Gehalten am Sonntag, den 26. September 1857
„Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt, darum verkündige ich deine Wunder. Auch verlass mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde; bis ich deinen Arm verkündige Kindeskindern, und deine Kraft allen, die noch kommen sollen.“
Psalm 71, 17.18.
Ich hoffe, in dieser Woche die Freude zu haben, in Kettering zu predigen, um an diesem Orte das hundertjährige Jubiläum des Predigers Toller und seines Vaters zu feiern. Mein Freund Toller hat ungefähr fünf und fünfzig Jahre lang das Evangelium von der Gnade Gottes an der Gemeinde verkündet und mit den fünf und vierzig Jahren des vorhergehenden Pastorates seines Vaters ist das Jahrhundert voll. Da ich diese sehr angenehme Aufgabe vor mir habe, bin ich darauf geführt, über das Alter nachzudenken und besonders über das Alter der Gläubigen, und bin der Meinung, dass „die Erinnerungen eines alten Mannes“ uns ein passendes Thema für unsere Morgenpredigt geben würden. Ich war umso mehr geneigt, diesen Gegenstand zu wählen, als heute über vierzehn Tage die Kinder und jungen Leute einen Anspruch an den Prediger haben werden, da dieser Tag von dem Sonntagsschul-Verein für spezielles Gebet ausgewählt ist. Um die Rechnung gleich zu machen, lasst uns diesen Morgengottesdienst unsern ernsten und ehrwürdigen älteren Brüdern geben.
David hat hier als ein alter Mann gesprochen, und was er gesagt hat, ist von Tausenden ehrwürdigen Gläubigen wiederholt worden. Seine Erfahrung in der Vergangenheit, sein Gebet für die Gegenwart und seine Wünsche für die Zukunft sind auch bei Andern, die ihm an Jahren gleich sind, dieselben gewesen, und diejenigen unter uns, die in der Mitte des Lebens stehen, werden in Kurzem froh sein, „Amen“ dazu zu sagen. „O Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt, darum verkündige ich deine Wunder. Auch verlass mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde.“ David kann in dieser Stelle als das Muster eines alten Gläubigen angesehen werden, der schon in früher Jugend bekehrt ist, und wir fühlen uns ganz im Rechte, wenn wir alle seine Äußerungen nehmen und sie alten Veteranen des Kreuzes in den Mund legen.
Das Erste, wobei wir heute morgen verweilen wollen, soll sein: seine Lehrzeit oder ein guter Anfang. „O Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt.“ Der Psalmist war ein unterrichteter Gläubiger. Er war nicht bloß errettet, sondern auch gelehrt worden: Bekehrung hatte zur Belehrung geführt. Ich möchte die Aufmerksamkeit aller jungen Christen hierauf richten. Wie wünschenswert ist es, dass nicht bloß eure Sünden euch vergeben werden und ihr durch den Glauben an Christum Jesum gerechtfertigt werdet und eure Herzen durch das Werk des Heiligen Geistes erneuert, sondern dass ihr bei Jesu in die Schule geht, sein Joch auf euch nehmt und von ihm lernt. Wisst ihr nicht, dass dies das gute Teil ist, was Maria wählte und wovon der Herr erklärte, dass es nicht von ihr genommen werden sollte. Sie wählte es, zu seinen Füßen zu sitzen und von ihm zu lernen. Meint nicht, von der Hölle errettet sein sei Alles; ihr habt es auch nötig, in der Gerechtigkeit unterwiesen zu werden. Wenn ihr sucht, den Herrn mehr und mehr zu erkennen, so wird euch das von tausend Schlingen retten, euch helfen, in der Gnade zu wachsen und euch befähigen, nützlich zu sein. Das Alter, dem eine unterrichtete Jugend vorangeht, wird ein fruchtbringendes sein. Wir sollten die Wahrheit kennen und sie verstehen, denn wenn wir das nicht tun, werden wir immer schwach im Glauben sein. Dass David außerordentlich gut unterrichtet war, ist aus seinen Psalmen klar, die eine Fundgrube von Lehre und einen Reichtum der Erfahrung enthalten, die nie, selbst von andern inspirierten Schriften nicht übertroffen worden sind. Wenn Jemand kein anderes Buch als die Psalmen zu studieren hätte, so könnte er mit dem Segen des Geistes Gottes einer der weisesten Männer werden. Strebt denn, meine Brüder, jetzt Jünger zu sein, damit ihr in eurem Alter mit Freuden auf die Tage zurückblicken könnt, die ihr im Lernen der himmlischen Dinge zugebracht habt.
All' seinen Unterricht führte der Psalmist auf Gott zurück. „O Gott, du hast mich gelehrt.“ Er war in Christi Schule als ein Schüler eingetreten. Sehr weislich hatte er es gewählt, von ihm zu lernen, der unendliche Weisheit geben kann und göttliches Geschick in der Mitteilung derselben hat. Der Herr versucht nicht nur, zu lehren, sondern er tut es, er weiß es so zu machen, dass seine Kinder lernen, denn er spricht zum Herzen und lehrt uns so, dass wir Nutzen davon haben. „Gott, du hast mich gelehrt.“ Wie gut ist es, wenn der Heilige Geist uns völlig davon überzeugt hat, dass wir von Gott gelehrt sein müssen, wenn wir irgend etwas recht lernen sollen. Zu Viele scheinen sich einzubilden, dass sie alles, was sie zu wissen brauchen, selbst ausfindig machen können, sie können es durch ihre eignen Gedanken herausbringen oder auf jeden Fall wird die große Gelehrsamkeit ihrer Lieblingsschriftsteller ihnen da hindurch helfen. Mein Bruder, du, der in seines Meisters Dienst grau geworden ist, ich bin gewiss, du hast gelernt, deinem eignen Verstand zu misstrauen und bist froh, das Himmelreich zu empfangen wie ein kleines Kind. Du weißt aus Erfahrung, dass alles, was du je ohne Gott gelernt hast, eine Lektion voller Schmerz oder Torheit gewesen ist: du hast kein wahres Licht erhalten, ausgenommen von dem großen Vater des Lichtes. Keine himmlischen Wahrheiten werden richtig gelernt, bis der Heilige Geist sie der Seele einbrennt. Selig sind die, welche bei einem solchen Meister in die Schule gegangen sind, sie werden unter den Weisen sein, die leuchten sollen, wie des Himmels Glanz.
