Spangenberg, Cyriakus - Vom Leiden und Sterben unseres Seligmachers, des Herrn Jesu Christi, die erste Predigt. Von Betrachtung, Ursach und Nutz des Leidens Christi.

(Passio, S. 1)

Ihr wisset, liebe Christen, dass es in unseren Kirchen also bräuchlich und eine recht feine alte, christliche Gewohnheit ist, dass man um diese Zeit im Jahr den Leuten pflegt zu predigen und zu sagen von dem ängstlichen und endlichen bittern Leiden und Sterben Jesu Christi, dadurch er für unsere Sünde bezahlet und genug gethan, den Zorn Gottes versühnet und uns ewige Gerechtigkeit erworben hat. Weil denn an dieser Lehre also Viel gelegen, dass Der für keinen Christen zu rechnen ist, der davon Nichts weiss, und auch Niemand selig werden mag, er glaube denn von Herzen, dass Christus Jesus, Gottes und Marien Sohn, für ihn genug gethan hat, so wollen wir uns zur Lehre, Erinnerung und Trost auch jetzt die Passion oder die Historia vom Leiden des Herrn Christi zu predigen anfangen. Und damit Solches mit Frucht geschehen möge, wollen wir zuvor den Herrn Christum um seine Gnade und heiligen Geist, Hilfe und Beistand anrufen und bitten und demnach mit einander singen:

Sei gegrüsst, Jesu, du einiger Trost
In dieser Zeit dein’s Leiden gross,
Gieb den Frommen Beständigkeit
Und den armen Sündern Gerechtigkeit!
O Gott, du heilige Dreifaltigkeit,
Dich lobet alle Christenheit,
Erlös’t durch des Kreuzes Bitterkeit;
Mach uns selig, Herr Gott, in Ewigkeit. Amen.

Vom Leiden unseres Herrn Jesu Christi zum Eingange etwas Fruchtbarliches und Nützliches zu reden und zu hören, wollen wir für uns zum Grunde nehmen einen Text aus dem 53. Capitel Esaiä, und lautet derselbige also:

Fürwahr, er (Christus Jesus) trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für Den, der geplaget und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missethat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilet. Wir gingen Alle in der Irre wie Schafe, ein Jeglicher sah auf seinen Weg; aber der Herr warf alle unsere Sünde auf ihn.

Bei diesen Worten des geistreichen Propheten Esaiä wollen wir auf dies Mal einfältig nach einander drei Stücke handeln:

Vom Ersten wollen wir anzeigen, wie man das Leiden Christi recht und nützlich betrachten solle.

Zum Andern die Ursach, so den Herrn Christum zu seinem Leiden beweget und gebracht hat.

Zum Dritten, was für Nutz solch sein Leiden und Sterben mit sich bringe.

Diese drei Stücke sind noth zu wissen, will man anders folgende Predigten von der Passion mit Nutz anhören, ja es will allerdings von Nöthen sein, dass man diese drei Lehren jetzt wohl einnehme und sich derselben hinfort bei allen Predigten, die wir von dieser Materie mit Gottes Hilfe thun werden, wohl erinnere.

I.

Zum Ersten, was die Betrachtung des Leidens Christi belanget, sollet ihr Das wissen, liebe Freunde, dass es gar nicht genugsam ist, im Jahr ein Mal die Passion zu hören und darnach nimmermehr nicht wieder daran gedenken. Bei Leibe nicht! So leichtfertig sollen wir diese hohe Sache nicht hinschlagen. Es will wahrlich dieser Handel, daran uns unserer Seelen Seligkeit gelegen, mit Fleiss betrachtet sein und stehet diese Betrachtung in dreien Stücken: Im Wissen, im Trost und im Nachfolgen. Und dass ihr dieses besser verstehen möget, so merket also: Erstlich, so soll man das Leiden Christi betrachten nach der Historia und Geschichte an ihr selbst, dass man wissen möge, was Christus habe gelitten, wann, welche Zeit, wo, an welchem Ort, wie und von wem, und was sich bei seinem Leiden zugetragen. Denn wenn man Das nicht weiss, was kann man dann für Lust und Liebe darzu tragen, sintemal Niemand nach den Dingen Verlangen trägt, die ihm verborgen sind? Quod latet ignotum est; ignoti nulla cupido.

