Gehalten am Sonntag, den 25. November 1877.
„Wenn eine Seele sündigt, und tut wider irgend ein Gebot des Herrn, das sie nicht tun sollte; und hats nicht gewusst, die hat sich verschuldet und ist einer Missetat schuldig. Und soll bringen einen Widder von der Herde ohne Wandel, der eines Schuldopfers wert ist, zum Priester, der soll ihm seine Unwissenheit versöhnen, die er getan hat und wusste es nicht, so wirds ihm vergeben.“
3. Mose 5,17.18.
Es wird in unserem Text vorausgesetzt, dass Menschen verbotene Dinge tun können, ohne es zu wissen; nein, es ist nicht nur vorausgesetzt, sondern es wird als gewiss angenommen und Anordnung dafür gegeben. Das levitische Gesetz hatte besondere Vorschriften für Sünden der Unwissenheit und ein Abschnitt desselben beginnt mit den Worten: „Wenn eine Seele sündigen würde aus Unwissenheit an irgend einem Gebot des Herrn.“ (3. Mose 4,2 engl. Üb.) Wenn ihr mit Muße das 4. und 5. Kapitel des 3. Buchs Mosis lesen wollt, so werdet ihr es zuerst vorausgesetzt finden, dass ein Priester sündigen möge. Man wusste nichts von unfehlbaren Priestern und unfehlbaren Päpsten unter dem Mosaischen Gesetz; sondern es war bekannt und anerkannt, dass Priester sündigen könnten und auch aus Unwissenheit sündigen könnten. „Des Priesters Lippen sollten die Lehre bewahren,“ aber da sie von Schwachheiten umgeben waren, so lernten sie, Mitleid mit den Unwissenden zu haben, indem ihnen fühlbar gemacht ward, dass sie selber nicht vollkommen im Verständnis seien. Im 4. Kapitel wird ein Opfer vorgeschrieben: „So ein Priester, der gesalbt ist, sündigen würde, dass er das Volk ärgerte.“ Die Höchsten im Amt, die am besten in den göttlichen Dingen Bescheid wissen sollten, könnten doch irren aus Missverständnis, Vergesslichkeit oder Unwissenheit. Die Priester waren Lehrer, aber sie hatten auch nötig, gelehrt zu werden. Wie Trapp sagt: „Die Sünden der Lehrer sind Lehrer der Sünden,“ und deshalb wurden sie nicht übersehen, sondern mussten durch Sündopfer versöhnt werden.
Weiterhin in dem Kapitel wird vorausgesetzt, dass ein Fürst sündigen könne. (V. 22.) Ein Fürst oder Oberster sollte gründlich mit dem Gesetz bekannt sein, das er zu handhaben hat, aber doch mag er vielleicht nicht jeden Punkt kennen und deshalb irren; deshalb steht geschrieben: „Wenn aber ein Fürst sündigt und irgend wider des Herrn seines Gottes Gebot tut, das er nicht tun sollte, und versiehts, dass er sich verschuldet, oder wird seiner Sünde inne, die er getan hat, der soll sein Opfer bringen.“ Es existierte nicht die Erdichtung unter den Juden, dass der König kein Unrecht tun kann: wie trefflich seine Absichten, er mag im göttlichen Gesetz schlecht unterrichtet sein und so in Irrtum fallen. Irrtümer in Führern bringen viel Schaden, und deshalb mussten sie bereut werden und durch ein Sündopfer getilgt. Es ward auch nach dem Gesetz als sehr wahrscheinlich betrachtet, dass jeder Andere in Sünden der Unwissenheit fallen könnte, denn in Kapitel 4, 27 lesen wir: „Wenns aber eine Seele vom gemeinen Volk versieht und sündigt, dass sie irgend wider der Gebote des Herrn eins tut.“ Die Sünde Eines, selbst aus dem gemeinen Volk, sollte nicht übersehen und als bloße Kleinigkeit übergangen werden, selbst wenn er Unwissenheit im Gesetz geltend machen konnte. Es sollte nicht gesagt werden: „O, er ist ein ganz unbedeutender Mensch und er tut es aus Irrtum, deshalb braucht man keine Kenntnis davon zu nehmen;“ sondern im Gegenteil, er sollte auch sein Sündopfer bringen, damit der Priester ihn versöhne. Unwissenheit war häufig genug unter dem gemeinen Volk, doch gab sie ihnen keinen Freiheitsbrief und schützte sie nicht vor der Schuld.
Aber wir brauchen nicht zu diesen Schriftstellen zu gehen, liebe Freunde, denn wir wissen gut genug aus eigener Beobachtung und durch das Zeugnis eigener Erfahrung, dass Sünden der Unwissenheit möglich sind, denn wir haben oft selbst in dieser Art gesündigt, und wir haben tief darüber zu trauern gehabt, wenn wir es gewahr geworden. Sehr Vieles, was wir uns einst gestatteten, würden wir nicht wieder tun, denn wir sehen das Böse darin, obgleich wir es einst für recht hielten. Ein erleuchtetes Gewissen trauert über Sünden der Unwissenheit, was es nie tun würde, wenn sie unschuldige Versehen wären.
Das Wort, was hier mit „Unwissenheit“ übersetzt ist, kann auch durch „Unachtsamkeit“ wiedergegeben werden. Unachtsamkeit ist eine Art tätiger Unwissenheit; ein Mensch tut oft Unrecht aus Gedankenlosigkeit, weil er nicht die Folgen der Handlung erwägt oder überhaupt gar nicht denkt. Er schlägt sorglos und hastig den ersten Weg ein, der sich ihm darbietet und irrt, weil er sich nicht die Mühe gab, das Rechte zu suchen. Es wird alle Tage viel Sünde dieser Art getan. Es ist keine Absicht da, Unrecht zu tun, und doch wird Unrecht getan. Schuldige Nachlässigkeit erzeugt 1000 Fehler. „Böses wird getan aus Mangel an Denken sowohl wie aus Mangel an Herz.“ Sünden der Unachtsamkeit sind daher ohne Zweifel reichlich unter uns, und in diesen geschäftigen, gedankenlosen Eisenbahntagen vermehren sie sich leicht. Wir nehmen uns nicht Zeit genug, unsere Handlungen zu prüfen; wir sehen uns nicht vor bei unseren Schritten. Das Leben sollte ein sorgfältiges Kunstwerk sein, in dem jede einzelne Linie und Färbung die Frucht des Nachdenkens und Studiums sein sollte, wie in den Gemälden des großen Meisters, der zu sagen pflegte: „Ich male für die Ewigkeit;“ aber ach, über das Leben wird oft leicht dahin gesudelt, wie bei jenen eiligen Erzeugnissen der Szenenmaler, wo der augenblickliche Effekt allein erwogen wird und die Leinwand wird eine bloße Kleckserei von schnell aufgetragenen Farben. Wir scheinen mehr beflissen, viel zu tun, als es gut zu tun; wir streben mehr, den Raum auszufüllen, als Vollkommenheit zu erreichen. Dies ist nicht weise. O, dass jeder einzelne Gedanke dem Willen Gottes gemäß wäre.
