(Der König fährt fort, seine königliche Macht zu entfalten. V. 1-8.)
1. Da trat Er in das Schiff, und fuhr wieder herüber, und kam in seine Stadt.
Viele Male fuhr Er über das Galiläische Meer; aber dieses Mal verließ Er mehr in Traurigkeit als in Zorn ein Volk, das Ihn gebeten hatte, zu weichen. Er hatte Kapernaum zu seiner Stadt gemacht durch die Vorrechte, die Er ihr verliehen. Welch ein Name! „Seine Stadt.“ Es war ihre höchste Ehre, dass Er in ihren Hafen hineinfuhr, er, der der höchste Beherrscher aller Meere war. Doch wies die begünstigte Stadt Ihn ab und erkannte nicht den Tag ihrer Heimsuchung. Möge keiner von uns so begünstigt werden und sich dann so unwürdig zeigen!
2. Und siehe, da brachten sie zu Ihm einen Gichtbrüchigen, der lag auf einem Bett. Da nun Jesus ihren Glauben sah, sprach Er zu dem Gichtbrüchigen: Sei getrost, mein Sohn; deine Sünden sind dir vergeben.
Hier zeigt unser König seine Macht über die Schwachheit. Der Mann ist traurig und gelähmt. Das Gewicht der Sünde ist auf seinem Gewissen, und sein Leib ist in Banden. Doch hat er gute Freunde, die sich zusammentun, und vier von ihnen tragen ihn auf das Dach des Hauses, in dem unser Herr predigt, und lassen ihn in seinem Bett an Stricken hinab. Sie haben Glauben an Jesum, und er auch. Der Herr kommt ihrem Glauben entgegen mit einem ermunternden Worte und nennt den Leidenden „Sohn“. Welch liebliches Wort für jeden jungen Mann, und besonders für einen so schwachen! Seine geistige Not war die schwerste, und unser Herr nahm sie mit einem Worte hinweg. Vielleicht stand die Sünde des Jünglings in Verbindung mit seiner Krankheit, und mit einem königlichen Wort führte Er ihm die Sündenvergebung zu. Diese gab Er zuerst, weil den Kranken danach am meisten verlangte, weil sie das größte Gut ist, weil das Übel, das sie hinwegnahm, die Wurzel jedes anderen ist, und weil Er so seine Majestät enthüllen konnte, und eine Gelegenheit hatte, Gegner zu unterweisen. Wie erhellte sich des Jünglings Gesicht, als er den Trost der Vergebung fühlte! Er konnte noch nicht gehen, aber er fühlte sich glücklicher, als die Zunge aussprechen konnte. „Deine Sünden sind dir vergeben“ ist ein Wort, das nie verfehlt, das traurigste Herz „getrost“ zu machen.
3. Und siehe, etliche unter den Schriftgelehrten sprachen bei sich selbst: Dieser lästert Gott.
Sie waren bange, es auszusprechen, aber sie „sprachen bei sich selbst.“ Jeder dieser Gesetzkundigen hatte ein bitteres Gefühl gegen den Herrn Jesum, und durch ihre Blicke einigten sie sich in der Anklage wider Ihn. Sie nannten Ihn nicht „Mensch“; sie wussten nicht, wie sie Ihn in ihrem Herzen nennen sollten. Sie sagten – „dieser“ – dieser Emporkömmling, dieser Namenlose, dieses seltsame Wesen, das so groß ist, dass wir es fürchten, und so gut, dass wir es hassen. Sie lästerten Ihn durch ihren Unglauben, und doch beschuldigten diese Lästerer den Herrn der Lästerung. Doch, gesetzt, unser Herr wäre nur ein Mensch gewesen, so hätten sie recht gehabt. Sündenvergeben ist nur das alleinige Vorrecht Gottes; wer darf es sich anmaßen?
Ich weiß, dass niemand als Gott vergeben kann; dennoch hat Jesus mir vergeben, und indem Er dies tat, lästerte Er nicht, denn Er ist wahrhaft Gott.
4. Da aber Jesus ihre Gedanken sah, sprach Er: Warum denkt ihr so Arges in euren Herzen?
Er ist der große Gedanken-Leser. Soeben hatten wir den Ausdruck: „Ihren Glauben sehen“, und jetzt lesen wir: „Ihre Gedanken sehen.“ Er legt den Fragenden eine Frage vor. Sein „Warum“ geht auf den Grund der Sache. Wir sind verantwortlich für geheime Gedanken, und der Herr wird uns eines Tages ihretwegen zur Rechenschaft ziehen. Anklagen gegen Jesum sind immer unvernünftig, und wenn man ihnen recht ins Gesicht sieht, werden sie zum Schweigen gebracht. Es wäre gut, wenn viele der Feinde unseres Herrn heutzutage dahin gebracht werden könnten, die Frage zu erwägen: „Warum denkt ihr so Arges in euren Herzen?“ Was ist die Ursache? Was ist der Nutzen davon? Warum nicht damit aufhören?
5. Welches ist leichter zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben; oder zu sagen: Stehe auf, und wandle?
Er beantwortet ihre Gedanken durch eine Frage, die sie nicht beantworten konnten. Gewiss, beides geht in gleichem Maße über die menschliche Kraft hinaus, aber zu sagen: „Dir sind deine Sünden vergeben“ ist dem Anschein nach das Leichtere, weil man nicht erwartet, dass ein klares Ergebnis darauf folge, wodurch die wirkliche Kraft des Wortes erprobt werden kann. Tausende haben vorgegeben, den Menschen Sünden zu vergeben, die nicht gewagt haben würden, einer Krankheit zu gebieten, dass sie verschwinde. Der Unterschied bei dem bloßen sagen ist zu Gunsten des ersten Wortes. Wenn wir beide Wunder vergleichen, so würde es lange dauern, bis wir zu einer Antwort darauf gelangten, welches das leichtere wäre, denn sie sind beide für Menschen unmöglich. In einiger Hinsicht ist die Vergebung der Sünde das größere Werk von den beiden, denn es erfordert alle Gnadenanstalten der Menschwerdung und Versöhnung. Unser Herr tat beide Wunder und bestätigte seinen Anspruch auf Macht durch ein sichtbares Zeichen, das niemand in Frage stellen konnte.
Er, der einer Seele vergeben kann, vermag meinen Leib zu heilen, denn das möchte die leichtere der zwei Taten der Barmherzigkeit sein. Ich kann beide Arten der Krankheit zu Jesu bringen, und Er wird sie behandeln. Herr, heile meinen Geist und heile mein Fleisch! Ja, Du wirst dieses sehr wirksam tun, indem Du meinen Leib auferweckst unverweslich wie Deinen eigenen.
