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Spurgeon, Charles Haddon - Predigt-Entwürfe - 97. Dem eigenen Selbst oder Gott?

Sage allem Volk im Lande und den Priestern und sprich: Da ihr fastetet und Leid trugt im fünften und siebten Monat diese siebzig Jahre lang, habt ihr mir so gefastet? Oder da ihr aßt und trankt, habt ihr nicht für euch selbst gegessen und getrunken?“ Sach. 7, 5. 6.

Es darf nicht als gewiss angenommen werden, dass jede religiöse Pflichterfüllung Gott angenehm ist. Wir müssen darüber sorgfältige Forschungen anstellen, wie der Herr es auch tat. Es ziemt den Zuhörern, solche persönliche, strenge Nachforschung sorgfältig zu beachten. Religiöse, gottesdienstliche Übungen mögen viele Jahre - selbst siebzig Jahre lang beibehalten werden, und sie können dennoch ganz kraftlos sein.

Dieser Umstand lässt es ratsam erscheinen, dass wir bei uns selbst deswegen Nachfrage halten, denn es könnte sein, dass wir gewohnheitsmäßige Religionsdiener sind, und doch diese Dienste „dem Herrn“ nicht erweisen. Zwei Erwägungen werden uns nahe gelegt.

I. Die religiösen Übungen sollten dem Herrn gelten. „Habt ihr mir gefastet?“

  1. Sie sollten geschehen aus Hochachtung gegen sein Gebot. Zeremonien, welche Er nicht angeordnet hat, sind selbsterwählter Gottesdienst. Wir beachten die Vorschriften des Wortes Gottes, nicht weil es so Sitte oder Regel ist, sondern weil es „dem Herrn“ geschieht. Röm. 14, 6.
  2. Sie sollten stattfinden im Gefühl der Abhängigkeit von Gottes Gnade, damit sie uns nützlich werden, denn an und für sich sind äußere Formen nichts. Wenn Gottes Geist sie nicht lebendig macht, sind es leere Eimer, die aus trocknen Brunnen gezogen werden. Joh. 6, 63.
  3. Sie sollten beobachtet werden mit solchem Blick auf Gott, welchen ihre Natur und ihre Bedeutung erfordert. Z. B. sollte sich beim Fasten der Schmerz darüber ausprägen, dass wir Gott betrübt haben, und bei heiligen Festen darf die Freude keine fleischliche sein. „Freude am Herrn.“
  4. Sie sollten begleitet sein von dem geistlichen Verständnis, ohne welches sie in Gottes Augen doch nur bloße Schauspiele sind. Es muss sein ein wirkliches Fasten: Enthaltung von der Sünde; es müssen wirkliche Feste sein: Christum aufnehmen mit Freuden.
  5. Sie sollten beachtet werden mit der Absicht, Gott dadurch zu verherrlichen. Zu diesem Zweck kommen wir zur Taufe, zum Abendmahl rc.

Wenn diese Dinge nicht dem Herrn geschehen, was sind sie dann anderes als das Formenwerk des Atheismus oder eine Art Zauberei, eine Wiederholung von Beschwörungsformeln, Kniebeugungen und dergl. Jes. 66,3.

II. Die religiösen Übungen können uns selbst gelten. Und das ist der Fall:

  1. Wenn das geistliche Element darin fehlt. Dann ist selbst in dem heiligen Abendmahl nichts mehr als ein Essen und Trinken, wie das bei der Gemeinde zu Korinth der Fall war. Wie allgemein sind religiöse Festlichkeiten zu bloßen Entschuldigungen für Festgelage benutzt worden!
  2. Wenn die Vorschrift beobachtet wird, weil persönliche Vorteile damit verbunden sind. Beweggründe der Sitte, der Ehrbarkeit und Würde können zum Abendmahl treiben. Das ist Essen für uns selbst.
  3. Wenn die äußerliche Beobachtung als Mittel gebraucht wird, das Gewissen zum Schweigen zu bringen, wenn sie also als geistliches Schlafmittel genommen wird. Der Mensch kann sich, weil er eine göttliche Vorschrift beachtet hat, erleichtert fühlen, ohne dass er Gott näher gekommen ist, und das ist ein Essen und Trinken für sich selbst.
  4. Wenn die äußere Form beobachtet wird in der Hoffnung, dadurch selig zu werden. Der Beweggrund ist religiöse Selbstsucht und die Beobachtung kann Gott nicht gefallen.
  5. Wenn keine Absicht da ist, Gott dadurch zu gefallen, denn je nach der Absicht richtet sich die Handlung und je nachdem ist sie angenehm oder nicht angenehm.