Und um dieser Ursach willen soll man oft diese Geschichte des Leidens bedenken, lesen oder lesen lassen, damit sie uns wohl und eigentlich bekannt werde, dass man davon etwas Gründliches den anderen Kindern und dem Gesinde zu Zeiten sagen möge.

Aber an solcher Betrachtung der Historien, die wohl sehr fein und lustig ist, ist’s nicht genug. Darum soll nun die andere Betrachtung des Trostes und der Lehre auch folgen, dass man bedenke die Ursachen des Leidens Christi, welche sind unsere Sünde und Missethat; denn wo die nicht gethan, so hätte Christus nicht leiden und sterben dürfen. Davon redet auch der Prophet Esaias und spricht: Er ist um unserer Missethat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Und in der Person Christi sagt er Cap. 48: Mir hast du Arbeit gemacht in deinen Sünden, und hast mir Mühe gemacht in deinen Missethaten.

Und Das ist, liebe Freunde, zu uns gesagt. Wenn wir Das bedenken, so werden wir ja verursacht, vor unseren Sünden zu erschrecken, damit wir den Sohn Gottes in solches Leiden gebracht haben und uns zu entsetzen vor dem unträglichen Zorn Gottes wider die Sünde, dass er auch seines eigenen Sohnes nicht verschonet hat, sondern in solche Angst und Noth kommen lässt von wegen der Sünden, die er von uns auf sich genommen hat. Wahrlich, wo ein Mensch Solches recht bedenkt, so wird’s ohne gross Schrecken und Trauern des Gewissens nicht abgehen. Denn wem wollte nicht bange, angst und weh werden, wenn Einer im Herzen fühlet, welch ein schändlich ding es um die Sünde, und wie heftig Gott dawider zürne.

Bei solcher Erkenntniss eigener Sünde und des gerechten Zornes Gottes soll man fürder auch betrachten, was wir für Nutz durch’s Leiden Christi bekommen und uns im Glauben daran halten. Wir sollen darum nicht verzweifeln noch verzagen, dass wir mit unseren Sünden dem Herrn Christo zu leiden und zu sterben Ursach gegeben haben, sondern sollen uns im Glauben aufrichten und gläuben, dass solch Leiden und Sterben uns zum Besten geschehen sei und uns zustehe. Wir sollen’s gewisslich und ohne Wanken dafür halten, dass wir von dieses heiligen Opfers wegen, so Christus durch seinen eigenen Leib ausgerichtet, Gott dem Herrn wohlgefallen. Denn er hat ihn zur Sünde gemacht für uns (sagt Paulus), auf dass wir würden die Gerechtigkeit in ihm. Dies müssen wir aller Dinge fest gläuben, denn solcher Glaube bringt einem Jeglichen das Verdienst Christi zu eigen anheim, und ohne solchen Glauben bringt’s keinen Nutz, was man gleich vom Leiden Christi bedenkt und betrachtet.

Wo nun also durch den Glauben die Herzen der armen Sünder getröstet werden, siehe, da soll dann folgen die rechte Danksagung für das Leiden Christi, dass wir Gott dem Vater danken, dass er uns so lieb gehabt hat, dass er auch seines eingebornen Sohnes nicht verschonet, sondern denselben für uns in den Tod gegeben hat. Wir sollen auch danken dem Herrn Jesu Christo, dass er für grosser Liebe, so er gegen uns trägt, seines Leibes und Lebens nicht verschonet, uns damit zu erlösen. Solche Danksagung stehet aber nun nicht allein in Geberden und Worten, sondern auch in Thaten und Werken, das ist in einem ganz neuen Leben und christlichen Wandel, und solches ist die rechtschaffene und Gott wohlgefällige Busse. Und das ist dann die andere und nützlichste Art, das Leiden Christi zu bedenken, durch Lehre und Trost von Erkenntniss der Sünden, Glauben und Danksagung.

