Der vorgelesene Psalm handelt vom Gebete.
David betet, und das soll auch von uns geschehen, liebe Christen! Aber es steht nicht in unserm freien Willen, sondern es ist Gottes ernstlicher Befehl, dass wir ihn anrufen, und was wir an Seele und Leib bedürfen, in kindlicher Furcht und Zuversicht von ihm bitten sollen. Die ganze heilige Schrift ist voll Ermahnung und Aufmunterung zum Gebete. Rufe mich an in der Not, spricht der Herr, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen. Sucht den Herrn, weil er zu finden ist, spricht der Prophet Jesaias, rufet ihn an, weil er nahe ist. Wahrlich, wahrlich ich sage euch, spricht Christus, so ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er es euch geben, bittet, so werdet ihr nehmen. Haltet an am Gebet, ermahnt Paulus, der Apostel.
Ein Christ, der nicht betet, ist nichts weniger, als er heißt; er ist nicht erneuert, und vom Falle noch nicht aufgestanden, er bleibt noch in seinen Sünden und in der Verdammnis; er ist ein Verächter Gottes und aller seiner Güte, und meint in seinem Stolze wohl gar noch, Gott entbehren zu können; er geht an der offenen Türe zum Vaterherzen Gottes vorüber, verlässt die lebendige Quelle und macht sich hier und da ausgehauene Brunnen, die kein Wasser geben. Wer nicht betet, der hält Gott nicht für einen Gott, raubt ihm die Ehre, die er ihm als seinem Schöpfer und Erhalter schuldig ist, setzt sein Vertrauen auf vergängliche und nichtswürdige Dinge, ist ärger als ein Heide und Jude, welche auf das Gebet viel halten, er steht tief unter den unvernünftigen Geschöpfen Gottes, von denen wir lesen, dass sie alle auf ihre Art den Herrn anrufen, ihre Speise von Gott suchen und seine Ehre erzählen.
Wenn ein Mensch zur Welt geboren ist, so offenbart er sein Leben durch Weinen und Schreien, und wenn der Mensch durch Wasser und Geist wiedergeboren und zum geistlich göttlichem Leben in Christo gebracht ist, so offenbart es sich im Seufzen und Beten; denn in der Wiedergeburt wird der Heilige Geist durch Jesum Christum reichlich über die Gläubigen ausgegossen, - der Heilige Geist aber ist ein Geist der Gnade und des Gebets, der uns nicht allein der Gnade Gottes versichert und unserm Geiste Zeugnis gibt, dass wir Gottes Kinder sind, sondern der uns auch alsbald treibt und lehrt, unsern himmlischen Vater in kindlicher Zuversicht anzurufen. Solange die Seele im Leibe wohnt, belebt und bewegt sie das Herz, daher die immerwährenden Pulsschläge und das stete Odemholen kommt, - und so wie die Seele von Gottes Geist lebendig gemacht ist, und Gott und Christo lebt, da muss es sich in stetem Seufzen, Sehnen und Beten zu Gott, und nach Gott offenbaren.
David betet in unserm Psalm, und das erinnert auch uns an die Pflicht zu beten; David betet aber hier nicht: Herr erhöre mich, sondern: der Herr erhöre dich in der Not, der Gott Jakobs schütze dich, und gibt uns hier die Lehre, dass man nicht bloß für sich, sondern auch für Andere beten soll. Ein rechtschaffener Christ breitet sein Herz nach Möglichkeit aus, er möchte gerne alle Menschen in dasselbe fassen, und ihre Not, ihr Anliegen, ihren Zustand, ihre Seele und Seligkeit dem Herrn vorstellen! Ein christlicher Hausvater insbesondere seufzt gar oft am Tage, und wenn er Nachts auf seinem Lager erwacht: „Ach mein Herr und mein Gott! sei mir, meinem Weibe, meinen Kindern und Hausgenossen, dem ganzen Orte, allen meinen Mitchristen, ja allen Menschen gnädig und barmherzig! Lass dir unser Aller Leib, Leben, Gesundheit, Nahrung, Wohlfahrt, Buße, Glauben, Seel und Seligkeit in Christo Jesu befohlen sein! Segne und beschütze, erleuchte und bekehre uns Alle! Tröste alle Betrübten und Traurigen! Habe Acht auf die Angefochtenen, beruhige die beängsteten Herzen und Gewissen! Sei der Kranken Labsal und Helfer! Versorge die Armen, Verlassenen, Trostlosen, Witwen und Waisen; sei ein Schutz und Erretter aller, die um der Wahrheit willen verfolgt und bedrängt werden! Begleite die Reisenden, stehe bei den Gebärenden, erhalte in der Buße, im Glauben und in der Hoffnung die Sterbenden und nimm ihre Seelen zu Gnaden an.“