Der Herr hat David zum Teil durch sein Wort gelehrt, denn wir finden, dass David seine Lust an der Schrift hat und Tag und Nacht darüber nachdenkt. Er lehrte ihn auch durch seine Prediger. Er bekam nicht wenig Unterweisung durch Samuel, und er lernte einige scharfe Lehren von Natan; während Gad, des Königs Seher, auch unzweifelhaft zu seiner Erbauung mithalf. Gottes Kinder sind willig, sich von Gottes Dienern lehren zu lassen. Er war auch von dem Heiligen Geist unterwiesen: manche köstliche Wahrheit war ihm mitgeteilt worden in der Stille beim Hüten seiner Schafe oder in den einsamen Höhlen der Berge, und selbst, als er König geworden war, ward er in der Mitte der Nacht aufgeweckt, um die Stimme des Herrn seines Gottes zu hören. Überdies lehrte ihn der Herr durch Schickungen. Er lernte viel von seinem Hirtenstab, viel von seiner Schleuder und den Steinen, viel von dem Hasse Sauls, viel von der Liebe Jonatans. Er muss später viel von seinem eignen Herzen gelernt haben, von seinen eignen Leiden, Torheiten und Sünden, und er muss viel von der Unwürdigkeit der Menschen gesehen haben an Absaloms Unwürdigkeit, Ahithophels Verrat, Joabs Rohheit und Simeis Lästerung. Sein ganzes Leben war ein Kursus für seine Erziehung. Ob er auf dem „Hügel Mizar“ stand oder durch das „Jammerthal“ ging, ob er frohlockte über grüne Weiden, oder in die Tiefen sank, wo alle Gottes Wasserwogen und Wellen über ihn gingen, ob er ein Hallelujah sang oder ein miserere anstimmte, alles übte ihn für ein höheres Dasein ein. Darum konnte er zu dem Höchsten sprechen: „Du hast mich gelehrt.“ O, geliebte christliche Freunde, könnt ihr nicht sehen, wenn ihr zurück schaut, wie alles für euch belehrend gewesen ist, wenn ihr willig gewesen seid, zu lernen? Welch' eine Schule haben unserer Einige durchgemacht, eine Schule des Leidens und der Liebe. Wir haben auf der harten Strafbank gesessen, wir haben die Rute der Züchtigung gefühlt, und auf der andern Seite haben unsre Augen auch vor Entzücken gefunkelt, wenn das liebliche Bilderbuch der Gemeinschaft mit dem Herrn uns aufgetan ward und wir in das Geheimnis des Herrn blickten, „das mit denen ist, die ihn fürchten.“ In uns ist jene alte Bundesverheißung erfüllt: „Und alle deine Kinder gelehrt vom Herrn.“
David hatte auch das Vorrecht, frühe zu beginnen. „O Gott, du hast mich gelehrt von Jugend auf.“ Ich war ein Schüler in deiner Kleinkinderschule; ich ward zu dir gebracht, um die Buchstaben zu lernen und als ich lernte, deinen Namen als meinen Heiland und Vater zu buchstabieren, war es deine Gnade, die mich das lehrte. Alles wahre Lernen beginnt zu Christi Füßen und es ist gut, dort schon in unserer Kindheit zu sein. Wenn du ein guter Schüler sein willst, musst du ein junger Schüler sein. David fühlte, dass er nötig hatte, von Jugend an von Gott unterwiesen zu werden, denn in einem seiner Psalmen sagt er: „Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend und meiner Übertretung.“ So dass selbst der fromme David Jugendsünden zu betrauern hatte und deshalb ebensowohl als Andere es bedurfte, den Weg der Heiligkeit zu lernen, als er jung war. Der traurigen Nothwendigkeit, welche die Torheit unserer Natur uns von unseren frühen Tagen an auferlegt hat, kommt die frühe Gnade entgegen. Meine greisen Brüder, ich wollte euch in diesem Augenblick dringend bitten, den Herrn für die Gnade zu loben, die in jungen Tagen Manche von euch bewahrte, in schwere Sünde zu fallen.
Die Sünde, über welche der Psalmist trauerte, konnte er mit Hilfe der göttlichen Unterweisung beherrschen. Er sagt sich selber: „Wie wird ein Jüngling seinen Weg unsträflich wandeln? Wenn er sich hält nach deinen Worten,“ und so hat David getan und deshalb war sein Jugendleben durch große Reinheit und Einfalt des Charakters ausgezeichnet, weil er so gut von Gott gelehrt war. Besonders war er gelehrt worden, auf seinen Gott zu trauen, denn in dem fünften Verse dieses Psalms sagt er: „Denn du bist meine Zuversicht, Herr, Herr, meine Hoffnung von meiner Jugend an;“ und nachdem er so gelehrt worden war, hatte er seinen Glauben durch die Tat bewährt, denn noch in seiner Jugend schlug er den unbeschnittenen Philister und erlöste Israel im Namen Gottes. Selig ist der Jüngling, der durch kühne Taten beweist, dass er ein Jünger Jesu ist. Selig ist der alte Mann, welcher, indem er zurückblickt, bekennt, dass er von Jugend an Belehrung nötig hatte, aber auch sich freut, dass er Unterweisung von dem Herrn empfing und auf den Weg der Gerechtigkeit geführt ward.
