Wir haben von dem Unglauben und der Untreue gesprochen, deren sich die christliche Kirche in unseren Tagen vielfach schuldig gemacht hat; und so könnte es scheinen, als seien wir heute von den Zeiten der ersten jerusalemischen Pfingstgemeinde so weit entfernt, als je. Wir dürfen aber nicht verkennen, dass sich der Herr mitten in einer Strömung von Unglauben und Gleichgültigkeit ein Häuflein von Gläubigen heranzieht, dem der Sinn der Schrift und damit Gottes Gedanken nur aufgeschlossen zu werden brauchen, um sofort Gott zu glauben und zu gehorchen, dem HErrn nachzufolgen und zu dienen. In einem Sinn ist auch die Kirche Christi im Großen und Ganzen durch alle Irrwege und Abfallszeiten hindurch vorgeschritten und ihrem Ziele näher gekommen. Sie besitzt gegenwärtig eine Summa von Licht, von Gottes- und Heilserkenntnis, wie wohl noch nie seit der Zeit ihres Bestehens. Liegt hierin für die Masse der Christen ein vielfach totes Kapital, so wird dasselbe von der kleinen Schar „der 7000“ umso treuer verwertet und vermehrt.
Weiter ist ein bezeichnendes Merkmal unserer Zeit, dass hervorragende Stellungen, wie die eines Apostels Paulus, oder etwa die eines Reformators, immer mehr aufhören1). Über dem Geräusch der Fußtritte des nahenden Meisters tritt alles Fleisch in den Schatten und werden „alle Höhen erniedrigt.“ Was ein einzelnes Glied von Licht und Erkenntnis unmittelbar von oben bekommen hat, wird Gemeingut des Leibes, sobald es ein Glied ist, das sein eignes natürliches Wesen mit Christo in den Tod gegeben hat und dadurch zu einem Träger göttlichen Lichtes zubereitet ist. Wir müssen erst in unseren eigenen Augen zum bloßen Gefäß und Werkzeug werden; unsere ganze Persönlichkeit, auch unsere von Gott uns anvertraute und somit vollständig berechtigte Eigentümlichkeit muss erst durch Sterben und Auferstehen gehen, ehe sich des Meisters Bild, Sinn und Gedanke in unsrem Wesen stark genug ausprägen kann, um auch von Fernerstehenden erkannt zu werden. Wir müssen sterben und wieder auferstehen, wenn das uns anvertraute Licht den Weg zum Herzen unserer Brüder finden und Gemeingut des Leibes werden soll.
Durch alle äußere, oft mehr scheinbare, als wirkliche Zerrissenheit der Gemeinde Christi hindurch bahnt sich so unter ihren wirklich lebendigen Gliedern ein immer tieferes und unmittelbareres gegenseitiges Verständnis an, ein immer engeres Band, das den Einzelnen deckend umschließt, hält und trägt in einer Weise, wie es Paulus zu seiner Zeit nicht zu genießen hatte. Wo heute ein Christ lauter und ehrlich wandelt, sich vor sich selbst fürchtet, und Andere höher achtet, denn sich selbst, nicht fleischlich seiner Befriedigung nachgeht im Aufsuchen gleichdenkender und gleichgearteter Brüder, sondern, soweit der HErr Weg und Bahn macht, auch mit ferner Stehenden Gemeinschaft pflegt, gewissenhaft und in Alles überwindender Liebe, wo er in der Berührung mit Andern wirklichen innern Aufbau nach dem Geist, und in ihren Gaben und Erfahrungen seine eigne Ergänzung sucht zur Ehre Gottes und zu fruchtbarem Dienst, da findet er in der Gemeinschaft seiner Brüder eine heilsame, bewahrende Zucht. Solche Gemeinschaft schützt ihn gegen die Gefahren seiner besonderen Begabung und Lebensführung, seiner Stellung und seines Berufs. Er wird bewahrt nicht bloß vor Ausbrüchen seines eignen inneren Verderbens, sondern auch vor den Lügen und Zauberkünsten des Argen. In Lichtengels-Gestalt auftretend, sucht dieser ja alle diejenigen in Abgründe zu stürzen, welche zu einem wirklich biblischen Christentum durchdringen und nur ihrem Gott zu Ehren leben wollen.
Mögen denn diejenigen, die nach ihren äußeren und inneren Führungen gerade in dieser besonderen Frage der Heilung und Gesundheit durch den Glauben Licht bekommen haben, treu haushalten mit dem ihnen anvertrauten Pfund und unerschütterlich und unerschrocken vorwärtsgehen auf dem Pfad, auf den der HErr ihren Fuß gestellt hat. Nur gehe nie jemand einen Schritt weiter und nie rascher, als der Heilige Geist ihm Freiheit und Freudigkeit gibt! Es gilt hier unter Dessen unmittelbarer Leitung zu bleiben und nie durch Andere sich bestimmen oder treiben zu lassen. Warum es sich Paulus gefallen lassen sollte, von einem Engel der Finsternis geschlagen zu werden, konnte er erst nicht fassen; er hat sich einfach unter das Wort seines HErrn gebeugt:
„Lass dir an meiner Gnade genügen!“ Dass ihm dieser Pfahl zur inneren Bewahrung dienen musste, ist ihm wohl erst später geoffenbart worden. Ebenso muss heute noch der Jünger des HErrn, der auf die Schrift gestützt im Glaubensgehorsam der Krankheit widersteht, jeden Augenblick bereit sein, sich vom HErrn aufhalten zu lassen, ohne zu wissen warum. Solches geschieht, so er anders dem empfangenen Licht treu bleibt, gewiss nur so lange, bis der Weg gelichtet und für ein weiteres Vorgehen sicher gemacht ist. Wir müssen, wie wir es ausdrückten, jeden Augenblick bereit sein, den Dienst aktiven Gehorsams zu unterbrechen, um in eine Stellung passiver Unterwerfung zurückzutreten, in eine Stellung, in der wir uns einfach an Gottes Gnade2) genügen lassen, um still, gelassen und ergeben in seinen Schickungen zu ruhen. Wir müssen dann aber ebenso bereit sein, auf den ersten Wink unseres Gottes auf die Bahn tätigen und tatkräftigen Gehorsams zurückzukehren, in eine Stellung des Kampfes und Widerstandes gegen alle Feinde Christi, es sei Krankheit oder Tod.