Nun, da es also Sünden der Unwissenheit und Sünden der Unachtsamkeit gibt, was sind sie denn? Ist eine wirkliche Schuld in ihnen? In unserem Text haben wir des Herrn Meinung und Urteil, nicht dass der Kirche oder eines hervorragenden Theologen, sondern Gottes des Herrn selber und deshalb lasst mich es euch noch einmal vorlesen. „Wenn eine Seele sündigt und tut wider irgend ein Gebot des Herrn, das sie nicht tun sollte; und hats nicht gewusst, die hat sich verschuldet und ist einer Missetat schuldig.“ Sünden der Unwissenheit sind also wirkliche Sünden, haben der Versöhnung nötig, weil sie Schuld auf uns bringen. Doch lasst uns klar verstehen, dass sie dem Grad der Schuld nach sehr verschieden von bewussten und vorsätzlichen Sünden sind. Unser Herr lehrt uns dies in den Evangelien und unser eigenes Gewissen sagt uns, dass es so sein muss. Der Heiland spricht: „Der Knecht aber, der seines Herrn Willen weiß und hat sich nicht bereitet, auch nicht nach seinem Willen getan, der wird viele Streiche Leiden müssen. Der es aber nicht weiß und hat doch getan, das der Streiche wert ist, wird wenige Streiche leiden.“ Wer seines Herrn Willen nicht wusste, ward weniger bestraft, als der vorsätzliche Übertreter, aber doch ward er geschlagen, und geschlagen mit Streichen, von denen wenige schon viel mehr sein werden, als ihr und ich zu tragen wünschen möchten. Die wenigsten Streiche, die von der Hand der Gerechtigkeit kommen, werden genug sein, um uns schweres Leiden zu bereiten. Ein Streich hat gemacht, dass gute Menschen im Staub lagen und im Schmerz wehklagten. Sünden durch Unwissenheit verursacht, werden bestraft, denn der Prophet sagt (Jes. 5,13): „Mein Volk ist in Gefangenschaft geführt, weil sie keine Erkenntnis haben,“ und wieder in Hosea: „Mein Volk ist dahin, darum dass es nicht lernen will.“ Paulus sagt uns auch, dass „der Herr Jesus wird geoffenbart werden vom Himmel samt den Engeln seiner Kraft, und mit Feuerflammen, Rache zu geben über die, so Gott nicht erkennen.“ Diese sollen bestraft werden, scheint es, obgleich ihre sündige Unwissenheit in der Drohung erwähnt wird.
Ja, und nach meinem Text ist Sünde in der Unwissenheit selbst, denn der 18. Vers erklärt: „der Priester soll ihm seine Unwissenheit versöhnen, die er getan hat.“ Unwissenheit in dem Gesetz unter denen, die im Lager Israel wohnen, ist wirkliche Sünde. Der Israelit hatte keine Entschuldigung für Unwissenheit. Das Gesetz war deutlich und konnte von ihm erreicht werden. Wenn er versäumte, die Vorschriften zu lernen, so konnte sein Übertreten derselben nicht mit seiner Versäumnis entschuldigt werden, da diese an sich schon etwas Tadelnswertes war. Absichtliche Unkenntnis des Willens Gottes ist in sich selbst schon Sünde, und die Sünde, welche daraus entsteht, ist eine schwere in den Augen des Herrn, unseres Gottes.
Gelobt sei Gott, die ernste Erklärung des Textes über die Schuld der unwissentlichen Sünden braucht uns nicht zur Verzweiflung zu treiben, denn ein Opfer war dafür gestattet. Der Übertreter konnte seine Gaben darbringen, wenn er seinen Irrtum entdeckte und das Strafgeld bezahlen für den Schaden, den er durch seine Tat verursacht; und es war bei dem versöhnenden Opfer eine Verheißung gegeben, die ohne Zweifel der Reuige oft in seinem Herzen fühlt - „so wirds ihm vergeben.“ Lasst uns heute Morgen keine Entschuldigung wagen, sondern Vergebung suchen. Möge der Geist Gottes in uns ein reuiges Bekenntnis der Sünde wirken, die wir taten, ehe wir sie als Sünde erkannten, und möge der Heilige Geist, während wir sie bekennen, uns durch das teure Blut Christi ein süßes Gefühl der Vergebung mitteilen. Möge der Herr uns fröhlich machen in der Wahrheit, dass „das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, uns rein macht von aller Sünde.“
Die Lehre meines Textes tut dreierlei, wovon ich reden will. Zuerst, das Gebot wird dadurch geehrt; zweitens, das Gewissen wird dadurch erleuchtet; drittens, das Opfer wird dadurch an Wert erhöht.
Durch die göttliche Erklärung, dass Sünden der Unwissenheit wirklich Sünden sind, wird das Gebot Gottes geehrt. Ich brauche nicht viele Worte zu machen, um dies zu beweisen. Das Gesetz wird durch diesen feierlichen Ausspruch zu einer erschreckenden Würde erhoben. Wenn es sich wirklich so verhält, dass der Bruch einer seiner Vorschriften, selbst wenn wir nicht wussten, dass wir übertraten, eine Schuld auf uns bringt, dann thront das Gesetz in der Tat auf furchtbarer Höhe und ist mit Feuer umgürtet.