Bemerkt ferner, David sagt uns, dass er mit Lernen fortgefahren hat. Er sagt, „O Gott, du hast mich gelehrt von Jugend auf,“ darin liegt, dass Gott fortgefahren hat, ihn zu lehren; und so hatte er es in der Tat getan. Der Lernende hatte keine andere Schule gesucht, und der Meister hatte seinen Schüler nicht fortgeschickt. Einige machen wenig Fortschritte, weil sie gut anzufangen scheinen, aber sich nachher Torheiten zuwenden. Sie sagen, dass sie einst von Gott gelehrt sind, aber sie werden des einfachen Evangeliums Jesu überdrüssig und nehmen ihre Zuflucht zu denen, die in Ketzereien „machen“ und sonderbare Lehren erfinden. Gut ist es für das Herz, in der Wahrheit gegründet zu sein und sich keinem Lehrer hinzugeben, als dem Herrn. Greiser Bruder, ich hoffe, du kannst sagen: „Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt. Ich habe meine Seele nicht vor jedem Wind der Lehrmeinungen gebeugt und mich zu einem Schilf gemacht, das sich vor jedem vorüberwehenden Luftauche neigt, sondern ich bin fest, unbeweglich gewesen und habe an dem Wort der Wahrheit festgehalten.“
Es ist ebenso klar, dass er noch immer lernte. Der älteste Heilige geht noch immer zur Schule bei dem Herrn Jesus. O, wie wenig wissen wir, wenn wir am meisten wissen. Die weisesten Heiligen sind diejenigen, welche am leichtesten bereit sind, ihre Torheit zu bekennen. Der Mann, der Alles weiß, ist der Mann, der Nichts weiß. Einer der nichts mehr lernen kann, ist Einer, welcher nie irgend etwas auf rechte Art gelernt hat. Christum und die Kraft seiner Auferstehung zu erkennen, erzeugt einen unauslöschlichen Durst nach einer noch näheren Bekanntschaft mit ihm. Unser sehnlicher Wunsch ist, ihn noch mehr „zu erkennen.“
Ich wünschte halb ,ich könnte die Kanzel verlassen und irgend ein ehrwürdiger Bruder träte vor und erzählte euch, wie Gott mit ihm begann, und wiederholte euch die ersten Lektionen, die er gelernt. Ich möchte ihn gern erzählen hören, wie Gott Geduld mit ihm gehabt und ihn stets noch gelehrt hat; wie er zuweilen unter der Rute zu leiden hatte, ehe er überhaupt nur dahin gebracht werden konnte, zu lernen, und der Herr doch sanft mit ihm gewesen ist. Ich möchte, dass ein solcher, „nämlich ein alter Paulus“, euch erzählte, wie durch alles, was geschah, Böses und Gutes, Helles und Dunkles, seine Erziehung weiter gefördert ward; und ich möchte, dass er euch sagt, wie froh er ist, noch immer ein Lernender zu sein, obgleich jetzt so weit in Jahren vorgeschritten. Die best unterrichtetsten unserer älteren Brüder sind diejenigen, welche stets am dringendsten rufen: „Was ich nicht weiß, lehre mich;“ und: „Öffne mir die Augen, dass ich sehe die Wunder an deinem Gesetze.“ Obgleich mein ehrwürdiger Freund sich einen guten Doktorgrad erworben hat, so bleibt er doch bei seinem alten Lehrer. Obgleich jetzt im Stande, auch andere zu lehren, ist er darum nicht weniger ein Jünger, der zu den Füßen Jesu sitzt; ja, das, was er schon weiß, macht ihn nur umso gelehriger.
So, Brüder, haben wir gesehen, dass das Vorbild der alten Gläubigen ein unterrichteter Heiliger ist, der Alles, was er weiß, der göttlichen Belehrung verdankt, der früh zu lernen begann und seine heiligen Studien fortgesetzt bis auf diesen Tag.
„Du hast, o Herr, erzogen mich
Von meiner frühsten Jugend an,
Und bis zu dieser Stund' rühm' ich
Die Wahrheit, die du kund getan.“
Wir gehen zweitens dazu über, seine Beschäftigung zu betrachten. Seine Lehrzeit war ein guter Anfang, seine Beschäftigung war ein guter Fortgang, – „darum verkündige ich deine Wunder.“ Dies war Davids Hauptbeschäftigung. Es ist wahr, er hatte andere Arbeit zu tun, denn er war zuerst ein Hirte, dann wurde er ein königlicher Harfenspieler, später ein Krieger, und erklomm zuletzt einen Thron; doch seines Lebens Hauptrichtung und Zweck war, den Herrn zu erheben, indem er seine Wunder verkündigte. Ihr und ich, Brüder, wir haben jeder unsern Beruf, und wenn es ein erlaubter Beruf ist, lasst uns darin bleiben, und lasst uns nicht träumen, dass es Gott ehren würde, wenn wir unsere tägliche Arbeit verließen unter dem Vorwand, ihm auf eine geistlichere Weise zu dienen, indem wir auf anderer Leute Kosten leben. Jedoch ist unser irdischer Beruf nur die Schale unseres himmlischen, welcher der Kern in dem Streben unseres Lebens ist. Unser zeitliches Geschäft muss unserer geistlichen Arbeit dienstbar sein und wir müssen auf die eine oder andere Weise die Ehre Gottes verkündigen. David erhob den Herrn durch seine Psalmen. Wie lieblich hat er in diesen Gottes Wege der Barmherzigkeit und der Treue erklärt! Er verherrlichte Gott durch sein Leben, besonders durch jene Heldentaten, die dem ganzen Israel zeigten, was für mächtige Werke Gott durch einen schwachen, aber treuen Mann tun kann. Er verkündete ohne Zweifel oft die Wunder Gottes im Privatgespräch mit Gläubigen und Ungläubigen, indem er seine persönliche Erfahrung von des Herrn Gnade erzählte. Ihr und ich müssen, wenn wir in Gottes Schule gewesen sind, dieselbe Beschäftigung ergreifen. Einige von uns können predigen; lasst uns darin fleißig sein. Andere von euch lehren in der Schule; ich bitte euch, legt euer ganzes Herz in dieses Segenswerk hinein. Ihr Alle könnt durch geschriebene Briefe und Privatgespräche und besonders durch ein eurem Glauben entsprechendes Leben, die Wunder Gottes verkündigen und den Menschen die Herrlichkeit des gnädigen Gottes kund tun; lasst uns eifrig in diesem heiligen Werke sein. Die Menschen kümmert es nicht, ob sie ihren Gott kennen, aber wir müssen ihnen nicht erlauben, unwissend zu bleiben. Sagt ihnen von seiner Liebe, gegen die sie täglich sündigen und von seiner Bereitschaft, ihre Beleidigungen zu vergeben. Predigt und verkündigt die Seligkeit aus Gnaden. Es ist süß, euch im Alter daran zu erinnern, dass ihr dies tatet.
