Dieser kurze Psalm ist ein starkes Zeugnis davon, was für eine feste Burg, aber auch was für eine gute Wehr und Waffe wider die listigen Anläufe des Feindes der Herr den Seinen ist: 1.) was für eine feste Burg gegen diese Anläufe des Feindes V. 1-3, 2.) was für eine gute Wehr und Waffe gegen dieselben V. 4-7. Obgleich die Zeit und Gelegenheit, wobei der Psalm verfasst wurde, nicht näher bezeichnet ist, so ist es doch sehr wahrscheinlich, dass er in eine der bedrängtesten Lagen Davids zur Zeit der Verfolgung Sauls hineingehört; ebenso wahrscheinlich ist, dass die Stimme des Versuchers diesmal nicht von Seiten der spottenden Feinde, sondern vielmehr von Seiten seiner Begleiter, der 600 Getreuen, kam, die zum Öftern ein kleinmütig Herz blicken ließen. Derartige Leiden und Bedrängnisse gehören wesentlich mit in das Leidensbild Davids, wodurch er ein Vorläufer und persönlicher Fingerzeig auf den Herrn, den Davidssohn, den großen Kreuzträger wurde, der uns zu Gute allenthalben versucht werden sollte und gerade von Seinem lieben Jünger bei dem Wort vor dem schwersten Leiden den Ruf hören musste: „Herr, schone Deiner!“ Darum führt dieser Psalm tief in das Erfahrungsleben gläubiger Christen hinein, wie er denn auch den Gerechten überhaupt in diesen Lagen schildert.
V. 1. Dem Sangmeister von David. Auf den Herrn traue ich; wie mögt ihr denn zu meiner Seele sprechen: „Flieht auf euren Berg, ein Vogel!?“ V. 2. Denn siehe, die Gottlosen spannen den Bogen, haben gelegt ihren Pfeil auf die Sehne, im Dunkel zu schießen auf Leute geraden Herzens. V. 3. Denn die Grundpfeiler reißen sie um; der Gerechte, was richtet er da aus? Gar herrlich ist die Eingangstür zu diesem Psalm: „Ich traue auf den Herrn.“ Das ist das aus den innern Kämpfen gewonnene und festbehaltene Siegespanier, das er dieserhalb obenan wie eine Fahne auf der Burg aufpflanzt, noch ehe er ein Wort von der Versuchung redet, in die er geraten war. Das ist Israels „Dennoch“ aus dem 73. Psalm, das ist Josuas: „Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen!“ das ist Luthers: „Ein' feste Burg ist unser Gott!“ Siehe das Köstliche des Ecksteins in vollem Glanze! Die Versuchungen, zu deren Aufzählung der Psalm nun fortschreitet, sind gefährlich genug, um eine Abwehr von diesem Fundamente aus geboten erscheinen zu lassen. Der böse Feind hat sich in Lichtengelsgestalt verkleidet, und das ist seine gefährlichste, weil listigste Gestalt; der höchsten und schwersten Versuchung, wo dem Glauben sein einiges Fundament, sein Gott entschwindet (Ps. 10), kommt die am nächsten, wo der Glaube in sich selbst durch allerhand versuchliche Anträge von großem Schein zum Wanken gebracht werden soll. Der offenbare Teufel, der aus dem Munde und durch die Hand der Gottlosen anficht, ist bei weitem nicht so schlimm, als der verdeckte und maskierte Satan, der sich unter die Zunge der Freunde legt. Diese Versuchungen sind gemeiniglich sehr verwickelter Art, so dass die sonst geübten Sinne der Unterscheidung ihre Schärfe verlieren, und der ganz vergebliche Streit der allerlei Gründe und Gegengründe das gläubige Herz zu feiger Mattheit gänzlich lahm legen. Hier allein hatte der Feind drei Schlingen der versuchlichsten Art zu legen gewusst, es ist: der Weg zur Ausflucht, die bedrohliche Macht der Gottlosen und die Mutlosigkeit des Widerstandes bei einer ganz verzweifelten Lage - das ist die Stärke des starken Gewappneten!
