„Lasst sie auch zwischen den Garben lesen und beschämet sie nicht.„
Ruth 2,15.
Unsere Freunde vom Land bedürfen keiner Erklärung dieser Worte. Es ist aber zu befürchten, dass viele Gemeindeglieder nicht weise genug sind, die geistliche Bedeutung des Ährenlesens zu verstehen. Ich habe diesen Gegenstand und meinen Text aus dem herrlichen Buche Ruth gewählt, welches euch allen bekannt ist. Ich will damit unsere eigenen Verhältnisse auf eine einfache aber belehrende Weise illustrieren. Zuerst bemerken wir den großen Herrn des Landes; es war Boas in Ruths Fall, und für uns ist es unser himmlischer Vater. Dann betrachten wir die demütige Ährenleserin, welche Ruth ist, aber sie kann als Sinnbild jeder gläubigen Seele angesehen werden. Und drittens dann gedenken wir der gnädigen Erlaubnis, welche der Ruth gegeben wurde: „Lasst sie auch zwischen den Garben lesen und beschämt sie nicht,“ und dasselbe Vorrecht ist in geistlicher Weise uns Allen gegeben.
Der Gott Himmels und der Erden ist der Herr des Landes. Das gilt schon in natürlicher Beziehung. In Wahrheit hängt der ganze Landbau von seiner Kraft und Weisheit ab. Der Mensch kann pflügen und säen, aber das Gedeihen kommt von Gott. Er heißt die Wolken regnen und die Sonne scheinen; er lenket den Wind und verteilt Tau und Regen, dass die Erde Nahrung trägt für Menschen und Vieh. Aber alles dies geschieht zum Nutzen Anderer und nicht für sich. Er bedarf nicht unserer Arbeit. Wenn ihn hungerte, würde er es uns nicht sagen. Ist nicht das Vieh auf den Bergen, da es bei Tausenden gehet, sein? Von Gnade und Barmherzigkeit ist das Herz Gottes erfüllt. Obschon alle Dinge Gottes Eigentum sind, so sind doch alle Werke der Schöpfung und Vorsehung zum Wohl seiner Geschöpfe da, welches unser Vertrauen zu ihm mächtig stärken sollte.
In geistlicher Hinsicht ist Gott ebenfalls der Herr des Landes, und auch da geschieht alles zum Wohl seiner Kinder, damit dieselben sich vom Fetten des Landes nähren mögen. Erlaubt mir über die weiten Evangeliumsfelder, welche unser himmlischer Vater zum Nutzen seiner Kinder bebaut, etwas zu reden. Dieselben sind sehr verschieden, aber alle sind fruchtbar, denn „der Brunnen Jakobs wird sein auf dem Lande, da Korn und Most ist, dazu sein Himmel wird mit Tau triefen.“ Jedes Feld, welches unser himmlischer Vater baut, trägt eine reiche Ernte, denn Fehlernte und Hungersnot kommen hier nicht vor.
1) Da ist zunächst das Feld der Lehre. Welche köstlichen Garben von besten Weizen können da gesammelt werden! Wer daselbst sammelt, wird Brods genug und übrig haben, denn das Land trägt Früchte die Fülle. Man denke an die Lehre von der freien Gnade, der Versöhnung, der Rechtfertigung, der Heiligung und völligen Erlösung rc. Ich wundere mich, warum manche Haushalter unseres Herrn die Tore dieses Feldes schließen in der Meinung, es sei gefährlicher Grund. Was mich angeht, so hätte ich nicht nur gerne, dass meine Leute hier sammeln, sondern die Garben bei Wagenladungen in ihre Scheunen fahren würden, wenn es gute Früchte sind. Fürchten manche meiner Mitarbeiter, Jakob möchte fett und satt und geil werden, wenn er zu viel Nahrung hat? Ich befürchte, es ist mehr Gefahr, dass er verhungert, wenn ihm die gesunde Lehre vorenthalten wird. Wenn wir Lust haben zu dem Gesetz des Herrn, so brauchen wir uns vor den Lehren nicht zu fürchten, sondern können uns mit Freuden an denselben erquicken. Die Lehre von der Gnade, die Stufen und Herrlichkeit des Gnadenstandes muss in Übereinstimmung mit dem übrigen Worte Gottes deutlich gelehrt werden, und es ist eine ärmliche Kanzel, von welcher diese herrlichen Lehren nicht verkündigt werden. Wir dürfen Gottes Kindern dieses Feld nicht verschließen. Ich sage: Öffnet die Tore und kommt herein, Alle, die ihr Kinder des Höchsten seid. Ich bin überzeugt, dass auf dem Acker meines Gottes nichts wächst, das euch schaden könnte. Evangeliumslehre ist immer gesunde Lehre. Ihr könnt euch daran laben, bis ihr satt seid, und es wird Niemand schaden. Sich fürchten vor der geoffenbarten Wahrheit? Fürchtet euch vor Unwissenheit, aber nicht vor heilsamer Erkenntnis. „Wachset aber in der Gnade und Erkenntnis Jesu Christi.“ Alles, was geschrieben ist, ist uns zur Lehre geschrieben; vernachlässigt darum nichts. Gehet täglich aus auf das Feld der Lehre und sammelt dort mit allem Fleiß.