Bemerkt hier, liebe Freunde, dass David einen göttlichen Gegenstand gewählt hatte. „Darum verkündige ich deine Wunder.“ Gottes Werke hatte er verkündigt, nicht der Menschen. Er hatte nicht davon geredet, was der Mensch tun könne oder getan hätte. Bemerkt Vers sechzehn: „ich greife deine Gerechtigkeit allein.“ Weder die Tugenden der Heiligen, noch die Vorrechte der Priester, noch die Unfehlbarkeit der Oberpriester, noch irgend etwas der Art hatte des Psalmisten Lippen entehrt, diese Lippen waren Gottes Ruhm allein geweiht. „Mein Mund soll verkündigen deine Gerechtigkeit, täglich dein Heil.“
Wir sollen reden von dem, was Gott in der Schöpfung, Vorsehung und in der Gnade getan hat, und besonders sollen wir auf die wunderbare Natur dieser Werke hinweisen, denn ein Wunder ist in allen. Gewiss, Brüder, hier ist ein großer Gegenstand für uns, – die Wunder der erwählenden Liebe, die Wunder der erlösenden Gnade, die Wunder der bekehrenden Kraft des Heiligen Geistes, die Wunder der Heiligung, die Wunder der besiegten Sünde und der eingepflanzten Gnade; solche Wunder hören nie auf. Wunder der Gnade gehören Gott an und es sollte euer Geschäft und das meine sein, im Geiste heiliger Ehrfurcht Anderen zu erzählen, was Gott getan hat, dass auch sie bewundern und anbeten. David hatte ein gesegnetes Thema, ein Thema, dessen Hauptpunkt die Vereinigung der Gerechtigkeit mit dem Heil war. Beachtetet ihr den fünfzehnten Vers: „Mein Mund soll verkündigen deine Gerechtigkeit, täglich dein Heil.“? Das ist die große christliche Lehre, – medulla theologiae, Kraft und Saft der Theologie – die Versöhnung, in welcher Gnade und Gerechtigkeit sich in dem Opfer Jesu vereinen. O Geliebte, ich könnte wünschen, gar keinen anderen Gegenstand meiner Rede zu haben und dass meine Zunge mit einer glühenden Kohle vom Altar berührt wäre, um alleine von der Stellvertretung zu predigen. Ich wünsche, davon zuerst und zuvörderst und vor allem Anderen zu sprechen: ich möchte täglich verkündigen, wie Gott gerecht ist und doch den gerecht macht, der an Jesum glaubt; wie er die Sünde schlägt und doch den Sünder nicht schlägt; wie er strenge ist, nichts von der Strafe erlässt, und doch keine Strafe auf die Schuldigen legt, weil der Unschuldige sie alle getragen hat. Macht es, liebe Freunde, zu eurer Lebensaufgabe, die Menschen in dieser seligmachenden Wahrheit zu unterweisen; lehrt sie dieses, ob auch nichts Anderes. Wenn es einige Lehren gibt, die ihr nicht verstehen könnt, so haltet doch diese mit festem Griff. Wenn einige für euch zu hoch sind, so lasst doch dies euer tägliches Thema sein - Christus, der gekreuzigte, vor dessen Kreuz Gerechtigkeit und Friede sich küssen. Dies war Davids Beschäftigung. Meine greisen Brüder in Christo, dies ist auch eure Beschäftigung gewesen, und ihr bedauert es nicht, euer einziger Wunsch ist, dass ihr eifriger darin gewesen wäret.
Nun beachtet, wenn Davids Thema göttlich war, so war es zu gleicher Zeit auch gleichförmig. Er sagt: „Bis hierher habe ich deine wunderbaren Werke verkündigt.“ (Engl. Üb.) Es ist eine traurige Sache, wenn ein guter Mensch in Irrtum gerät, selbst wenn es nur auf eine Zeit lang ist. Einige Prediger haben buntscheckig gepredigt; ich sollte meinen, sie wissen selbst nicht, was sie gelehrt haben, denn sie sind von einer Denkweise zu einer anderen gegangen und haben sich hundertmal widersprochen. Hütet euch vor Menschen, die zum Wechsel geneigt sind und von jeder neuen Krankheit ergriffen werden. Ich bekenne, ich fühle Bewunderung für einen Mann, der sagen kann: „Was ich in meiner Jugend lehrte, das lehre ich in meinem Alter. Was meine Hoffnung und Zuversicht war, als Gottes Geist zuerst meinem Mund öffnete, das und nichts Anderes ist noch jetzt meine Hoffnung und Zuversicht.“ Wenn die Menschen an Jahren zunehmen, so sollten sie tiefer denken, klarer verstehen und mit größerer Zuversicht sprechen, und es ist weise von ihnen, manche Irrtümer in einzelnen Dingen zu verbessern, welche die Unreife ihrer jungen Tage verursacht hat; aber dennoch ist es etwas Großes, die Grundwahrheit vom ersten Beginn an festzuhalten. Es gibt nicht zwei Christi, und auch nicht zwei Evangelien; wenn ein anderes Evangelium da ist, „so ist doch kein anderes, ohne dass etliche sind, die uns verwirren.“ O nein, Bruder, wenn der Herr dich von Jugend auf gelehrt hat, bleibe bei dem, was du gelernt hast, halte es fest, nun dein Haar grau ist. Lasst uns sehen, dass „die alte Garde stirbt, aber sich nie ergibt.“ Selbst wir, die jünger sind, als ihr, haben uns entschlossen, bei der großen, alten Wahrheit zu bleiben; unsere Fahne ward schon vor langer Zeit an den Mast genagelt; gewiss, die Veteranen werden dasselbe sagen. All' mein Heil und all' mein Verlangen hat seinen Mittelpunkt in dem Gnadenbund und dem Evangelium von der Erlösung durch Jesu Blut, und was die neuen Lehren betrifft, da habe ich eine Antwort für sie alle.e
„Wenn jeder Menschenschund und Trug
Den Glauben auch bekämpft voll Spottes,
Ich nenn' es Eitelkeit und Lug,
Und schließ' ins Herz die Wahrheit Gottes.“
Das ist ein gutes Wort der Ausdauer - bis hierher; „bis hierher habe ich deine wunderbaren Werke verkündigt.“ Bis hierher sind auch unsere greisen Väter gekommen, und halten fest „an den Dingen, die zuversichtlich unter uns geglaubt werden.“ (Luk. 1, 1. engl. Üb.)
