„Vor dir aber wird man sich freuen, wie man sich freuet in der Ernte.“
Jes. 9,3.
Vor einigen Tagen wohnte ich einem Erntefest bei. Es war eine Lust zu sehen, wie Reiche und Arme sich mit einander freuten, und als das fröhliche Mahl vorüber war, sah ich es gerne, als man einen Tisch zu einer Kanzel herrichtete, von welcher ich den andächtigen Zuhörern das Evangelium predigte. So wie mein Herz sich damals freute, wollen wir uns heute ein wenig an der Erntefreude ergötzen. Die Leute in London denken nicht an die Ernte; in dieser Wüste von Ziegeln wissen Viele kaum, was eine Weizenähre ist; aber lasst uns dessen ungeachtet bedenken, dass es eine Zeit der Ernte gibt, in welcher die reichen Gottesgaben eingeheimst werden.
Was ist die Erntefreude, welche hier als ein Bild der Freude der Heiligen vor dem Höchsten gebraucht wird? Ich befürchte, dass bei vielen selbstsüchtigen Leuten die Erntefreude darin besteht, dass sie ihre irdischen Güter mehren. Manchmal freut sich der Landmann nur über den Lohn seiner Arbeit, und dass er nun wieder so viel reicher geworden ist. Ich hoffe aber, dass sich bei Vielen noch ein anderer Grund der Freude findet, nämlich herzliche Dankbarkeit gegen den Geber aller guten Gaben. Die Erntefreude über den gewonnenen Segen ist gewiss berechtigt, denn irgend Jemand, der hart arbeitet, hat auch ein Recht sich seines Lohnes zu freuen. Es wäre gut, wenn die Menschen immer bedenken würden, dass ihre letzte und größte Ernte im Verhältnis zu ihrer Arbeit steht. Wer auf das Fleisch sät, wird von dem Fleische das Verderben ernten, wer aber auf den Geist sät, wird vom Geiste das ewige Leben ernten. Mancher Jüngling fängt damit an, dass er, wie er es nennt, seinen wilden Hafer sät, aber diese Aussaat wird ihm eine schreckliche Ernte bringen. Er erwartet, von diesem wilden Hafer wahre Freuden zu ernten; aber wie kann das sein? Die reinsten Freuden erntet der Mensch von der Aussaat der Gerechtigkeit und nicht von dem Wermut der Sünde. Wer Distelsamen in seine Furchen streut, darf nicht goldenen Weizen zu ernten hoffen, und wer den Wegen der Sünde folgt, darf kein Glück erwarten. Wer den Wind sät, wird Sturm ernten. Wenn ein Sünder die Qual seines Gewissens fühlt, so mag er sich sagen: „Das ists, was ich gesät habe.“ Wenn er zuletzt gestraft wird, so darf er Niemand als sich selbst beschuldigen. Er säte Unkraut, nun erntet er Unkraut. Im Gegenteil erntet der Christ, obwohl seine Seligkeit nicht aus Verdienst der Werke, sondern aus Gnaden ist, ewige Freuden. Die mit Tränen säen werden mit Freuden ernten. Er hat mit seinem Pfund gewuchert, und wenn er nun vor seinen Herrn tritt, wird derselbe zu ihm sagen: „Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenig getreu gewesen, ich will dich über viel setzen; gehe ein zu deines Herrn Freude.“