6. Auf dass ihr aber wisset, dass des Menschen Sohn Macht habe auf Erden die Sünden zu vergeben (sprach Er zu dem Gichtbrüchigen): Stehe auf, hebe dein Bett auf, und gehe heim!
Der zweite Teil des Wunders geschah, um diese bekrittelnden Schriftgelehrten zum Schweigen zu bringen. „Auf dass ihr aber wisset.“ Kamen sie je zu diesem Wissen? Die Sache ward sehr klar für sie gemacht, aber sie wollten nicht sehen. Jesus, „des Menschen Sohn“, war noch „auf Erden,“ aber in seinem erniedrigten Zustande hatte Er Gewalt und Macht, Sünden gegen Gott zu vergeben, denn Er war Gott. Er wollte beweisen, dass Er „Macht habe auf Erden,“ indem Er den Gichtbrüchigen heilte. Durch die Ausübung der Macht, die sie für die größere hielten, wollte Er beweisen, dass Er im Besitz der geringeren sei. Er heißt den Mann „aufstehen“ oder sich rühren. Er sagt ferner: „Hebe dein Bett auf,“ oder rolle deine Matratze auf, hebe sie auf deine Schultern und „gehe heim.“ So sollte der gehorsame Patient durch den freien Gebrauch seiner Glieder sich als ganz genesen beweisen. Dies war ein großes Wort; aber ihm, der schon Vergebung von unseres Herrn Lippen empfangen, wurde es nicht schwer, daran zu glauben, und er fand seinen Glauben gerechtfertigt. Wenn die Sünde vergeben ist, so ist nichts unmöglich. Gewisslich folgt daraus, dass, wenn Jesus auf Erden Macht hatte, die Sünden zu vergeben, Er reichlich jetzt vergeben kann, nun wir Ihn als den Sohn Gottes im Himmel thronen sehen.
7. Und er stand auf, und ging heim.
Seine Glieder hatten Kraft empfangen und er tat sogleich, was Jesus ihn hieß. Der Glaube ergriff des Heilandes Gebot und gehorchte demselben. Es war kein Verzug da, keine Abweichung von dem Befehl, kein Fehler in der Vollziehung desselben. Es muss hart geschienen haben, jemand, dem er so viel verdankte, zu verlassen und sogleich sich zurückzuziehen in sein „Heim“, aber er tat, was ihm befohlen, und ist darin ein Beispiel für uns alle. Er ging nicht zum Tempel mit dem Pharisäer, noch zum Theater mit dem Weltmenschen; er ging heim. Seine Krankheit hatte das Haus traurig gemacht, und nun erfreute die Heilung die Seinigen. Die Wiederherstellung eines Menschen durch die Gnade wird am besten in seinem eigenen Hause gesehen werden. Herr, lass sie in dem meinigen gesehen werden. Ob ich mein Bett trage oder mein Bett mich trägt, möge ich alles zu Deiner Ehre tun!
8. Da das Volk das sah, verwunderte es sich, und pries Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat.
Es war öffentlich von dem „Volk“ gesehen worden. Große Mengen hörten von dem Wunder, denn es wurde ein Stadtgespräch. Es war augenscheinlich keine Täuschung; der hoffnungslos Kranke war sicher geheilt, denn er hatte seine Matratze getragen und war heimgegangen. Das gemeine Volk mäkelte nicht, aber es verwunderte sich und zitterte dann vor Ehrfurcht und ward zur Anbetung Gottes getrieben. Soweit war es gut; aber es ging nicht weit genug und dauerte nicht lang genug. Die Menschen können sehen, staunen und sogar mit Worten Gott preisen und dennoch seinen Sohn nicht als Herrn annehmen. Das Volk hatte gesunden Verstand genug, die Ehre eines solchen Werkes Gott zu geben und von Staunen ergriffen zu sein, dass Er „solche Macht den Menschen gegeben.“ Augenscheinlich betrachten sie Jesum als einen Mann, dem Gott besondere Gaben verliehen; einen Propheten, der wunderbare Kräfte empfangen und sie zum Besten der Menschen gebrauchte. Sie gingen so weit, wie ihr Wissen ging. Wir wünschten, das Gleiche sagen zu können von vielen, welche gegenwärtig sich weigern, unserem Herrn die göttliche Ehre zu geben, welche Er beansprucht und reichlich verdient. Wenn „der Sohn des Menschen“ all’ diese Macht hatte, wie können wir Ihn als „den Sohn Gottes“ beschränken? Lasst uns die Erzählung nicht verlassen, bis wir Gott gepriesen haben für die mannigfache Weise, in welcher Er denen macht gibt, die keine Kraft haben, Gläubige aus der Lähmung der Sünde emporhebt und sie zum Segen für andere macht.
(Die Gnade des Reiches. V. 9-13.)
9. Und da Jesus von dannen ging, sah Er einen Menschen am Zoll sitzen; der hieß Matthäus; und sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf, und folgte Ihm.
So spricht unser Evangelist von sich selber als „einem Menschen, der Matthäus hieß.“ Er sagt, dass der Herr ihn sah. Welches Sehen ist hier gemeint? Leser, möge der Herr dich sehen, wie du auch heißen magst! War Matthäus gar dem Gichtbrüchigen gleich? Erwähnt er seine Bekehrung hier, um eine Parallele an die Hand zu geben? Sein alter Name war Levi gewesen. War Matthäus sein neuer Name, oder war es der, den er angenommen, als er sich zu einem Zöllner erniedrigte? Jedenfalls ist es ein schöner Name, denn er bedeutet: „gegeben.“ Er war die Gabe Jehovahs. Für uns ist er ein wahrer Theodor oder eine Gottesgabe geworden, da er der Schreiber dieses Evangeliums ist. er war Beamter eines Reiches und deshalb um so geeigneter, dies „Evangelium des Reiches“ zu schreiben. Er war zu dieser Zeit mit Nehmen beschäftigt, aber er wurde zu einem Werk berufen, das wesentlich ein Geben ist. Er saß an einem Orte „am Zoll“, aber er sollte nun mit seinem Herrn umhergehen und wohl tun. Zwei Worte genügten zu seiner Bekehrung und zu seinem Gehorsam: „Folge mir.“ Das sind volle und inhaltsschwere Worte. Gleich dem Gichtbrüchigen tat er genau, was ihm befohlen ward: „Er stand auf und folgte Ihm.“ Matthäus beschreibt sein eignes Verhalten aus persönlicher Kenntnis, aber er gebraucht kein überflüssiges Wort. Er handelte mit großer Entschiedenheit und Pünktlichkeit. Ohne Zweifel sah er zu, dass seine Rechnungen in Ordnung gebracht wurden, oder er hatte sie gerade eingeschickt und konnte sogleich gehen, ohne Verwirrung im Zollhaus anzurichten. Jedenfalls folgte er Jesu da und dann, wie ein Schaf seinem Hirten folgt.