Aber, liebe Brüder, bemerkt, dass die Art und Weise des David sehr empfehlenswert war. Bis hierher habe ich verkündigt, sagt er. Nun verstehe ich unter Verkündigung etwas Positives, Deutliches und Persönliches. David hatte nicht von seinem Gott gelehrt mit einem „Wenn“ und einem „Aber“, und einem „mag sein,“ sondern es war gewesen: „So und so spricht der Herr;“ er hatte die Wahrheit offen verkündigt; seine Lehre war nicht neblig und dunstig gewesen, so dass die Leute durchaus machen konnten, was ihrem Geschmack zusagte; ebenso wenig war sie mystisch, metaphysisch, transzendental und philosophisch gewesen, sondern er hatte sie verkündigt, sie klar gemacht, sie ausgelegt und hatte es so deutlich hingestellt, dass es „lesen könne, wer vorüber läuft.“ Er hatte es auch verkündigt, wie es von ihm selber erkannt und durch eigene Erfahrung bestätigt war. Es ist ein Segen dabei, wenn wir unserem Zeugnis eine persönliche Färbung geben, indem wir sagen: „So und so habe ich es erfahren und so hat der Herr an mir getan.“ Hierin liegt viel von dem Interesse, dass unser Zeugnis erweckt. Lieber Bruder, der du ein reifes, gutes Alter erreicht hast, ich hoffe, du bist im Stande, beim Rückblick sagen zu können: „Ja, ich habe redlich für Gott gesprochen und aus dem innersten Herzen und deshalb habe ich mit Entschiedenheit gesprochen und durch meine persönliche Erfahrung die Wahrheit der göttlichen Verheißung bewiesen.“ Gott ist stets wahrhaftig gegen mich gewesen, und wenn Einige meinen, dass ich zu viel von mir selber rede, so kann ich den Tadel ertragen, denn ich bin unfähig, meine dankbare Anerkennung zurückzuhalten. Wahrlich, wenn ich nicht spräche, würden die Steine schreien; ich muss die Treue des lebendigen Gottes verkündigen.
In Davids Redeweise ist sehr viel heilige Ehrfurcht und liebende Andacht, denn er sagt: „Deine wunderbaren Werke,“ was anzeigt, dass er selber bewundert hat, während er sprach. Ich höre gerne einen frommen Mann von Gottes Liebe reden, wenn er fühlt, dass sie zu tief für ihn ist, wenn er mit Tränen von ihr spricht, als wenn sie ihn überwältigte; wenn er redet, als wenn sie weit wunderbarer für ihn wäre, als er sie seinen Hörern darstellen könnte. David hat sein Werk mit anbetendem Erstaunen und dankbarer Liebe getan, denn, meine Brüder, er hatte immer diesen Einen Zweck im Auge, Gott in der Menschen Gedanken groß zu machen. Darf ich euch, die ihr in vorgerückteren Jahren seid, fragen, macht ihr dies zu eurer Hauptbeschäftigung? Und wenn ihr vielleicht Prediger oder Lehrer seid, lehrt ihr den Heilsweg Gottes mit dem alleinigen Zweck, Gott zu verherrlichen? O, es muss dahin kommen, denn aller Dienst Gottes, der nicht aus diesem Beweggrunde geschieht, ist nicht annehmbar und eitles Werk. Wenn wir mit Menschen- und Engelszungen predigen könnten, so dass wir Appollos überträfen, und unsere Absicht wäre, in den Augen der Menschen zu glänzen, so wären wir wie tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Wenn irgend ein fremdartiges in dem Beweggrund ist, so sind tote Fliegen in der Salbe des Apothekers, und sie gibt einen üblen Geruch von sich; aber wenn dies unser Einer, alleiniger Wunsch ist, Gott zu verherrlichen, indem wir die Menschen sehen lassen, was für ein großer und hochgelobter Gott er ist, so wird unsere Arbeit sein wie der Weihrauch auf dem goldenen Altar. Auf solchen Dienst werden wir in unserem Alter mit Dankbarkeit zurückblicken können. Wie ist es mit dir, mein Bruder, meine Schwester, wenn du die Vergangenheit durchblickest? Und wie stehen die Sachen bei euch, die ihr in der Blüte eurer Kraft seid - seid ihr mit Gottes Werk beschäftigt und lebt ihr für Gott in allem, was ihr tut? O, dann werdet ihr glücklich sein, wenn graue Haare euer Haupt mit einer Ehrenkrone schmücken werden, denn das Silber wird nicht nur auf eurem Haupte ruhen, sondern seinen Freudenglanz auch auf euer Herz werfen, wenn ihr daran gedenkt, dass ihr bis hierher seine wunderbaren Werke verkündet habt.
So gehe ich zum Dritten in unserem Text über, nämlich, sein Gebet, welches ein gutes Anzeichen war, – „Auch verlass mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde.“ Was für ein klagendes Gebet ist es. Es zeigt euch, Brüder, dass David sich seines früheren Vertrauens nicht schämte.
Er fühlte, dass er nicht so weit gekommen wäre, wenn Gott ihn nicht geführt hätte. Er sah seine völlige Abhängigkeit von Gott in der Vergangenheit, aber ich bin gewiss, Abhängigkeit ist ein Gefühl, das immer wächst. Christen, die in der Gnade zunehmen, halten sich selber für nichts; völlig erwachsene Christen halten sich für weniger als nichts. Gute Menschen sind wie Schiffe, je voller sie sind, desto tiefer sinken sie in den Strom. Je mehr Gnade ein Mensch hat, desto mehr klagt er über den Mangel an Gnade. Gnade ist keine Speise, die das Gefühl der Sättigung erzeugt, sondern, wie ich von einigen Gerichten gehört habe, dass man sie essen kann, bis man hungrig wird, so ist es mit der Gnade, je mehr ihr empfangt, desto mehr verlangt ihr. David kannte die geheimen Quellen, aus denen alle seine Segnungen flossen, und er bittet den Herrn, nie den göttlichen Quell der Allgenugsamkeit zu verstopfen, sonst müsste er verschmachten und sterben.
