Der König verkündigt seine Reichsgesetze. (Vers 1-16.)
Dies ist die naturgemäße Ordnung königlicher Tätigkeit. Der König wird gesalbt, tritt unter das Volk, seine Macht zu zeigen, und handelt dann als Gesetzgeber, der seine Gebote verkündigt.
1. Da Er aber das Volk sah, ging Er auf einen Berg, und setzte sich; und seine Jünger traten zu Ihm.
Der Zurückgezogenheit, der frischen Luft und des weiten Raumes wegen wählt der König den Bergesabhang. Es war passend, dass so erhabene Sittenlehren von einem Berg gelehrt wurden. Ein Hügel in der freien Natur war für seine wahrhafte Lehre besser geeignet, als eine marmorne Kanzel es gewesen wäre. Die, welche Ihm als Jünger zu folgen wünschten, versammelten sich dicht um den Rabbi, der den Sitz der Unterweisung in ihrer Mitte einnahm, und in den äußeren Kreisen stand die Menge, um zuzuhören.
2. Und Er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:
Selbst wenn sein Mund geschlossen war, lehrte Er durch sein Leben, doch hielt Er nicht das Zeugnis seiner Lippen zurück. Männer, denen es Ernst ist, murmeln und stottern nicht, wenn sie ihre Mitmenschen anreden, sondern tun ihren Mund auf und sprechen deutlich. Wenn Jesus seinen Mund auftut, so ziemt es uns, Ohren und Herzen aufzutun.
3. Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr.
Des Königs erste Gesetze sind Segnungen. Er beginnt sein Lehren mit einem Geschenk von Segnungen. Das Alte Testament endet mit einem Fluch und das Neue Testament beginnt mit einem Segen. Unser Herr bringt den Menschen wahre Segnungen durch sein Lehren und durch sein Reich.
Geistliche Armut wird sowohl geboten als gelobt. Sie ist die Grundlage christlicher Erfahrung. Niemand beginnt recht, der nicht Armut des Geistes gefühlt hat. Doch selbst diesem ersten Zeichen der Gnade wird das Reich als gegenwärtiger Besitz gegeben: denn „das Himmelreich ist ihr.“ Die Frage im Himmelreich ist nicht: „Bist du von Adel?“ sondern: „Bist du arm im Geist?“ Die, welche in ihren eigenen Augen keinen Wert haben, sind vom königlichen Blut des Weltherrschers. Diese allein haben die ersten Grundlagen und die Befähigungen für ein himmlisches Reich. Möge ich so sein!
4. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
Diese scheinen schlimmer daran zu sein, als die bloß geistlich Armen, denn sie „tragen Leid.“ Sie stehen eine Stufe höher, obwohl sie eine Stufe niedriger zu stehen scheinen! Der Weg zum Steigen in dem Reiche ist, in den eigenen Augen zu sinken. Diese Menschen sind betrübt über die Sünde und leiden durch die Übel der Zeiten, aber für sie ist eine Zukunft der Ruhe und der Freude bereitet. Die, welche lachen, sollen klagen, aber die, welche weinen, sollen singen. Welch großer Segen ist das Leid, da es dem Herrn Raum gewährt, uns zu trösten! Unsre Schmerzen sind gesegnet, denn sie sind unsre Berührungspunkte mit dem großen Tröster. Diese Seligpreisung scheint ein Paradoxon (Widerspruch), aber sie ist wahr, wie manche von uns aus seliger Erfahrung wissen. Unsre Trauerstunden haben uns mehr Trost gebracht, als unsre frohen Tage.
5. Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Sie sind demütigen Sinnes und bereit, ihren Teil an der Erde aufzugeben, deshalb soll er ihnen wieder werden. Sie prahlen weder, noch streiten sie oder triumphieren über andere, dennoch sind sie Erben all des Guten, das Gott auf Erden geschaffen hat. In ihrer Sanftmut sind sie gleich ihrem König, und sie sollen mit Ihm herrschen. Das verheißene Land ist für die Stämme der Sanftmütigen, von ihnen sollen die Kanaaniter ausgetrieben werden. Der hat das Beste dieser Welt, der am wenigsten von ihr und am wenigsten von sich selber hält.
6. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Sie haben keine eigene Gerechtigkeit, aber sie sehnen sich nach der Gerechtigkeit, die von oben kommt. Sie verlangen danach, selber mit Gott und Menschen recht zu stehen, und sehnen sich, Gerechtigkeit in der ganzen Welt herrschen zu sehen. So sehr sehnen sie sich, gut zu sein, dass es scheint, als wenn die Begierden des Hungers sowohl wie des Durstes vereinigt wären in dem einen Wunsch nach Gerechtigkeit. Wo Gott ein so unersättliches Verlangen wirkt, da mögen wir ganz sicher sein, dass Er es befriedigen, ja, es völlig erfüllen werde. In der Betrachtung der Gerechtigkeit Gottes, der Gerechtigkeit Christi und des Sieges der Gerechtigkeit in den letzten Tagen sind wir mehr als befriedigt. In der künftigen Welt wird das Verlangen vollständig befriedigt sein. Nichts hienieden kann eine unsterbliche Seele sättigen; und da es geschrieben steht: „Sie sollen satt werden,“ so blicken wir mit freudiger Zuversicht auf einen Himmel der Heiligkeit, durch den wir auf ewig befriedigt werden sollen.
7. Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Sie vergeben und ihnen wird vergeben. Sie urteilen milde und sie sollen nicht verurteilt werden. Sie helfen den Dürftigen und ihnen soll in ihrer Not geholfen werden. Was wir andren sind, will Gott uns sein. Einige haben schwer mit ihrer Filzigkeit zu kämpfen, wenn sie freundlich sein wollen, aber der Segen liegt nicht nur in dem Thun einer barmherzigen Gesinnung. Nachfolger Jesu müssen Menschen der Barmherzigkeit sein, denn sie haben Barmherzigkeit gefunden, und die Barmherzigkeit hat sie gefunden. Wie wir „Barmherzigkeit an jenem Tage“ hoffen, so müssen wir in diesen Tagen Barmherzigkeit erweisen.
8. Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Unreine Herzen machen trübe Augen. Um das Auge zu reinigen, müssen wir das Herz reinigen. Nur Reinheit hat eine Vorstellung von Gott und kann Ihn wahrhaft schauen. Es ist ein großer Lohn, fähig zu sein, Gott zu schauen; und auf der andren Seite ist es eine große Hilfe zur Reinheit des Herzens, den dreimal Heiligen wahrhaft zu sehen. Es gibt keine reinen Herzen auf der Erde, wenn der Herr sie nicht rein gemacht hat, und keine werden Gott im Himmel schauen, die nicht durch die Gnade hienieden gereinigt sind. Herr, schaffe in mir ein reines Herz, damit ich Dich schauen möge, sowohl jetzt als auf ewig!
9. Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Sie sind nicht nur friedlich wie die Sanftmütigen, die Frieden halten; sondern auch friedlich, indem sie versuchen, Kriege und Streitigkeiten zu enden und so Frieden zu stiften. Diese sind nicht nur die Kinder des friedliebenden Gottes, sondern sie werden auch so heißen, denn den Menschen fällt ihre Ähnlichkeit mit ihrem Vater auf. Hierdurch wird unsre Kindschaft uns und andren bekannt. Menschen des Friedens sind die Kinder des Gottes des Friedens, und ihres Vaters Segen ruht auf ihnen.
Diese siebente Seligpreisung ist eine sehr hohe und herrliche; lasst uns alle versuchen, sie zu erlangen. Lasst uns keine Friedenstörer, sondern Friedenstifter sein. Doch dürfen wir nicht rufen: „Friede, Friede,“ wo kein Friede ist. Der vorhergehende Vers spricht von Reinheit und dieser von Frieden. Zuerst rein, dann friedlich, das ist Gottes Ordnung, und es sollte auch unsre sein.
10. Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn das Himmelreich ist ihr.
Dies ist der besondere Segen der Auserwählten Gottes, und er steht hoch in der Ehrenliste. Die einzige Huldigung, welche die Gottlosigkeit der Gerechtigkeit darbringen kann, ist, sie zu verfolgen. Die, welche in der ersten Seligpreisung geistlich arm warne, sind hier sowohl verachtet wie arm, und deshalb erhalten sie einen neuen königlichen Freibrief, der ihnen „das Himmelreich“ zusichert. Ja, sie haben das Reich jetzt, es ist in ihrem gegenwärtigen Besitz. nicht wegen irgend eines persönlichen Fehlers, sondern einfach wegen ihrer Gottesfurcht werden die Daniele des Herrn gehasst, aber sie sind gesegnet durch das, was wie ein Fluch aussieht. Ismael spottet über Isaak; aber desungeachtet hat Isaak das Erbe und Ismael wird ausgestoßen. Es ist eine Gabe Gottes, wenn wir würdig geachtet werden, um seines Namens willen zu leiden. Daran sollen wir gedenken und uns über das Kreuz Christi freuen, wenn man uns um seines Namens willen schmäht.
11. 12. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen, und reden allerlei Uebels wider euch, so sie daran lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.
Verfolgung mit der Zunge ist häufiger, aber nicht weniger grausam als die mit der Hand. Die Verleumdung nimmt es nicht genau und erlaubt sich Anklagen jeder Art: „allerlei Übels.“ Kein Verbrechen ist zu niedrig, um dem Unschuldigen zugeschoben zu werden. Der Verfolger hat kein Bedenken betreffs der Schändlichkeit seiner Anklage. Die Regel scheint zu sein: „Werft recht viel Schmutz, etwas davon wird haften bleiben.“ Unter dieser sehr schweren Prüfung sollen Fromme froher als gewöhnlich sein, denn so werden sie zu dem Rang der Propheten erhoben, gegen welche der Sturm der Lügen mit entsetzlicher Wut anpeitschte. „Also haben sie verfolgt die Propheten.“ Dies ist das Erbteil der Boten des Herrn: sie töteten den einen und steinigten den andren. Die Ehre, mit den Propheten um des Herrn willen zu leiden, ist so groß, dass sie uns wohl aussöhnen kann mit allem, was damit verbunden ist. Es gibt eine inquisitorische Nachfolge von Verfolger, „denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind,“ und es gibt eine prophetische Nachfolge von Heiligen, verordnet, den Herrn in den Feuern zu verherrlichen. Zu diesen Heiligen zu gehören, ist unser hohes Vorrecht, und wir sind glücklich, dass es so ist. Unsre Freude und Fröhlichkeit soll alle gewöhnlichen Grenzen überschreiten, wenn wir in heftige Verfolgung kommen oder aufs schlimmste verleumdet werden.
13. Ihr seid das Salz der Erde. Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man es salzen? Es ist zu nichts hinfort nütze, denn dass man es hinaus schütte, und lasse es die Leute zertreten.
So spricht Er zu denen, die Er in sein Königreich aufnimmt. In ihrem Charakter ist eine bewahrende Kraft, welche von der übrigen Gesellschaft die Fäulnis abhält. Wenn sie nicht unter den Menschen hier und da sich fänden, würde die Menschheit verfaulen. Aber wenn sie nur dem Namen nach Christen sind und die wirkliche Macht dahin ist, so kann nichts sie retten und sie sind für die, unter denen sie sich bewegen, von durchaus gar keinem Nutzen. Es gibt ein gewisses Etwas, welches das Geheimnis der macht des Gläubigen ist. Dieses Etwas ist nicht leicht zu beschreiben, aber es ist schlechthin notwendig, um nützlich zu sein. Ein Weltling mag von einigem Nutzen sein, selbst wenn er in gewisser Hinsicht sehr mangelhaft ist, aber ein Christ, der kein wahrer Christ ist, ist ganz und gar schlecht, er ist „zu nichts nütze,“ und gänzlich wertlos für alle und jeden. Völlige Verwerfung wartet auf ihn: „Er wird hinaus geschüttet und von den Leuten zertreten werden.“ Seine Religion bildet einen Fußpfad für Mode oder für Hohn, wie die Welt es zufällig nimmt; in keinem Falle ist sie ein Bewahrungsmittel, denn sie bewahrt sich selbst nicht vor Verachtung.