Herr, lass meinen Gehorsam gegen Dich wie das Echo Deiner Stimme sein!
10.-12. Und es begab sich, da Er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viel Zöllner und Sünder, und saßen zu Tische mit Jesu und seinen Jüngern. Da das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? Da das Jesus hörte, sprach Er zu ihnen: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.
In dem Hause des Matthäus saß der Heiland „zu Tische.“ Der Neubekehrte lud sehr natürlich seine alten Freunde ein, damit sie den Vorteil hätten, von unserem Herrn bekehrt zu werden. Sie kamen jedenfalls bereitwilliger zu einer Mahlzeit als zu einer Predigt, und deshalb gab er ihnen ein Mahl und zog sie damit an den Ort, wo Jesus war. Wir dürfen alle erlaubten Mittel gebrauchen, andere unter den Schall des Wortes zu bringen. Viele von diesem gemeinen Volk kamen. „Sünder“ dem Geschäft nach, sowohl als Sünder dem Charakter nach wagten sich in des Zöllners Haus und durften zu Tische sitzen mit Jesu und seinen Jüngern, als wenn sie Glieder seiner Gesellschaft wären. Wahrscheinlich waren sie des Matthäus muntere Gefährten gewesen, und nun wünschte er, dass sie seine Brüder in Christo würden.
Unser Herr nahm willig die Gastfreundschaft des Matthäus an, denn Er wünschte denen Gutes zu tun, die es am meisten bedurften, emporgehoben zu werden. Er gestattete Leuten von schlechtem Ruf, „mit Ihm und seinen Jüngern zu Tische zu sitzen.“ Hier war eine schöne Gelegenheit für die höhnenden Pharisäer. Sie deuteten an, dass der Herr Jesus nur eine armselige Persönlichkeit sein könne, da Er solchen Pöbel anzöge und ihm sogar erlaubte, mit Ihm zu Tische zu sitzen. Sie nahmen es sehr genau mit ihren Gefährten, wenn jemand sie sah, denn sie meinten, ihre vorzügliche Heiligkeit würde herabgewürdigt, wenn sie Sündern erlaubten, neben ihnen zu sitzen. Nun haben sei einen Stein zur Hand, den sie auf Jesum werfen, da Er mit Zöllnern und Sündern isst.
Die Pharisäer waren feige genug, ihren Tadel gegen die Jünger auszusprechen, statt gegen den Meister selbst; aber der Führer stellte sich voran und brachte seine Gegner bald in Verwirrung. Seine Gründe waren überwältigend und seine Rechtfertigung völlig. Wo anders sollte ein Arzt sein als unter den Kranken? Wer kommt sonst zum Arzt als der Leidende? So war unser Herr mehr als gerechtfertigt, dass Er der Mittelpunkt war, um den die moralisch Kranken sich zu ihrer geistlichen Heilung sammeln konnten.
Herr, verleihe, dass, wenn ich je in der Gesellschaft von Sündern gefunden werde, es mit der Absicht sein möge, sie zu heilen, und möge ich nie selbst von ihrer Krankheit angesteckt werden!
13. Gehet aber hin, und lernet, was das sei: Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer. Ich bin gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten.
Nachdem unser Herr sich gegen die Andeutungen der stolzen Pharisäer glorreich verteidigt hat, spielt Er den Krieg in das Gebiet des Feindes hinüber. Er spricht zu ihnen: „Gehet aber hin, und lernet.“ Dies allein war ihnen schon unangenehm, da sie Menschen waren, die alles schon zu wissen meinten. Sie sollten die Bedeutung einer Stelle in Hos. 6,6 lernen, denn dies konnte sie lehren, dass Barmherzigkeit gegen Sünder ein Gott viel wohlgefälligeres Werk ist, als das Darbringen kostbarer Opfer oder das Vollziehen religiöser Übungen. Sie sollten lernen, dass Er lieber selbst Barmherzigkeit erweisen wollte, und sehen, dass sie Barmherzigkeit erzeigten, als ihre aufs genaueste vollzogenen Zeremonien annehmen.
Der Herr Jesus gab ihnen ein klares Wort über den Zweck, zu dem Er gekommen sei. Er kam nicht, um sich von den Guten bedienen zu lassen, sondern um die Bösen zu retten. Er war gekommen, diejenigen zur Buße zu rufen, die der Buße bedurften, und nicht die Gerechten, die kaum Besserung nötig hatten, wenn es deren gab. Dies war ein sehr gerechter Spott auf den Dünkel der Pharisäer, aber zu gleicher Zeit war es, ist es und wird es immer sein ein großer Trost für die, welche ihre Schuld erkennen. Unser Heiland und König ist gekommen, wirkliche Sünder zu erretten. Er hat es nicht mit unserem Verdienst, sondern mit unserer Verdienstlosigkeit zu tun. Es würde nicht nötig sein, uns zu erretten, wenn wir nicht verloren wären. Der Sohn Gottes tut kein unnötiges Werk, aber Er ist gekommen, denen Buße zu bringen, die derselben bedürfen.
Herr, ich bin einer von denen, die Deines Rufes bedürfen, denn gewiss, wenn jemand der Buße bedarf, so bin ich es. Rufe mich mit Deinem wirksamen Ruf. „Bekehre Du mich, so werde ich bekehrt.“
(Die Freude des Reiches. V. 14-17.)
14. Indes kamen die Jünger Johannis zu Ihm, und sprachen: Warum fasten wir und die Pharisäer so viel, und Deine Jünger fasten nicht?
Die Jünger Johannis waren wie ihr Führer Asketiker, und deshalb fasteten sie, wie die Pharisäer, sehr oft. Sie nahmen Anstoß daran, dass die Jünger Jesu bei Festen gesehen wurden, und dass man nichts von Fasten bei ihnen wusste. Sie murrten nicht heimlich wie die Schriftgelehrten, sondern brachten die Sache offen vor. Sie kamen zu Ihm. Wie ehrliche Freunde, die sich verletzt fühlen, gingen sie ins Hauptquartier und fragten den Herrn selbst. Dieses offene Aussprechen beugte späteren Streitigkeiten vor und war deshalb weise. Wenn fromme Menschen verschiedener Meinung sind, ist es gut, die Sache dem Herrn selber vorzulegen. Übereinkommen, verschiedener Meinung zu bleiben, mag ganz gut sein, aber es ist viel besser, wenn die Verschiedenheit durch Erklärung ausgeglichen wird.