Ganz besonders aber betet ein rechter Christ für die Könige und aller Obrigkeit; und wie ein solches Gebet beschlossen sein müsse, gibt David in unserm Psalm an. Der Herr aller Herren, der König aller Könige wolle die Herrschaften, wenn sie in Angst und Not geraten, und zu ihm um Hilfe rufen, gnädig erhören; der Gott, welcher einem Jakob im Kampfe beigestanden, dass er obsiegte, wolle sie schützen und von seinem Heiligtume Hilfe senden; der barmherzige Gott wolle gnädig ansehen den Gottesdienst der Großen und Mächtigen der Erde, wolle die Huldigungen wohlgefällig aufnehmen, welche diese dem Herrn leisten, und sich die Opfer des Gebets angenehm sein lassen, welches sie auf dem Altare ihres Herzens ihm darbringen; der allmächtige Gott wolle der Obrigkeit gelingen lassen ihres Herzens Wunsch, und Gnade geben, dass ihre guten Anschläge zur Beförderung seiner Ehre, zur Erhaltung und Erweiterung der Kirche, und zur Wohlfahrt der Untertanen glücklich vollzogen werden.
Wenn wir aber beten, geliebte Brüder und Schwestern! so soll es mit der festen Zuversicht geschehen, dass Gott uns erhören werde. So betete David: Wir rühmen, sagt er, dass du uns hilfst, und im Namen unsers Gottes werfen wir Panier auf. Nun merke ich, dass der Herr seinem Gesalbten hilft und erhört ihn von seinem heiligen Himmel. David stärkt das Vertrauen auf Gott durch die Erinnerung an Gottes Macht, welche sich oft an dem Schwachen bewiesen, Gott habe einen starken Arm, seine Rechte helfe gewaltig, viele die auf Rosse und Wagen, d. h. auf ihre große Macht und Gewalt pochten und trotzten, seien schon zu Boden gelegt worden, die aber auf Gott ihre Zuversicht setzten, stunden noch immerfort aufgerichtet. Auch wir haben schon ähnliche Erfahrungen gemacht, darum wollen wir auch voll fester Zuversicht vor Gott treten, und für uns und Andere beten; - und erhört uns Gott nicht gleich, so wollen wir deshalb nicht zweifeln, dass endlich doch die Stunde der Erhörung schlägt. Unser Gebet und Verlangen, unser Weinen und Seufzen, unser Suchen und Klopfen ist in ein Buch verzeichnet und auf einen Denkzettel geschrieben, dass es unmöglich von Gott vergessen werden kann. Den Gerechten muss das Licht immer wieder aufgehen, und Freude den frommen Herzen; die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten! Die Saat und Erntezeit folgt nicht gleich aufeinander, sondern wenn der Same im Herbste ausgestreut ist, wird er im Winter mit Schnee und Eis bedeckt, dass er verloren zu sein scheint, und es muss indessen der Ackermann sich mit guter Hoffnung trösten, und harren, bis er seiner Zeit mit Freuden ernte. So ist es mit dem Gebete, den Tränen und den Seufzern der frommen Seele auch; - sie meinen oft, es sei alles umsonst, bis dass Gott mit erwünschter Hilfe erfreut! Wenn der Winzer im Frühlinge den Weinstock beschneidet, so weint er, wie man spricht - aber auf das Weinen folgt der Wein, auf das Abnehmen das Wachsen, auf das Anbinden und Behacken die edle Frucht, die süße Traube; - das Alles aber muss der Weingärtner mit Geduld erwarten! Warum wollten wir nicht, liebe Christen, auf die gnädige Erhörung oder Gewährung unserer Bitte mit stiller Seele harren? Des Ackermanns und des Weingärtners Hoffnung kann durch mancherlei Zufälle, durch ungünstiges Wetter, durch Hagel und Hitze und Frost, durch schädliche Tiere und desgleichen verloren gehen; unsere Hoffnung aber, die wir zu Gott haben, kann nicht trügen, denn unser Gott ist im Himmel, er kann schaffen, was er will! Unser Gott ist wahrhaftig, was er zusagt, hält er gewiss, und er hat uns zugesagt: Rufe mich an in der Not, und ich will dich erretten! Ja wir rufen nicht umsonst: Hilf Herr! Amen.