Spurgeon, Charles Haddon - Nach der Verheißung - Wessen sind die Verheißungen?

Der Herr ist stets gerecht und gut gegen seine Geschöpfe; es ist das seine Natur. Aber weder in seiner Gerechtigkeit noch in seiner Güte war eine Notwendigkeit dafür vorhanden, dass Er denen, die sich wider Ihn empört, Verheißungen der Gnade gäbe. Der Mensch hatte jeden Anspruch an seinen Schöpfer, den er zu haben meinen konnte, verwirkt, denn er hatte das reine und heilige Gesetz gebrochen, dem zu gehorchen er verpflichtet war. Nichts gebührt jetzt dem Menschen, als die Strafe für seine Sünde. Wenn Gott gegenwärtig mit dem Menschen nach strenger Gerechtigkeit handelt, so muss Er ihn verurteilen und bestrafen. Jedwede Gunstbezeugung gegen ein schuldiges Geschöpf kann nur von der unverdienten Barmherzigkeit und unumschränkten Güte Gottes ausgehen: sie muss aus dem freien Willen und Wohlgefallen des Höchsten entspringen. Die Verheißungen. der Gnade fließen aus der grenzenlosen Liebe Gottes, und allein aus dieser. Sie hätten aus keiner andern Quelle hervorgehen können. Kein einziger aus dem Menschengeschlecht hat von Natur ein Recht auf Segensverheißungen, und ebenso wenig kann die ganze Menschenwelt sie verdienen. Gott hat den Menschen die Verheißungen gegeben nach seinem eignen freien Willen und Wohlgefallen, aus keinem andern Beweggrunde, als der Liebe, die in Ihm selber liegt.

Es hat Ihm gefallen, seine Verheißungen Auserwählten zu geben, die im Laufe der Zeit daran, dass sie Glauben an Ihn haben, erkannt werden. Die, welche Gott erwählt hat, werden durch den Heiligen Geist dahin geführt, Gott und seinen Weg der Errettung durch den Glauben an Christum Jesum zu erwählen. Diejenigen der Erwählten, welche zu den Jahren der Vernunft gelangen, werden zum Glauben an Jesum geführt; und alle, die Glauben an Ihn haben, können daraus den zweifellosen Schluss ziehen, dass sie zu der erwählten Zahl gehören, der die Verheißungen gegeben sind. Für die, welche im Unglauben leben und sterben, gibt es keine unbedingte und persönliche Verheißung Gottes: sie sind nicht unter der Gnade, sondern unter dem Gesetz, und ihnen gehören die Drohungen und nicht die Verheißungen. Sie ziehen eine andre Behandlungsweise der der gnädigen Verheißung vor, und das Ergebnis ihrer törichten Vorliebe ist, dass sie schließlich zu Grunde gehen. Die Erwählten des Herrn werden dahin geführt, dass sie den stolzen Weg des eignen Ichs und des Verdienstes verlassen sie schlagen den Weg des Glaubens ein und finden so Ruhe für ihre Seelen. Das Wort Gottes glauben und Ihm vertrauen, den Gott als unsern Heiland gesandt hat, mag ein Geringes zu sein scheinen, aber in Wahrheit ist es das nicht: es ist das Zeichen der Erwählung, das Merkmal der Wiedergeburt, das Kennzeichen der künftigen Herrlichkeit. So an Gottes Wahrhaftigkeit glauben, dass wir in unsren ewigen Angelegenheiten uns auf seine Verheißung verlassen, zeigt ein mit Gott versöhntes Herz, einen Geist, in dem der Keim zu vollkommener Heiligkeit sich findet.

Wenn wir Gott, wie Er in Christo Jesu geoffenbart ist, glauben, so glauben wir alle seine Verheißungen. Vertrauen auf jemanden, schließt Vertrauen auf alles, was er spricht, ein: deshalb nehmen wir alle Verheißungen Gottes als sicher und gewiss an. Wir trauen nicht einer Verheißung und bezweifeln eine andre, sondern wir verlassen uns auf jede als wahr, und wir glauben, dass sie für uns wahr ist, soweit sie auf unsre Lage und Umstände Bezug hat. Wir folgern aus den allgemeinen Aussagen die besondere Anwendung. Der, welcher gesagt hat, dass Er die, welche an Ihn glauben, erretten will, wird mich erretten, weil ich an Ihn glaube; und jeden Segen, den Er Gläubigen zu verleihen versprochen, wird Er mir als einem Gläubigen verleihen. Dies ist eine vernünftige Beweisführung, und dadurch rechtfertigen wir den Glauben, durch den wir leben und dessen wir uns getrösten. Nicht, weil ich etwas verdiene, sondern weil Gott es mir in Christo Jesu aus freien Stücken verheißen hat, werde ich es empfangen: das ist die Ursache und der Grund unsrer Hoffnung.

