was er lieben sollte. Daraus ergibt sich, dass der praktische Atheismus des gefallenen Menschen die Quelle aller Sünden und die theoretische Gottesleugnung nur eine kühne Konsequenz desselben ist, die sich bei starken Verstandsmenschen und bei einem leichtfertigen Trotz der Natur aus diesem Schoße hervordrängt. Der Mund geht bei ihnen über, wovon Aller Herz voll ist. Deswegen ist auch die göttliche Weisheit dem Menschen eine Torheit und ein Ärgernis und kann es nicht begreifen, sowie dieser Welt Weisheit Torheit bei Gott ist. Wie das Herz aber ist, so das Auge, und wie das Auge, so der Wandel; ist das Herz ein Schalk, so auch das Auge ein Schalk, so auch der Wandel voll Schalkheit und Bosheit. Wie groß muss unsere natürliche Untüchtigkeit sein, wenn selbst ein Paulus sich ein Armutszeugnis wie 2. Kor. 3, 5. 6 ausstellt! Erst wenn die freie und mächtige Gnade Gottes eine völlige Veränderung gewirkt hat, so ist Gutes im Herzen und Wandel, doch eben nur als Gottes Werk. Die Größe des Verderbens unserer Natur ist aber nach V. 2 dadurch auch ganz klar erwiesen, dass Gottes alldurchdringendes, selbst die Gedanken von ferne verstehendes Auge kein Menschenkind findet, das Gutes tue. Dieselbe zwingende Überführung siehe aus des Herrn Wort durch Jeremia: „Kann auch ein Mohr seine Haut wandeln und ein Parder seine Flecken? So wenig könnt ihr Gutes tun, weil ihr des Bösen gewohnt seid.“ (Jer. 13, 23.) Während bei dem Maßstabe der menschlichen Kurzsichtigkeit stets der Zweifel an der Wahrheit des Erkannten sein Recht hat, steht nun nach dem göttlichen Augenschein diese bitterste Grundwahrheit ganz fest, und es kann und sollte sich nun Jeder zur tiefsten Beugung und Demütigung des Gewissens davon überführen lassen. Dabei achte darauf, dass Gottes Augen, obwohl Alles vor ihnen bloß und entdeckt daliegt, doch vor allem darauf sehen, ob Jemand klug sei und nach Gott frage. Das ist Ihm also die Hauptsache; denn Er selbst hat unser Herz zu Ihm geschaffen, es ist just wie die Sonnenblume angelegt, die sich immerdar der Sonne zuwendet, wie sollte Er nun nicht darauf sehen, ob Jemand nach Ihm frage? Und willst du wissen was Klugheit sei in Seinen Augen? Hier merk's: das ist Klugheit, wenn ein Herz seinen Ursprung sucht, des Brunnens Gruft, daraus es gegraben ist. Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang, aber die Abkehr vom Herrn zur Selbstsucht auch aller Torheit Anfang. Darum, weil die herzdurchforschenden Augen des Herrn keinen finden, der nach Gott frage, ist nun aber wie V. 3 lehrt, das Verderben auch ein ganz allgemeines; und siehe, wie treibt der Heilige Geist hier mit der Schilderung der Allgemeinheit des Verderbens die Sünder in die Enge! Erst sagt er: „Alle“, dann: „miteinander, zugleich“, zuletzt: auch nicht Einer! Wie begreiflich! „Denn was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch“, sagt der Heiland und setzt an Nikodemus hinzu: „Lass dich's nicht wundern, dass ich gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden!“ Warum wundern sich denn die Sünder? warum gestehen sie nicht den Schaden ein, der doch mit Händen zu greifen ist und vor Augen liegt? Mit der Antwort darauf deckt der Heilige Geist von einer neuen Seite das furchtbare Verderben des gefallenen Menschen auf: „sie merken es nicht!