Indem ich diesen Gedanken weiter verfolge, möchte ich zuerst bemerken, liebe Freunde, dass hierdurch das Gesetz als die höchste Autorität über Menschen erklärt wird. Das Gesetz ist das Höchste, nicht das Gewissen. Das Gewissen ist verschieden erleuchtet in verschiedenen Menschen und die letzte Berufung in Sachen von Recht oder Unrecht kann nicht auf euer halberblindetes Gewissen oder auf das meine sein. Ich mag verurteilen, was ihr erlaubt, und ihr mögt kaum dulden, was ich billige: Niemand von uns ist Richter, sondern wir sind Alle gleich schuldig in dem Verhör, wenn wir unter das Gesetz kommen. Die letzte Berufung wird sein auf das - „So spricht der Herr,“ - auf das Gesetz selbst, welches die einzige vollkommene Richtschnur ist, an welcher die Taten und Handlungen der Menschen gemessen werden. Das Gesetz sagt von der Höhe herab, zu welcher dieser Spruch es erhebt, zu uns: „Ihr werdet nicht entschuldigt sein, weil euer Gewissen unerleuchtet war oder weil es so verkehrt war, dass es bitter für süß und süß für bitter hält. Meine Forderungen sind dieselben in jedem Jota und Titel, was immer euer Gewissen verdammen oder erlauben mag.“ Das Gewissen hat viel von seiner Empfindlichkeit durch den Fall verloren und durch unsere begangenen Sünden, aber das Gesetz ist nicht niedriger gemacht, um unserem verkehrten Verstand zuzusagen. Wenn wir das Gesetz brechen, so wird die Tat wider uns verzeichnet, obgleich uns unser Gewissen nicht tadeln mag und uns nicht einmal kundtun, dass wir unrecht getan; wir müssen unsere Missetat tragen.
Das Gesetz ist auch höher als die menschliche Meinung gestellt, denn Einer sagt: „ihr könnt dies tun,“ und ein Zweiter behauptet, er könne ein Anderes tun, aber das Gesetz wechselt nicht nach dem Urteil der Menschen und beugt sich nicht dem Zeitgeist oder dem Geschmack des Jahrhunderts. Es ist der höchste Richter, vor dessen unfehlbarer Entscheidung es keine Berufung gibt. Recht ist Recht, ob Alle es verurteilen und Unrecht ist Unrecht, ob Alle ihm beistimmen. Das Gesetz ist die Waage des Heiligtums, genau bis aufs Haar, empfindlich selbst für den feinen Staub der Waage. Meinungen sind immer verschieden, aber das Gesetz ist Eins und unveränderlich. Das Urteil eines Menschen über die Handlung, welche er vollzieht, wird seiner sittlichen Empfindungsfähigkeit gemäß sein, aber wollt ihr ein Gesetz, das sich ändert nach des Menschen wandelbarem Urteil? Wenn ihr so etwas wünscht, so würde Gottes unendliche Weisheit es verbieten. Das Gesetz ist eine bestimmte Größe, eine festgesetzte Richtschnur, und wenn wir da nicht hinan kommen, ob wir es auch nicht gewusst haben, so sind wir doch schuldig und müssen unsere Missetat tragen, es sei denn, dass sie versöhnt werde.
Dies erhöht das Gesetz über die Gewohnheit der Völker und Zeiten: denn die Menschen sind sehr gewöhnt zu sagen: „es ist wahr, ich tat dies und das, was ich nicht gerade verteidigen könnte; aber es ist die Weise des Handels, andere Häuser tun so, die allgemeine Meinung und schweigende Übereinkunft haben den Gebrauch bestätigt; ich sehe deshalb nicht ein, wie ich anders als Andere handeln kann, denn dann würde ich sehr absonderlich sein und wahrscheinlich durch meine Skrupulosität verlieren.“ Ja, aber die Gewohnheiten der Menschen sind nicht der Maßstab des Rechtes. Wo sie am Anfang richtig gewesen sind durch starke christliche Einflüsse, da ist noch die Neigung da, sie sich verschlechtern und unter das richtige Maß sinken zu lassen. Gewohnheit, Dauer und Allgemeinheit des Unrechts machen den Menschen zuletzt fähig, das Falsche mit demselben Namen zu nennen, wie das Wahre, aber es ist keine wirkliche Veränderung damit vollbracht: das gewohnheitsmäßige Unrecht bleibt ein Unrecht, die allgemeine Lüge bleibt eine Falschheit. Gottes Gesetz ist nicht verändert: unser Herr Jesus sagte: „Es ist leichter, dass Himmel und Erde vergehen, denn dass ein Titel vom Gesetz falle.“ Das göttliche Gesetz geht über Gewohnheit, Überlieferung und Meinung: diese haben nicht mehr Einfluss auf das ewige Richtmaß, als das Fallen eines Blattes auf die Sterne des Himmels. „Wenn eine Seele sündigt und tut wider irgend ein Gebot des Herrn, das sie nicht tun sollte; und hats nicht gewusst, die hat sich verschuldet.“ Alle Gewohnheiten in der Welt können nicht das Unrecht zum Recht machen, und wenn jeder Mensch, der je lebte von Adam bis zu dieser Stunde herab etwas Unrechtes getan und es für recht erklärt, so würde es doch keinen sittlichen Unterschied in der bösen Tat machen. Tausendjährige Tünche kann nicht das Laster zu einer Tugend machen. Gottes Gebot steht fest auf ewig und wer es bricht, muss seine Strafe tragen. So seht ihr, dass durch die Erklärung meines Textes das Gesetz an einen Platz gestellt ist, der Ehrfurcht gebietet.
Bemerkt wiederum, wenn eine Sünde der Unwissenheit uns schuldig macht, was muss eine vorsätzliche Sünde tun? Nehmt ihr nicht sogleich wahr, wie hoch hierdurch das Gesetz wiederum gestellt ist? Denn wenn eine unachtsame Übertretung die Seele mit Schuld belädt, die nicht ohne Opfer hinweggetan werden kann, was sollen wir dann von denen sagen, die wissentlich und absichtlich, mit bösem Vorbedacht die Gebote Gottes brechen? Was sollen wir von denen sagen, die wieder und immer wieder, oft ermahnt, ihren Nacken steifen und fortfahren in ihren Missetaten? Gewiss, ihre Sünde ist überaus sündig. Wenn ich ein Übertreter werde durch das Brechen eines Gesetzes, das ich nicht kenne, mit welchem Namen werde ich genannt werden, wenn ich es kenne und dann anmaßend meine Hand aufhebe, um dem Gesetzgeber zu trotzen und seine Befehle zu vergewaltigen.
So wiederum, liebe Freunde, werden die Menschen getrieben, das Gesetz zu erforschen, durch die Lehre meines Textes; denn, wenn sie alle recht gesinnt wären, würden sie sagen: „Lasst uns wissen, was Gott von uns verlangt. Wir wünschen nicht, seine Befehle unvollzogen zu lassen oder seine Verbote zu verletzten durch unsere Unkenntnis.“ Sie würden deshalb zu den Propheten und andern Lehrern gehen und sie bitten: „Sagt uns, was sind die Vorschriften des Gesetzes. Was hat Jehova verordnet?“ Und rechtgesinnte Menschen würden durch den Wunsch, gehorsam zu sein, zum ernsten Erforschen des Willens Gottes geleitet werden; wie ich hoffe, geliebte Freunde, dass auch wir es werden. Damit wir nicht das Gesetz aus Unkenntnis brechen, lasst uns beständig darin forschen. Lasst uns Tag und Nacht darin lernen; lasst es unseren Ratgeber sein und den Führer unseres Lebens. Lasst dies das Gebet eines jeden von uns sein. Was ich nicht weiß, o mein Gott, lehre du mich. Lass mich den Weg deiner Vorschriften verstehen; lass mich nicht wie das Ross und das Maultier sein, die keinen Verstand haben, sondern erleuchte mich im Innersten meines Herzens, damit ich nicht unwissentlich deine Gebote übertrete.