15. Jesus sprach zu ihnen: Wir können die Hochzeitleute Leid trage, so lange der Bräutigam bei ihnen ist? Es wird aber die Zeit kommen, dass der Bräutigam von ihnen genommen wird; alsdann werden sie fasten.
Hier beantwortet unser Herr den zweiten Teil ihrer Frage; den ersten Teil müssen sie auf eigene Hand beantworten. Sie wussten oder hätten wissen sollen, warum sie und die Pharisäer fasteten. Warum seine Jünger nicht fasteten, das erklärt Er ihnen. Er ist „der Bräutigam,“ der in der Absicht kam, um seine Braut zu werben und sie zu gewinnen. Diejenigen, welche Ihm folgten, waren die Gäste, des Bräutigams Freunde und Begleiter. An ihnen war es, sich zu freuen, so lange der Bräutigam an der Spitze ihrer Gesellschaft stand, denn Trauer passt nicht zum Hochzeitsfeste. Unser Herr ist jener Bräutigam, von dem Salomo im Hohenliede sang; und wir, die wir seine Gemeinschaft genießen, sind eins mit Ihm und seiner Freude. Warum sollten wir fasten, so lange Er nahe ist? Können wir den kleinen Dingen der Welt gestatten, unsere große Freude zu töten? Stimmt es mit der gesunden Vernunft und der Ehrfurcht vor unserem Herrn, dass wir „Leid tragen, so lange der Bräutigam bei uns ist?“
Aber Jesus musste gehen. Er sagt selbst: „Der Bräutigam wird von ihnen genommen werden.“ Hier spricht Er zum erstenmal von seinem Tode. Beachteten seine Jünger das warnende Wort? Wenn ihr geliebter Herr fort war, würden sie Trauer und Fasten genug haben. Wie wahr war dies! Trauer kam genug über sie, als Er geschieden war. Es geht uns ebenso. Unser Herr ist unsere Freude; seine Gegenwart ist unser Fest, seine Abwesenheit aber ist unsere traurige Fastenzeit. Alles gesetzliche Fasten ist nur eine Schule. Das wahre Fasten kennen nur die Hochzeitsleute, wenn ihr Herr nicht mehr bei ihnen ist. Dies ist in der Tat ein Fasten, wie manche von uns wohl aus der Erfahrung kennen.
Es gibt keine Hochzeit ohne einen Bräutigam, keine Wonne ohne Jesum. In seiner Gegenwart ist Freude die Fülle, aber in seiner Abwesenheit Tiefe des Elends. Ruht das Herz nur in seiner Liebe, so wünscht es nichts mehr. Nehmt das Gefühl seiner Liebe von der Seele hinweg, so ist sie dunkel, leer und dem Tode nahe.
16. Niemand flickt ein altes Kleid mit einem Lappen von neuem Tuch; denn der Lappen reißt doch wieder vom Kleid, und der Riss wird ärger.
Jesus kam nicht, um Israels abgetragenes Gewand auszubessern, sondern um neue Kleider zu bringen. Selbst wenn ein bloßes Ausbessern beabsichtigt gewesen wäre, hätte es nicht dadurch bewirkt werden können, dass seine Jünger alte Weisen nachahmten. Neues Tuch, das nicht eingeschrumpft ist, passt nicht dazu, um ein altes Kleid zu flicken, das durch vieles Waschen eingeschrumpft ist. Seine Jünger müssen konsequent handeln und nicht unzeitiges Fasten mit ihrem Genuss seiner Gesellschaft verbinden. Sie waren nicht die Leute, die alte Religion Judas zu verbessern, die abgewusst worden war. Sie waren neue Menschen, nicht zusammengeschrumpft durch den Geist der Überlieferung; und der Versuch, sie in das Gewand gesetzlicher, zeremonieller Religion einzuschließen, hätte nicht zur Einheit geführt, sondern zum Gegenteil. Wahre Gläubige tun besser, nicht die Gemeinschaft mit denen, die an Zeremonien hängen, zu versuchen, denn sie werden bald finden, dass sie am unrechten Orte sind. Jesus kam nicht, um unsere alte, äußerliche Religiosität zusammen zu flicken, sondern um ein neues Kleid der Gerechtigkeit zu verbinden, werden nur den Riss schlimmer machen. Es mag hinzugefügt werden, dass voreilige Versuche, die verschiedenen Kirchengemeinschaften zu vereinen, indem man alle ihre Irrtümer innerhalb des Umfanges einer vorausgesetzten Wahrheit einbegreift, nur die gegenwärtigen beklagenswerten Trennungen vergrößern und die wirkliche Einigkeit auf ferne Tage hinausschieben würde.
17. Man fasst auch nicht Most in alte Schläuche; anders die Schläuche zerreißen, und der Most wird verschüttet, und die Schläuche kommen um. Sondern man fasst Most in neue Schläuche, so werden sie beide miteinander behalten.
Seine Lehre und sein Geist konnten nicht mit der pharisäischen Weise verbunden werden. Das Judentum in seinem entarteten Zustande war ein alter, lederner Schlauch, der seine Tage gesehen hatte, und unser Herr wollte nicht den neuen Wein des Himmelreichs dahinein gießen. Johannis Jünger versuchten mit den Pharisäern zu wetteifern und gemeinsame Sache mit ihnen zu machen, um die alte Gemeinde zu retten. Jesus wollte nichts mit diesem Plan zu tun haben; Er wollte eine neue Gemeinde für seine neue Lehre und seinen neuen Geist haben. Es sollte keine Verschmelzung da sein; das Christentum sollte nichts aus dem Rabbinismus Hervorgewachsenes sein. Es sollte eine Scheidung sein zwischen Jesu und den Schriftgelehrten mit ihrer Schule, denn Er war entschlossen, alles neu zu machen. Hier ist eine treffliche Lehre und Anleitung für die gegenwärtige Zeit. Vereinbarungen werden oft vorgeschlagen, und es gibt gute Leute, die wie Johannis Jünger wollen, dass wir uns dem anbequemen sollen, was sie in den bestehenden Dingen für gut halten; aber wir tun besser, folgerecht zu handeln und von neuem zu beginnen. Das alte Tuch wird immer reißen und um so schlimmer reißen wegen unserer neuen Lappen. Darum lasst uns das alte Kleid denen lassen, die das Altertum der Wahrheit vorziehen.