Die dritte Betrachtung stehet in der Nachfolgung des Exempels Jesu Christi, dass wir eigentlich auf ihn sehen, wie er sich geduldig und gehorsam gegen seinen Vater in Kreuz und Leiden gehalten, dass wir in unserm Kreuz und Anliegen auch also thun, 1. Petri 2. Fällt uns Arbeit und Mangel für, so sollen wir gedenken, dass unser Herr Christus der Allerärmste gewesen, der ganz nackt und bloss am Kreuz gehangen und nicht so Viel gehabt, da er sein Haupt hat können hinlegen. Darum sollen wir solch Kreuz auch geduldiglich tragen. Er ist demüthig und gehorsam gewesen bis in den Tod des Kreuzes. Er ist keusch und voll reiner Gedanken gewesen. Er hat am heftigsten geliebt, also, dass er auch seine Seele für seine Feinde dahin gesetzt. Grössere Geduld hat man an Niemand je gefunden, als an Christo. Er hat sich mässig und eingezogen alle Zeit gehalten, ins einen Anliegen zu Gott gebetet und angerufen, auch für seine Feinde am Kreuz gebeten und Jedermann vergeben.

Solches sollten wir zum öftern Male betrachten und uns befleissigen, Christo in diesen Stücken nachzufolgen, sollen Gott auch bitten und anrufen, dass er uns hiezu seinen heiligen Geist, Hilfe und Segen verleihen wolle. Und Das ist also genugsam von den dreierlei Betrachtungen des Leidens Christi, nach der Geschichte, nach der Lehre und Trost, und nach dem Exempel des Nachfolgens.

II.

Zum Andern, weil wir in Betrachtung des Leidens Christi insonderheit sehen sollen auf die Ursachen, die ihn zu solchem Leiden bewegt, so müssen wir davon etwas Weitläufigeres insonderheit anzeigen. So sind nun drei Ursachen, dass Christus gestorben ist:

Die erste ist unsere Sünde, der Fall unserer ersten Ältern; denn wo die nicht gefallen, sondern im Stande der Unschuld geblieben wären, so hätte Christus solches Sterbens und Leidens nicht bedurft für uns.

Die andere Ursach des Todes Christi ist bei Gott, nämlich seine grosse Barmherzigkeit, die er uns aus Gnade, lauter umsonst geschenkt und seine göttliche Weisheit, dadurch er beständiglich zugesagt und verheissen, uns durch seinen Sohn von Sünden zu helfen. Darzu kommt nun die unaussprechliche, grosse, inbrünstige Liebe des Sohnes Gottes gegen das ganze menschliche Geschlecht, welche Liebe ihn dermaassen treibt und bewegt, dass er des grossen, unsäglichen Leidens, der Schande und Spott, der Marter und Noth der Angst und Tod nicht achten, sondern sich für seine arme Kirche und Gemeine dahin den Feinden frei übergiebt.