Wie lehrt dies die Notwendigkeit des Beharrens bis ans Ende! Denn wenn die göttliche Gnade ganz von einem Menschen weichen könnte, so könnte sie nie wieder hergestellt werden. Der Spruch ist sehr klar und bestimmt n diesem Punkte. Welch ein unbiblischer Unsinn, davon zu reden, dass ein Mensch wieder geboren werden könnte, und doch das göttliche Leben verlieren und es dann wieder erlangen. Die Wiedergeburt kann nicht fehlschlagen; wenn sie es täte, so müsste der Mensch auf ewig hoffnungslos sein. Er könnte nicht wieder geboren werden und wieder und immer wieder, sondern er würde über den Bereich der Barmherzigkeit hinaus sein. Aber wer ist hoffnungslos? Gibt es einige, deren Wiederherstellung unmöglich ist? Wenn das, so mögen einige ganz und gar aus der Gnade gefallen sein, aber sonst nicht. Die, welche von allen Menschen als innerhalb des Bereiches der Gnade reden, können nicht schriftgemäß oder logisch an völligen Abfall glauben, da es unmöglich ist, „dass sie sollten wiederum erneuert werden zur Buße,“ wenn sie wirklich abgefallen sind.
Die große Lehre ist die, dass dann, wenn es der Gnade misslingt, einen Menschen zu retten, nichts andres für ihn getan werden kann. „Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man es salzen?“ Ihr könnt Fleisch salzen, aber ihr könne nicht Salz salzen; wenn Gnade vergeblich ist, so ist alles vergeblich. Gnädiger Meister, gestatte mir nicht, Versuche anzustellen, wie weit ich meine salzende Kraft verlieren könne, sondern lass mich stets voll Gnade und Wahrheit sein.
14.15. Ihr seid das Licht der Welt. Es mag die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an, und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es denen allen, die im Hause sind.
Wir sollen die Finsternis der Unwissenheit, der Sünde und des Schmerzes vertreiben. Christus hat uns angezündet, damit wir die Welt erleuchten. Es ist nicht unsre Sache, mit unsrer Religion im Verborgenen zu liegen. Gott will, dass seine Gnade ebenso sichtbar sein soll wie eine Stadt, die auf dem Gipfel eines Berges gebaut ist. Der Versuch, seinen Geist zu verbergen, ist ebenso töricht, wie eine Lampe „unter einen Scheffel“ zu stellen. Die Lampe sollte von allen, „die im Hause sind,“ gesehen werden, und ebenso die Gnaden des Christen. Häusliche Frömmigkeit ist die beste Frömmigkeit. Wenn unser Licht nicht im Hause gesehen wird, so verlasst euch darauf, wir haben keins. Lichter sind für Wohnzimmer und Schlafzimmer bestimmt. Lasst uns nicht das Licht der Gnade bedecken. In der Tat, wir können „nicht verborgen sein,“ wenn der Herr uns einmal auf dem Berge seiner Liebe erbaut hat, ebenso wenig können wir in der Finsternis wohnen, wenn Gott uns angezündet und „auf einen Leuchter“ gestellt hat.
Herr, lass mich eifrig sein, in der ganzen Welt das Licht zu verbreiten, das ich von Dir empfangen habe! Wenigstens lass mich in meinem eigenen Hause leuchten.
16. Also lasset euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie eure guten Werke sehen, und euren Vater im Himmel preisen.
Das Licht ist unser, aber das Lob und der Preis ist für „unsren Vater im Himmel.“ Wir leuchten, weil wir Licht haben, und wir werden gesehen, weil wir leuchten. Durch gute Werke leuchten wir am besten vor den Menschen. Wahres Leuchten ist stille, doch ist es so nützlich, dass Menschen, die nur zu oft sehr schlechte Richter sind, gezwungen werden, Gott zu loben für das Gute, das sie durch das von Ihm angezündete Licht empfangen haben. Engel preisen Gott, den sie sehen, und Menschen sind gezwungen, Gott zu preisen, den sie nicht sehen, wenn sie die „guten Werke“ seiner Heiligen bemerken. Wir brauchen nichts dagegen zu haben, gesehen zu werden, obgleich wir es nicht wünschen sollten. Da die Menschen sicherlich unsre vortrefflichen Eigenschaften sehen werden, wenn wir solche besitzen, so lasst uns zusehen, dass alle Ehre unsrem Herrn gegeben werde, dem sie ganz allein gebührt. Nicht uns, nicht uns, Herr, sondern Deinem Namen gib Ehre!
Unser König ehrt seines Vaters Gesetz. (Vers 17-20.)
Er trug Sorge, die Gesetze der Menschen abzuändern und zu verbessern, aber das Gesetz Gottes befestigte und bestätigte Er.
17. Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.
Das Alte Testament steht fest in allen seinen Teilen, beides, in dem „Gesetz und den Propheten.“ Der Herr Jesus wusste nichts von „zerstörender Kritik.“ Er befestigte im tiefsten Sinne des Wortes alles, was in der Heiligen Schrift geschrieben steht, und legt eine neue Fülle hinein. Dies sagt Er, ehe Er daran geht, Bemerkungen über das von den Männern der alten Zeit Gesprochene zu machen. Er selbst ist die Erfüllung und das Wesen der Vorbilder, Weissagungen und Gebote des Gesetzes.
18. Denn ich sage euch wahrlich: Bis dass Himmel und Erde zergehe, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe, noch ein Tüttel vom Gesetz, bis dass es alles geschehe.
Keine Silbe soll abgetan werden. Sogar bis zu dem kleinsten Buchstaben, dem „i“, wird das Gesetz die Schöpfung überdauern. Das Alte Testament ist ebenso heilig behütet wir das Neue. „Des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit.“ Die neueren Kritiker haben sich eine unmögliche Aufgabe gestellt in ihrem Bemühen, die Inspiration der ganzen Heiligen Schrift oder dieses Buches, jenes Kapitels oder jenes Verses abzutun, denn das Ganze soll aus ihrem Feuerofen herauskommen wie siebenmal geläutertes Silber.