Die Erntefreude hat noch einen andern Grund, nämlich die Dankbarkeit gegen den Geber aller guten Gaben. Wir sind so ganz von Gott abhängig, viel mehr als die meisten von uns denken. Die Kinder Israels in der Wüste gingen jeden Morgen aus, Manna zu sammeln. Unser Manna kommt nicht jeden Morgen, sondern einmal jedes Jahr. Es ist sowohl eine Himmelsgabe, als wenn es wie Reif um unser Lager herum läge. Wenn wir hinaus gingen und im Felde Brot aufläsen, welches aus den Wolken gefallen wäre, so würden wir das für ein großes Wunder ansehen. Aber ist es nicht eben so wunderbar, dass uns Brot aus der Erde wächst, als wenn es aus den Wolken fiele? Derselbe Gott, welcher den Wolken gebot, Manna zu regnen, gebietet der Erde, Getreide für die Menschen zu tragen. Darum lasst uns zur Zeit der Ernte besonders dankbar sein für die Gaben Gottes und dieselben nicht ohne die innigsten Lobgesänge vorüber gehen lassen. Ich glaube ich schätze richtig, wenn ich sage, dass niemals für länger als etwa sechzehn Monate Getreidevorrat auf Erden sich befindet; d. h. wenn die Ernte vorüber ist, so mögen die Menschen sich eines Brotvorrats für sechzehn Monate erfreuen; vor der Ernte mag der Vorrat nur auf vier oder fünf Monate reichen, und wenn die Ernte nicht käme, so ständen wir an den Grenzen einer Hungersnot. Wir leben deshalb von der Hand zum Munde. Lasst uns deshalb bedenken, wie viel Dank wir dem Herrn schulden und uns seiner Güte freuen.
Dem Christen sollte es ein großer Trost sein, dass er in der neuen Ernte ein neues Zeichen der göttlichen Treue sieht. Der Herr hat verheißen, dass Sommer und Winter, Saat und Ernte nicht aufhören sollen, und wenn er daher den schwerbeladenen Erntewagen heimkehren sieht, so spricht er: „Der Herr ist treu und hält, was er verspricht.“ Trotz des trüben Winters und des nassen Frühlings kommt der Herbst mit goldenen Erntefreuden. Verlasst euch darauf, so wie der Herr diese Verheißung erfüllt, so erfüllt er alle andern. Alle Verheißungen sind Ja und Amen in Christo; wenn er seinen Bund mit der Erde hält, wie vielmehr wird er den Bund halten, den er mit seinem Volk, welches er mit ewiger Liebe trägt, gemacht hat! Gehe hin, o Christ, zum Gnadenthron und halte dem Herrn seine Verheißung vor. Sei versichert es ist kein toter Buchstabe. Lass dich den Unglauben nicht bewegen zu stammeln, wenn du die Verheißung vor Gottes Thron bringst, sondern sage dreist: „Erfülle dieses Wort der Verheißung deinem Diener, worauf du mich zu hoffen angewiesen hast.“ Schande über uns, dass wir so wenig Glauben haben vor dem Herrn. Die Welt ist voller Beweise seiner Güte. Jede aufgehende Sonne, jeder Regenguss, jeder Wechsel der Jahreszeiten verkündigt seine Treue. Warum sollten wir an seinem Worte zweifeln? Wenn wir nie wieder zweifeln, bis wir Veranlassung dazu haben, so werden wir nie und niemals wieder Zweifel hegen. Bei der wiederkehrenden Ernte, diesem Zeichen seiner Güte und Treue, lasst uns den festen Entschluss fassen, seinem Worte zu glauben und uns in demselben zu erfreuen.