So, seht ihr, ward das Gesetz verherrlicht in Israel und die Menschen wurden angeleitet, es zu erforschen, um zu wissen, was der Herr von ihnen verlangte. Eine heilige Furcht, dass sie unversehens in Sünde fallen möchten, trieb sie zum eifrigen Lesen der Gebote. So wurden sie oft zurückgehalten, im Begriff, eine hastige Tat zu tun, und mussten sich fragen: „Was will der Herr, dass wir tun sollen?“ Ohne eine Vorschrift, wie die unseres Textes, hätten sie übereilt handeln können und würden so gesündigt und wieder gesündigt haben in der irrenden Hast eines gedankenlosen Geistes; aber hierdurch wurden sie aufgehalten in ihrer Achtlosigkeit, zum Nachdenken gerufen und veranlasst, die Furcht Gottes immer vor Augen zu haben. Sie wurden gewarnt, dass sie auf ihre Handlungen blickten und ihre Wege prüften, damit sie nicht durch Gedankenlosigkeit gegen das Gesetz sündigten.
Und ihr werdet zugleich sehen, Geliebte, dass dies jeden ernsten Israeliten dahin führen musste, seine Kinder Gottes Gesetz zu lehren, damit nicht seine Söhne aus Unwissenheit oder Unachtsamkeit sündigten. Der fromme Jude lehrte seine Kinder sorgfältig alles in Betreff des Passah, der jährlichen Feste, des täglichen Opfers und der Verehrung im Tempel und was zum Dienste Gottes gehörte: er ließ ihn das sittliche Gesetz lernen und bemühte sich, so weit er konnte, sein Gewissen zu erleuchten, er wusste, „dass es nicht gut ist für die Seele, ohne Kenntnis zu sein.“ (Spr. Sal. 19,2. engl. Üb.) Er sprach zu seinem Sohn: „Ergreife fest die Unterweisung, lass sie nicht fahren: halte sie; denn sie ist dein Leben.“ Ohne Kenntnis wird ein Mensch in viele Gruben und Schlingen fallen, die er vermieden, wenn er das wahre Licht gehabt; gute Männer verwandten daher viele Zeit auf die Erziehung ihrer Kinder. „Kommt her, ihr Kinder,“ sprachen sie, „hört mir zu, ich will euch die Furcht des Herrn lehren.“ Sie waren auch eifrig darin, das Gesetz bekannt zu machen, so weit sie konnten, und Jeder sagte zu seinem Nächsten: „Erkenne den Herrn.“ Die Furcht, unwissentlich Sünden zu tun, war ein Sporn für die Volkserziehung und wirkte sehr dahin, dass das ganze Israel das Gesetz des Herrn ehrte.
Ich schließe diese Gedanken, indem ich bemerke, dass sich mir die Sünde-offenbarende Macht des Gesetzes wunderbar entfaltet, wenn ich meinen Text lese. Ich weiß, dass das Gesetz sehr weit ist, dass sein Auge dem des Adlers gleicht, und ich weiß, dass seine Hand schwer wie Eisen ist, aber wenn ich finde, dass es mich anklagt der Sünden, die ich nicht als solche kannte, dass es die verborgenen Teile meiner Seele erforscht und ans Licht bringt, was das Auge meiner Selbstprüfung nie gesehen hat, dann bin ich voll Zitterns. Wenn ich wahrnehme, dass ich vor Gottes Richterstuhl stehen kann, angeklagt der Missetaten, die ich nicht im Stande sein werde, zu leugnen, und deren ich mir doch in diesem Augenblick durchaus nicht bewusst bin, dann beugt mich dies in den Staub. Was für ein Gesetz muss dies sein! Was für ein Licht ist dies, in welches unser Wandel gestellt wird! Wenn du deinen Charakter mit dem deines Nebenmenschen vergleichst, so magst du beginnen, dich zu beglückwünschen; wenn du ihn bei dem schwachen Kerzenlicht der öffentlichen Meinung betrachtest, so magst du beginnen, dir zu schmeicheln; wenn du nicht weiter gehst, alle zu einem fleißigen Erforschen mit Hilfe deines eigenen Urteils, so magst du noch ziemlich ruhig bleiben; aber wenn das Licht, in welchem wir am letzten Ende stehen, das Licht von Jehovas eigener unaussprechlicher Reinheit, wenn seine Allwissenheit Missetat entdeckt, wo wir sie nicht bemerkt haben, und wenn seine Gerechtigkeit die Sünde heimsuchen will, selbst wenn wir sie nicht erkennen, dann ist unsere Lage in der Tat ernst. Was für ein Gesetz ist dieses, wodurch die Menschen verpflichtet sind! Wie streng erforschend! Wie heilig und wie rein muss Gott selber sein? O, du dreimal heiliger Jehova, Schauer vor dir erfüllt uns! Die Himmel sind nicht rein in deinen Augen und in deinen Engels findest du Torheit, wie können wir denn gerecht vor dir sein? Nachdem wir dies gelesen haben, dein eigenes Wort, sehen wir, wie gerecht du uns der Torheit anklagen wirst und wie unmöglich es für uns ist, zu hoffen, dass wir in deinen Augen durch unsere eigene Gerechtigkeit gerechtfertigt werden könnten. So, meine Brüder, sehen wir, dass das Gesetz geehrt wird.