19. Wer nun eins von diesen kleinsten Geboten auflöst, und lehrt die Leute also, der wird der kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut, und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich.
Unser König ist nicht gekommen, das Gesetz abzuschaffen, sondern es zu bestätigen und wieder einzuschärfen. Seine Gebote sind ewig; und wenn Lehrer irrtümlicherweise sein Gesetz brechen, und lehren sollten, dass das kleinste Gebot desselben aufgehoben sei, so werden sie ihren Rang verlieren und auf die niedrigste Stufe herabsinken. Der Adel seines Reiches wird dem Gehorsam gemäß erteilt. Nicht Geburt, Kenntnis oder Erfolg wird einen Mann groß machen, sondern demütiger und genauer Gehorsam in Wort und Tat. „Wer es aber tut und lehrt,“ der ist der Mann, der „groß heißen wird im Himmelreich.“ Daher stellt der Herr Jesus kein milderes Gesetz auf und will auch keinem seiner Diener erlauben, sich dessen zu erkühnen. Unser König erfüllt das alte Gesetz, und sein Geist wirkt in uns das Wollen und Vollbringen nach Gottes Wohlgefallen, wie es in den unveränderlichen Geboten der Gerechtigkeit kundgetan ist.
Herr, mache mich zu einem gehorsamen Untertanen dieses Deines Reiches, und möge ich beides, „tun und lehren,“ Deinen Worten gemäß! Ob ich klein oder groß auf Erden bin, mache mich groß im Gehorsam gegen Dich.
20. Denn ich sage euch: Es sei denn eure Gerechtigkeit besser, denn der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.
Wir können nicht einmal „in das Himmelreich kommen“ und beginnen, des Herrn zu sein, ohne über die Vordersten unter den Frömmlern der Welt hinauszugehen. Gläubige sollen in ihrem Wandel nicht schlechter sein, sondern weit besser, als die genauesten Gesetzesmenschen. Im Herzen und selbst im Handeln sollen wir höher stehen als die, welche sich des Gesetzes rühmen. Das Reich ist nicht für Empörer, sondern für die pünktlich Gehorsamen. Es fordert nicht nur Heiligkeit, Ehrfurcht, Lauterkeit und Reinheit von uns, sondern es wirkt alles dieses in unserem Herzen und Leben. Das Evangelium gibt uns nicht wegen des höheren Vorzuges einer vorausgesetzten inneren Heiligkeit die Freiheit zu äußeren Sünden, sondern es erzeugt vielmehr äußere Heiligkeit dadurch, dass es in unsrer innersten Seele eine herrliche Freiheit in dem Gesetze des Herrn bewirkt.
Welch einen König haben wir in Jesu! Welche Menschen sollten wir sein, die wir bekennen, seinem heiligen Reiche anzugehören! Wie achtsam auf unsres Vaters geoffenbarten Willen! Wie entschlossen, kein Tändeln mit dem Gesetz und den Propheten zu gestatten!
Der König berichtigt überliefertes Gesetz. (Vers 21-37.)
Es war notwendig, dass der Herr Jesus menschliche Überlieferungen hinweg tat, um Raum für seine eigene geistliche Lehre zu machen.
21. Ihr habt gehört, dass zu den Alten [englische Übersetzung „von den Alten“] gesagt ist: Du sollst nicht töten; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein.
Das Alter einer Sache wird oft als eine Autorität geltend gemacht, aber unser König macht kurzen Prozess mit „den Alten.“ Er beginnt mit einer ihrer Änderungen des Gesetzes seines Vaters. Sie hatten etwas zu den heiligen Worten hinzugefügt. Der erste Teil des von unsrem Herrn angeführten Ausspruches war göttlich, aber er war auf eine niedere Stufe herabgezogen durch die Hinzufügung von dem menschlichen Gericht und des Mörders Verpflichtung, dort zu erscheinen. So wurde es mehr zu einem Sprichwort unter den Menschen, als zu einem inspirierten Worte aus dem Munde Gottes. Seine Bedeutung, wie Gott es gesprochen, hatte einen viel weiteren Umfang, als wenn die Übertretung auf das tatsächliche Töten beschränkt wurde, das vor ein menschliches Gericht gebracht werden konnte. Ein Gebot enger machen, heißt es in einem gewissen Maße aufheben. Wir dürfen dies nicht einmal tun, wenn wir das Alter als unsre Gewähr dafür haben. Besser, die ganze Wahrheit neu ausgesprochen, als eine alte Falschheit in altertümlicher Sprache.
22. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Racha! der ist des Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr! der ist des höllischen Feuers schuldig.
Mord liegt im Zorn, denn wir wünschen dem, mit dem wir zürnen, Schaden, oder wünschen, dass er nicht existierte, und dies heißt ihn dem Wunsche nach töten. Zorn „ohne Ursache“ ist verboten durch das Gebot, das da sagt: „Du sollst nicht töten,“ denn ungerechter Zorn ist der Gesinnung nach Töten. Solcher Zorn ohne Ursache bringt uns vor ein höheres Gericht, als das der jüdischen Polizeibehörden. Gott nimmt Kenntnis von den Empfindungen, aus denen Taten des Hasses entspringen können, und zieht uns zur Rechenschaft ebenso sehr für das zornige Gefühl als für die mörderische Tat. Auch Worte kommen unter dieselbe Verdammnis. Ein Mensch soll gerichtet werden wegen dessen, was „er zu seinem Bruder sagt.“ Einen Mann Rache oder einen nichtswürdigen Menschen nennen, heißt seinen Ruf töten, und zu ihm sagen: „Du Narr!“ heißt ihn in betreff der edelsten Vorzüge des Menschen töten. Daher kommt alles dieses unter ein Urteil, wie die Menschen es in ihren Ratsversammlungen fällen; ja, was noch viel schlimmer ist, unter die Strafe, welche vom höchsten Gerichtshof des Weltalls verhängt wird, der Menschen zum „höllischen Feuer“ verurteilt. So stellt unser Herr und König das Gesetz Gottes in seiner wahren Kraft wieder her und warnt uns, dass seine Drohung nicht nur gegen die offene Tat des Tötens gerichtet ist, sondern gegen alle Gedanken, Gefühle und Worte, die einem Bruder Schaden tun oder ihn durch Verachtung vernichten könnten. Welch ein umfassendes Gesetz ist dies! Mein Gewissen hätte ruhig sein können in betreff des Gebotes: „Du sollst nicht töten,“ aber wenn Zorn ohne eine gerechte Ursache Mord ist, wie soll ich mich verantworten? „Errette mich von den Blutschulden, Gott, der Du mein Gott und mein Heiland bist!“
23. 24. Darum, wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst, und wirst allda eindenken, dass dein Bruder etwas wider dich habe, so lass allda vor dem Altar deine Gabe, und gehe zuvor hin, und versöhne dich mit deinem Bruder, und alsdann komme, und opfere deine Gabe.