Sieh', wie eitel und nichtig alle religiösen und gottesdienstlichen Beobachtungen der Ungläubigen sind! Lies V. 1-3 dieses Kapitels. Lasst uns zu Jesu kommen, der die Summa und das Wesen alles Fastens und aller Feste und aller sonstigen göttlichen Vorschriften ist. Lasst uns leben als dem Herrn. Röm. 14, 8.

Passende Abschnitte.

Wenn du, nachdem du so viele Messen und Metten gehört und heiliges Brot und heiliges Wasser empfangen und den Segen des Bischofs oder des Kardinals oder des Papstes erhalten hast, freundlicher gegen deinen Nächsten bist und ihn mehr liebst, und deinen Vorgesetzten gehorsamer bist, und barmherziger und williger bist, zu vergeben; wenn du danach die Welt mehr verachtest, und nach geistlichen Dingen dürstest und trachtest dann sind selbst solche Dinge zum Wachstum in der Gnade behilflich. Wenn das aber nicht der Fall ist, dann sind sie eine Lüge. Tyndale.

Ein gewisser König wollte eine Kathedrale bauen, und damit der ganze Ruhm sein sei, verbot er jedermann, auch nur das geringste zu ihrer Errichtung beizutragen. An der Seite des Gebäudes wurde eine Tafel angebracht, in welche der Name des Erbauers eingraviert war. Aber in einer Nacht sah der König im Traum, wie ein Engel hernieder kam und den Namen austilgte, und statt dessen den Namen einer armen Witwe dahin setzte. Das wiederholte sich dreimal, und der ergrimmte König ließ die Witwe vor sich kommen und fuhr sie an: „Was hast du getan, und warum hast du mein Gebot übertreten?“ Das zitternde Weib antwortete: „Ich liebe den Herrn und sehnte mich so sehr danach, etwas zu seiner Ehre und zu dem Bau seiner Kirche beizutragen. Es war mir verboten, sie in irgend einer Weise anzurühren, und da habe ich in meiner Armut nur einen Arm voll Heu für die Pferde gebracht, die die Steine heranzogen.“ Da wurde der König inne, dass er nur um seiner eigenen Ehre willen, die Witwe aber zur Ehre Gottes gearbeitet hatte, und er befahl, dass ihr Name auf die Tafel geschrieben werde. (Illustrierende Anekdoten.)

Es existiert eine orientalische Geschichte von einem Sultan1), der die Zeit verschlief, so dass er zur Gebetsstunde nicht früh genug erwachte. Da kam der Teufel, weckte ihn und sagte ihm, es sei Zeit, aufzustehen und zu beten. „Wer bist du?“ fragte der Sultan. „O, das ist einerlei!“ erwiderte der andere, „ist denn mein Verhalten nicht gut? Es kommt ja nicht darauf an, wer die gute Tat tut, solange dieselbe selbst gut ist.“ „Ja,“ sagte der Sultan, „aber ich denke, du bist Satan. Ich kenne dein Gesicht; du hast irgend einen schlechten Beweggrund, wenn du mich weckst.“ „Aber,“ sagte der andere, „ich bin wirklich nicht so schlecht, wie ich dargestellt werde. Ich war einst ein Engel, und habe mir immer noch einiges von meiner ursprünglichen Güte bewahrt.“ „Das mag ja alles sein,“ erwiderte der scharfsinnige und kluge Kalif, „aber du bist ein Versucher, versuchen ist dein Geschäft, und ich wünsche zu wissen, warum du willst, dass ich aufstehe und bete.“ „Nun,“ sagte der Teufel mit einem Anflug von Ungeduld, „wenn du es denn wissen musst, will ich es dir sagen. Wenn du weiter geschlafen und die Gebete vergessen hättest, würdest du nachher betrübt gewesen sein und Buße getan haben; aber wenn du nun gehst und zehn Jahre lang kein Gebet versäumst, wirst du mit dir selbst sehr zufrieden sein, und es steht dann in Wirklichkeit schlechter um dich, als wenn du zuweilen ein Gebet vergisst, darüber aber nachher Reue empfindest und Buße tust. Gott liebt deine Fehler, wenn du sie mit Buße vermengst, mehr als deine Tugenden, die mit deinem Stolz gewürzt sind.“

1)
Eine Geschichte, die, wenn sie vorsichtig erzählt wird, sich als nützlich erweisen kann.