Zweitens, durch die Lehre des Textes wird das Gewissen erweckt. Ich fühle, wenn ich diese Worte lese, als wenn ein großer Abgrund sich zu meinen Füßen auftäte. „Wenn meine Seele sündigt und tut wider irgend ein Gebot des Herrn, das sie nicht tun sollte; und hats nicht gewusst, die hat sich verschuldet und ist einer Missetat schuldig.“ Du weißt, lieber Freund, dass du ein vorsätzlicher Sünder bist und bewusster Weise das Gesetz Gottes gebrochen hast, aber wenn du ein Sünder sein kannst, ohne dass du darum weißt, wie weicht der feste Boden unter dir hinweg wie in furchtbarem Erdbeben, und fast wie Korah, Datan und Abiram stehst du voll Schrecken, wenn das verzehrende Feuer aus dem geheimnisvollen Abgrund hervorströmt. Nichts Menschliches kann nun noch für gewiss gehalten werden. Denke an die Sünden, welche du begangen haben magst; Sünden in Gedanken, die zu rasch durch dein Gemüt geflogen sind, als dass du sie erinnern könntest, Gedanken, die wie bloße Bilder über deine Seele dahin gleiten, wie Wolken, die am Himmel daher schweben, einen fliegenden Schatten auf die Landschaft werfen und vorüber sind. Denke an deine bösen Gedanken, dein Vergnügen beim Hören unreiner Dinge, dein Wünschen, Verlangen und Entschuldigen des Bösen, dies alles sind Missetaten. Dann auch unsre Worte, unsre hastigen Worte des Zorns, der Falschheit, der Ungeduld und des Stolzes: unsre müßigen Worte, unsre murrenden Worte, unsre ungläubigen Worte, unsre unehrerbietigen Worte: Worte, die wir kaumso meinten, die uns gedankenlos entfielen: welch' eine Menge von diesen kann uns zur Last gelegt werden und all' diese sind voller Sünde! Und Handlungen, bei denen wir uns ganz entschuldigt haben, weil wir sie nie im Licht Gottes angeblickt, sondern uns begnügt, sie beim trüben Schimmer der Gewohnheit zu sehen: sind nicht viele von diesen da, die Sünde enthalten? Wenn ich an alle Formen des Bösen denke, so bin ich genötigt zu fürchten, dass ein großer Teil unseres Lebens in beständiger Sünde zugebracht ist, und doch mögen wir uns nie verurteilt oder nur daran gedacht haben! Gedenkt an das große Gebot: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzen Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all' deinen Kräften.“ Wie sehr mangelt es bei mir und euch daran! Geistig haben wir Gott nicht vollkommen gedient, unsere Neigungen haben ihn nicht mit aller Stärke geliebt, und unsere Seele ist mit ihren Wünschen ihm nicht so eifrig nachgegangen, als sie sollte. Wahrlich, wir sind schuldig, schuldig weit mehr, als wir uns je vorstellten. Und jenes zweite Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Wer unter uns hat das getan? Haben wir unseren Nebenmenschen mit einer Liebe geliebt, die auch nur annähernd unserer Selbstliebe gleich kam? O, Gott, in dem verschiedenfarbigen Lichte deiner 10 Gebote, alle zusammengefasst in dem weißen Licht des Einen Wortes „Liebe,“ stehen wir überführt und nehmen wahr, dass unsere Unwissenheit uns keinen Schutz gewährt! Wir hören deine Stimme und zittern vor ihr, während du sprichst: „und hats nicht gewusst, die hat sich verschuldet und ist einer Missetat schuldig.“
Unsere Unwissenheit, liebe Freunde, ist augenscheinlich sehr groß. Ich denke nicht, dass der am besten unterrichtete Christ hier behaupten wird, viel Weisheit zu besitzen. Die gewöhnliche Regel ist, je mehr wir wirklich wissen, desto mehr sind wir uns bewusst, wie wenig wir wissen. Unsere Unwissenheit ist deshalb, wie ich annehmen darf, sehr groß. Welcher Raum ist also unter der Hülle dieses Unwissenheitnebels dagewesen für die Sünde, sich zu verbergen und zu vervielfältigen. Wie es von Kaninchen in den Felsspalten wimmelt, von Fledermäusen in den dunklen Höhlen der Erde und von Fischen in den tiefen Abgründen des Meeres, so wimmelt es von Sünden in den verborgenen Teilen unserer Natur. „Wer kann merken, wie oft er fehlt? Verzeihe mir die verborgenen Fehler.“
Die Unwissenheit sehr Vieler ist in großem Maß vorsätzlich. Viele lesen die Bibel gar nicht oder sehr selten und dann ohne den Wunsch, ihre Meinung zu verstehen. Selbst Einige, die sich Christen nennen, nehmen ihre Religion aus den monatlichen Blättern oder aus einem Buch, das von einem menschlichen Verfasser geschrieben und von ihrer Sekte angenommen ist, aber Wenige stehen zu dem Wort Gottes selber: sie sind zufrieden, von den schlammigen Strömen menschlicher Lehre zu trinken, statt ihre Becher an der Kristallquelle der Offenbarung selber zu füllen. Nun, Brüder, wenn ihr in irgend etwas über den Willen und die Meinung Gottes in Unwissenheit seid, so ist es bei Keinem von euch aus Mangel an dem Buch, oder aus Mangel an einem willigen Führer, euch darin zu unterweisen; denn siebe, der Heilige Geist wartet darauf, euch hierin gnädig zu sein. „So aber jemand unter euch Weisheit mangelt, der bitte von Gott, der da gibt einfältiglich jedermann, und rückets niemand auf.“ Wenn wir nicht wissen, so könnten wir es wissen. Unsere Unwissenheit ist vorsätzlich gewesen, wenn wir in diesem bevorzugten Land in Unkenntnis des Evangeliums bleiben. Wo anerkanntermaßen eine solche Masse vorsätzlicher Unwissenheit ist, wer unter uns kann sich vorstellen, von welchen Myriaden böser Gestalten der Sünde es in der schrecklichen Finsternis wimmelt? Der Fürst der Finsternis hält Hof in der Schwärze jener Unwissenheit, die wir vorsätzlich geschaffen haben, indem wir uns weigerten, zum Licht zu kommen. Der Feind sät den bösen Samen bei Nacht und in ägyptischer Finsternis wächst die fluchwürdige Saat zu furchtbarer Reife und trägt hundertfältig. Brich herein, o ewiges Licht! Brich herein über die Trübe unserer Unwissenheit, damit sie sich nicht verdichte zu der ewigen Mitternacht der Hölle.
Nun, es wird vergeblich sein, wenn jemand in seinem Herzen sagt, wie ich fürchte, dass Einige es tun werden: „Gott ist hart, dass er so mit uns handelt.“ Wenn du so sprichst, o Mensch, so bitte ich dich, an Gottes Antwort zu gedenken.