Dies beweist, liebe Freunde, dass David sich nicht einbildete, dass vergangene Gnade für die Gegenwart genügen könne. Vergangene Erfahrung ist gleich dem alten Manna, es erzeugt Würmer und wird stinkend, wenn man sich darauf verlässt. Den Augenblick, wo jemand anfängt, sich zu brüsten mit der Gnade, die er vor sechs Jahren zu haben pflegte, könnt ihr euch darauf verlassen, dass er jetzt sehr wenig hat. Wir brauchen jeden Tag neue Gnade. Dass Gott mir gestern gegenwärtig war, genügt mir nicht für den jetzigen Augenblick; ich muss nun Gnade haben. David erkannte seine gegenwärtige Abhängigkeit an und es war weise, so zu tun. Man stolpert immer, wenn man zu gehen versucht, während man die Augen rückwärts wendet. Es ist sehr merkwürdig, dass alle Sündenfälle, die in der Schrift erzählt sind, so weit ich erinnere, bei alten Leuten stattgefunden haben. Dies sollte eine große Warnung für uns sein, die wir denken, dass wir an Weisheit und Erfahrung zunehmen. Lot und Juda und Eli und Salomon und Assa waren alle in vorgerückten Jahren, als sie vor dem Herrn schuldig befunden wurden. Kühle Leidenschaften sind kein Schutz gegen feurige Sünden, wenn nicht die Gnade mehr als die Abnahme der Natur sie abgekühlt hat. David hatte sehr nötig zu sprechen: „Verlass mich nicht, o Gott,“ sein eigner Fall bewies es. Ich habe diejenigen, welche viel fahren, sagen hören, dass Pferde öfter am Fuße eines Hügels fallen als irgendwo anders. Wo der Fuhrmann denkt, er brauche sie nicht länger anzuhalten, da fallen sie nieder; und so mögen Viele die Versuchung Jahre lang tapfer ertragen haben und gerade, wenn die Prüfung vorüber war, und wir meinten, sie wären in Sicherheit, so wandten sie sich seitwärts auf krumme Pfade und betrübten den Herrn. Ihr seid sehr überrascht, ihr würdet es von jedem Andern eher geglaubt haben, als von ihnen, aber es ist so. Nehmt dies denn, als eine Warnung, damit wir nicht einen lebenslangen guten Ruf durch Eine elende, sündige Tat verderben. Mein ganzes Herz ruft: „O Gott, verlass mich nicht.“
Der Psalmist sah, dass viele Feinde ihn beobachteten, deshalb bat er: „Verlass mich nicht.“ Er hatte viele Versuchung, in seines Meisters Dienst müde zu werden, und er betete: „Verlass mich nicht.“ Er fühlte auch die natürliche Abnahme seiner körperlichen Kraft und er rief: „meine Kraft wird schwach,“ und darum flehte er: „Verlass mich nicht.“
„Von vieler Jahre Müh' gebückt,
Verlassen, krank und tief gedrückt
Fleh' ich vor deinem Angesicht,
Zu dir heb' ich die welke Hand,
Das matte Aug' zu dir gewandt:
O Gott, mein Gott, verwirf mich nicht.“
Der Psalmist bekennt durch dies Gebet seine Unwürdigkeit. Er fühlte, dass Gott ihn um seiner Sünden willen wohl verlassen könnte. Darum das Gebet im 51. Psalm: „Verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen Heiligen Geist nicht von mir.“ Aber er beschloss in Demut, nicht verlassen zu werden, er konnte es nicht ertragen, er hielt seinen Gott mit Heftigkeit und rief mit Angst: „O Gott, verlass mich nicht.“ Sein Herz hatte sich vorgenommen, an seiner Einen Hoffnung bis aufs Äußerste fest zu halten und so flehte er, wie Einer, der um sein Leben fleht.
Ihr habt nun das Gebet vor euch; was, meint ihr, Brüder, wird der Herr darauf antworten? Ihr, die ihr Abnahme eurer Kraft durch das Alter fühlt und gebetet habt: „O Gott, verlass mich nicht: „was, denkt ihr, wird der Herr auf euer Gebet antworten? Ah, dass er es nicht will! Es ist nicht möglich für ihn, etwas Anderes zu tun. Glaubt ihr, es sähe unserem Herrn gleich, einen Mann zu verlassen, weil er alt wird? Würde Jemand von uns das tun? Sohn, würdest du deinen Vater verlassen, weil er zitternd im Hause umher schwankt? Bruder, würdest du deinen ältesten Bruder verlassen, weil er nun alt und schwach ist? Verlässt Einer von uns, so lange er ein menschliches Herz in der Brust hat, erbarmungslos die Alten? O nein, und Gott ist viel besser, als wir sind und will nicht die verachten, die sich in seinem Dienst aufgerieben haben. Die leisen Klagetöne der am meisten Leidenden und Schwächsten werden von ihm, nicht mit Ermüdung, sondern mit Mitleid vernommen. Meint ihr, der Herr wird seine alten Diener fortjagen? Würdet ihr das tun? Unter den Menschen kommt es häufig genug vor, dass sie armen, alten Leuten es überlassen, sich selbst zu helfen. Den Soldaten, der die Blüte seines Lebens im Dienste des Vaterlandes verbracht, hat man am Wege betteln oder vor Mangel sterben sehen. Selbst die Retter einer Nation hat man in ihrem greisen Alter in Dürftigkeit schmachten lassen. Wie oft haben Könige und Fürsten ihre treusten Diener fortgesandt und sie nackend ihren Feinden überlassen! Wenn die Zeit das hübsche Gesicht gerunzelt hat und die gerade Haltung gebeugt, so hat der alte Mann nicht länger einen Platz im Gedränge der Höflinge gefunden. Aber der Herr handelt nicht so. Der König der Könige verstößt seine Veteranen und seine alten Hofleute nicht, sondern erfreut sie mit besonderen Gunstbezeugungen. Wir haben ein Sprichwort, dass alter Wein und alte Freunde die besten sind, und wahrlich, wir brauchen nicht weit umher zu blicken, um zu sehen, dass die alten Heiligen oft am höchsten von dem Herrn geschätzt werden. Er verließ Abraham nicht, als er hochbetagt war, noch Isaak, als er blind war, noch Jakob, da er „sich gegen seines Zepters Spitze neigte.“
Wer unter uns würde einen alten Diener hinausstoßen? Einige Geizhälse, die kein Gefühl der Scham haben, mögen so tun, aber sie sind eine Schande ihres Geschlechts. Ich weiß, mein Herr und Meister wird nie handeln, wie sie, denn er ist die Liebe und seine Barmherzigkeit währet ewiglich. Wenn er uns in der Jugend und im mittleren Alter gesegnet hat, wird er seinen Weg nicht ändern und uns verlassen, wenn unsere Kräfte schwinden. Nein, gelobt sei sein Name, um den Abend wird es licht sein, und er wird sich freundlicher denn je gegen uns erzeigen, denn er hat gesprochen: „Ja, ich will euch tragen bis ins Alter, und bis ihr grau werdet. Ich will es tun, ich will heben und tragen und erretten.“
Nein, meine Brüder, Jesus wird keinen alten Barsillai vergessen, und auch, wenn Andre uns, wie den Petrus, gürten sollten und führen, wohin wir nicht wollen, wird er sein Angesicht nicht von uns wenden, sondern uns bis ans Ende lieben.