Zunächst der Weg zur Ausflucht! Er ist darum eine so gefährliche Schlinge, weil Kreaturenhilfe, Weltverlass, Selbstvertrauen von Hause aus des gefallenen Sünders nächste und liebste Schatzkammern sind. Wie viel lockender und verführerischer werden sie, wenn man nicht weiß, wo aus und ein, und wenn ein achtbarer, sonst treu erfundener Mund solchen Weg zur Aushilfe weist! David hatte ja öfters solche menschliche Rettungsmittel ergriffen, und der Herr weist bei der großen Weissagung der kommenden Gerichtszeit Matth. 24,16 die Seinen darauf: „Alsdann fliehe auf die Berge, wer im jüdischen Lande ist!“, aber wenn das auch die Lage um so schwieriger macht, des Glaubens und Geistes Auge, wo es nur einfältig ist, erkennt doch den Feind in Lichtengelsgestalt dahinter, lässt ihm, wie der Herr, alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und spricht im Tone der Verwunderung und des Misstrauens wie David: Wie sagt ihr denn zu meiner Seele: Flieht auf euren Berg, (wie) ein Vogel!“ So bekannte Israel später: „Wahrlich, es ist eitel Betrug mit allen Bergen; wahrlich, es hat Israel keine Hilfe, denn am Herrn, unserm Gott!“ (Jer. 3,22.) Unter den Gründen aber, die David und uns heute noch das Betreten dieses Zufluchtsweges erleichtern sollen, ist die Erregung der Furcht vor der drohenden Welt ein gar wirksames Mittel für die furchtsamen Adamskinder. Locken und Drohen ist der Welt Art, und sie lockt gern unter Drohungen, um uns desto gewisser zu fangen. Dabei dient noch der Hinweis auf den offenbaren Augenschein („denn siehe!“) wie auf die verborgen wirkende Bosheit der Gottlosen („im Dunkel zu schießen“) zur kräftigen Vermehrung der Furcht. Damit aber nicht genug, die Grundpfeiler reißen sie um, was soll der Gerechte da tun?“ Das ist der letzte und schärfste Pfeil des Bösewichts. Auf solche grundstürzende Stöße nach allen Seiten, auf radikalen Umsturz der Weltordnungen Gottes in Staat und Kirche hat es allerdings der Erzfeind im legten Ende abgesehen, und in der letzten Zeit wird der Antichrist das Alles auch an sich zu reißen suchen; doch oft ist es nur die schwarzsichtige Meinung, die er, um zur Verzweiflung zu bringen, den Leuten beibringt über die Zustände der Gegenwart. Denn wie groß auch der Verfall einer Zeit, eines Volkes sein und werden mag, der Gerechte weiß mit Paulo: Der feste Grund Gottes besteht und hat dies Siegel: der Herr kennt die Seinen“, dieserhalb aber legt's der Feind darauf an, durch die Macht der öffentlichen Meinung auf das Herz der Gläubigen zu drücken, um sie zu dem rat- und tatlosen Bekenntnis zu bringen: was soll der Gerechte da ausrichten?“ Der Herr jedoch redet den Seinen ganz anders, Er sagt gerade bei dem Worte von dem Grund aller Gründe: Siehe, Ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen köstlichen Eckstein, der wohlgegründet ist. Wer glaubt, der fliehet nicht.“ (Jes. 28,25.)
