Stockmayer, Otto - Krankheit und Evangelium - 11. Heilung und Salbung.

Auf dem Punkt, auf dem wir angekommen sind, ist es augenfällig geworden, wie die Frage, die uns beschäftigt, durchaus an die Frage der Leitung durch den heiligen Geist gebunden ist, an die Salbung, wie sich der Apostel Johannes ausdrückt (1 Joh. 2,20.27). Heilung durch den Glauben und Glaubensgesundheit ist ein Boden, auf dem man nicht wandeln kann, so lange man nicht still geworden ist vor seinem Gott, so lange man nicht so zu Ihm steht, dass Er uns innerhalb der in der Heiligen Schrift gezogenen Linien durch seinen Geist unmittelbar in Allem leiten kann, mit andern Worten, so lange man nicht unter der Salbung steht. Wie die Israeliten in der Wüste, um aufzubrechen und sich niederzulassen, immer erst auf eine bestimmte Weisung von Oben warteten, so wird der, der die Salbung hat, vom Geist Gottes in allen Fragen des Tuns und Lassens, des Vorgehens und Innehaltens geleitet, und das mit unfehlbarer innerer Gewissheit.

Laufen alle von der Heiligen Schrift geforderten Bedingungen, um vor Krankheit bewahrt zu bleiben, darauf hinaus, dass man mit völliger Hingabe des Willens auf die Stimme seines Gottes merkt, so ist damit auch die einzige Bedingung ausgesprochen, die erforderlich ist, um vom heiligen Geist geleitet zu werden. Sobald unser Herz in unbedingtem Einverständnis mit allem Gotteswillen und in vollem Vertrauen auf Gottes Güte und Weisheit auch seine leisesten Wünsche vor Gott niedergelegt hat, so bald uns nur noch die Frage nach Gottes Ehre beschäftigt, können keine fremden Stimmen unser Ohr, können keine fremden Bilder unsern Blick mehr trüben: wir stehen unter der Salbung.

Wer von Gott geboren und eine neue Kreatur geworden ist, der hat die Salbung. Soll sie aber jeder Zeit in uns wirken, soll Gott zu uns reden können, so muss unser Herz erst vor Ihm stille geworden und unser Auge einfältig nur auf Ihn gerichtet sein. Ist das Schaf für der Fremden Stimme erst taub geworden, so ist es eben damit geschickt, des Hirten Stimme zu vernehmen (Joh. 10,4.5). „Ich kann nichts von mir selbst tun,“ spricht der Herr Jesus; „wie ich höre, so richte ich, und mein Gericht ist recht; denn ich suche nicht meinen Willen, sondern den Willen des, der mich gesandt hat“ (Joh. 5,30 vergl. Jes. 50,4-6). Wollen wir von Gott „unterwiesen“ sein und den Weg kennen, „den wir wandeln sollen,“ wollen wir „von seinem Auge geleitet sein,“ so dürfen wir nicht sein, wie „Rosse und Maultiere ;“ wir dürfen nicht unsern eigenen Willen suchen (Ps. 32,8.9). Die gleiche Wahrheit finden wir Jes. 30, wenn wir V. 15 mit V. 20 und 21 vergleichen: „So spricht der HErr, HErr, der Heilige in Israel: Wenn ihr euch bekehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; in Stillesein und Hoffen wird eure Stärke sein“… „Er wird deinen Lehrer nicht mehr lassen sich entziehen, sondern deine Augen werden deinen Lehrer sehen, und deine Ohren werden hören das Wort hinter dir her sagen: Dies ist der Weg, denselben geht, so oft ihr nach rechts abbiegt oder zur Linken.“

Wie unentbehrlich die Salbung ist, fällt besonders in die Augen, wenn es sich darum handelt, sich die Jes. 40,28-31 gegebenen Verheißungen anzueignen: „Weißt du nicht? Hörst du nicht? Der ewige Gott, der HErr, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt; sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft und viel Stärke dem Unvermögenden. Die Knaben werden müde und matt, und die Jünglinge fallen dahin; aber die auf den HErrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln, wie die Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“ Soll unsere Kraft erneuert werden, so müssen wir nach dieser Stelle „auf den HErrn harren;“ wir müssen aufhören und „ruhen vom eignen Werk“ (Ebr. 4,10), „nicht mehr uns vornehmen, was uns gefällt und nicht mehr eigne Worte reden“ (Jes. 58,13). Aber in den Einzelheiten eines irdischen Berufs so gut, als im unmittelbaren Dienst fürs Reich Gottes vermag uns nur die Salbung Gottes Gedanken und Wege zu lehren. Durch sie lernen wir er: kennen und unterscheiden, was Gott getan und nicht getan, wann und wie Er es getan haben will, ob durch uns oder durch Andere. Unser Herz; so rein und uneigennützig sein Eifer für Gottes Ehre, so brünstig seine Liebe zum HErrn auch sein möge, darf im Dienst Gottes nicht maßgebend sein. Die Salbung allein kann uns lehren, ob wir z. B. in einer Anwandlung von Müdigkeit oder Erschöpfung einen Wink von Oben sehen sollen, aufzuhören oder wenigstens zu unterbrechen, oder ob es eine Versuchung des Feindes ist, die wir im Glauben zu überwinden haben.