Christus legt deine aufrührerische Rede dem Ungetreuen, in den Mund, der sein Pfund vergrub. Er sprach: „Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist; du schneidest, wo du nicht gesät hast.“ Was sagte sein Herr? Statt sich zu entschuldigen, was weit unter der Würde des großen Gottes wäre, hielt er den Mann bei seinem eigenen Bekenntnis und sprach: „Wusstest du, dass ich schneide, da ich nicht gesät habe, und sammele, da ich nicht gestreut habe, so solltest du mein Geld zu den Wechslern getan haben, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine zu mir genommen mit Wucher.“ Wenn ihr wisst, dass Gott hart ist, oder sagt, dass ihr es glaubt, dann erinnert euch, wie ernst ihr streben solltet, nach seiner Richtschnur zu wandeln; denn, nennt diese Richtschnur, wie ihr wollt, es ist die Richtschnur; haltet sie für strenge, wenns euch gefällt, sie ist darum doch bindend für euch, und ihr werdet am letzten Gericht nach ihr gemessen werden, so dass es kein Entrinnen für uns gibt dadurch, dass wir unseren Schöpfer anklagen. Bei weitem weiser ist es, uns zu unterwerfen und um Gnade zu bitten.
Lasst uns daran denken, damit unsere Lehre weniger sonderbar erscheine, dass es ebenso in der Natur ist, wenn Gottes Gesetze gebrochen werden, so verhindert die Unkenntnis dieser Gesetze nicht, dass die Strafe auf die Übertreter fällt. Das Naturgesetz ist ein lehrreiches Abbild des sittlichen und geistlichen Gesetzes, und wir können viel Lehre daraus entnehmen. Hier ist das Gesetz der Schwere, wonach die Dinge einander anziehen. Es ist unvermeidlich, dass schwere Dinge zur Erde fallen. Ein Mensch denkt, dass er fliegen kann; er legt seine Flügel an und stürzt aus einen Turm; er ist völlig überzeugt, dass er aufsteigen wird wie ein Vogel. Zuschauer werden eingeladen, das Wunder zu sehen, und Erwartungen werden rege gemacht. Das Gesetz der Schwere ist gegen den Erfinder, aber er denkt nicht so. Armer Narr, er glaubt fest an sein Fliegen, aber in dem Augenblick, wo er sich vom Turm herab schwingt, fällt er zur Erde und wird als zerschmetterter Leichnam aufgehoben. Warum hob Gott nicht sein Gesetz auf, weil der Mann es nicht absichtlich verletzte? Nein, das Gesetz ist streng und ändert sich nicht, und wer es unwissend übertritt, zahlt die Strafe. Ich habe gelesen, dass die Chinesen in Peking oft von strengen Wintern leiden; es sind Kohlen unter ihnen, aber sie wollen sie nicht ausgraben, aus Furcht, das Gleichgewicht der Erde zu stören, und das himmlische Reich, welches jetzt auf dem obersten Ende der Welt ist, auf das unterste Ende herabfallen zu machen. Die Himmlischen sind durchaus gewissenhaft in ihrem Glauben, aber ändert sich das Wetter, um sich ihrer Philosophie anzupassen? Macht Gott sie warm im Winter ohne Kohlen? Keineswegs. Wenn sie die Mittel der Wärme nicht wollen, so müssen sie kalt sein; ihre Unwissenheit lässt die Temperatur nicht einmal um einen halben Grad steigen. Ein Arzt versucht aus dem allerbesten Beweggrund eine neue Arznei zu erfinden, um Schmerz zu lindern. Bei seinen Versuchen atmet er ein tödliches Gas ein, von dem er nicht wusste, dass es lebensgefährlich sei. Er stirbt eben so gewiss, als wenn er absichtlich Gift genommen. Das Gesetz wird nicht aufgehoben, um sein Wohlwollen zu belohnen und die tödliche Folge seines Irrtums abzuwenden. Was seine Beweggründe auch gewesen, er hat ein Naturgesetz verletzt und die bestimmte Strafe wird an ihm vollzogen. Wahrlich, wie es in der natürlichen Welt ist, so werdet ihr es in der geistlichen finden.
Aber lasst uns ein wenig in die Frage hineingehen, auf dem Weg der Beweise. Es ist notwendig, dass es so ist. Es ist nicht möglich, dass Unwissenheit eine Rechtfertigung für die Sünde sei; denn zuerst, wenn es so wäre, würde daraus folgen, dass je unwissender ein Mensch wäre, desto unschuldiger würde er sein. Es wäre dann sicher wahr, dass Unwissenheit ein Segen ist, denn vollkommene Unwissenheit würde unter keiner Verantwortlichkeit und frei von aller Sünde sein. Alles, was ihr und ich zu tun hätten, um völlig frei von aller Schuld zu sein, wäre nichts zu wissen. Die Bibel zu verbrennen, das Evangelium nicht zu hören und von aller Bildung wegzufliehen, würde der nächste Weg zur Freiheit von aller Schuld sein. Seht ihr nicht, wenn es so wäre, könnte Kenntnis als ein Fluch betrachtet werden, und das Licht, welches Christus in die Welt gebracht, würde eines Menschen schwerstes Leiden sein, wenn es auf ihn schiene? Ich versichere, wenn ich in meinem unwiedergeborenen Zustand gewiss gewesen, dass Unwissenheit mich von meiner Verantwortlichkeit befreit, so würde ich jeden Weg des Wissens verschlossen haben und mich abgemüht, in Finsternis zu bleiben. Aber eine solche Voraussetzung ist nicht zu ertragen; sie ist unvereinbar mit den ersten Grundsätzen des gesunden Menschenverstandes.
Wiederum, wenn die Schuld einer Handlung ganz von der Kenntnis eines Menschen abhinge, würden wir gar kein festes Maß haben, wonach Recht und Unrecht zu beurteilen, es würde veränderlich sein je nach der Erleuchtung eines Menschen und es würde keinen höchsten und unfehlbaren Gerichtshof geben. Angenommen, das Gesetzbuch unseres Landes wäre nach dem Grundsatz abgefasst, dass im Verhältnis zu der Kenntnis, welche ein Mensch von dem Gesetz hätte, seine Schuld sein solle, wenn er es bräche, so würden wir eine Anzahl Personen haben, die wahrheitsgemäß Unwissenheit geltend machten, und eine große Menge mehr, die es versuchten, das zu tun, und eine so einfache und leichte Methode, Freisprechung zu erlangen, würde sogleich populär werden. Die Kunst des Vergessens würde fleißig studiert und Unwissenheit ein beneidenswertes Erbteil werden. Wir würden die Leute vor Gericht gebracht sehen wegen Trunkenheit und schlechter Aufführung, die „40 Mark und Kosten“ ein Dutzend Mal schon bezahlt hätten und doch noch sagten, sie hätten nicht gewusst, dass sie wieder bestraft werden würden, da sie die Brüche schon so oft bezahlt hätten. Unwissenheit würde so fortwährend geltend gemacht werden, dass tatsächlich alles Gesetz ein Ende hätte und die Grundlage des Staats untergraben würde. Es kann nicht geduldet werden, es liegt auf der Hand, dass es abgeschmackt ist.