Wie, Brüder, wenn der Herr uns zu verstoßen meinte, würde er das nicht schon lange getan haben? Wenn er eine Gelegenheit wünschte, um uns aus seinem Dienst zu entlassen, hat er nicht deren viele gehabt? Mein Herr hat Gründe genug gehabt, mich hundertmal fortzuschicken, wenn er dazu Willens gewesen wäre. Er hat nicht all' diese Jahre gewartet, um zuletzt einen Streit mit euch anzufangen, des bin ich gewiss, denn er hätte euch gerechterweise schon vor Jahren aus seinem Hause entfernen können. Wenn er gewillt gewesen wäre, euch zu verderben, hätte er euch solche Dinge gezeigt, wie er es getan hat? Wenn er Willens gewesen, euch zu verlassen, würde er euch nicht vor zwanzig Jahren in eurer Noth verlassen haben? Er hat soviel Geduld und Mühe an euch gewandt, dass er sicher beabsichtigt, es nun mit euch durchzuführen. Warum sollte er nicht? Hat er zu bauen begonnen und ist nicht fähig, zu vollenden? Zitternder Freund, denke, dass dein Schiff siebzig Jahre auf dem Ocean des Lebens gelenkt worden ist und gewiss, du kannst dem Herrn zutrauen, dass er es für die wenigen übrigen Jahre noch steuern wird. Sagtest du, du seiest beinahe achtzig, und zweifelst du noch an deinem Gott? Wie lange erwartest du, zu leben? Noch zehn Jahre? Kannst du ihm die nicht anvertrauen? Wie, aller Wahrscheinlichkeit nach wirst du hier nicht einmal so lange sein, und da der Herr so lange gut gegen dich gewesen ist, zweifelst du jetzt an ihm? O, tue es nicht. Es ist beinahe Samstag Abend, das Werk der Woche ist fast getan und du wirst bald den ewigen Sabbat feiern; kannst du dich nicht auf deinen Gott verlassen, bis der Tag anbricht und die Schatten fliehen? „Ah,“ sagst du, „du bist nur ein junger Mann, du hast gut sprechen.“ Ich weiß es; ich weiß es und doch glaube ich, ich werde dann im Stande sein, zu sagen: „Er, der mich von Jugend auf gelehrt und mich bis auf diesen Tag erhalten hat, wird mich nicht verlassen.“ O, mein Bruder, wenn du auch im Gebet ausgerufen hast: „O Gott, verlass mich nicht,“ sinke nicht so tief, dass du dir einbildest, er könnte dich verlassen, denn das hieße, seinem königlichen Worte zu misstrauen, in welchem er sagt: „Ich will dich nicht verlassen, noch versäumen.“
Unser letzter Punkt ist dieser: sein Wunsch oder ein gutes Ende. „Verlass mich nicht, bis ich deinen Arm verkündige Kindeskindern, und deine Kraft allen, die noch kommen sollen.“ Er hatte seines Lebens Zeit damit zugebracht, Gottes Evangelium zu verkünden, aber er wollte es noch einmal tun. Greise Heilige hören nicht gern mit tätigem Dienst auf. Viele sind gleich dem alten Johannes Newton, der, als er zu schwach war, die Kanzeltreppe hinauf zu steigen, auf seinen Platz sich tragen ließ und fortfuhr, zu predigen. Seine Freunde sagten: „Wirklich, Sie sind so schwach, Sie sollten es aufgeben,“ aber er sagte: „Was? Soll der alte Afrikanische Lästerer je aufhören, die Gnade seines Meisters zu predigen, so lange noch Odem in seinem Körper ist? Nein, niemals.“ Es ist schwerer , aufzuhören, als fortzufahren, denn die Liebe Christi dränget uns noch stets und brennt mit junger Flamme in einem alten Herzen. So sehnt sich hier der fromme Mann, noch einmal Gottes Kraft zu verkünden. Ich meine, ich höre Jemanden zu dem alten Manne sagen: „Du bist nicht geeignet, Gottes Kraft zu verkünden, denn deine Kraft hat mit den Jahren abgenommen.“ Aber solche Rede würde töricht sein, denn Der, welcher keine eigene Kraft hat, ist gerade der Rechte, um Gottes Kraft zu verkünden. Es ist nichts Geringes, in einer Lage zu sein, in der man viel Hilfe braucht und deshalb bereit ist, sie zu empfangen und befähigt, darzutun, wie Großes die göttliche Macht vollbringen kann. Mein greiser Freund, deine Schwachheit wird als Folie dienen, um den Glanz der göttlichen Kraft darauf erscheinen zu lassen. Der „beredte Greis“ fühlt, wenn er noch ein Zeugnis mehr ablegte, so würde Jeder wissen, es sei nicht die Kraft seines natürlichen Geistes oder seine gute jugendliche Constitution, die ihn aufrecht hielte. Wenn er für seinen Schöpfer spräche, so würden Alle sagen: „Dieser schwache alte Mann, der so kühn für seinen Herrn zeugte, ist selber das Beste aller Zeugnisse für die Macht der göttlichen Gnade, denn wir sehen, wie sie ihn stärkt.“
Überdies dachte er, wenn er für seinen Herrn zeugte, so würden die jungen Leute die Kraft der göttlichen Gnade sehen, die so viele Jahre überdauern könnte; sie würden sehen, dass viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und die Fluten sie nicht ertränken könnten; sie würden die Kraft der vergebenden Barmherzigkeit Gottes sehen, die so lange Zeit seine Sünden ausgetilgt hatte und die Macht der Treue Gottes, die gegen seinen Diener sich gleich blieb, bis ans Ende. Um all' dieser Gründe willen wünschte er sehnlich, noch Ein Zeugnis mehr abzulegen.