Für den Christen mischt sich in die Freude der Ernte immer die Freude der Erwartung. So wie dem Ackermann die erwartete Ernte endlich kommt, so wird auch Allen, welche im Glauben warten auf die Zukunft unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die herrliche Erntezeit endlich kommen. Der gereifte Christ, wie eine reife Ähre, hängt sein Haupt mit heiliger Demut. Als er in den Wegen des Herrn sozusagen noch „grün“ war, stand er aufrecht und fast herausfordernd da, nun aber, überhäuft mit Segnungen, ist er demütig geworden und beugt sich; er wartet auf den Schnitter, aber er fürchtet sich nicht; denn der Herr wird selbst kommen und die Seinigen sammeln in die Scheunen des Himmels. Das Unkraut lässt er sammeln und ins Feuer werfen, aber den Samen, welchen er selbst gesät hat, wird er selbst schneiden und ernten. Darauf warten wir. Wir wachsen mitten unter dem Unkraut, und uns wird manchmal bange, die Dornen möchten uns zu stark werden und den Weizen ersticken; bald aber wird der Herr seine Tenne fegen und den Weizen in seine Scheune sammeln. Diese Erwartung lässt unsere Herzen hüpfen vor Freude. Wir sind teuren Gatten zum Grabe gefolgt, und wir meinten, wir möchten sagen: „Herr, schläft er, so wird es besser mit ihm. Lass uns mit ihm sterben.“ Unsere Erntefreude ist, zur Ruhe zu kommen mit allen Heiligen und ewig daheim zu sein bei dem Herrn. So bildet uns die Ernte auf Erden die ewige Ernte droben im Vaterhause ab.
Zum andern: Wann freuet sich der Gläubige vor dem Herrn, wie man sich freuet in der Ernte? Die gewöhnliche Meinung ist, dass Christen unglückliche Leute seien. Es ist wahr, wir werden geprüft, aber es ist nicht wahr, dass wir unglücklich sind. In allen Prüfungen haben die Gläubigen einen solchen Ersatz in der Liebe Jesu, dass sie ein gesegnetes Volk sind, und wohl kann von ihnen gesagt werden: „Israel, wer ist dir gleich?“
Eine der herrlichen Zeiten, in welcher wir uns freuten, wie man sich freuet in der Ernte - eine Freude, welche bisher nicht aufgehört hat - war die, als wir den Heiland fanden und in ihm selig wurden. Ihr erinnert euch, Brüder und Schwestern, der Zeit eurer Erweckung. Mein Herz war öde und bedeckt mit Unkraut. Aber eines Tages kam der große Ackermann und fing an, meine Seele zu pflügen. Zehn schwarze Pferde zogen den scharfen Pflug, womit er tiefe Furchen schnitt. Die zehn Gebote waren diese Pferde, und die Gerechtigkeit des Herrn, einer scharfen Pflugschar gleich, schnitt tief in meine Seele. Ich fühlte mich verurteilt, gerichtet, verloren, hilflos, hoffnungslos ich meinte die Hölle vor mir zu sehen. Dann kam eine Zeit des „Kreuzpflügens,“ denn das Evangelium, das ich hörte, tröstete mich nicht. Es ließ mich den Wunsch hegen, Teil an dieser Gnade zu haben, aber ich fürchtete, dass solche Segnungen außer meinem Bereich seien. Die schönsten Verheißungen Gottes blickten düster auf mich herab, und seine Drohungen donnerten mir entgegen. Ich betete, aber es kam keine Friedensantwort. So blieb es lange Zeit. Nach dem Pflügen kam das Säen. Der Herr ließ das Herz empfinden, wie nötig es das Evangelium habe, und dasselbe wurde deshalb mit Freuden aufgenommen. Erinnert ihr euch noch des denkwürdigen Tages, als ihr endlich zu hoffen anfinget? Es war nur gering - wie ein grünes Hälmchen, das soeben die Erde durchbricht; ihr konntet es kaum unterscheiden, ob es Gras oder Korn, Einbildung oder Glaube war. Es war eine kleine Hoffnung, aber sie wuchs schön voran. Aber bald kam ein Frost des Zweifels, ein Schneesturm der Furcht; kalte Winde der Niedergeschlagenheit brausten, und ihr sprachet: „Für mich ist keine Hoffnung.“ Aber was für eine herrliche Zeit war das, als endlich der Weizen, den der Herr gesät hatte, reifte, und ihr sagen konntet: „Ich habe ihn angeschauet und bin genesen; ich habe meine Sünden auf Jesum gelegt, welcher sie getragen hat; sie sind verschwunden, und ich bin gerettet.“ Ich erinnere mich des Tages genau, und so tuen Viele von euch. Kein Schnitter jauchzte je vor Freuden, wie unsere Herzen jubelten, als der teure Heiland unser Teil geworden, und wir ihn in dem vollen Bewusstsein unserer Seligkeit erfassen konnten. Viele Tage sind seit jener Zeit vergangen, aber die Freude ist noch frisch in uns. Gelobt sei Gott, dass diese Freude in uns bleibet. Alle unsere Hoffnung, alle unsere Hilfe kommt von dem Herrn, und sie wird nicht von uns genommen, denn sie ist auf den Felsen der Ewigkeit gegründet. Wir freuen uns in dem Herrn allewege.