Es sahe der liebe Sohn Gottes, dass ihm seine geliebte Braut, die heilige Kirche, vom Teufel schändlich betrogen, abgespannt und gefänglich gehalten ward. Das ging ihm gar nahe zu Herzen, Das stand ihm nicht zu leiden. Nun konnte seine liebe Braut anders nicht erledigt werden, es bezahlte denn zuvor der Bräutigam die gemachte Schuld, nicht mit Gold oder Gelde, sondern mit seinem heiligen Blute, welches der edelste und beste Schatz ist im Himmel und Erden. Darüber erbrennet er in der Liebe dermaassen, dass er sich frei dahin giebt in den Tod, seiner armen Gemeine zum Besten, denn sonst hätte das menschliche Geschlecht mit Gott nicht können versöhnt werden. Und ist die Ursach die, das Gesetz Gottes verbindet alle Menschen zum vollkommenen, willigen, rechtschaffenen Gehorsam, daran überall Nichts solle mangeln, oder wo solcher Gehorsam dergestalt nicht geleistet wird, so solle über die Menschen die Strafe ergehen, nicht eine zeitliche oder vergängliche Strafe, sondern die ewige, unaufhörliche Verdammniss und Verderben. Nun hat der Mensch den Gehorsam nicht geleistet, und können auch Alle heutiges Tages das Gesetz nicht rechtschaffen noch vollkommen halten, so ist’s billig, dass die Strafe des Ungehorsams über das menschliche Geschlecht ergehe und also dem göttlichen Gesetz dennoch genug geschehe. Nun können aber die Menschen solche Strafe nicht ertragen und leben, sie können die nicht ausstehen in der Gestalt, dass sie hernachmals nach erlittenem Recht unschuldig werden, wieder in Gottes Huld kommen und ihm dienen möchten, Das ist aller Dinge unmöglich, sie müssten ewiglich in der Strafe des Gesetzes verderben. Darum hat der Sohn Gottes aus herzlicher Liebe die grausame Strafe des Gesetzes auf sich genommen, damit die gemachte Schuld genugsamlich bezahlet und Gott der Vater zufrieden gestellt würde, und wir also der Strafe und Pein frei und los würden. Daher sagt St. Paulus Röm. 5. also: Wie nun durch Eines Sünde die Verdammniss über alle Menschen kommen ist, also ist auch durch Eines Gerechtigketi die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen kommen. Denn wie durch eines Menschen Ungehorsam viele Sünder worden sind, also auch durch Eines Gehorsam werden viele Gerechte.

Also sehen wir nun, dass die andere Ursach des Leidens Christi ist die Barmherzigkeit, Wahrheit, Liebe und Mitleiden des allmächtigen Gottes gegen uns verlorene Menschen. Davon unser Seligmacher auch selbst sagt: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab, auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Die dritte Ursach, dass Christus, der fromme und treue Herr, leiden und sterben muss, ist der Juden erschreckliche Blindheit, die aus eigener, fürgenommener Bosheit ihren eigenen Heiland und Messiam bis zum Tode verfolgten. Aber diese Ursach dieses Fürnehmens der Juden wäre Nichts gewesen, wo nicht zuvor die göttliche Barmherzigkeit uns zum Besten beschlossen hätte, dass der Sohn Gottes leiden und sterben und durch seinen Tod für unsere Schuld bezahlen sollte.

Es ist hier auch zu merken der Leute unverschämtes Fürgeben, die da sagen, es werde den Juden nicht zur Sünde gerechnet, dass sie den Herrn Christum so jämmerlich auf’s Kreuz geopfert haben, denn sie hierinnen Gottes Willen vollbracht und der ganzen Welt Seligkeit gefördert haben, und weil denn der Tod Christi also wohl gerathen sei, dass er allen Menschen, so da glauben, zu Nutz komme, so soll man die Juden darinnen nicht so gar verdenken. Dawider soll man wissen, dass der Juden Meinung und Gottes des Vaters Wille gar weit zu unterscheiden sind. Denn Gott giebt seinen Sohn der Meinung in den Tod, dass dadurch der ganzen Welt geholfen würde; aber die Juden überantworteten ihn darum in der Heiden Hände zum Tode, dass seiner Niemand hinfürder in Ewigkeit geniessen sollte. Gott wollte, dass die Sünden dadurch aufgehoben würden und sein Sohn durch diesen Weg sammt Allen, die ihn lieb haben würden, zum ewigen Leben und Herrlichkeit eingingen. Die Juden aber suchten durch den Tod Christi ihre Sünde und gottloses Leben (welches er ernstlich strafte) zu vertheidigen und ihn sammt all seinem Anhange in Grund zu verderben und auszurotten. Es sind derhalben die Juden durch diese ihre that in ewigen Zorn Gottes und Verdammnis gefallen. Doch ist diese Sünde ihrer Vielen um des Herrn Christi willen vergeben worden, da sie die erkannt, um Gnade gebeten und Busse gethan.