Das Vermischen von Hochzeitsfesten und Begräbnisfasten, das Flicken des alten Tuches mit ungewalkten und ungeschrumpften Lappen und das Gießen des neuen Weines in alte Schläuche sind alles Bilder solcher Verbindungen und Vereinbarungen, die der Natur der Sache nach keinem guten dauernden Zweck dienen können. Wenn wir dem freudigen Bräutigam folgen, lasst uns nicht versuchen, es mit den fastenden Pharisäern oder den gesetzlichen Menschen unserer Tage zu halten. Lasst die wissenschaftlichen Zweifler auch gehen, denn der Glaube ist nicht nach ihrem Sinn. Der Glaube aber ist sich seiner Sache gewiss und kann niemals zweifelhaft sein. Lasst uns das Zweifeln fahren lassen, was uns fasten machte, und lasst uns ein hohes Fest feiern, so lange der Bräutigam noch bei uns ist durch seinen Geist.
(Des Königs Herrschaft über Krankheit und Tod. V. 18-26.)
18. 19. Da Er solches mit ihnen redete, siehe, da kam der Obersten einer, und fiel vor Ihm nieder, und sprach: Herr, meine Tochter ist jetzt gestorben; aber komm, und lege Deine Hand auf sie, so wird sie lebendig. Und Jesus stand auf, und folgte ihm nach und seine Jünger.
Unser Herr hatte Besseres zu tun, als über Essen und Trinken, Feste und Fasten zu reden, und darum ist Er bald fertig mit der Erörterung. Die Schlacht zwischen Leben und Tod wütete, und Er war nötig in dem Kampf.
Trauer und Sorgen kommen selbst zu den Familien der Trefflichen der Erde. Ein Oberster der Synagoge und einer, der an Jesum glaubte, hat eine Tochter, die von solcher Krankheit befallen wird, dass sie dem Tode nahe und wahrscheinlich jetzt schon tot ist. Aber der Vater hat starken Glauben. Selbst wenn sie tot ist, kann Jesus sie mit einer Berührung wiederherstellen. O, wenn Er nur kommen wollte! Er fällt vor dem Herrn nieder und bittet: „Komm, und lege Deine Hand auf sie, so wird sie lebendig.“ Haben wir solchen Glauben? Ist nach Jahrhunderten der Offenbarung das Vertrauen auf Jesum so groß, wie in den Tagen seines Fleisches? Haben wir nicht solche unter uns, die noch nicht die treffliche Zusammenstellung gelernt haben, die wir in dem Verhalten des Obersten sehen? Er kam zu Jesu, er betete Ihn an, er bat Ihn, er vertraute Ihm.
Unser König, der mit der Gewalt über Leben und Tod bekleidet ist, gewährt sofort die Bitte des Glaubens und bricht auf nach dem Hause des Obersten. Der Herr folgt den Gläubigen, denn sie folgen Ihm, ihrem Herrn; das zeigt uns Vers 19. Jesus tut, was wir bitten, und wir folgen, wohin Er führt. Der Prediger steigt von seiner Kanzel herab und wird ein Arzt, der seine Runde macht. Von der Erörterung der Kirchenfragen wendet sich unser großer Rabbi sehr bereitwillig ab, um hinzugehen, ein krankes, nein, ein totes Mädchen zu sehen. Er ist mehr daheim im Gutestun, als in irgend etwas andrem.
20. 21. Und siehe, ein Weib, das zwölf Jahre den Blutgang gehabt, trat von hinten zu Ihm, und rührte seines Kleides Saum an. Denn sie sprach bei sich selbst: Möchte ich nur sein Kleid anrühren, so würde ich gesund.
Dies ist ein Zwischenfall auf dem Wege, ein Wunder im Vorbeigehen. Während der Herr nach dem Krankenzimmer der Tochter des Obersten geht, wirkt Er ein Wunder ohne Wort. Er war darauf bedacht, ein Mädchen zu erwecken, aber ohne es zu beabsichtigen, heilt Er eine ältere Frau. Sogar das, was von Christi macht verschüttet wird und überfließt, ist köstlich.
Beachtet das Wort „siehe“. Hier haben wir einen merkwürdigen Umstand. Diese kranke Frau hatte an einem schwächenden Blutfluss „zwölf Jahre“ gelitten und keine Heilung gefunden, aber nun sah sie den großen Wundertäter, und mit schüchternem Mut drängte sie sich in die Menge und rührte seines Kleides Saum an. Große Furcht hielt sie zurück, vor sein Angesicht zu treten; großer Glaube ließ sie glauben, dass das Anrühren seines Kleides von hinten sie heilen würde. Sie war unwissend genug, zu meinen, dass die Heilung von Ihm ausginge, ohne dass Er sich dessen bewusst sei; aber doch war ihr Glaube lebendig trotz ihrer Unwissenheit und triumphierte trotz ihrer Schüchternheit. Es war ihre eigene Idee, sich herzu zu drängen und gleichsam die Heilung zu stehlen: „Sie sprach bei sich selbst.“ Es war weise, dass sie ihren Entschluss sogleich ausführte. Die arme Seele! es war ihre einzige Gelegenheit, und sie wollte sie nicht verlieren. Es traf sich, dass das Kleid unseres Herrn durch das Gedränge nach hinten geschoben war, und sie war imstande, mit ihrem Finger den Saum desselben zu berühren. Sie glaubte, das würde genug sein, und es erwies sich so. O, dass wir so eifrig nach der Errettung strebten, wie sie nach der Heilung! O, dass wir solches Vertrauen auf Jesum hätten und sicher wären, dass, wenn wir auch nur durch die kleinste Verheißung und den geringsten Glauben mit Ihm in Berührung kämen, Er uns erretten könne und wolle!
Meine Seele, wenn du in dringender Not bist, so sei mutig und komme deinem Herrn nahe; denn wenn eine Berührung seines Kleides heilt, welche Kraft muss dann in Ihm selbst liegen!
22. Da wandte sich Jesus um, und sah sie, und sprach: Sei getrost, meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. Und das Weib ward gesund zu derselbigen Stunde.