Stehen wir unter der Salbung, sind wir uns darüber klar und gewiss, uns mit unserer Arbeit in Gottes eigensten Gedanken zu bewegen und von seinem Geist geleitet zu sein, so können wir unbedingt und jeder Zeit auf Erneuerung unserer Kräfte rechnen; keine Vorschriften des Arztes, keine Naturgesetze können uns dann mehr binden. Der Geist, der uns leitet, treibt uns auch, durchdringt und kräftigt uns. So sehr uns ein Dienst, den wir in eigner Kraft tun, erschöpft, so sehr wird unser ganzes Wesen, Leib, Seele und Geist belebt, wo wir aufhören, selbst zu arbeiten, und uns zu Werkzeugen des Heiligen Geistes hergeben.

Es ist Erfahrungstatsache, dass unsere leiblichen Zustände vielfach davon abhängen, wie weit wir uns innerlich vom Geist Gottes treiben und beeinflussen lassen, wie weit wir unser Herz allen schwächenden und trübenden Einflüssen verschließen, wie sie von der sichtbaren Welt her, von Verhältnissen und Kreaturen an uns herantreten. Es ist besonders bei Nervenkrankheiten und bei allen nervösen Zuständen in die Augen fallend, wie unmittelbar das leibliche Wohlsein mit der Glaubensstellung zusammenhängt.

Eine weitere Erfahrung, die jedes Kind Gottes schon machen konnte, liegt in der übernatürlichen Kraft, die der HErr für besondere Zeiten und Aufgaben schenkt. Für Nachtwachen bei Kranken, für den Dienst an Armen und Verlassenen, in Predigt und Seelsorge, in den verschiedensten Lebensstellungen, wo immer uns der HErr klar und bestimmt eine Aufgabe zuwies und zwar eine Aufgabe, für die wir schlechterdings keine Kraft und Zeit, weder Weisheit noch Geschick hatten, da ist der HErr eingestanden und hat uns wunderbar und mächtig hindurch getragen. Er hat uns zu einer Erquickung und Stärkung werden lassen, was uns nach menschlicher Voraussicht und nach dem natürlichen Gang der Dinge hätte erschöpfen und zu Boden drücken müssen.

Der HErr verlangt dabei immer nur das Eine, dass wir uns als echte Kinder Abrahams ausweisen, nicht auf unseren erstorbenen Leib, auf unser Vermögen und Unvermögen blicken (Röm. 4,19), sondern „harren auf den HErrn.“

Man hat hiergegen den Einwurf erhoben, dass Epaphroditus „um des Werkes des HErrn willen“ krank geworden sei (Phil. 2,25-30). Allein dies ist gewiss nicht so zu verstehen, dass der HErr ihm ein Maß von Arbeit aufgetragen hätte, bei dem er krank werden musste, ein Maß von Arbeit, für die Er ihm nicht die genügenden Kräfte dargereicht hätte1). Wir haben bereits bemerkt, wie wir gerade im unmittelbarsten Dienst des HErrn am meisten ausgesetzt sind, von Krankheit gesichtet zu werden. Je völliger und reiner unsere Ausopferung in diesem Dienst ist, desto bedenklicher wird unsere Lage und desto größer unsere Gefahr, wo wir auch nur einen Augenblick unser Auge vom HErrn abwenden. Wer des Glaubens lebt und dem HErrn im Glauben und in der Liebe dient, der wandelt auf dem Wasser, und dann genügt Ein Seitenblick, um unterzusinken. Der aber dem Petrus noch in die Wellen hinein die Hand gereicht, der hat sich auch des Epaphroditus erbarmt und eben damit des Apostels Paulus (V. 27).

