Spener, Philipp Jakob - An einen kranken Freund in Straßburg.

Frankfurt 5. Juni 1682.

Da wir die Leibesbeschwerungen und Schmerzen auf keinerlei Weise vermögen von uns abzuwenden, so lasset uns auf's Wenigste unsere Seele aufrichten, daß sie sich durch die Kraft des Herrn gestärket, weder von einer noch anderer Last lasse zu Boden drücken, sondern Vielmehr im Herrn und in seinem Willen ihre Ruhe finden, die sie in nichts Zeitlichem antreffen oder genießen kann. Solches aber zu thun ist nichts Kräftigeres, als wo wir uns gewöhnen recht zu unterscheiden, warum uns wohl oder nicht wohl sei. Da werden wir in der That befinden, daß nichts von allem dem, was blos irdisch ist, diese Ehre verdiene, dafür geachtet zu werden, daß uns darinnen wohl sei, sondern es stecket vielmehr in allen demselben nur Mühe, Arbeit und Beängstigung des Geistes, als viel man mit demselben in Liebe verhaftet ist. Hingegen ist allein das Geistliche, was die Seele vergnügen mag, nehmlich die Gnade Gottes, die Versicherung derselben und die allmächtige Wiedereindrückung des göttlichen Ebenbildes, in dem aller Adel unserer Natur allein bestehet. Ist diese Erkenntniß recht in unsere Herzen gedrückt und lernen wir Alles ansehen, nicht wie es nach dem Urtheil des Fleisches (so ganz verdeckt), sondern nach dem Urtheil des Geistes zu schätzen ist, so ist uns wohl, und zwar recht wohl, also daß uns das zustehende Leiden wenig beunruhigen kann. Ja Alles, warum wir noch verunruhiget werden, kommt allein daher, daß noch nicht tief genug solche Erkenntniß bei uns eingedrückt, hingegen noch soviel davon übrig ist, wie wir natürlicher Weise dasjenige für gut oder böse achten, was und wiefern es unserm äußerlichen Menschen und dessen Sinnlichkeit annehmlich ist. Also was die Schmerzen des Leibes anlangt, alsbald wir unsere Empfindlichkeit zu Rathe ziehen, so sind sie uns mächtig zuwider, und als ein Stück unserer vermeinten Unglückseligkeit betrüben sie uns heftig. Wo ich aber ansehe die Erfahrung, die Geduld, die Stärkung des innern Menschen, welche Gott dadurch bei uns wirken will, und, wo man ihm Platz gibt, thätlich wirket, und erkennen, wie theure Güter dieselbige seien, und wie so vielen Nutzen wir daraus haben, so ist's nicht möglich, daß die Traurigkeit überhand nehme über eine Sache, welche ich von Grund der Seele für ganz nützlich achte, und so verhält sich's auch mit allen andern Arten des Leidens, daß nehmlich nichts Nöthigers dabei ist, als nur zu erkennen, wie man's anzusehen habe, und worinnen unser wahres Gut bestehe. Weßwegen ich keine fruchtbarere Uebung zu rathen weiß, als eben diese, darum wir sowohl ernstlich zu beten, als derselben uns zu befleißigen haben. In solcher Uebung werden wir finden, was das Christenthum für einen Vorzug vor allen Andern in der ganzen Welt habe, welches uns in demjenigen Trost und Freude zeigt, was sonsten der Natur selbst zuwider ist, gleichsam den Zucker und Arznei in dem Gift und doch wider dasselbe. Ja weil wir sehen, daß unser Heiland uns nicht nur berufen habe zu den ewigen himmlischen Gütern nach diesem Leben, sondern daß es seine Christen schon hier ,in dieser' Welt gut haben, nachdem sie recht haben erkennen lernen, was ihnen gut sei. Daher ich auch Dir und Andern in solch leidensvoller Zeit nichts Besseres zu wünschen weiß, als eben das Wachsthum in solcher Erkenntniß, und also den h. Geist, mit dessen Augen wir gleichsam darinnen sehen müssen. Dieses ist es, womit man alle Drangsale im Geistlichen und Leiblichen zu ertragen und zu überwinden vermag. Und also wird dasjenige, was dem äußerlichen Gottesdienst in seiner Freiheit und Bequemlichkeit entgangen ist, in der Reinigkeit und Inbrünstigkeit des Innern ersetzet werden. Ich weiß zwar, es ist dieß eine Lektion nicht von einem Tag, sondern von einer ziemlichen Uebung, daher sie schwer eingehet, aber deßwegen sind die Mittel, sie uns in das Herz zu bringen, auch so scharf, damit sie kräftig genug sein mögen, ihren Zweck bei uns zu erreichen. Nun der Herr lehre uns alle insgesammt, so viel als wir hiervon bedürftig sind, und bereite auch damit unsre Seelen so vielmehr zu einer aufrichtigen Gleichförmigkeit seines allein guten Willens. -

Quelle: Renner, C. E. - Auserlesene geistvolle Briefe der Reformatoren