Der Pharisäer machte als Deckmantel für seine Bosheit geltend, dass er ein Sühnopfer bringe, aber unser Herr will, dass wir erst unsrem Bruder vergeben und dann die Gabe opfern. Wir sollen Gott mit Nachdenken verehren, und wenn wir beim nachdenken uns erinnern, „dass unser Bruder etwas wider uns habe,“ so müssen wir innehalten. Wenn wir einem andren Unrecht getan, sollen wir mit der Andacht aufhören und eilen, Versöhnung zu suchen. Wir gedenken leicht daran, wenn wir etwas gegen unsren Bruder haben, aber jetzt soll sich das Gedächtnis nach der andren Seite wenden. Nur, wenn wir unsres Unrechtes gedacht und uns ausgesöhnt haben, können wir auf Annahme beim Herrn hoffen. Die Regel ist – erst Friede mit Menschen und dann Annahme bei Gott. Durch das Heilige müssen wir gehen, um das Allerheiligste zu erreichen. Wenn der Friede mit unsrem Bruder gemacht ist, dann lasst uns die Andacht vor unsrem Vater halten, so werden wir es mit leichterem Herzen und aufrichtigerem Eifer tun.
Ich möchte sehnlichst wünschen, mit allen Menschen in Frieden zu sein, ehe ich versuche, Gott zu verehren, damit ich nicht Gott das Opfer der Thoren darbringe.
25. 26. Sei willfertig deinem Widersacher bald, dieweil du noch bei ihm auf dem Wege bist, auf dass dich der Widersacher nicht dermaleinst überantworte dem Richter, und der Richter überantworte dich dem Diener, und werdest in den Kerker geworfen. Ich sage dir wahrlich: Du wirst nicht von dannen herauskommen, bis du auch den letzten Heller bezahlest.
In allen Uneinigkeiten strebe nach Frieden. Hör’ auf mit Streiten, ehe du beginnst.
In Prozessen suche raschen und friedlichen Ausgleich. Oft war die in unsres Herrn Tagen das Vorteilhafteste, und gewöhnlich ist es das auch jetzt noch. Besser, deine Rechte verlieren, als in die Hände derer zu geraten, die im Namen der Gerechtigkeit dich nur scheren und dich festhalten werden, so lange noch der Schein einer Forderung gegen dich erhoben werden kann, oder ein Pfennig aus dir herauszupressen ist. In einem Lande, wo „Gerechtigkeit“ Raub bedeutete, war es weise, sich berauben zu lassen und keine Klage zu erheben. Selbst in unsrem eigenen Lande ist ein magerer Vergleich besser als ein fetter Prozess. Viele gehen vor Gericht, um Wolle zu erlangen, aber sie kommen kurz geschoren heraus. Führt keine zornigen Prozesse vor Gericht, sondern schließt mit äußerster Schnelligkeit Frieden.
27. 28. Ihr habt gehört, dass zu den Alten [engl. Übersetzung „von den Alten“] gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen. Ich aber sage euch: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.
Hier setzt unser König wiederum die Glossen, die Menschen zu den Geboten Gottes gemacht, beiseite und zeigt das Gesetz in seiner großen, geistlichen Ausdehnung. Während die Überlieferung das Verbot auf eine offenbare Tat der Unkeuschheit beschränkt hatte, zeigt der König, dass es die unreinen Wünsche des Herzens verbietet. Hier wird gezeigt, dass das göttliche Gesetz sich nicht nur auf die Tat des verbrecherischen Umgangs bezieht, sondern selbst an das Verlangen, die Phantasie oder die Leidenschaft, die zu einer solchen Schändlichkeit anreizen könnte. Welch ein König ist dieser, der sein Zepter über das Reich der Lüste des Innern erstreckt! Mit welcher Herrschermacht spricht Er: „Ich aber sage euch!“ Wer anders als ein göttliches Wesen hatte die Autorität, in dieser Weise zu sprechen? Sein Wort ist Gesetz. Das sollte es sein, da es das Laster an der Quelle angreift und die Unreinheit des Herzens verbietet. Würde die Sünde nicht in der Seele zugelassen, so würde sie nie im leibe hervortreten, und darum ist dieses eine sehr wirksame Art, mit dem Bösen zu verfahren. Aber wie tief eindringend, wie verdammend! Lüsterne Blicke, unkeusche Wünsche, starke Leidenschaften gehören so recht zum Wesen des Ehebruchs, und wer kann eine lebenslange Freiheit von diesen behaupten? Doch sind dieses die Dinge, die einen Menschen verunreinigen. Herr, treibe sie aus meiner Natur heraus und mache mich innerlich rein.
29. Ärgert dich aber dein rechtes Auge, so reiß es aus und wirf es von dir. Es ist dir besser, dass eins deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde.