Überdies, Unwissenheit des Gesetzes Gottes ist selbst ein Bruch desselben, da uns geheißen ist, es zu kennen und sein zu gedenken. So sprach der Herr durch seinen Knecht Moses: „So fasst nun diese Worte zu Herzen und in eure Seele und bindet sie zum Zeichen auf eure Hand, dass sie ein Denkmal vor euren Augen seien. Und lehrt sie eure Kinder, dass du davon redest, wenn du in deinem Hause sitzt, oder auf dem Wege gehst, wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst, und schreibe sie an die Pfosten deines Hauses und an deine Tore.“ Kenntnis des Gesetzes war eine Pflicht und Unwissenheit ein Verbrechen. Kann es denn möglich sein, dass die eine Sünde eine Entschuldigung für die andere ist? Es ist eine Sünde für einen Menschen, wenn er nicht in dem Wort Gottes forschen will; kann es sein, dass er, weil er diese Sünde begeht, entschuldigt ist für die Fehler, in welche seine eigenwillige Unwissenheit ihn führt? Es kann nicht die Rede davon sein.
Wenn Sünden der Unwissenheit nicht Sünden sind, dann war Christi Fürbitte ganz und gar überflüssig. Ihr erinnert euch, unser Text am letzten Sonntag Morgen war: „Er hat für die Übertreter gebeten,“ und wir zeigten dies an dem Wort: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Aber, wenn keine Sünde da ist, wo ein Mensch nicht weiß, was er tut, warum betete unser Herr um Vergebung für unwissende Übertreter? Warum um Verzeihung bitten, wenn kein Unrecht da war? Denn wäre das Richtige gewesen, zu sagen: „Vater, ich bitte dich nicht, ihnen zu vergeben, denn es ist keine Übertretung da, weil sie nicht wissen, was sie tun;“ aber durch seine Bitte um Vergebung wird es klar bewiesen, dass Schuld in der Sünde der Unwissenheit ist.
Das Werk des Heiligen Geistes auch würde ein böses statt ein gutes Werk in den Herzen der Menschen sein, wenn Unwissenheit eine Entschuldigung für Sünde wäre, denn er ist gekommen, die Welt von der Sünde zu überführen; aber wenn sie, unüberführt, unschuldig sind, warum sie dann überführen? Was nützt es, ein Gewissen zu erwecken und erleuchten und es um der Übertretung willen bluten zu lassen, wenn keine Übertretung da wäre, hätte das Gewissen sie nicht anerkannt? Wer ist es, der so den Heiligen Geist lästern will, dass er sagt sein Werk ist unnötig und selbst müßig? Sünden der Unwissenheit müssen daher sündig sein.
Blickt auf eine andere Folge, die sich aus der entgegengesetzten Lehre ergeben würde. Je schlechter ein Mensch ist, desto verhärteter wird er und desto weniger weiß er von der Schönheit der Heiligkeit. Jedermann weiß das. Eine Sünde, die einen Knaben beunruhigt, wenn er zu Hause bei seinem gottesfürchtigen Vater ist, wird ihn nicht mehr beunruhigen, wenn er 50 Jahre alt geworden ist und eine lasterhafte Bahn verfolgt hat. Der Mensch sinkt von einer Sünde in die andere und im Sinken werden seine geistigen und sittlichen Augen trübe und er nimmt immer weniger die Sündigkeit der Sünde wahr. Wenn ein Mensch, der zur untersten Stufe der Schande herabgesunken, irgend eine Abscheulichkeit begehen kann ohne die geringste Vorstellung davon, dass es unrecht ist, wenn er betrügen und lügen und fluchen kann und ich weiß nicht was noch, und es doch alles Nichts nennen und seinen Mund wischen kann; wenn dieser Mann weniger schuldig ist wegen der wachsenden Stumpfheit seines Gewissens und des beschränkten Grades seiner geistlichen Erkenntnis, dann sind wahrlich die Dinge auf den Kopf gestellt. Aber es ist nicht so. Der Prüfstein für die Schuld einer Handlung ist nicht das Gewissen eines Menschen, noch sein Gefühl für das Böse oder Kenntnis desselben, sondern das Gesetz selbst; denn Sünde ist eine Übertretung des Gesetzes, sei das Gesetz bekannt oder unbekannt. Das Gebot steht unbeweglich und unveränderlich, und der Sünder, wenn er darauf fällt, ob er auch blind sein mag, wird zerschellen.
Noch einmal, ich bin gewiss, dass Viele von uns Gegenwärtigen die Wahrheit hiervon an ihrem eigenen Herzen gefühlt haben müssen. Ihr, die ihr den Herrn liebt und Ungerechtigkeit hasst, müsst in eurem Leben zu einem Punkt größerer Erleuchtung gekommen sein, wo ihr gesagt habt: „ich sehe, dass Dieses oder Jenes unrecht ist; ich habe es Jahre lang getan, aber Gott weiß, ich würde es nicht getan haben, wenn ich es für unrecht gehalten. Noch jetzt sehe ich, dass Andere es tun und es für recht halten; aber ich kann es nicht mehr tun; mein Gewissen hat endlich neues Licht empfangen und ich muss sogleich eine Änderung machen.“ Kam es euch unter solchen Umständen je in den Sinn, zu sagen: „Was ich getan, war nicht unrecht, weil ich nicht wusste, dass es unrecht sei?“ Weit entfernt. Ihr habt ganz richtig euch gesagt: „Meine Sünde in dieser Sache ist nicht so groß, als wenn ich vorsätzlich, mit offenen Augen, übertreten hätte, und gewusst, dass es Sünde sei;“ aber doch habt ihr euch des Fehlers angeklagt und darüber getrauert. Wenigstens weiß ich, ich habe es getan. Ein Mann wie John Newton, der in seinen früheren Jahren mit dem Sklavenhandel zu tun gehabt, und es für recht gehalten, wie die meisten Christen jener Zeit es taten, entschuldigte sich nicht in seinen späteren Jahren, als sein Gewissen die Sünde der Sklaverei empfand. Meint ihr, der fromme Mann hätte gesagt: „ich hatte ganz Recht, zu handeln, wie ich getan, weil Jeder es tat und ich es nicht anders wusste?“ Ach, nein. Es war Recht oder Unrecht, ob er es wusste oder nicht, und sein Gewissen sagte ihm dies, als es erleuchtet ward. Mein Gewissen und das eure mag nötig haben, in Betreff mehrerer Dinge erleuchtet zu werden, die wir jetzt wohlgefällig tun ohne irgend einen Gedanken daran, dass wir sündigen: aber die Handlung trägt ihren eigenen Stempel des Rechts oder Unrechts, was auch unser Urteil sein möge.