Hier fällt nun die Frage für: Hat denn so eben Christus leiden müssen? Hätte es nicht durch einen Andern können ausgerichtet werden? Darauf ist die Antwort, dass die Sünden und Strafe der Sünden vor Gott also gross sind, dass kein Engel im Himmel noch keine Creatur auf Erden, und sie Alle zusammen nicht vermocht hätten, den Zorn Gottes wider die Sünde zu stillen, viel weniger hätten sie die Strafe und Pein über die Sünde können aufheben oder hinwegnehmen. Darum musste es der Sohn Gottes selbst thun, er musste Mensch werden, die Strafe leiden und sterben.

Das soll uns nun, liebe Christen, eine Erinnerung sein, dass wir die Sünde für eine grosse, schwere Last und Bürde achten, darinnen nicht fortfahren, sondern uns davor hüten. Denn es hat unserm Herrn Gott nicht ein Geringes gekostet, uns von Sünden zu erlösen. Wisset, sagt St. Peter, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöset seid, sondern mit dem theuern Blute Christi, als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. Und Solches haben wir nicht verdient, sind’s auch nicht werth gewesen, Christus hat es aus lauter Liebe gethan.

Darum sollen wir nicht trauen auf unser eigen Werk und Verdienste; denn sie sind viel zu geringe und untüchtig, damit bei Gott Gnade zu verdienen, sondern wir sollen uns verlassen auf die Gnade und Liebe des allmächtigen Gottes und uns derselben trösten, dass er durch dieselbe hinfürder uns nicht lassen werde. Denn er hat uns das Grösste geschenkt, seinen Sohn, er wird uns wahrlich das Kleinste auch nicht versagen. Denn so wir mit Gott versühnt sind durch den Tod seines Sohnes, da wir noch Feinde waren, wie viel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, so wir nun versühnet sind? spricht Paulus Röm. 5. und 8: Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Welcher auch seines einigen Sohnes nicht verschonet hat, sondern hat ihn für uns Alle dahingegeben, wie sollte er uns mit ihm nicht Alles schenken? Und also Viel vom andern Stück, was die Ursach des Leidens Christi belanget, einfältiglich zu behalten.

III.

Zum Dritten, so sollen wir auch lernen, wozu uns das Leiden Christi nützlich sei?

Denn es ist ja eine mächtige, wichtige Sache, dass der unschuldige Sohn Gottes den Tod leidet. Darum muss es ja nicht umsonst geschehen, es muss irgend wozu dienen.

Es ist wohl wahr, es sollen alle Historien, in der Propheten und Apostel Büchern beschrieben, dazu dienen, dass die betrübten Gewissen getröstet und gestärkt oder zu Tugend und Ehrbarkeit gereizt werden. Aber gleichwie der Balsam mit seinem Geruche alle anderen wohlriechenden Kräuter und edle Wasser und Öle weit übertrifft, also ist auch die Historie vom Leiden und Sterben Christi weit reicher an Lehre, Trost und Exempeln, denn alle anderen der heiligen Schrift Geschichten.

Es ist die Passion nichts Anderes, denn eine wohlbereite Liberei, darinnen man alle Bücher findet nöthig, nützlich und lustig zu lesen. Also findet man in der Passion auch Bericht und Grund von allen Artikeln der Religion, was Sünde sei, wie Gott gegen die Sünde gesinnet, ob auch das Gesetz selig machen könne, warum Gott so mannichfaltige grosse Sünder zu Gnaden annehme? Und der Stücke unzählig viel mehr.