Und bemerkt ihr die Versammlung, vor welcher er zu reden wünschte? Er wollte zeugen vor dem Geschlecht, das um ihn herum aufwuchs (Im Engl: „bis ich deinen Arm verkünde diesem Geschlecht.“ A. d. U.). Er wünschte, Gottes Kraft seinen Nachbarn kund zu tun und ihren Kindern, so dass das Licht auch zu künftigen Geschlechtern hinüber geleitet würde. Dies sollte Allen, die vom Schauplatz der Tätigkeit abtreten, am Herzen liegen; sie sollten an diejenigen denken, die nach ihnen kommen werden und für sie beten und ihnen helfen. Die Gedanken eines Greises sollten auf die geistlichen Vermächtnisse gerichtet sein, die er hinterlassen will; und wie der alte Jakob sich „stark machte,“ und dann seinen Segen seinen Söhnen erteilte, so sollte der ehrwürdige Gläubige Segnungen austeilen. Dein Werk ist beinah getan, es bleibt dir nur noch übrig, ein Denkmal zu hinterlassen, bei dem man sich deiner erinnert. Marmor und Erz werden vergehen, aber die Wahrheit wird bleiben; errichte einen Denkstein von treuen Zeugnissen. Nicht lange mehr wirst du unter den Menschenkindern dich bewegen; dein Sitz wird leer sein und der Ort, der dich heute kennt, wird „dich nicht mehr kennen;“ gib den seligen Schatz des Evangeliums denn weiter. Du stirbst, aber Gottes Sache darf nicht sterben. Sprich jetzt, so dass, wenn du gegangen bist, es von dir gesagt werden möge, „er redet noch, wiewohl er gestorben ist.“ Rufe deine Kinder und Kindeskinder zusammen und sage ihnen, was für einem guten Gott du gedient hast; oder wenn du keine solche Lieben hast, sprich zu deinen Nachbarn und deinen Freunden, oder schreib' es nieder, dass andere Augen es lesen mögen, wenn deine im Tode gebrochen sind. Strecke deine Hand aus nach den zukünftigen Zeitaltern und bringe ihnen dar die köstliche Perle. Bitte Gott, dich fähig zu machen, dein Zeichen auf das kommende Geschlecht zu setzen und dann versuche, die Jugend für Jesum zu gewinnen durch ein heiteres, kühnes, rückhaltloses Zeugnis für seine Liebe und Macht. Willig zu gehen sollten wir Alle sein, aber wir sollten kaum unser Abscheiden wünschen, ehe wir die Sache Gottes für die kommende Zeit gesichert sehen. Wenn noch eine Seele mehr zu retten, ein Herz mehr zu trösten ist, ein Kleinod mehr für des Erlösers Krone zu gewinnen, so wirst du sagen, lieber Freund, des bin ich gewiss: „Lass mich warten, bis mein volles Tageswerk getan ist.“
„Selig, wenn mit dem letzten Hauch
Ich deinen Namen flüstern kann,
Dich Allen pred'gen und im Tode auch
Noch sprechen: Seht, Gottes Lamm.“
Mit dem letzten praktischen Gedanken sende ich meine greisen Brüder und Schwestern hinweg, und bitte sie, Sorge zu tragen, dass ihre Abendzeit glühe von dem besonderen Lichte ihres reichlichen fruchtbringenden Zeugnisses. Ich möchte des Herrn Veteranen auffordern, Taten noch größerer Tapferkeit zu tun. Wenn du, gleich David, den Löwen und den Bären und den Philister geschlagen hast, da du jung warst, auf, Mann, und tue eine andere kühne Tat, denn der Herr lebt noch und sein Volk hat dich nötig. Obgleich deine Gelenke etwas rostig sind und deine Glieder dich kaum aufs Schlachtfeld tragen können, so hinke doch zum Kampf, denn auch die Lahmen werden rauben. (Jes. 33, 23.) Der, welcher dir half, da du nur ein Jüngling und „bräunlich“ warst, wird dir jetzt helfen, obgleich du alt und schwach bist, und wer weiß, was du noch tun kannst! Eins der schönsten und rührendsten Gemälde, das ich je sah, war das Bild des alten Dandalo, des Dogen von Venedig, der einen Angriff zur See auf die Feinde der Republik leitete. Er war weit über das gewöhnliche Alter der Menschen hinaus, und blind, und doch, als die Anstrengungen Anderer sein Land nicht retten konnten, ward er der Anführer und war der Erste, der die feindlichen Schiffe enterte. Die jungen Männer fühlten, dass sie nicht zurück bleiben konnten, als sie den Heldenmut des blinden, graubärtigen Mannes sahen. Sein tapferes Beispiel schien ihnen zu sagen: „Soldaten von Venedig, wollt ihr je den Rücken wenden?“ und die Antwort war der Herausforderung würdig. O, meine Brüder, die ich ehre, die ihr ehrwürdig seid um eurer Jahre willen, zeigt uns euren Mut. Lasst die Jungen sehen, wie Siege gewonnen werden. Benehmt euch männlich, und lasst uns sehen, wie der, welcher im Blute Jesu gewaschen ist, nicht anstehen würde, sein eigenes Blut in des Erlösers Sache zu vergießen. Euer Eifer wird uns anspornen, euer Mut. wird uns stählen, und auch wir werden tapfer für den Gott Israels streiten. Möge der Heilige Geist so in euch und in uns wirken. Amen.