Das, was die Ursache der Sünde ist, muss ebenso wohl aufgegeben werden als die Sünde selber. Es ist nicht sündlich, ein Auge zu haben oder ein scharfes Wahrnehmungsvermögen auszubilden, aber wenn das Auge forschender Erkenntnis uns zu geistigen Sünden verleitet, so wird es der Anlass zum Bösen und muss abgetötet werden. Alles, wie harmlos es auch sei, was mich dahin führt, Unrecht zu tun oder zu denken oder zu fühlen, muss ich entfernen, als wenn es an sich etwas Böses wäre. Ob auch das Aufgeben einen Verlust mit sich bringt, muss es doch geschehen, da selbst ein ernstlicher Verlust in einer Sache weit besser ist als das Verlorengehen des ganzen Menschen. Besser ein blinder Heiliger, als ein scharfsichtiger Sünder. Wenn die Enthaltung von geistigen Getränken wirklich Körperschwäche verursachen würde, so wäre es besser, schwach zu sein, als stark und in Trunksucht zu fallen. Da eitle Grübeleien und Vernünfteleien die Menschen zum Unglauben leiten, so wollen wir keine solche haben. „In die Hölle geworfen werden“ ist eine zu große Gefahr; wir wollen es nicht wagen, bloß um das böse Auge der Lust oder der Neugierde zu befriedigen.
30. Ärgert dich deine rechte Hand, so haue sie ab, und wirf sie von dir. Es ist dir besser, dass eins deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde.
Die Ursache des Ärgernisses mag mehr eine äußerlich tätige sein gleich der Hand, als eine geistige gleich dem Auge, aber es ist uns besser, in unsrem Werke gehindert, als in Versuchung hinein gezogen zu werden. Die geschickteste Hand muss nicht geschont werden, wenn sie uns zum Bösen antreibt. Wir dürfen uns nicht etwas verstatten, weil es uns geschickt und erfolgreich macht; sondern wenn es sich als eine Veranlassung zu Sünde erweist, so müssen wir es aufgeben und lieber unser Lebenswerk Schaden erleiden lassen, als unser ganzes Wesen durch Sünde ins Verderben bringen. Heiligkeit muss unser erstes Ziel sein, alles andere muss einen sehr untergeordneten Platz einnehmen. Rechte Augen und rechte Hände sind nicht mehr recht, wenn sie uns zum Unrecht leiten. Sogar Hände und Augen müssen weg, damit wir nicht unsren Gott durch sie beleidigen. Doch möge dies niemand buchstäblich nehmen und deshalb seinen Körper verstümmeln, wie einige törichte Fanatiker es getan haben. Der wirkliche Sinn ist klar genug.
Herr, ich liebe Dich mehr als meine Augen und Hände, lass mich nie einen Augenblick anstehen, alles für Dich aufzugeben!
31. 32. Es ist auch gesagt: Wer sich von seinem Weibe scheidet, der soll ihr geben einen Scheidebrief. Ich aber sage euch: Wer sich von seinem Weibe scheidet, (es sei denn um Ehebruch,) der macht, dass sie die Ehe bricht; und wer eine Abgeschiedene freiet, der bricht die Ehe.
Diesmal ist es eine gesetzliche Gestattung des jüdischen Staates, die unser Herr anführt und verurteilt. Die Männer waren gewohnt, ihre Weiber fortzuschicken, und ein hastiges Wort ward schon für einen genügenden Scheidungsakt gehalten. Mose verlangte „einen Scheidebrief,“ damit zornige Leidenschaften Zeit hätten, abzukühlen, und die Trennung, wenn sie geschehen musste, mit Überlegung und gesetzlicher Formalität vollzogen würde. Die Forderung eines Schreibens war bis zu einem gewissen grade ein Hemmnis für eine böse Gewohnheit, die so in dem Volke eingewurzelt war, dass es nutzlos gewesen, sie ganz zu verbieten, weil das nur ein andres Verbrechen erzeugt hätte. Das Gesetz Mose ging so weit, wie es tatsächlich durchgesetzt werden konnte. Um ihrer Herzenshärtigkeit willen wurde die Scheidung geduldet, aber gebilligt wurde sie nie.
Aber unser Herr ist kühner in seiner Gesetzgebung: Er verbietet die Scheidung, ausgenommen wegen des einen Verbrechens der Untreue gegen das Ehegelübde. Die, welche Ehebruch begeht, zerreißt durch die Tat in Wirklichkeit da Eheband, und es sollte dann förmlich vom Staate als zerrissen anerkannt werden, aber durch nichts andres sollte ein Mann von seinem Weibe geschieden werden. Die Ehe ist fürs Leben und kann nicht aufgelöst werden außer durch das eine große Verbrechen, welches ihr Band zertrennt, wer von den Zweien desselben auch schuldig ist. Unser Herr würde nie die schlechten Gesetze gewisser amerikanischer Staaten geduldet haben, die den verheirateten Männern und Frauen erlauben, sich unter dem geringsten Vorwande zu trennen. Ein Weib, das aus einer andren Ursache als um des Ehebruchs willen geschieden ist und wieder heiratet, begeht vor Gott Ehebruch, wie immer die Gesetze der Menschen es nennen. Dies ist sehr deutlich und bestimmt, und verleiht der Ehe eine Heiligkeit, welche die menschliche Gesetzgebung nicht verletzen sollte. Lasst uns nicht unter denen sein, welche die neueren Ideen über die Ehe erfassen und die Ehegesetze zu verunstalten suchen unter dem Vorwand, sie zu verbessern. Unser Herr weiß es besser, als unsre neueren sozialen Reformatoren. Wir tun besser, die Gesetze Gottes nicht anzutasten, denn wir werden niemals bessere erfinden.
33.-37. Ihr habt weiter gehört, dass zu den Alten (engl. Übersetzung „von den Alten“) gesagt ist: Du sollst keinen falschen Eid tun, und sollst Gott deinen Eid halten. Ich aber sage euch, dass ihr allerdings nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Stuhl; noch bei der Erde, denn sie ist seiner Füße Schemel; noch bei Jerusalem, denn sie ist des großen Königs Stadt. Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören; denn du vermagst nicht, ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein; was darüber ist, das ist vom Uebel.