Wir haben nicht die ganze Geschichte hier. Es wird gut sein, sie in Mk. 5 und Lk. 8 zu lesen. Jesus wusste alles, was hinter Ihm vorging. Wenn uns jetzt sein Rücken zugekehrt ist, so braucht dies nicht immer der Fall zu sein, denn Er „wandte sich um.“ Selbst wenn die Furcht sich vor Jesu verbergen wollte, so späht Er die Zitternde aus. Sein Auge fand sie rasch, denn Er wusste, so Er zu suchen hatte. „Er sah sie.“ Seine Stimme ermutigte sie mit freudigen Worten der Annahme. Er schalt nicht den Irrtum ihrer Unwissenheit, sondern lobte die Tapferkeit ihres Glaubens und tröstete ihr zitterndes Herz. Ein Stück Franse und ein Finger reichten hin, eine gläubige Kranke und einen allmächtigen Heiland in Verbindung zu bringen. Diese Linie entlang sandte der Glaube seine Botschaft, und die Liebe gab die Antwort zurück. Sie war gesund geworden, und sie wusste es, aber sie fürchtete, wenn sie herausgefunden würde, möchte sie den Segen verlieren und einen Fluch ernten. Diese Furcht verschwand bald: Jesus nannte sie „Tochter.“ Er war ihr Vater, weil Er Glauben in ihr geschaffen hatte. Er tröstete sie reichlich, weil sie guten Glauben hatte. Es war sein Kleid, das sie anrührte, aber es war ihr Glaube, der es angerührt hatte, deshalb sprach unser Herr. „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Er setzte die Krone auf das Haupt ihres Glaubens, weil ihr Glaube schon die Krone auf sein Haupt gesetzt hatte. Den Augenblick, wo wir Jesum anrühren, werden wir gesund, ja, „zu derselbigen Stunde.“ Mögen wir Ihn jetzt anrühren, und möge diese Stunde für uns so denkwürdig sein, wie jene Stunde es für diese Frau war!
23. 24. Und als Er in des Obersten Haus kam, und sah die Pfeifer und das Getümmel des Volks, sprach Er zu ihnen: Weichet! denn das Mägdlein ist nicht tot, sondern es schläft. Und sie verlachten Ihn.
Die Leichenklage hatte schon angefangen, die „Pfeifer“ hatten ihre hässlichen Missklänge begonnen. Misstrauische Freunde wollen uns vor unserer Zeit begraben, und wir selbst sind zu geneigt, in den gleichen Irrtum betreffs andrer zu fallen. Der Unglaube ruft den Leichenbestatter und die gemieteten Leidtragenden herein, um die zu begraben, die noch jahrelang leben werden. Wir geben die als hoffnungslos auf, die der Herr Jesus erretten will, oder wir beginnen, ein „Getümmel“ zu machen, wo ein stilles Gnadenwerk weit besser sein würde.
Jesus will, dass die Totenmusik schweigt, denn sie ist vorzeitig und sogar falsch in ihrer Bedeutung. Er sagt zu den Pfeifern: „Weichet!“ Viele Dinge müssen weichen, wenn Jesus erscheint, und Er sorgt dafür, dass sie weichen, denn Er treibt sie aus dem Zimmer. Für Ihn ist das Mägdlein mehr schlafend als tot, denn Er ist im Begriff, sie ins Leben zurück zu rufen. Er sieht die Zukunft sowohl wie die Gegenwart; und für Ihn ist in diesem Lichte „das Mägdlein nicht tot, sondern es schläft.“ Der Herr Jesus braucht keine Pfeifer, Flötenspieler und Klageweiber, seine eigene sanfte Stimme ist geeigneter für die Arbeit an dem Mägdlein im Totenzimmer. Jesus will ein Wunder tun, und die bezahlten Darstellungen derjenigen, die das Wehe nachäffen, sind nicht im Einklang damit.
Als Jesus den gemieteten Tonkünstlern sagt, dass es nicht nötig sei, mit dem Leichenbegängnis fortzufahren, weil das Mädchen leben werde, antworteten sie mit Höhnen, denn sie sind gewiss, dass das Mägdlein tot ist. Es ist ein schändliches Ding, über Christum zu lachen; jedoch „Er erduldete ein solches Widersprechen von den Sündern wider sich“, und war nicht zornig. Wir brauchen nicht entmutigt werden, wenn wir verlacht werden, denn „sie verlachten Ihn.“ Auch dürfen wir mit unserer Arbeit um des Spottes willen nicht aufhören, denn Jesus fuhr mit seiner Auferweckung fort trotz der Spötter.
25. Als aber das Volk ausgetrieben war, ging Er hinein, und ergriff sie bei der Hand; da stand das Mägdlein auf.
Es geziemte sich nicht, dass ein lärmender Haufe das majestätische Geheimnis der Auferweckung sehen sollte; er musste „ausgetrieben“ werden. Überdies war das hässliche Geräusch der Totenklage keine passende Begleitung für des Heilandes Machtwort. Die Leute wurden ausgetrieben, und dann ging der Heiland hinein, sein Wunder zu tun. Er liebt es, ruhig zu wirken. Es gibt Richtungen im kirchlichen Leben, bei welchen Lärm und Volksaufregung erst ein Ende haben muss, ehe viel vom Herrn getan werden wird.
Wenn wir lesen: „Er ergriff sie bei der Hand,“ so erinnert uns das daran, dass Er ein Gleiches mit Petri Schwiegermutter tat. Er zeigt eine heilige Vertraulichkeit mit denen, welche Er rettet. In diesem Evangelium wird nicht gesagt, dass Er gesprochen habe, und so wird der Gegensatz zwischen leerem Lärm und seinem mächtigen Schweigen klar hervorgehoben. Das Leben war aus dem Mägdlein gewichen; aber das Ergebnis war das gleiche, wie bei der Verwandten des Petrus, die noch am Leben war: „sie stand auf.“ Wie vieles war geschehen, ehe ein totes Mädchen aufstehen konnte! Dies ist der erste Fall einer Auferweckung durch unseren Herrn. Es war eine soeben Gestorbene und ist vorbildlich für die geistliche Erweckung von Personen, die noch nicht das Stadium der Verwesung erreicht haben, welches ihr Hinaustragen nötig macht, wie bei dem Jüngling zu Nain, oder die noch nicht zur wirklichen Fäulnis, die zum Begräbnis geführt hatte, gekommen sind, wie bei Lazarus. In jedem Falle war das Wunder dasselbe, aber die Umgebungen waren sehr verschieden, so dass die darin liegenden Lehren mannigfaltig sind.
Herr, nimm unsere lieben, jungen Kinder bei der Hand und erwecke sie zum ewigen Leben, so lange sie noch Kinder sind!
26. Und dies Gerücht erscholl in dasselbige ganze Land.
Die Nachricht von der Erweckung der Toten musste sich verbreiten, besonders da sie die Tochter des Obersten der Schule war. Wo neues Leben verleihen wird, ist nicht zu fürchten, dass es unbemerkt bleibt. Jesus wird Ruhm gewinnen, wenn wir Leben haben, und wir sollten dafür sorgen, dass es so sei.