2) Der große Herr des Landes hat ein anderes Feld, Verheißungsfeld genannt. Darüber brauche ich kaum zu reden, denn ich denke, ihr geht oft dahin, um Ähren zu sammeln. Lasst uns nur eine oder zwei Ähren aus einer Garbe herausnehmen, um sie euch zu zeigen, damit ihr bewogen werdet, euer Leben lang daselbst zu bleiben und reiche Beute zu machen. Hier ist eine solche Lehre: „Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen; aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen.“ Hier ist eine andere: „Denn so du durchs Wasser gehest, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht sollen ersäufen; und so du ins Feuer gehest, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht anzünden.“ Da eine andere: „Denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Und da ist eine, die ist etwas lang im Stroh, aber auch ebenso reich an Kern: „Euer Herz erschrecke nicht. Glaubet ihr an Gott, so glaubt ihr auch an mich. In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, so wollte ich zu euch sagen: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. Und ob ich hinginge, euch die Stätte zu bereiten, will ich doch wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass ihr seid, wo ich bin.“ Welch ein Wort: „So will ich doch wiederkommen.“ Ja, Geliebte, von dem „Verheißungsfeld“ können wir behaupten, was sich von keinem Acker im ganzen Lande sagen lässt, nämlich, dass dasselbe nicht fruchtbarer sein könnte und so voll Ähren ist, dass für keine weitere Frucht mehr Raum wäre. Sammelt auf diesem Felde, ihr Armen und Bedürftigen, und lasst euch nie einfallen, dass ihr zu zudringlich seid. Das ganze Feld gehört euch, und je mehr ihr davon nehmt, desto besser für euch.
3) Dann ist auch das Feld der Gnadenmittel: Taufe und Abendmahl. Welche reiche Nahrung haben wir auf demselben schon gefunden, die uns in dunklen Stunden wunderbar stärkte. Es gibt kaum einen anderen Acker, welcher diesem Tische des Herrn an Reichtum gleich kommt. Es ist das königliche Feld der göttlichen Verordnungen. Bleibe auf demselben und genieße, so oft du Gelegenheit hast, das heilige Mahl, und erwarte, deinen Herrn darin zu treffen, denn es heißt: „Und als er das Brod brach, da erkannten sie ihn.“
4) Der Herr des Ackers hat noch ein Feld auf einem Hügel, welches den anderen an herrlicher Fruchtbarkeit nicht nachsteht, wenn es dieselben nicht übertrifft. Ja, ihr könnet im Grunde die anderen Felder nicht erreichen, es sei denn, ihr geht den Weg, welcher über diesen Hügel der Gemeinschaft mit Christo führt. Dies ist der Lieblingsplatz Derer, welche dem Herrn nahe stehen. Manche von euch sind nur so hindurch gelaufen und habt euch in demselben nicht aufgehalten. Wer aber hier zu bleiben, ja zu wohnen versteht, der wird ein glückliches und nützliches Leben führen. Nur in dem Verhältnis, wie wir mit Christo in Gemeinschaft stehen, werden uns die Sakramente, Lehren und Verheißungen von Nutzen sein. Alles Andere ist öde und mager, wenn wir uns nicht der Liebe Christi erfreuen, wenn wir nicht sein Bild an uns tragen und in seiner beständigen Gemeinschaft leben. Es tut mir leid, sagen zu müssen, dass wenige Christen viel hierüber nachdenken. Es ist ihnen genügend, wenn sie richtig in der Lehre und so ziemlich recht im Wandel sind. Sie kümmern sich viel zu wenig um den innigen Umgang mit ihrem Heilande durch den heiligen Geist. Ich bin überzeugt, wenn wir hier mehr sammelten, so hätten wir viel weniger mit einem bösen Temperament, mit Hochmut und Trägheit zu kämpfen. Dieses Feld ist geschützt und mit einem guten Zaun umgeben, und in demselben findet man bessere Nahrung als Engelsbrot; ja, da findet man den Heiland selbst, als das Brot, das vom Himmel gekommen ist. Gesegnetes Feld, auf welchem wir jeden Tag sammeln können! Der Herr lässt die Tore weit offen für jeden Gläubigen; lasst uns hineingeben und die goldenen Lehren sammeln, so viel als wir zu tragen vermögen. Somit hätten wir einige der Felder des großen Ackerherrn betrachtet. Lasst uns ihm danken, dass er uns nahe ist und uns solche herrlichen Gaben gewährt.