V. 4. Der Herr ist in Seinem heiligen Tempel, des Herrn Stuhl ist im Himmel; Seine Augen schauen, Seine Wimpern prüfen Menschenkinder. V. 5. Der Herr prüft den Gerechten; und Gottlose und Unheil Liebende hasst Seine Seele. V. 6. Er wird regnen lassen über Gottlose Schlingen; Feuer und Schwefel und Glutwind ist ihr Becherteil. V. 7. Denn gerecht ist der Herr, Rechttun liebend; Aufrichtige wird schauen Sein Angesicht. Gegen die unzähligen Sandgründe und eitlen Hilfsmittel der Menschen, mit denen sie das Vertrauen des Gerechten zu teilen und zu schwächen versuchen, hat David wie zur festen Burg, so zur guten Wehr und Waffe nur Eins, nämlich den Einen, seinen Gott, und der Eine genügt auch; denn Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“ (Röm. 8,31.) Diesen seinen Gott sieht David im heiligen Tempel, und ist das Wohnen und Thronen Gottes im heiligen Tempel, d. i. im Himmel, hier nach der Schilderung der innern und äußern Wirren auf Erden von dem selben erhabenen Eindruck, wie die Schilderung der Majestät des Herrn nach dem rebellischen Treiben der Gottlosen auf Erden im 2. Psalm. Dieselbe heilige Ruhe, die diese Worte atmen, wird dem, der seinen Gott hat und festhält, auch wahrhaftig zu Teil; denn der Gläubige genießt seinen Gott auf Erden in Seinem heiligen Tempel, da der Bundesgott Seinem Worte nahe ist, und auf Seinem heiligen Stuhl im Himmel, da, der in der Höhe wohnt, sich zu dem demütigen Gebet der Gläubigen herabneigt. (Jes. 57,15). Der Gottlose kennt diesen Gott in Seinem heiligen Tempel nicht, und von dem unbekannten Gott im Himmel meint er, Er wandle fern am Umkreis des Himmels“, und sei viel zu groß, als dass Er auf den kleinen Menschen sehe und achte; so wird er fleischessicher; der Gläubige dagegen kennt Jenen und geht daher unter der Augenleitung seines heiligen Gottes in Seiner Furcht wachsam einher. Ja was trägt es für einen Segen aus, wenn man die allezeit offenen Augen seines Gottes bedenkt und weiß, es ist der Alles, Alles durchschauende Flammenblick des ewigen Richters! Wir wissen meist nur, was die Menschen zu sein scheinen; Er aber sieht, wer sie wirklich sind und was ihr innerlicher Wert auf der Waage des Heiligtums ist. Dabei ist, wie V. 5 zeigt, der prüfende Blick des Herrn Eins mit dem strengsten Wahrheitsurteil und dem damit zusammenhängenden Wohlgefallen oder Missfallen, Gnade oder Ungnade, und deren Äußerung in Segnung und Bestrafung fordert Seine Gerechtigkeit; so hängt in Gottes vollkommenem Wesen Alles an einander, die Allwissenheit, Heiligkeit, Gerechtigkeit, und so kennt der Gläubige seinen Gott, und das tröstet ihn unter den finstersten Widersprüchen des Lebens! Wie schrecklich ist dagegen die Gerichtsaussicht für die Gottlosen! Das Gericht über Sodom ist die Folie dazu, wie es das Vorbild des Endgerichts, des feurigen Pfuhles ist, der mit Schwefel brennet. (Offenb. 19,20; Ezech. 38,22.) Da ist an kein Entfliehen zu denken, denn sie haben überall den Himmel über sich, der sich wider sie zur Rache gerüstet hat. Es hat ein Jeglicher seinen beschiedenen Kelch vom Herrn, dies aber ist der Kelch des Grimmes vom Allmächtigen, den sie bis auf die Hefen aussaufen müssen (Ps. 75,8). Wie lieblich ist dagegen der Kelch des Heils, den die Gerechten kraft derselben Gerechtigkeit des Herrn von Seiner Hand empfahen! Denn so wahr als Er Gott ist und Sein Wesen liebt, liebt Er in der Gerechtigkeit auch die Gerechten, die geraden, einfältigen, redlichen Herzen, die ihr Haus auf diesen Felsen bauen, und Sein Gnadenantlitz ist heil- und segensvoll auf sie gerichtet von nun an bis in Ewigkeit. So ermuntert dieser Psalm, wie jene Stimme des Geistes: „Werfet euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat“ (Hebr. 10,35). Er zeigt aber auch, wie rein und unbefleckt durch Nebenabsichten aufs Eitle der Glaube und Gnadenstand des Gerechten sein muss, wenn man gerade aus der Heiligkeit, aus der Macht, aus der Allwissenheit Gottes, aus Seinem Eifer wider das Böse sich einen so guten Grund der Hoffnung machen kann. So uns unser Herz nicht verdammt, haben wir eine Freudigkeit zu Gott“. (1. Joh. 3,21.)