Die Erntefreude zeigt sich häufig in einer Festlichkeit, welche der Landmann seinen Freunden und Nachbarn veranstaltet; und so erzählen auch Diejenigen, welche den Heiland gefunden, ihren Nachbarn und Freunden, welche große Dinge der Herr an ihnen getan hat. Die Gnade Gottes ist mitteilend. Es kann Jemand, der wahrhaft bekehrt ist, nicht darüber schweigen. Man könnte ebenso wohl von einem stummen Chor im Himmel, als von einer stummen Kirche auf Erden sprechen. Wenn ein Durstiger zu einem klaren Quell kommt und trinket, so ist sein erster Gedanke: „Kommt her, Alle, die ihr durstig seid!“ Fühlt ihr die Erntefreude, die Freude, welche euch wünschen lässt, dass Andere derselben teilhaftig werden möchten? Wenn so, dann macht eure Freude kund. Redet von Jesu zu euren Brüdern und Schwestern, Freunden und Anverwandten, und wenn es auch stammelnd geschieht; die Botschaft an sich ist von solcher Bedeutung, dass es nicht so viel auf die Worte ankommt, Verkündigt es, verkündigt es weit und breit, dass es einen Heiland gibt, dass ihr ihn gefunden habt, und dass sein Blut die Missetat wegnehmen kann. Sagt es überall, damit die Erntefreude überall erschalle und Gott verherrlicht werde.
Wir haben eine andere Freude, welche der Erntefreude gleicht: es ist die der Gebetserhörungen. Ich hoffe ihr wisst, was es heißt, im Glauben zu beten. Manche Gebete sind der Worte, in welchen sie gesprochen werden, nicht wert, denn es ist kein Glaube darin. „Jegliches Opfer soll mit Salz gesalzet sein,“ und das Salz des Glaubens ist erforderlich, wenn unser Opfer Annahme finden soll. Diejenigen, welche bekannt sind mit dem Gnadenthron, wissen, dass Gebetserhörungen keine Einbildung sind. Manchmal zögert der Herr aus weisen Absichten, dann müssen seine Kinder rufen und wieder rufen. Gedenkt an Hanna. In tiefem Seelenschmerz rief sie zu dem Herrn, und als ihr ein Sohn geschenkt war, hieß sie ihn Samuel, d. h. von Gott erbeten. Er war ihr teuer, denn er war eine Frucht ihres Gebets. Ade Gnade, welche ihr erlanget in Folge eures Gebets, ist für euch Samuels-Gnade, teure Gnade. Ihr sprecht: „Um diese Gnade habe ich gebetet,“ und es ist für euch eine Freude, wie man sich freuet in der Ernte. Wenn der Herr seine Kinder überraschen will, so braucht er nur deren Gebete zu erhören, denn die meisten derselben würden höchst erstaunt sein, wenn sie auf ihr Bitten eine Antwort erhielten. Sie sagen: „Wie merkwürdig! Wie wunderbar!“ Als ob es etwas Merkwürdiges wäre, dass Gott treu ist, und dass der Höchste seine Verheißungen hält. Ach, dass wir nur mehr Glauben hätten an sein Wort, und wir würden mehr Erntefreuden genießen.