Zeigt dies uns nicht die gänzliche Unmöglichkeit der Seligkeit durch Werke? Wenn du erwartest, selig zu werden dadurch, dass du das Gesetz hältst, so musst du ein kühnerer Mann sein, als ich zu sein wage. Ich weiß, dass ich nicht das Gesetz Gottes halten kann, und die Lehre meines Textes macht dies unmöglich über alle andere Unmöglichkeit hinaus, weil das Gesetz mich des Unrechts anklagt, selbst wenn ich es nicht beabsichtige und mir dessen nicht bewusst bin. O ihr, die ihr hofft durch Werke errettet zu werden, wie könnt ihr je einen Augenblick Frieden genießen? Wenn ihr meint, eure Gerechtigkeit werde euch erretten, wenn sie vollkommen sei, wie könnt ihr je gewiss sein, dass sie so ist? Ihr mögt unwissentlich gesündigt haben und das wird Alles verderben. Denkt daran und entsetzt euch. Ich bitte euch, glaubt unserem Zeugnis, wenn wir euch versichern, dass der Weg zum Himmel durch eigene Gerechtigkeit uns versperrt ist. Zehn große Kruppsche Kanonen, von denen jede einen großen Donnerkeil schleudert, groß genug, um eure Seele in die Hölle zu schmettern, stehen auf euch gerichtet, wenn ihr versucht, euren Weg zum Himmel diese steile Höhe hinan euch zu bahnen. Es ist ein anderer Pfad da: jenes Kreuz weist euch dahin, denn es ist der Wegweiser zu des Königs Landstraße. Dieser königliche Weg ist mit Gnade gepflastert: Gott vergibt den Schuldigen frei, weil sie auf Christum trauen. Dieser Pfad ist so sicher, dass keine Löwe da sein soll und kein reißendes Tier; aber die Straße der gesetzlichen Gerechtigkeit, versucht sie nicht, sondern hört, was wir euch ferner zu sagen haben.
Durch die große und furchtbare Wahrheit des Textes wird das Opfer an Wert erhöht. Gerade in Gemäßheit unseres Sündenpfuhls muss unsere Würdigung des Opfers sein. Gottes Weise, die zu befreien, welche unwissentlich sündigten, war nicht das Leugnen und Übergehen ihrer Sünde, sondern die Annahme eines Sühnopfers dafür. „Der Priester soll ihm seine Unwissenheit versöhnen, die er getan hat und wusste es nicht, so wirds ihm vergeben.“ Die Vergebung sollte durch die Sühne kommen. Wie sehr haben ihr und ich eine Sühne für unsere Sünden der Unwissenheit nötig, da diese Unwissenheit groß ist! O Blut Christi, wie sehr tust du uns Not: O göttlicher Stellvertreter, wie sehr bedürfen wir deines reinigenden Blutes!
Wie gnädig ist es von Gott, dass er willig ist, eine Sühne anzunehmen: denn wenn sein Gesetz gesagt hätte, es soll keine Versöhnung möglich sein, so wäre es gerecht gewesen; aber die unendliche Gnade entwarf den Plan, wonach durch die Opfer eines Anderen, Vergebung für den unwissenden Sünder möglich ist. Seht, wie großmütig Gott ist, denn er hat selber dieses Opfer gegeben. Der, welcher unter dem Gesetz irrte, hatte ein Opfer zu bringen, aber unseres ist für uns gebracht. Der große Vater schonte nicht Jesum, seinen Sohn, sondern gab ihn aus seinem Schoß, dass er bluten und sterben möchte. Der menschgewordene Gott ist der große Träger der Sünde der Unwissenheit; und jetzt kann er Mitleiden haben mit den Unwissenden und Irrenden, denn er hat die Sühne für sie dargebracht.
Unter dem Gesetz sollte dies Opfer ein Widder ohne Tadel sein. Unser Herr hatte keine Sünde, keinen Schatten der Sünde. Er ist das fleckenlose Opfer, welches das Gesetz fordert. Alles, was die strengste Gerechtigkeit an Strafe von dem Menschen verlangen konnte, hat unser Herr Jesus Christus geleistet; denn neben seinem Opfer für die Sünde, hat er einen Ersatz für den Schaden dargebracht, wozu der, welcher unwissentlich gesündigt, verbunden war. Er hat der Ehre Gottes genug getan und jedem Menschen, dem wir Schaden getan. Mein Bruder, hat ein Anderer dir Schaden zugefügt? Nun, da Christus sich selbst dir gegeben hat, so ist ein voller Schadenersatz dir geleistet, wie er auch Gott geleistet ist. Gelobt sei sein Name, wir können ruhen in diesem Opfer. Von wie großer Wirkung ist es. Es nimmt hinweg Missetat, Übertretung und Sünde.
Meine lieben Hörer, ihr seid verbunden, eure Sünden vor Gott zu bekennen; aber wenn euch Vergebung angeboten würde unter der Bedingung, dass ihr jede Sünde nennen solltet, die ihr begangen, so würde kein Einziger von euch je selig. Wir wissen sie nicht und selbst wenn wir sie wüssten, so könnten wir nicht all unsere Fehler und Übertretungen erinnern; aber es ist gut, dass, ob wir sie nicht wissen, er sie weiß und er sie austilgen kann. Obgleich wir sie nicht mit einer bestimmten Kenntnis ihrer beweinen können, weil sie uns nicht bekannt sind, so blutete doch Jesus für sie mit einer bestimmten Kenntnis ihrer aller, und sie sind alle hinweggetan durch seine unbekannten Leiden alle in die Tiefe geworfen, wo eines Engels Auge sie nie erspähen kann. Durch seine unermesslichen, unerforschlichen Qualen, die er für uns erduldet, und durch seine Verdienste, unendlich wie seine göttliche Natur, hat unser Erlöser, jene dichte Finsternis der Missetaten hinweggenommen, die wir nicht fähig waren, zu begreifen. O gläubiger Sünder, die Schuld, welche du nicht kennst, hat dein glorreicher Bürge nichtsdestoweniger für dich getragen und bezahlt. Gepriesen sei sein Name. Ruhe in ihm und dann gebe deines Weges und sei fröhlich. Amen.