Zum Anderen betrachten wir den Ährensammler. Ruth war eine fleißige Sammlerin und mag uns als Bild dienen von dem, was jeder Gläubige sein sollte.
1) Der Gläubige ist ein bevorzugter Sammler, denn er mag ganze Garben mit heim nehmen, er mag nehmen, so viel er tragen kann; denn alles ist ihm gegeben vom Herrn. Ich gebrauche das Bild eines Sammlers, denn ich glaube, dass wenige Christen weiter gehen, als das, obwohl sie dürften, wenn sie wollten. Vielleicht sagt Jemand: Warum schneidet der Gläubige nicht das Korn und nimmt es heim? Ich antworte, dass er dies tun darf, wenn er will, denn kein Gutes will der Herr mangeln lassen Denen, die ihn fürchten. Wenn euer Glaube einem großen Wagen gleicht, so dürft ihr nur aufladen und die Fülle nehmen. Aber leider ist unser Glaube so klein, dass wir lieber sammeln als schneiden. Möchtet ihr nur alle unserem Bilde entwachsen und volle Garben heimbringen.
2) Zum Anderen bemerken wir, dass der Sammler eine mühevolle Arbeit hat. Er steht des Morgens frühe auf und eilt ins Feld. Heiß scheint die Sonne, und selten gönnt er sich Zeit, eine Erfrischung zu sich zu nehmen, sondern geht gebückt weiter und sammelt Ähre um Ähre. Erst am Abend kehrt er heim, denn er will die schöne Zeit wohl benutzen und eine gehörige Tagesarbeit verrichten. So lasst uns auch tun, Geliebte, im Suchen nach geistlicher Nahrung. Lasst uns die Mühe nicht verdrießen, lasst uns aus allen Kräften sammeln, denn die köstliche Frucht wird alle Mühe reichlich lohnen. Ich kenne einen Freund, welcher jeden Sonntag fünf Meilen kommt, um Gottes Wort zu hören, und dann macht er seinen Weg wieder zurück. Ein anderer achtet eine Reise von zehn Meilen geringe, und diese Brüder sind weise, denn das Hören des reinen Gotteswortes ist aller Mühe wert. Im Kirchengang zu stehen und das Wort Gottes andächtig zu hören, bis man fast umfällt vor Ermüdung, lohnet sich dennoch, wenn der Heilige Geist die Wahrheit an den Herzen segnet. Ein Sammler erwartet nicht, dass die Ähren von selbst kommen, er weiß, dass es Arbeit kostet.