Mögen die Knechte Gottes, die ihre Arbeit im Weinberg des HErrn unterbrechen mussten, deren Kopf müde und deren Nerven angegriffen sind, mögen sie „harren auf den HErrn“, bis die Verheißung in Jes. 40 an ihnen erfüllt, bis ihnen klar geworden ist, was in ihrer Arbeit oder in ihrem Leben nicht aus dem Geist gewesen ist! Mögen sie, anstatt mutlos für immer auf ihren Posten zu verzichten, sich demütig unter die gewaltige Hand Gottes beugen, und. Er wird sie erhöhen zu seiner Zeit (1 Petr. 5,6)2).

Wer auf den HErrn harrt und von seinem Geist sich leiten lässt, ist dadurch in seiner Arbeit für den HErrn über zahllose Befürchtungen, Rücksichten und Hemmnisse hinweggehoben. Er ist in seinen Bewegungen nicht mehr aufgehalten; er kann nun laufen in den Wegen göttlicher Gebote. Sein Herz und sein Sinn sind frei, um ausschließlich die Anforderungen des Dienstes, den der HErr ihm nach seinem Wohlgefallen aufgetragen, zu berücksichtigen. In allem Übrigen, auch in Fragen der Rücksicht und Pflege des Leibes, vertraut er der Leitung des HErrn. Der HErr ist der einzige unfehlbare Arzt, und Ihm steht in allen Dingen das letzte und entscheidende Wort zu.

Sind wir einmal vom HErrn geheilt, so ist und bleibt unsere Gesundheit seine Sache. Steht nicht geschrieben: „Werft alle eure Sorge auf Ihn; denn Er sorgt für euch“ (1 Petr. 5,7); und wiederum: „Ich bin der HErr, dein Arzt“ (2 Mos. 15,26)? Warum können denn so manche Kinder Gottes alle Sorgen auf den HErrn werfen und nur diese Eine nicht, gerade die, die am tiefsten in alle Lebensverhältnisse eingreift? Warum können sie ihren Leib dem HErrn nicht zur unmittelbaren Pflege anvertrauen? Kommt es nicht daher, dass sie noch nicht gelernt haben, unter der Salbung zu wandeln? Sollen wir die Sorge für unsern Leib ruhig und vertrauensvoll in des HErrn Händen lassen können, so müssen wir gewiss sein, dass der HErr uns leitet. Wiederum, wie willst du nach dem Beispiel des Apostels deinen Leib betäuben und knechten (1 Kor. 9,27) ohne die Salbung? Wer hierin nicht im Einzelnen vom Geist Gottes geleitet ist, der gibt entweder dem Fleisch Raum oder fällt unter das Gesetz zurück, in einen Stand der Ängstlichkeit und Gebundenheit.

Wir haben gesagt, der Heilige Geist leite uns innerhalb der von der Heiligen Schrift gezogenen Linien. Durch das Wort hat Gottes Geist Glauben in uns gewirkt und neues Leben geschaffen (Röm. 10,14. Gal. 3,2). Das Wort, das geschriebene Wort bleibt während unseres ganzen Christenlaufs die Grundlage, auf der sich alles Werk des Heiligen Geistes aufbaut. Der Heilige Geist ist es, der uns in alle Wahrheit leitet; aber er tut es in erster Linie dadurch, dass Er uns erinnert an das, was Jesus gesagt hat (Joh. 14,26); und aller Unglaube an den HErrn, von dem sein Geist die Welt überzeugt (16,9), beruht auf Unglauben an das, was geschrieben steht. „O ihr Toren,“ sagt der HErr zu den Jüngern von Emmaus, „trägen Herzens zu glauben alle dem, das die Propheten geredet haben! Musste nicht Christus solches leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen? und fing an von Mose und allen Propheten und legte ihnen aus in allen Schriften, was von Ihm gesagt war“ (Luk. 24,25-27). Und zu den Juden sagt der HErr: „Forscht in der Schrift; denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darinnen; und sie ists, die von mir zeugt“ (Joh. 5,39). Wir können nicht verlangen, dass uns der Geist Gottes Schritt für Schritt in unserer Arbeit für den HErrn leite, so lange wir uns nicht durch gewissenhaftes Forschen in der Schrift und durch unbedingte Unterwerfung unter alles, was sie lehrt, für diesen Dienst haben heranbilden lassen. Nur das Wort Gottes vermag uns zum Dienst Gottes heranzubilden. „Alle Schrift,“ sagt der Apostel, „von Gott eingegeben, ist auch nütze zur Lehre, zur Besserung, zur Auferziehung in der Gerechtigkeit, auf dass der Mensch Gottes sei vollkommen, zu allem guten Werk geschickt“ (2 Tim. 3,16.17).