Wir freuen uns, wie man sich freuet in der Ernte, wenn wir eine Versuchung überwunden haben. Wir wissen was es heißt, unter einer Wolke sich zu befinden. Die Sünde in uns steigt oft mit verdunkelnder Macht empor, oder von außen legt sich ein Schatten über uns, dass wir den gewohnten Weg verlieren. Zu solcher Zeit wird ein Kind Gottes mächtiglich nach Hilfe schreien, denn es fürchtet sich vor sich selbst und fürchtet sich vor seiner Umgebung. Bisweilen haben Kinder Gottes Wochen ja Monate lang so mit innern und äußeren Feinden zu kämpfen gehabt, und in tiefem Seelenschmerz haben sie mit dem Herrn gerungen im Gebet. Es war ein schwerer Kampf; die Sünde lockte mit ihrem Sirenengesang, der Versucher verstand es den Gegenstand so verlockend zu malen. Als sie aber dann das tiefe Tal durchwandert hatten, ohne zu straucheln mit ihren Füßen; als sie wohlbehalten wieder das helle Tageslicht erblickten, da fühlten sie eine unaussprechliche Freude, eine Freude, gegen welche die Erntefreude ein wahres Kinderspiel ist. Diejenigen kennen wahre Freude, welche durch tiefe Dunkelheiten gegangen sind. Im Kampfe ist man erstarrt, und durch Erfahrung hat der Glaube zugenommen, und es erhebt sich das Herz und freuet sich in dem Herrn, der uns mächtiglich durchgeholfen, wie man sich freuet in der Ernte.
Auch wenn man Anderen nützlich war, so freuet man sich, wie man sich freuet in der Ernte. Das Hauptstreben eines Christen ist, nützlich zu sein. Es sollte in uns ein brennendes Verlangen wohnen, Gott zu verherrlichen. Wenn der Arbeiter, welcher ein Verlangen hat, nützlich zu sein, seine Pläne gemacht und zu arbeiten angefangen hat, so sieht er sich um nach Erfolg; aber sein Wirken mag Wochen, ja wohl Jahre lang ohne Erfolg bleiben. Der Arbeiter ist nicht zu beschuldigen, wenn er keinen Erfolg hat, aber er ist zu beschuldigen, wenn er zufrieden ist, ohne Erfolg zu haben. Ein Prediger mag predigen, ohne dass sich jemand bekehrt, wer will ihn beschuldigen? Aber wenn er dabei zufrieden ist, wer kann ihn entschuldigen? Wenn Andere nicht über ihre Sünden weinen wollen, so ist es unsere Art, für sie zu weinen. Und wenn das Herz ernst, warm und eifrig wird, so gibt der Herr meistens Erfolg, hier fünfzigfältig, dort hundertfältig. Und wenn der Erfolg kommt, das sind Erntefreuden. Ich kann nicht umhin, mich der Freude zu erinnern, welche ich fühlte, als ich das erstemal hörte, dass eine Seele durch meine jugendliche Wirksamkeit war zu Gott bekehrt worden. Ich hatte während einiger Sonntage zu einer wachsenden Versammlung auf einem Dorfe gepredigt, aber von Bekehrung nichts vernommen. Da kam mir der Gedanke: „Vielleicht bin ich nicht von Gott zum Predigen berufen, denn wenn dies der Fall wäre, so würde ich auch Frucht sehen.“ Eines Sonntags sagte mein Vorsteher: „Werden Sie nicht entmutigt. Es ist schon eine arme Frau durch Ihre Wirksamkeit bekehrt worden.“ Kaum hatte der Mann dies gesagt, so war ich auch schon unterwegs nach dem Hüttchen, in welchem diese Frau wohnte, um von ihren eigenen Lippen zu vernehmen, ob es ein wirkliches Gnadenwerk sei. Manche sind seitdem bekehrt worden, aber jenes erste Siegel war mir immer besonders teuer. Es gab mir einen Zug wahrer Erntefreuden. Wenn mir jemand eine Erbschaft hinterlassen hätte, es hätte mir keine solche Freude verursacht, als das Bewusstsein, dass durch mich eine Seele zu Jesu geführt wurde. Ich bin überzeugt, dass Christen, welche dieses Glück nicht kennen, eine der herrlichsten Freuden vermissen, welche den Gläubigen zu Teil werden kann. In der Tat, wenn ich sehe, wie Sünder sich bekehren, so beneide ich weder Gabriel um seinen Thron, noch die Engel um ihre Harfen. Es soll unser Himmel sein noch eine Zeit lang außerhalb des Himmels zu wirken, um Sünder zu Christo zu führen und so neue Sterne in die Krone des Heilandes zu flechten.