3) Der Ährensammler muss sich nach jeder Ähre, welche er aufhebt, bücken. Warum ist es, dass hochmütigen Leuten das Wort selten etwas nützt? Warum kann manchen überklugen Leuten selbst der Beste Prediger nicht von Nutzen sein? Weil sie erwarten, dass man den Weizen zu ihnen hinaufhebt, und wenn man denselben hoch über ihre Köpfe hält, dass sie ihn kaum sehen können, dann sind sie zufrieden und rufen: „Ei, das ist aber etwas Merkwürdiges!“ Sie bewundern die außerordentlichen Fähigkeiten des Mannes, welcher es versteht, die Wahrheit so hoch zu halten, dass sie Niemand reichen kann; aber das ist in der Tat traurig genug. Es ist die Aufgabe des Predigers, die Wahrheit Allen, sowohl den Kindern, als den Erwachsenen, nahe zu bringen; er soll Hände voll für arme Sammler fallen lassen, welche sich gerne danach bücken, sie aufzuheben. Wenn wir nur für Gebildete predigen, so können's die Gelehrten wohl verstehen, die Anderen jedoch nicht. Predigen wir in aller Einfachheit für die Armen, so können's die Übrigen alle verstehen, wenn sie wollen, und wenn sie nicht wollen, so mögen sie sonst wo hingehen. Diejenigen, welche sich nicht bücken mögen, um die einfache Wahrheit aufzuheben, täten besser, das Sammeln einzustellen. Was mich angeht, so wollte ich gerne von einem Kinde lernen, wenn ich dadurch das Wort Gottes besser verstände. Das Sammeln in unseres Herrn Feld lohnt so reichlich, dass man auch die härteste Arbeit nicht scheuen sollte, reichlich davon heim zu bringen. Hungrige Seelen wissen das und lassen sich nicht zurückschrecken. Wir wollen auf unsere Knie fallen und uns demütig bücken, unsere Unwissenheit bekennen und im Glauben das tägliche Brot für unsere hungrigen Seelen suchen.
4) Was ein Sammler aufliest, gewinnt er Ähre um Ähre; bisweilen gibt's wohl eine Hand voll, aber das sind Ausnahmen. Für Ruth ließen die Schnitter Hände voll Getreide liegen, aber sie genoss besondere Vorrechte. Nun ist also der Beste Platz zum Sammeln da, Geliebte, wo man ganze Hände voll auflesen mag; doch wenn eine solche Fülle nicht vorhanden, dann muss man sich nach jedem einzelnen Halm bücken. Ich habe von Leuten gehört, welche einen berühmten Prediger hörten, und wenn dann ein anderer Mann kam, so sagten sie wohl: „Ich mag den nicht hören, lieber bleibe ich daheim und lese eine Predigt.“ Bitte, bedenkt doch das Wort: „Und nicht verlassen unsere Versammlungen, wie Etliche pflegen.“ Lasst mich euch ermahnen, nicht so unverständig zu sein, aus törichter Einseitigkeit eure Seelen um ihre Nahrung zu betrügen. Wenn ihr euch nicht bequemen wollt, hier ein wenig und da ein wenig zu lernen, so seid ihr bald abgemagert, und ihr seid am Ende noch froh, wieder zu dem verachteten Prediger zurückzukehren und jedes Hälmchen, das er euch bietet, aufzulesen. Das wäre ein jämmerlicher Prediger, welcher euch nichts böte. Gehet hin, wo der Herr eine Türe öffnet. Schon der Text allein ist der Reise wert, versäumt denselben nicht.
5) Merkt weiter, dass der Sammler dasjenige, was er sammelt, in der Hand behält und nicht gleich wieder fallen lässt. Man hat einen guten Gedanken am Anfang der Predigt, aber der Zuhörer ist so gespannt auf das Weitere, dass er denselben wieder fahren lässt. Gegen das Ende fällt ihnen eine Handvoll in den Weg, und sie vergessen alles Andere und halten zuletzt nur noch diesen Rest. Die Predigt ist vorüber und leider fast alles vergessen, denn manche Zuhörer gleichen einem Sammler, der, während er eine Ähre aufliest, die andere wieder fallen lässt. Das Resultat eines solchen Tagewerks ist heftiger Rückenschmerz, und bei dem vergeblichen Zuhörer ist es vielleicht ein Kopfschmerz. Seid aufmerksam, aber seid auch behaltsam. Sammelt den Weizen und bindet ihn in Bündel, um ihn mit euch zu nehmen, und verliert ihn nicht auf dem Heimwege. Mancher Zuhörer hat die Predigt ziemlich gut gefasst, bis ihm im Geplauder mit leichtsinnigen Leuten auf dem Heimwege Alles wieder verloren geht. Ich habe von einem christlichen Manne gehört, welchen man eines Sonntags mit langen Schritten spornstreichs von der Kirche nach Hause eilen sah. Ein Freund fragte ihn was ihn zu solcher Eile veranlasse. „Ei,“ sagte er, „vor einigen Sonntagen hielt unser Pastor eine treffliche Predigt, die mich sehr erbaute; als ich aber auf dem Heimwege war, traf ich mit zwei Vorstehern zusammen, wovon der eine die Predigt hierher, der andere dorthin zog, bis sie dieselbe auseinander gerissen, und ich den Nutzen von derselben verloren hatte.“ Das waren schlimme Vorsteher, lasst uns ihnen nicht folgen; und wenn wir welche in dieser Schule kennen, lasst uns sie meiden und lieber stockstumm heimgehen, als durch ihr Geschwätz das zu verlieren, was wir gesammelt haben. Nach einer guten Predigt geht mit verschlossenen Ohren und verschlossenem Munde beim. Seid hierin dem Geizhals ähnlich, welcher nicht nur alles sammelt, sondern auch hält, was er kann.