(Des Königs Anrühren heilt die Blinden. V. 27-31.)
27. Und da Jesus von dannen weiter ging, folgten Ihm zwei Blinde nach, die schrien und sprachen: Ach, Du Sohn Davids, erbarme Dich unser!
Nicht sobald geht Jesus von dannen, als neue Bewerber ums eine Wohltaten erscheinen; denn die Blinden suchen das Augenlicht von Ihm. Zwei des Gesichts beraubte Männer waren Leidensgefährten geworden; sie mögen Vater und Sohn gewesen sein. Sie meinten es augenscheinlich sehr ernst, denn sie „folgten Ihm nach, schrien und sprachen: erbarme Dich unser!“ Beharrlich, heftig, doch verständig war ihre Bitte. Sie waren eines Sinnes in Bezug auf Jesum und gingen deshalb eines Weges und gebrauchten ein Gebet, an ein und dieselbe Person. Unser Herr wird hier mit seinem königlichen Namen genannt. „Du Sohn Davids.“ Sogar die Blinden konnten sehen, dass Er eines Königs Sohn war. Als Sohn Davids wird Er gebeten, Barmherzigkeit zu üben und seiner königlichen Natur gemäß zu handeln. Es ist Barmherzigkeit, die uns unsere Fähigkeiten gibt, und Barmherzigkeit allein kann sie wiederherstellen.
Dies Gebet eignet sich für uns, wenn wir die Finsternis unseres Geistes wahrnehmen. Wenn wir unseren Weg in die Wahrheit hinein nicht sehen können, lasst uns den Herrn um gnädige Unterweisung bitten, stets daran gedenkend, dass wir kein Anrecht haben als das, was aus seiner Barmherzigkeit entspringt.
28. Und da Er heim kam, traten die Blinden zu Ihm. Und Jesus sprach zu ihnen: Glaubt ihr, dass ich solches tun kann? Da sprachen sie zu Ihm: Herr, ja.
Sie begehrten eifrig die Wohltat. Sie ließen Ihm keine Ruhe, sie drängten sich in das Haus, wo Er Einsamkeit und Stille gesucht hatte; sie „kamen zu Ihm,“ zu Jesu selber. Der Herr wollte, dass sie ihren Glauben aussprechen sollten, und darum fragt Er sie, was sie von Ihm glauben. Jesus fragt nicht nach ihren Augen, sondern nach ihrem Glauben, was immer der Hauptpunkt ist. Sie konnten nicht sehen, aber sie konnten glauben, und sie taten das. Sie hatten einen besonderen Glauben in der Sache, um die sie baten, denn unser Herr sagt deutlich: „Glaubt ihr, dass ich euch solches tun kann?“ Sie hatten auch eine klare Meinung von Ihm, den sie baten , denn sie hatten Ihn schon „Sohn Davids“ genannt, und nun hießen sie Ihn „Herr.“
29. Da rührte Er ihre Augen an, und sprach: Euch geschehe nach eurem Glauben.
Wiederum weckt Er ihren Glauben auf, und diesmal wirft Er die ganze Verantwortlichkeit auf ihr Vertrauen zu Ihm: „Euch geschehe nach eurem Glauben.“ Er berührte sie mit seiner Hand, aber sie mussten Ihn auch mit ihrem Glauben berühren. Das Machtwort im letzten Satze ist eines, nach welchem Er fortwährend handelt, so dass wir es für viele Segnungen die Regel des Reiches nennen können. Wir haben das Maß unserer eigenen Gnadengaben in Händen; unser Glaube erhält mehr oder weniger, je nach seiner Fähigkeit zu empfangen. Wären diese Männer bloße Heuchler im Glauben gewesen, so wären sie blind geblieben. Wenn wir nicht in Wahrheit unserem Herrn vertrauen wollen, so werden wir in unseren Sünden sterben.
30. Und ihre Augen wurden geöffnet. Und Jesus bedrohte sie und sprach: Sehet zu, dass es niemand erfahre!
Sie beide sahen, das doppelte Wunder ward in demselben Augenblick gewirkt. Kameraden in der Finsternis, sind sie jetzt Gefährten im Licht. Seltsam, dass für zwei Seelen so ein Verhängnis ist! Es war eine seltsame, zwiefache Tatsache und verdiente, weit bekannt zu werden, aber unser Herr hatte weise Gründe, Stillschweigen zu verlangen. Er „bedrohte sie und sprach.“ Er ließ ihnen keine Wahl; Er verlangt vollständiges Schweigen. Er, der ihre Augen geöffnet, schloss ihren Mund. Jesus wünschte keinen Ruhm; Er wollte das Gedränge und die Aufregung vermeiden, und deshalb war sein Befehl ausdrücklich und unbedingt: „Sehet zu, dass es niemand erfahren.“
31. Aber sie gingen aus und machten Ihn ruchbar im selbigen ganzen Lande.
Sie beflissen sich, zu veröffentlichen, was ihnen befohlen war zu verbergen, bis „im selbigen ganzen Lande“ die Kunde erschollen war. Hierin irrten sie sehr und verursachten wahrscheinlich dem Heiland so viel Unbequemlichkeiten durch den Zudrang der Menge, dass Er sich aus der Stadt entfernen musste. Wir dürfen nicht hoffen, recht zu tun, wenn wir unserem Herrn ungehorsam sind. Wie natürlich auch der Ungehorsam erscheinen mag, er ist Ungehorsam und darf nicht entschuldigt werden. Selbst wenn die Ergebnisse sich als vorteilhaft erweisen, würde es darum doch nicht recht sein, das Gebot unseres Herrn zu brechen. Schweigen ist mehr als Gold, wenn unser König es befiehlt. Er sucht keinen Beifall und lässt seine Stimme nicht hören auf den Gassen, um als Täter großer Taten bekannt zu werden. Seine Nachfolger tun wohl, seinem Beispiele nachzuahmen.
Wir wundern uns nicht, dass unseres Herrn Name berühmt ward, wenn solche Personen ihn bekannt machten. Wie ernst und beredt mochten die zwei vormals Blinden die Geschichte erzählen, wie Er ihre Augen öffnete! Uns ist nicht verboten, sondern geboten, die Wunder seiner Gnade bekannt zu machen. Lasst uns diese natürliche, diese notwendige, diese nützliche Pflicht nicht versäumen. Mehr und mehr lasst uns seinen Ruhm verkünden.
(Der König und die vom Teufel Besessenen. V. 32-35.)