Man wundert sich auf den ersten Blick, dass nicht alle Menschen Gott glauben. Es möchte scheinen, als wenn dies Merkmal göttlicher Erwählung überall anwesend sein sollte; denn Gott kann nicht lügen, und es ist kein Grund da für den Argwohn, dass Er sich ändern könne oder nicht imstande wäre, sein Wort zu halten. Aber so falsch ist das Herz des Menschen, dass es an seinem Schöpfer zweifelt. Er hasst seinen Gott und glaubt Ihm deshalb nicht. Es ist der sicherste Beweis von der natürlichen Feindschaft des Menschen gegen Gott, dass er es wagt, Einem, der die Wahrheit selber ist, Falschheit beizumessen. „Wer Gott nicht glaubt, der macht Ihn zum Lügner, denn er glaubt nicht dem Zeugnis, das Gott zeuget von seinem Sohne.“ (1 Joh. 5, 10.)

Wirkliches, praktisches Vertrauen auf den lebendigen Gott, leicht wie es zu sein scheint, ist eine Tugend, die ein unerneuertes Herz niemals geübt hat. Die herrliche, von dem menschgewordenen Sohne Gottes vollbrachte Versöhnung ist des Vertrauens der ganzen Menschheit würdig! Man sollte gedacht haben, dass jeder Sünder sofort in diesem reinigenden Born sich waschen und ohne Zaudern an den göttlichen Erlöser glauben würde: aber es verhält sich nicht im entferntesten so. Die Menschen wollen nicht zu Christo kommen, dass sie das Leben haben mögen. Sie wollen lieber auf alles andre vertrauen, als auf das Opfer Jesu. Nicht eher, als bis der Heilige Geist ein Wunder an einem Menschen tut, wird er seine Zuversicht auf das große Opfer sehen, das Gott für die Tilgung unsrer Schuld zuvor versehen und angenommen hat. Daher kommt es, dass diese einfache, alltägliche Sache des Glaubens dennoch das unterscheidende Merkmal der Erwählten des Herrn wird. Kein andres Zeichen ist so unfehlbar: Wer an Ihn glaubt, der hat das ewige Leben.“ Gefühle und Handlungen mögen alle als Beweise dienen; aber der Hauptbeweis eines Anteils an der Verheißung Gottes ist der Glaube an Ihn. „Abraham hat Gott geglaubt, und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet“; es gab viele andre gute Züge in des Patriarchen Charakter, aber dies war der entscheidende, er glaubte Gott; in der Tat, dies war die Wurzel von allem andern, was lobenswert in ihm war.

Weltlich weise Menschen verachten den Glauben und stellen ihn in Gegensatz zu tugendhaftem Handeln; aber diese Gegenüberstellung entspricht nicht der Billigkeit: man könnte eben sowohl eine Quelle in Gegensatz zu ihrem Strom stellen, oder die Sonne zu ihrer eignen Hitze. Wenn wahrer Glaube die Mutter der Heiligkeit ist, so sollte auch die Muttergnade um ihres Sprösslings willen gepriesen und nicht zu demselben in Gegensatz gestellt werden. Solche unbillige Schlussfolgerungen rühren von leichtfertiger Bosheit her: liebten die Menschen gute Werke so sehr, wie sie vorgeben, so würden sie den Glauben lieben, der sie erzeugt.

Gott liebt den Glauben, weil dieser Ihn ehrt, und auch, weil er zu Taten des Gehorsams gegen Ihn führt, welcher Gehorsam die Liebe zu unsern Mitmenschen einschließt. Es ist mehr in dem Glauben enthalten, als ins Auge fällt. Er ist in einer Hinsicht das größte aller guten Werke, wie unser Herr Jesus es uns auch lehrt. Die Juden sprachen zu Ihm (Joh. 6, 28. 29): „Was sollen wir tun, dass wir Gottes Werke wirken?“ Sie wollten gern göttliche Werke vollbringen, Werke, die mehr als alle andern vom Herrn gebilligt würden. Jesus antwortete ihnen: „Das ist Gottes Werk, dass ihr an den glaubt, den Er gesandt hat.“ Als wollte Er sagen: Als wollte Er sagen: Das von Gott am meisten gebilligte Werk, das ihr tun könnt, ist, an den Messias zu glauben. Auf den Herrn Jesum vertrauen, ist die höchste Tugend. Stolze Leute mögen hohnlächeln, aber diese Behauptung ist wahr. „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott gefallen,“ aber: „wer an Ihn glaubt, der wird nicht gerichtet.“ Die Verheißung ist dem gegeben, der ihr glaubt, und ihm wird sie erfüllt werden. Wer die Verheißung umfasst, der wird von der Verheißung umfasst. Wer Christum annimmt, der ist in Christo angenommen. Wer wahrhaft glaubt, ist sicherlich errettet.

Leser, glaubst du deinem Gott?