Spurgeon, Charles Haddon - Worte der Weisheit für das tägliche Leben - Das verdächtige Wirtshaus

Ananias fürchtete sich zu Saul zu gehen, es kam ihm vor, als ob er in die Höhle des Löwen gehen solle, wenn er das Haus dieses Mannes beträte. Gehe ich zu ihm, dachte er, so wird er mich sicher sofort greifen, um mich nach Jerusalem zu schleppen, denn ich bin ja ein Jünger Jesu; nein, wie könnte ich zu diesem Manne gehen! - Und Gott spricht: „Denn siehe, er betet!“ „Das ist mir genug,“ denkt Ananias, „denn wenn er ein betender Mann ist, so wird er mir nichts Arges tun, und wenn er sich wirklich beugt, so bin ich sicher vor ihm.“ Das war richtig, denn wirklichen Betern dürfen wir immer vertrauen, und es steht fest, dass selbst ganz gottlose Leute vor aufrichtigen Christen meistens große Ehrfurcht haben. Herren haben trotz allem gern solche Diener, die beten, denn wenn sie selbst auch nicht fromm sind, so lieben sie es doch, fromme Dienstboten zu haben, weil sie diesen mehr vertrauen dürfen als andern. Freilich gibt es Leute, die nur mit dem Munde beten und die in Wahrheit keine Spur von Gebetsgeist haben.

Allein, wo ihr einen Mann findet, der wahrhaft betet, da dürft ihr demselben sicher auch ungezähltes Gold überlassen. Ihr braucht ihn nicht zu fürchten, denn wer im geheimen mit Gott verkehrt, dem mag man getrost im öffentlichen vertrauen, und ich muss sagen, dass ich mich für meine Person immer behaglich fühle, wenn ich in der Gesellschaft eines Mannes bin, der oft vor dem Throne der Gnade erscheint. Ich hörte eine kleine Geschichte von zwei Herren, welche zusammen durch die Schweiz reisten. Eines Tages befanden sie sich in der Mitte großer Wälder, und ihr kennt ja die schrecklichen Geschichten, die man sich von den einsamen Wirtshäusern solcher Gegenden erzählt, in denen so gefährlich logieren ist. Einer der beiden Reisenden, der ein Ungläubiger war, äußerte sich zu dem andren, der an Jesum glaubte: „Ich mag hier durchaus nicht bleiben, denn dies Haus, in das Sie gehen wollen, sieht mir doch furchtbar verdächtig aus!“ „So wollen wir wenigstens einmal nachsehen, wie es darinnen ist,“ meinte der Gläubige, und so gingen sie hinein. Das Innere des kleinen Gebäudes war in Wirklichkeit so wenig Vertrauen erweckend, dass sicher beide dachten, sie wären in dieser Stunde lieber daheim in England, als hier in dieser Falle. Vergeblich wurde überlegt, was zu machen. sei, und der Gedanke, trotz aller Müdigkeit, sich doch so schnell als möglich wieder zu entfernen, lag am nächsten. Das Eintreten des Wirtes machte der Überlegung ein Ende, und wie groß war das Erstaunen des Christen wie des ungläubigen Weltmenschen, als der raue Wirtsmann mit den Worten an den Tisch trat: „Meine Herren, ich lese und bete abends vor Schlafengehen immer erst mit meiner Familie; wollen Sie mir erlauben, dies auch jetzt in Ihrer Gegenwart zu tun?“ „O gewiss, mit dem größten Vergnügen!“ klang es aus beider Munde, und als sie nach der Andacht die kleine Treppe hinaufstiegen, sprach der Ungläubige ganz zufrieden: „Ich bin herzlich froh, dass wir hier sind.“ Der Christ sah ihn lächelnd an, und auf seine Frage, warum er denn jetzt plötzlich so anders denke als vorher, meinte er mit überzeugtem Tone: „Nun, der Wirt hat ja gebetet!“ So, dann halten Sie also doch noch etwas von der Religion?“

Die beiden haben merkwürdig gut geschlafen. Süße Träume haben sie umspielt, denn sie ruhten in dem Bewusstsein, dass ihnen unter dem Dache, welches durch Gebete gehalten sei, niemand etwas zuleide tun würde. Dieser Grund war auch bei Ananias durchschlagend, so dass er furchtlos in das Haus des Saulus ging. Frau Barry pflegte zu sagen: „Ich würde mich nicht um tausend Welten aus meinem Stübchen treiben lassen“, und Herr Jainy sagte: „Wenn die zwölf Apostel in deiner Nähe wohnten und der Verkehr mit ihnen würde dich aus deinem Gebetskämmerlein ziehen, so würde ihr Verkehr deiner Seele nur Schaden zufügen.“

Gebet ist das Schiff, welches die reichsten Ladungen von den herrlichsten Küsten holt, es ist die Arbeit, auf welcher die schönste Ernte folgt. Bruder, wenn du des Morgens aufstehst und deine Geschäfte drängen dich so, dass du nur so mit ein paar Worten in die Welt hineinstürmst, um Gott am Abend, vielleicht noch müde und abgespannt, das letzte Eckchen dieses verarbeiteten Tages zu weihen, so wird die Folge sein, dass du zuletzt gar keinen Verkehr mehr mit Gott hast, und der Grund davon, weshalb wir so wenig Religiosität finden, liegt darin, dass wir zu wenig stilles Gebet haben. Meine Herren, ich habe kein Zutrauen zu den Kirchen unserer Tage, in welchen das Gehet nicht gepflegt wird. Fordert eure Seelsorger doch auf, fleißiger zu beten, ermahnt das Volk, mehr zu beten, beginnt eine Gebetsstunde, und wenn ihr dieselbe auch erst ganz allein halten müsstet. Fragt man euch dann, wie viele zu eurer Gebetsstunde gehörten, so könnt ihr immerhin sagen: „Vier!“ „Was sagst du, vier?“

„Nun wohl, zuerst gehöre ich dazu, sodann Gott der Vater, Gott der Sohn und Gott der Heilige Geist. Wir haben ein sehr gesegnetes Zusammensein gehabt.“

Wenn ein wirkliches Ausschütten der Seelen fehlt, so kann aus unsern Gemeinden nichts werden. O, möchte Gott uns doch alle aufwecken und aufrütteln zum Gebete, dann würden wir siegreich werden! Ich wollte, ich könnte euch nehmen, wie Simson die Füchse nahm, und könnte euch anzünden mit dem Feuerbrande des Gebetes, um euch zwischen die Kornhausen zu schicken, dass ihr die ganzen Gefilde in Flammen stecktet. Ich wäre glücklich, wenn ich durch meine Worte eine Feuersbrunst anzuzünden vermöchte, die alle Gemeinden ergriffe und sie mit glühendem Eifer für Gottes Ehre entzündete.