6) Dann nimmt der Sammler den Weizen mit heim und bricht denselben. Es ist weislich, eine Predigt zu dreschen, wer auch immer der Prediger sein mag; denn etwas Stroh und Spreu wird sie wohl enthalten. Manche dreschen statt des Weizens den Prediger mit ihrem Kritisieren, aber das ist nicht halb so gut, als die Predigt zu dreschen, um die reine Wahrheit heraus zu finden. Nehmt, Geliebte, eine Predigt, wenn es eine wirkliche Predigt ist, und legt sie auf den Boden des Nachdenkens und drescht sie mit dem Flegel des Gebets, um das echte Brotkorn heraus zu bringen. Dieses sollte nie unterbleiben. Wenn ein Sammler den Weizen in der Kammer zusammenhäuft und liegen lässt, so kommen die Mäuse hinein, und er hat keine Nahrung davon, wenn derselbe nicht ausgedroschen wird. Manche bekommen eine Predigt, nehmen sie mit heim und lassen den Satan, die Sünde und Welt dieselbe auffressen, und ihnen bleibt nichts davon. Wer aber eine Predigt gut auszudreschen und das echte Korn sich zu Nutze zu machen versteht, der ist ein guter Zuhörer und hat Gewinn von dem, was er hört.
7) Und dann hat die Sammlerin den Weizen, nachdem sie ihn gedroschen hatte, jedenfalls auch von aller Spreu gereinigt. Ruth tat alles das im Felde, aber ihr könntet dies kaum, ihr müsst die Arbeit zum Teil daheim tun. Und merkt, sie nahm die Spreu nicht mit sich, die ließ sie im Felde. Es ist gut, von jedem Vortrag, den ihr hört, die etwaige Spreu auszuscheiden, aber ich bitte euch, begeht nicht den Irrtum, den Weizen zurückzulassen und die Spreu mit heim zu nehmen. Da sagt aber vielleicht Jemand: „Diesen eigentümlichen Ausdruck werde ich mir merken und gelegentlich davon Gebrauch machen.“ Horch, dir habe ich etwas zu sagen: Wenn du Jemand hörst die „Sonderlichkeiten“ eines Predigers erzählen, so unterbrich ihn und sage: „Wir haben alle unsere Fehler, kannst du uns nicht etwas aus der Predigt mitteilen, das auch des Anhörens wert ist?“ In vielen Fällen wird man die Antwort erhalten: „Das habe ich vergessen.“ Sie haben den Weizen durchs Sieb geschüttelt und dann weggeworfen, aber die Spreu haben sie behalten. Sollte man solche Leute nicht in eine Heilanstalt bringen? Tut ihr das Gegenteil, Lasst Spreu und Stroh fahren und behaltet den Weizen.
Schließlich sehen wir, wie hier eine herrliche Erlaubnis gegeben ist: „Lasst sie auch zwischen den Garben lesen und beschämet sie nicht.“ Ruth hatte kein Recht, zwischen die Garben zu gehen, bis es ihr von Boas gegeben wurde. Dies war für sie ein großes Vorrecht, aber Boas gebot auch, dass die Schnitter Hände voll für sie sollten fallen lassen, und das machte ihre Arbeit noch viel erfolgreicher. Boas hatte seine Lust an der jungen Frau, und so, Geliebte, ist es auch die Liebe Jesu zu den Seinigen, dass er uns seine besten Felder öffnet, dass wir daselbst sammeln können. Durch seine Gnade schenkt er uns Segnungen in der Lehre, in den Verheißungen, in der Erfahrung. Wir haben keinen Anspruch an irgendwelche dieser himmlischen Segnungen, es ist lauter freie Gnade.