Ich nenne noch eine Erntefreude, nämlich die Gemeinschaft mit unserem Herrn und Heiland Jesus Christus. Dieses kann natürlich besser erfahren als geschildert werden. Salomo, der weiseste der Sterblichen, musste seine Zuflucht zu Gleichnissen und Bildern nehmen, als er die Gemeinschaft der Kirche mit Christo zu schildern versuchte, und obwohl das Hohelied gar herrlich ist, so erscheint es doch dem fleischlichen Menschen nur wie ein bloßes Liebesgedicht. Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes - es muss geistlich gerichtet sein. Aber welche Seligkeit, zu wissen, dass Jesus unser Teil ist, und welch Glück, in seiner Gemeinschaft zu leben. Eure Hand in seine Seite, eure Finger in seine Nägelmale zu legen, das sind nicht alltägliche Freuden; aber wenn uns an hohen Weihetagen solche Festfreuden zu Teil werden, so können wir uns über die Welt und Alles, was die Welt gut und groß heißt, hoch emporschwingen. Unser Zustand kümmert uns dann wenig, wenn der Herr nur bei uns ist - er ist unser Gott, unser Trost, unser Alles, und vor ihm freuen wir uns, wie man sich freuet in der Ernte.
Viele von uns sehnen sich nach einer herrlichen Erntefreude. Verschiedene Personen haben mich in letzter Zeit benachrichtigt, dass sie ein sehnliches Verlangen nach der Rettung unsterblicher Seelen haben. Andere von uns fühlen einen geheimnisvollen Trieb, mehr und ernstlicher um die Bekehrung der Sünden zu beten. Wir werden uns nicht zufrieden geben, bis eine durchgreifende Erweckung in diesem Lande stattfindet. Wir haben dieses Gefühl nicht selbst hervorgerufen, und wir wünschen es nicht zu unterdrücken. Andere werden ebenso fühlen und Tag und Nacht zu dem Herrn schreien, bis sein Segen erscheint. Dies ist die Zeit der Saat; o, dass es fortginge bis zur Ernte. Ich sehne mich darnach, meine Brüder und Schwestern, einmütig sagen zu hören: „Wir sind voll Sehnsucht und finden keine Ruhe, bis Seelen gerettet werden.“ Das Wort Rahels: „Schaffe mir Kinder, oder ich sterbe!“ ist das Gebet eures Predigers heute, und das Verlangen von noch tausend Anderen. So lasset uns rufen und beten bis die Ernte kommt, dann werden wir auch die Freude derselben genießen.