Falsches Schwören war in alter Zeit verboten, aber alles Schwören wird jetzt durch das Wort unsres Herrn Jesu verboten. Er nennt verschiedene Formen des Eides und verbietet sie alle, und schreibt sodann einfache Formen des Bejahens und Verneinens vor, als alles, was seine Nachfolger gebrauchen sollten. Obwohl vieles für das Gegenteil vorgebracht werden mag, lässt der einfache Sinn dieser Stelle sich nicht umgehen, dass jede Art von Eid, wie feierlich oder wahr derselbe auch sei, einem Nachfolger Jesu verboten ist. Ob vor dem Gericht oder anderswo, die Regel ist: „Vor allen Dingen, schwöret nicht.“ Dennoch haben wir in diesem christlichen lande überall das Schwören, und besonders unter denen, die Gesetze machen. Unsre Gesetzgeber beginnen ihre amtliche Existenz mit Schwören. Von denen, die dem Gesetze des Reiches Christi gehorchen, wird alles Schwören abgetan, damit das einfache Wort der Bejahung oder Verneinung ruhig wiederholt, als eine genügende Bürgschaft der Wahrheit bleiben möge. Einem schlechten Menschen kann man nicht auf seinen Eid glauben, und ein guter Mensch spricht die Wahrheit ohne Eid; zu welchem Zweck wird denn die überflüssige Gewohnheit des gesetzlichen Schwörens beibehalten? Christen sollten sich keiner schlechten Sitte unterwerfen, wie groß auch der auf sie ausgeübte Druck sei, sondern sie sollten bei dem deutlichen, nicht misszuverstehenden Gebote ihres Herrn und Königs bleiben.
38. Ihr habt gehört, dass da gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Das Gesetz: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, wenn es in den Gerichtshöfen angewendet wurde, war auf Gerechtigkeit gegründet und weit unparteiischer, als das neuere System der Geldstrafen, denn das erlaubt den Reichen mit vergleichungsweiser Straflosigkeit zu sündigen. Aber als das Lex talonis die Regel des täglichen Lebens wurde, nährte es die Rachsucht, und unser Heiland wollte es nicht als einen von den einzelnen angewandten Grundsatz dulden. Was als Gesetz im Gerichtshof gut ist, mag als Sitte im gewöhnlichen Leben schlecht sein. Er sprach gegen das, was zum Sprichwort geworden und unter dem Volk gehört und gesagt wird: „Ihr habt gehört, dass da gesagt ist.“
Unser liebevoller König wollte, dass unser Privatverkehr durch den Geist der Liebe geregelt würde und nicht durch die Regel des Gesetzes.
39. Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern so dir jemand einen Streich gibt auf deine rechte Backe, dem biete die andere auch dar.
Unterwürfigkeit und Duldung soll die Regel unter Christen sein. Sie sollen persönliche schlechte Behandlung tragen ohne handgemein zu werden. Sie sollen dem Amboss gleichen, wenn schlechte Menschen die Hämmer sind, und sollen so durch geduldiges Vergeben überwinden. Die Regel des Richterstuhls ist nicht für das tägliche Leben, aber die Regel des Kreuzes und des aller erduldenden Leidenden ist für uns alle. Doch wie viele halten all dieses für fanatisch und sogar für feige. Der Herr, unser König, will, dass wir tragen und ertragen und durch starke Geduld siegen. Können wir es tun? Wie sind wir Diener Christ, wenn wir seinen Geist nicht haben?
40. Und so jemand mit dir rechten will, und deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel.
Lass ihn alles haben, was er verlangt, und mehr. Besser, einen ganzen Anzug zu verlieren, als in einen Prozess verwickelt zu werden. Die Gerichte in unsres Herrn Tagen waren verderbt, und seinen Jüngern wurde der Rat gegeben, lieber Unrecht zu leiden, als sich an sie zu wenden. Unsre eigenen Gerichtshöfe gewähren oft die sicherste Art, eine Schwierigkeit durch Autorität zu lösen, und wir haben Fälle gekannt, wo man zu ihnen Zuflucht nahm, um Streit zu verhüten. Doch selbst in einem Lande, wo Gerechtigkeit zu haben ist, sollen wir nicht um jedes Unrechts willen, das uns persönlich trifft, zu dem Gesetz unsre Zuflucht nehmen. Wir sollten es lieber ertragen, übervorteilt zu werden, als immerfort schreien: „Ich will Klage führen.“
Zuzeiten mag eben diese Regel die Selbstaufopferung verlangen, dass wir uns an das Gesetz wenden, um Schaden zu verhüten, der schwerer auf andere fallen würde, aber wir sollten oft unsren eigenen Vorteil aufgeben, ja immer, wenn der Hauptgrund ein stolzer Wunsch nach Selbstverteidigung ist. Herr, gib mir einen geduldigen Geist, dass ich mich nicht zu rühmen suche, selbst wenn ich es gerechterweise könnte!
41. Und so dich jemand nötigt eine Meile, so gehe mit ihm zwei.
Die Regierungen verlangten in jenen Tagen Zwangsdienste durch ihre Unterbeamten. Christen sollten nachgiebigen Sinnes sein und lieber einer doppelten Forderung genügen, als böse Worte und Zorn veranlassen. Wir sollten den Steuern nicht zu entgehen suchen, sondern bereit sein, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist. „Nachgeben“ ist unser Losungswort. Sich gegen die Gewalt erheben, ist nicht eben unsre Sache, das wollen wir andren überlassen. Wie wenige glauben an die Lehren unsres Königs von der Langmut und dem Nicht-Widerstande!
42. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht von dem, der dir abborgen will.
Sei freigebig. Ein Geizhals ist kein Nachfolger Jesu. Umsicht muss bei unsrem Geben sein, damit wir nicht Faulheit und Bettelei befördern, aber die allgemeine Regel ist. „Gib dem, der dich bittet.“ Zuweilen mag ein Darlehen nützlicher sein als eine Gabe; verweigere das denen nicht, die rechten Gebrauch davon machen. Diese Vorschriften sind nicht für Narren bestimmt; sie werden uns als allgemeine Regel aufgestellt; aber jede Regel wird durch andere Schriftgebote in Gleichgewicht gehalten und auch der gesunde Menschenverstand hilft uns in dieser Sache. Unser Sinn soll so sein, dass wir bereit sind, dem Bedürftigen durch Gabe oder Darlehen zu helfen, und wir sind nicht so sehr geneigt, in dieser Richtung durch Übermaß zu irren, daher die Kahlheit des Gebotes.
43. Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben, und deinen Feind hassen.
Hier war einem Gebot der Schrift von verderbten Gemütern ein menschlicher Gegenspruch angehängt, und dieser menschliche Zusatz war schädlich. Es ist eine gewöhnliche Methode, an die Schriftlehre etwas anzuhängen, was aus ihr hervorzuwachsen oder ein selbstverständlicher Schluss zu sein scheint, was aber auch falsch und böse sein kann. Dies ist ein schweres Verbrechen gegen das Wort des Herrn. Der Heilige Geist will nur seine eigenen Worte anerkennen. Er erkennt die Vorschrift an: „Du sollst deinen Nächsten lieben,“ aber er hasst den Schmarotzer: „und deinen Feind hassen“: Dieser letzte Satz zerstört den, aus dem er rechtmäßiger Weise hervorzuwachsen scheint, da die, welche hier Feinde genannt werden, in Wahrheit Nächste sind. Liebe ist jetzt das Universalgesetz, und unser König, der sie befohlen hat, ist selber das Muster darin. Er will es nicht verengert und in einer Einfassung von Hass sehen. Möge die Gnade uns alle davor behüten, in diesen Irrtum zu fallen!
44. 45. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen; auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel; denn Er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten, und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
An uns ist es, in der Liebe zu beharren, selbst wenn die Menschen in der Feindschaft beharren. Wir sollen Fluchen mit Segnen, Verfolgungen mit Gebeten vergelten. Selbst wenn grausame Feinde da sind, sollen wir „ihnen Gutes tun und für sie beten“. Wir sind nicht mehr Feinde irgendwelcher Menschen, sondern Freunde aller. Wir hören nicht bloß auf zu hassen, um alsdann in einer kalten Neutralität zu bleiben, sondern wir lieben, wo Hass unvermeidlich schien. Wir segnen, wo unsre alte Natur uns fluchen heißt, und wir bemühen uns, denen Gutes zu tun, die verdienen, Böses von uns zu empfangen. Wo dies praktisch durchgeführt wird, da achten und bewundern die Menschen Jesu Nachfolger. Die Lehre mag verlacht werden, aber das Befolgen derselben wird hochgeachtet und für so staunenswert angesehen, dass die Menschen es einer göttlichen Eigenschaft der Christen zuschreiben, und anerkennen, dass sie die Kinder des Vaters im Himmel sind. In der Tat, der ist ein Kind Gottes, der die Undankbaren und die Bösen segnen kann, denn in seiner Vorsehung tut der Herr dies in größerem Maßstabe, und keine andren, als seine Kinder, werden Ihm nachahmen. Gutes tun um des Guten willen und nicht um des Charakters der Person willen, die das Gute empfängt, ist eine edle Nachahmung Gottes. Wenn der Herr den fruchtbarmachenden Regen nur auf das Land der Heiligen sendete, so würde die Dürre ganze Meilen Landes aller Erntehoffnung berauben. Auch wir müssen den Bösen Gutes tun, sonst werden wir einen engen Wirkungskreis haben, unsre Herzen werden sich zusammenziehen und unsre Gotteskindschaft wird zweifelhaft werden.
46. Denn so ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Thun nicht dasselbe auch die Zöllner?
Jeder gewöhnliche Mensch wird die lieben, die ihn lieben; selbst der Zöllner und der Abschaum der Erde kann sich zu dieser armseligen, ausgehungerten Tugend erheben. Heilige können nicht mit einer so niedrigen Stufe zufrieden sein. Liebe für Liebe ist menschlich; aber Liebe für Hass ist christlich. Sollen wir nicht wünschen, unsrem hohen Beruf gemäß zu handeln?
47. Und so ihr euch nur zu euren Brüdern freundlich tut, was tut ihr Sonderliches? Thun nicht die Zöllner auch also?
Auf Reisen oder auf der Straße oder im Hause sollen wir nicht unsre freundlichen Grüße auf die beschränken, die uns nahe und teuer sind. Höfliche Freundlichkeit sollte sich weit erstrecken, und darum nicht weniger aufrichtig sein, weil sie allgemein ist. Wir sollten freundlich mit allen sprechen und jeden Menschen als einen Bruder behandeln. Jeder wird einem alten Freund die Hand reichen, aber wir sollten herzlich und freundlich gegen jedes Wesen in der Gestalt eines Menschen sein. Wenn nicht, so erreichen wir keine höhere Stufe, als die aus der Gesellschaft Ausgestoßenen. Sogar ein Hund grüßt einen Hund.
48. Darum sollt ihr vollkommen sein, gleich wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.
Wir sollten nach Vollständigkeit in der Liebe, nach der Fülle der Liebe gegen alle um uns her streben. Die Liebe ist das Band der Vollkommenheit, und wenn wir vollkommene Liebe haben, so wird sie einen vollkommenen Charakter in uns ausbilden. Hier ist das, wonach wir streben, Vollkommenheit gleich der unsres Gottes; hier ist die Weise, sie zu erlangen, nämlich, reich an Liebe sein. Dies legt uns die Frage vor, wie weit wir in dieser himmlischen Richtung fortgeschritten sind, und zeigt uns auch den Grund, warum wir darin bis ans Ende beharren sollen, weil wir als Kinder unsrem Vater gleichen müssen. Biblische Vollkommenheit ist erreichbar: sie liegt mehr in dem Ebenmaß als in dem Grade. Eines Menschen Charakter mag vollkommen und vollständig sein, so dass nichts daran fehlt, und doch wird ein solcher Mensch der erste sein, der zugibt, dass die Gnade, welche in ihm ist, im besten Falle in ihrer Kindheit ist, und obgleich als Kind vollkommen in allen Teilen, doch noch nicht die Vollkommenheit des Mannesalters erreicht hat. Welches Ziel wird uns von unsrem vollkommenen König gesteckt, der von seinem Bergthron herab spricht: „Ihr sollt vollkommen sein, gleich wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!“ Herr, gib, was Du gebietest, dann wird beides, die Gnade und die Herrlichkeit, Dein allein sein.