Ich will euch die Ursachen angeben, warum Boas der Ruth diese Vorrechte gestattete. Die Hauptursache war, weil er sie liebte. Und so lässt der Herr sein Volk zwischen den Garben lesen, weil er uns lieb hat. Wurde nicht deine Seele an einem neulichen Sonntag herrlich gelabt? Du hast deinen Sack voll Getreide heim genommen, wie die Söhne Jakobs, als sie aus Ägypten kamen. Hattest du nicht Überfluss? Wie warst du so zufrieden. Sieh, das war die Güte des Herrn, weil er dich lieb hat. Betrachte alle deine geistlichen Genüsse als Zeichen seiner Liebe. Es macht den Genuss deiner Segnungen umso teurer, wenn du bedenkst, dass der Herr sie dir gegeben hat.
Und da ist noch ein anderer Grund, warum Boas Ruth erlaubte, zwischen den Garben zu lesen, nämlich weil sie mit ihm verwandt war. Das ist auch die Ursache, warum uns der Herr solche Genüsse und Festlichkeiten gewährt. Er ist unser nächster Verwandter: Bein von unserem Bein und Fleisch von unserem Fleisch. Unser Erlöser, unser Heiland Jesus ist unser Bruder, und darum wird er nie sein eigen Fleisch verleugnen. Es ist ein erhabenes und herrliches Geheimnis, dass unser Herr und Heiland der Bräutigam seiner Kirche ist; und darum mag er wohl seine Braut zwischen den Garben lesen lassen, denn alles, was sein ist, ist ja auch bereits ihr Eigentum. Was soll ich dann zu euch sagen, die ihr dem Herrn angehört? Wie soll ich mich mit Zärtlichkeit und Wohlgefallen ausdrücken in seinem Namen, dass es ihm gefällt? Genießt die Fülle von dem, was dem Herrn angehört. Versäumt keine Gelegenheit, geistliche Segnungen zu sichern. Sammelt vor dem Gnadenthron, sammelt in heiligen Betrachtungen, sammelt aus gottseligen Schriften, sammelt im Umgang mit frommen Leuten, sammelt wo ihr könnt, und wenn es nur eine kleine Handvoll ist, so ist das doch besser als nichts. Ihr, die ihr so viele Geschäfte habt und so viel von Sorgen in Anspruch genommen werdet, wenn ihr nur fünf Minuten erübrigen könnt, benutzt sie. Könnt ihr keine Garbe sammeln, so nehmt eine Ähre, und könnt ihr keine Ähre finden, so hebt wenigstens ein Körnlein auf. Wenn es nicht viel ist, so sammelt etwas; aber sammelt jedenfalls so viel als ihr nur möglich könnt.
Nur noch eine Bemerkung: O Kind Gottes, fürchte dich niemals zu sammeln. Habe Glauben an Gott und nimm die Verheißungen für dich in Anspruch. Jesus freut sich, wenn du freudig zugreifst. Sein Zuruf ist: „Esset und trinket und werdet des Guten satt!“ Wenn ihr daher eine herrliche Verheißung findet, nährt euch an derselben. Genießt den Honig des göttlichen Wortes. Wenn ihr eine fette Garbe findet, traget sie heim mit Freuden. Ihr könnt von eurem Herrn nicht zu Großes glauben; lasst euch den Satan nicht betrügen, mit einer mageren Portion euch zufrieden zu geben, wenn alle Schatzkammern des Himmels euch offen stehen. Sammelt mit demütigem Fleiß und hoffnungsvoller Zuversicht und wisset dass Der, dem beides die Garben und das Feld gehören, mit liebenden Blicken auf euch herniederschaut und euch eines Tages hinauf nehmen wird zu ihm in die Herrlichkeit. Glücklicher Sammler, der ewige Liebe und ewiges Leben findet auf dem Felde, auf welchem er sammelt.