Wer wird die größte Freude haben? Diejenigen, welche das größte Verlangen haben. Ihr, die ihr nicht betet im Kämmerlein, noch in die Betstunden kommt, werdet leer ausgehen, wenn die Ernte kommt und die Gemeinde zunimmt. Ihr nahmt nicht Teil am Säen, so werdet ihr auch nicht ernten. Ihr, die ihr mit Niemand redet über sein Seelenheil und euch um die Sonntagschule und Missionssache nicht bekümmert, sondern nur esset das Fette und trinket das Süße, ihr werdet kein Teil haben an der Erntefreude, denn ihr reget eure Hände nicht für Gottes Sache. Und wer sollte wünschen, dass Müßiggänger Freude hätten? Eher fühlten wir uns versucht zu sagen: „Fluchet der Stadt Meros, sprach der Engel des Herrn; fluchet ihren Bürgern, dass sie nicht kamen dem Herrn zur Hilfe, zu Hilfe dem Herrn zu den Helden.“ Wenn ihr euch aber den Geist Gottes bewegen lasst, dem Herrn zu Hilfe zu kommen, so werdet ihr die Freude teilen. Und Niemand genießt vielleicht größere Freude, als Diejenigen, welche das Vorrecht haben werden, teure Angehörigen zum Heilande kommen zu sehen. Manche von euch haben Kinder, welche euch Sorgen verursachen, wo ihr nur an sie denkt; lasst sie euch solche Sorgen machen, die euch zu ernstlichem Gebet für sie veranlassen, und wenn der Segen des Herrn kommt, warumsollten nicht sie davon erfasst werden? Wenn der Herr eine Erweckung sendet, warumsollte sich nicht eure Tochter und jener wilde Knabe, ja selbst euer greiser Vater, der so lange zweifelte und halb ungläubig war, auch noch bekehren? Und welche Erntefreude würde das für euch sein, wenn ihr Diejenigen, in deren Ackern euer eigenes Blut fließt, mit Christo vereinigt sähet! Betet ernstlich und im Glauben für sie, und ihr werdet in eurem eigenen Hause einen Erntejubel feiern, dass die Lobgesänge himmelan erschallen.
Vielleicht, mein lieber Zuhörer, verstehst du nicht viel von dieser Freude, weil du selbst noch nicht bekehrt bist. Es ist aber eine herrliche Sache für eine unbekehrte Person, einen Prediger zu haben, dessen Arbeit Gott segnet, und in einer Gemeinde zu stehen, welche um die Bekehrung der Sünder betet. Es ist ein großer Segen für dich, Jüngling, dass du eine betende Mutter hast. Dass ihr fromme Verwandte habt, das macht uns hoffnungsvoll. Möchte der Herr Jesus noch euer Teil werden. Bleibt ihr aber in eurem Unglauben, und Andere werden der Gnade teilhaftig, so werdet ihr dadurch wahrlich nicht gebessert werden. „Werdet ihr mir gehorchen, so sollt ihr des Landes Gut genießen.“ Aber es sind Manche, die da klagen könnten: „Die Ernte ist vergangen, der Sommer ist dahin, und uns ist keine Hilfe geworden.“ Es ist gesagt worden, dass Diejenigen, welche einer Erweckung beiwohnen und unbekehrt bleiben, nachher verhärteter sind als vorher. Ich glaube, dass dieses sich so verhält, und darum bitte ich den Geist Gottes, in solcher Kraft hernieder zu fahren, dass Niemand von euch seiner Wirkung entgehe. Möchtet ihr beten:
„Herr, ich hör von reichem Segen,
Den du spendest mild und frei;
Geh mit deinem Gnadenregen
Doch auch nicht an mir vorbei.
Gott, mein Vater, hör mein Flehen,
Obs gleich schwach und stammelnd klingt;
Gib, dass deines Odems Wehen
Mich mit Gotteskraft durchdringt!“
Ach, dass alle Gläubigen ernstlich beten wollten! Wenn alle unsere Kirchen bewogen werden könnten, ernstlich Tag und Nacht zu dem Herrn zu schreien und ihm keine Ruhe zu lassen, so würden wir bald das Reich Gottes in Kraft und Herrlichkeit kommen und das Reich des Teufels fallen sehen. So viele nun eurer den Heiland lieb haben, euch beschwöre ich, nicht nachzulassen mit gläubigem Gebet; so viele eurer die Kirche Gottes lieben und ihre Wohlfahrt wünschen, euch möchte ich bitten in dieser Zeit mit Bitten und Flehen vor dem Herrn anzuhalten.