“, sie sind durch ihren Fall zugleich in eine solche Herzensblindheit hineingeraten, dass sie nicht einmal durch ihre Freveltaten an Gottes Volk zur Erkenntnis ihrer Gottlosigkeit kommen, wobei wiederum die Art der Freveltaten selbst die tiefe Gesunkenheit aufdeckt. Sie fressen Sein Volk wie Brot, sie verrichten solches wie ein alltägliches Geschäft, das ist der Blutdurst der wilden Tiere, der zur Natur geworden ist. Gleichwie der Heilige Geist durch St. Paulus von den Heiden sagt: „Ihre Füße sind eilend, Blut zu vergießen“ (Röm. 3, 15); und wie es dort weiter heißt: „Den Weg des Friedens wissen sie nicht“ (V. 17), so nun hier: „Den Herrn rufen sie nicht an“. Darin muss also wohl der letzte, entscheidende Grund für diese Gräuel liegen; und in der Tat, das böse Gewissen hält ebenso sehr vom Gebet zurück, als das gebetslose Herz zu allem fähig und sehr zu fürchten ist; ein betender Mensch ist nicht mehr zu fürchten. Alle Furcht vor dem blutdürftigen Saulus ist mit Einem niedergeschlagen durch den göttlichen Hinweis auf das Eine: Siehe, er betet!“ (Apost. 9, 11.) Reichte nun bis hierher die Schilderung dessen, was der Tor spricht und treibt, solange er auf eigne Hand agieren kann, so tritt nun jedoch mit V. 5 eine ganz unverhoffte Wendung ein. Jener blutdürftige Trotz, in dem die Übeltäter Sein Volk wie Brot fressen, wird mit dem Eintritt in die Gerichtsstunde, wenn der Herr nicht bloß mehr schauend, sondern richtend erscheint, auf einmal in die bängste Angst verwandelt. Dann wendet sich das Blatt, die Gottlosen wissen vor Schrecken nicht, wo aus noch ein, die Gerechten aber, die bisher die geschändeten Armen waren, rühmen fröhlich unter dem Schirm des Allmächtigen. Darum gesegnet ist der Mann, der sich auf den Herrn verlässt, des der Herr seine Zuversicht ist!

V. 7. O dass doch käme aus Zion Israels Heil! Wenn der Herr wendet Seines Volkes Gefängnis, soll jubeln Jakob, sich freuen Israel!

Hier lehrt uns der Heilige Geist, wozu die Überführung ihres großen, gewissen und allgemeinen Verderbens die gefallene Menschheit treiben und anreizen soll: zum Notschrei und Hilferuf nach oben, nach den Bergen, von welchen die Hilfe kommt. Israel kannte diese Berge und den Herrn, der darauf wohnte und thronte, Israel hatte durch die Gabe des Gesetzes und der Verheißung ein hellscheinendes Licht Gottes, aber doch merkten die Übeltäter nichts, und nur die Auserwählten, das kleine Völklein und gerechte Geschlecht, das den Glauben bewahrt, legte sich auf das Recht des Armen und seufzte Tag und Nacht, von dem rechten Israel in Ägypten an bis nach Babel hin, vom sterbenden Jakob an bis auf das Häuflein derer, die auf den Trost Israels harrten. Ihrer Aller Seufzen ging auf den Einen hin, in welchem allein das Heil steht, gleichwie die Sünde durch Einen in die Welt gekommen: auf Jesum Christum, der darum der zweite Adam heißt und wieder gut gemacht hat, was der erste Adam mit seinem Falle verdorben (Röm. 5, 18, 19). Uns Christen ist nun zwar durch Ihn das Heil bereits gekommen, dennoch bleibt das Seufzen danach immer noch auch unsere Sache, nicht bloß deswegen, weil wir um die Zuneigung dieses Heils fort und fort zu bitten haben, wie uns die Bitte Dein Reich komme!“ heißt, sondern weil noch die große, die letzte Aushilfe, die zum himmlischen Reich und zur Erlösung aus allem Übel, welche die zweite Zukunft des Herrn bringt, zu erwarten steht, wie der Ton auch aus Offb. 22, 17. 20 gar deutlich zu hören ist. Wenn aber dann der Herr zurückkehrt zum Gefängnis Seines Volts und das Gefängnis ist das Leben in der argen Welt, das Wallen im Fleisch und Todesleibe (Röm. 7, 24) und alle noch anklebende Sünde, so nimmt Er's auch gefangen und bringt die Kinder zur Freiheit. Die selige Frucht solcher Erlösung ist dann unaussprechliche Freude: Freude, Freude über Freude, Christus wehrt allem Leide!“ Davon hat die triumphierende Kirche den Namen.