Forschen im Wort und Gehorsam gegen das Wort sind Grundbedingungen zur Lösung der Frage, die uns beschäftigt. Schon im ersten Teil unseres Schriftchens haben wir die Notwendigkeit hervorgehoben, auf Gottes Stimme zu hören. Soll aber Gottes Geist unmittelbar zu uns reden, soll unser inneres Ohr für seine Stimme aufgeschlossen werden, so müssen wir damit anfangen, dass wir auf Alles merken und Alles tun, was uns der HErr in seinem geschriebenen Wort lehrt. Die Sünde der Pharisäer, Menschensatzungen und Menschenlehre über das Wort Gottes zu stellen, kehrt zu allen Zeiten auch in der Kirche wieder. In den Anschauungen und Überzeugungen, die man sich bildet, in der Richtung, die man einschlägt, ist man oft mehr, als man weiß, beeinflusst von hergebrachten Meinungen, davon, wie es Andere machen und halten, namentlich wenn es allgemein beglaubigte Autoritäten sind, Männer Gottes, die unsere volle Hochachtung und Anerkennung verdienen. Es fehlt fast allgemein an der nötigen Unabhängigkeit und Ausdauer, um auf die Quelle zurückzugehen und seine Anschauungen unmittelbar aus dem Wort Gottes zu schöpfen.

Wer auf dem Weg des Widerstandes gegen Krankheit und Tod in göttlicher Salbung vorgeht, wer sich treu und demütig vom Worte sowohl, als vom Geist Gottes leiten lässt, der hat Nichts zu fürchten. Er darf auch nicht fürchten, lange allein zu bleiben. Mehr und mehr scheint der HErr an verschiedenen Orten und ohne gegenseitige Verständigung die Aufmerksamkeit seiner Kinder auf dieses Gebiet zu lenken. Mit jedem ehrlichen und aufrichtigen Kind Gottes, das sein Geist weckt und an eine Frage heranführt, ist aber für deren völlige Lösung neues Licht und neue Kraft gewonnen, ist ein immer sichereres und rascheres Vordringen auf dem betretenen Gebiet möglich gemacht.

Es handelt sich hier nicht mehr um Würdigkeit oder Unwürdigkeit. Wir leben in einer Zeit, wo sich. Alles drängt, wo Alles dem Kommen Christi entgegeneilt. Wie weit wir auch in Treue und Glaubensmut hinter unsern Vätern zurückstehen mögen: ist der HErr wirklich vor der Tür, wie wir es sehnsüchtig hoffen, so können wir es anbetend verstehen, warum es dem HErrn trotz all unserer Unwürdigkeit gefallen hat, gerade in unserer Zeit mehr Licht zu geben über die Stellung, die die Heilige Schrift der Krankheit und dem Tod gegenüber einnimmt3)! Dadurch, dass wir der Krankheit im Glauben widerstehen lernen, sollen unsere Leiber zubereitet werden für die Verklärung, auf dass Leib, Seele und Geist unsträflich dastehen auf die Zukunft unseres Herrn Jesu Christi (1 Thess. 5,23).

1)
Aus V. 25 u. 30 scheint hervorzugehen, dass es sich um eine vielleicht erschöpfende oder gefährliche Reise handelte, die Epaphroditus im Dienst des HErrn unternommen hatte.
2)
Dass der Stand eines Kindes Gottes auf Erden ein Stand der Schwachheit bleibt, ist mit dem über Jes. 40 bemerkten nicht ausgeschlossen. Inmitten großer Schwäche vollbringen wir unseren Lauf hier unten (1 Kor. 2,3). Leiden und Entbehrung ist unser Teil. (2 Kor. 6;5-10; 12,10). „Das Leben Jesu wird in unserem Leib nur offenbar“ soweit „wir das Sterben des Herrn Jesu an unserem Leib allezeit mit uns tragen“ (2 Kor. 4,10). So lange wir in dieser Hütte sind, „seufzen wir und sind beschwert“ (5,4). „Wir warten auf die Erlösung unseres Leibes!“ (Röm. 8,23). Zu gleicher Zeit aber muss Gott seine Kraft in unserer Schwachheit mächtig erweisen und zu diesem Ende frei über unsere Glieder verfügen können. Sobald wir im Glauben wandeln, werden wir in Wahrheit stark sein da, wo wir uns schwach fühlen und werden Alles vermögen durch Christum, der uns mächtig macht (2 Kor. 12,9.10. Phil. 4,13).
3)
Somit ist es Gott, der in jeder Beziehung das Kommen Christi anbahnt und beschleunigt nach seinem freien Wohlgefallen. Dies die göttliche Seite. In Kap. 8 haben wir die menschliche Seite der Frage ins Auge gefasst.