32. Da nun diese waren hinaus gekommen, siehe, da brachten sie zu Ihm einen Menschen, der war stumm und besessen.
Als ein Paar Patienten den heilenden Arzt verlässt, kommt ein andres armes Wesen herein. Beachtet das „siehe!“ Der Fall ist ein merkwürdiger. Er kommt nicht freiwillig oder aus eignem Antriebe: „sie brachten ihn.“ So sollten wir Menschen zu Jesu bringen. Er schreit nicht um Hilfe, denn er ist *“ein Stummer.“ Lasst uns unseren Mund auftun für die Stummen. Er ist sich seiner nicht bewusst, denn er „ist von einem Teufel besessen.“ Armes Geschöpf! wird etwas für ihn getan werden?
33. Und da der Teufel war ausgetrieben, redete der Stumme. Und das Volk verwunderte sich, und sprach: Solches ist noch nie in Israel ersehen worden.
Unser Herr hat es nicht mit den äußeren Erscheinungen zu tun, sondern mit der Quelle der Zerrüttung, mit dem bösen Geist. „Der Teufel war ausgetrieben,“ und das wird erwähnt als eine selbstverständliche Sache, sobald Jesus erschien. Der Teufel hatte den Mann stumm gemacht, und als der Böse fort war, „redete der Stumme.“ Wie gern möchten wir wissen, was er sagte! Doch macht es nichts aus, was er sagte, das Wunder war, dass er überhaupt irgend etwas sagen konnte. Das Volk bekannte, dass dies ein ganz unerhörtes Wunder sei, und sagte mit Wahrheit: „Solches ist noch nie in Israel ersehen worden.“ Jesus ist groß in Überraschungen; seine Gnadenmacht bringt stets Neues hervor. Die Leute sprachen rasch ihre Bewunderung aus, doch sehen wir wenig Spuren von Glauben an die Sendung unseres Herrn. Es ist etwas Kleines, sich zu verwundern, aber etwas Großes, zu glauben.
O Herr, lass das Volk um uns her solche Erweckungen und Bekehrungen sehen, wie sie nie zuvor gekannt haben!
34. Aber die Pharisäer sprachen: Er treibt die Teufel aus durch der Teufel Obersten.
Natürlich hatten sie ein bitteres Urteil bereit. Nichts war ihnen zu schlecht, um es von Jesu zu sagen. Sie waren in großer Verlegenheit, als sie ihre Zuflucht zu dieser Behauptung nahmen, die unser Herr an einem anderen Orte so leicht entkräftete. Sie deuteten an, dass Er solche Macht über die Dämonen durch einen unheiligen Betrug mit dem Obersten der Teufel bekommen haben müsse. Gewiss, dies kam der unvergebbaren Sünde sehr nahe.
35. Und Jesus ging umher in alle Städte und Märkte, lehrte in ihren Schulen, und predigte das Evangelium von dem Reich, und heilte allerlei Seuche und allerlei Krankheit im Volk.
Dies war seine Antwort auf die lästerliche Verleumdung der Pharisäer. Eine glorreiche Antwort war es. Verleumdungen beantworten wir am besten durch größeren Eifer im Gutestun.
Kleine Orte wurden nicht von unserem Herrn verachtet, denn Er ging in die Dörfer sowohl als in die Städte. Die Frömmigkeit der Dörfer ist von äußerster Wichtigkeit und steht in enger Verbindung mit dem Stadtleben. Jesus benutzte alte Einrichtungen zu guten Zwecken: die Schulen wurden seine Seminare. Dreifach war sein Amt: Er legt das Alte aus, verkündigte das Neue und heilte die Kranken.
Beachtet die Wiederholung des Wortes „allerlei“, das den weiten Umfang seiner heilenden Macht zeigt. Alles dieses stand in Verbindung mit seinem Königtum, denn es war „das Evangelium vom Reiche,“ das Er verkündete. Unser Herr war der große Reiseprediger, denn „Er ging umher, predigte und heilte.“ Er reiste umher als Arzt und Evangelist.
Glückliches Volk, das Jesum unter sich hatte! O, dass wir jetzt mehr von seinem Wirken unter unserem eigenen Volke sehen würden!
(Der König bemitleidet das Volk. V. 36-38.)
36. Und da Er das Volk sah, jammerte Ihn desselbigen; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben.
Eine große Menge erregt das Mitleid, denn sie weckt den Gedanken an viele Sünde und viele Bedürfnisse. Hier in diesem Fall war das große Bedürfnis die Belehrung, denn „sie waren verschmachtet“ aus Mangel an Trost und waren „zerstreut“ aus Mangel an Leitung. Sie begehrten zu lernen, aber sie hatten keinen geeigneten Lehrer. „Schafe, die keinen Hirten haben,“ sind in einer schlimmen Lage. Ohne Weide, ohne Hürde, ohne Hut, was wird aus ihnen werden? Unser Herr ward von einem Gefühl ergriffen, das seine innerste Seele bewegte. Ihn jammerte des Volks.“ Was Er sah, rührte nicht nur sein Auge, sondern sein Herz, so dass Er von Teilnahme überwältigt wurde. Sein ganzes Wesen ward von tiefer Bewegung ergriffen, die jede Fähigkeit in Anspruch nahm. Er hat noch jetzt dasselbe Gefühl gegen unser Volk. Ihn jammert desselbigen, wenn es uns nicht jammert.
37. 38. Da sprach Er zu seinen Jüngern: Die Ernste ist groß, aber wenig sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass Er Arbeiter in seine Ernte sende.
Sein schweres Herz suchte Erleichterung unter „seinen Jüngern,“ und Er sprach zu ihnen. Er beklagte den Mangel an Arbeitern. Vorgebliche Arbeiter waren viele da, aber an wirklichen Arbeitern fehlte es. Die Garben konnten nicht eingeheimst werden. Die Menge war bereit, belehrt zu werden, wie der reife Weizen für die Sichel bereit ist, aber es waren wenige da, sie zu unterweisen, und wo konnten mehr Lehrer gefunden werden?
Gott allein kann „Arbeiter senden.“ Von Menschen gemachte Prediger sind nutzlos. Noch immer sind die Felder voll seiner Herren, welche die Sichel nicht gebrauchen können. Noch immer gibt es wenige wirkliche Einsammler, und nur in weiten Zwischenräumen. Wo sind die unterweisenden, Seelen gewinnenden Prediger? Wo sind die, welche „mit Ängsten gebären“ und um das Heil ihrer Hörer ringen? Lasst uns den Herrn der Ernte bitten, für seine eigene Ernte zu sorgen und seine eigenen Männer auszusenden. Möge manches aufrichtige Herz durch die Frage bewegt werden: „Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? so dass es antwortet: „Hier bin ich, sende mich!“