Willst du wissen, wie man Gott solle gehorsam sein, wie man ihn solle im Kreuz anrufen, wie man ihm vertrauen, auf ihn hoffen solle, wiefern man den Nächsten und auch die Feinde soll lieben, wie man sich im Kreuz und Anfechtung halten solle, lies und bedenk’ die Historie des Leidens Christi, da findest du Vorrath und Exempel, Lehre und Trost vollauf.

So ist nun neben solchem Allen zu behalten, was denn der Herr Christus durch sein Leiden habe zu Wege gebracht und ausgerichtet? Liebe Freunde, er hat dadurch viel Nutzen, Beide für sich selbst und für uns, erworben.

Denn von ihm spricht der Prophet Esaias Cap. 53: Er ist aus der Angst und dem Gericht genommen, wer will seines Lebens Länge ausreden? Darum will ich ihm grosse Menge zur Beute geben, und er soll die Starken zum Raube haben, darum dass er sein Leben in den Tod gegeben hat. Und Psalm 8: Du wirst ihn zum Herrn machen über deiner Hände Werk, Alles hast du unter seine Füsse gethan. Denn obwohl Christus ein Herr gewesen ist über alle Creaturen von Ewigkeit her, so ist doch solche seine Herrlichkeit verborgen gewesen, und allererste nach seinem Tode und Auferstehung durch die Predigt des Evangeliums über die ganze Welt bekannt worden, das ist seine Ehre, die er von seinem Leiden hat.

Nun aber haben wir auch trefflichen Nutzen davon. Denn erstlich so hat er uns zu gut durch sein Leiden und Sterben den Teufel, Tod, Sünde, Hölle und ewige Vedammniss überwunden, dass sie uns nicht mehr schaden mögen, und wir Herren hinfürder über sie sein sollen, wie Hosea am 13. geweissagt hat: Ich will sie erlösen aus der Hölle und vom Teufel erretten; ich will dir ein Gift sein, Hölle und Tod, ich will dir eine Pestilenz sein. So ist nun nichts Verdammliches an Denen, die in Christo Jesu sind, Röm. 8. und am 6: Der Tod wird hinfort nicht mehr über euch herrschen, denn es hat der Herr Christus durch den Tod die Macht genommen Dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist, dem Teufel, und erlösete Die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mussten.

Zum Andern hat er uns durch sein Leiden erworben Vergebung der Sünden und der Gebrechlichkeit, die uns von Natur auch nach der Taufe noch anhanget und hat uns also auch herwiedergebracht die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, wie der Engel zu Joseph sagt Matth. 1: Du sollst seinen Namen Jesus heissen; denn er wird sein Volk selig machen von seinen Sünden. Und Joh. 1: Das ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Apocal. 1: Er hat uns gewaschen mit seinem Blut von unsern Sünden.

Zum Dritten hat er uns versühnet mit Gott dem Vater und alle Feindschaft zwischen Gott und uns aufgehoben; Röm. 5: So haben wir nun Friede mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum.

Zum Vierten hat er auch die Strafe aller Sünden bei Seite gelegt; denn er ist um unserer Missethat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Friede hätten.

Zum Fünften hat er uns durch sein Leiden eine ewige Erlösung zu Wege gebracht; Hebr. 9: Durch sein eigen Blut ist er hineingegangen in das Heiligthum und hat uns eine ewige Erlösung erfunden.

Zum Sechsten hat er unsere Seelen auch dadurch gesund gemacht. Durch seine Wunden sind wir geheilt. 1. Petr. 2.

Zum Siebenten hat er uns auch dadurch den heiligen Geist übergeben; Röm. 5: Die Liebe Gottes ist ausgegossen durch den heiligen Geist, welcher uns gegeben ist. Warum? Um des Verdienstes Christi willen.

Zum Achten haben wir durch sein Leiden auch einen freien Zugang zu Gott, Röm. 5.

Zum Neunten reinigt sein Leiden unser Gewissen von allen todten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott.

Zum Zehnten giebt uns des Herrn Christi Leiden Kraft und Macht zu einem gottfürchtigen und neuen Leben; Röm. 6: Wisset ihr nicht, dass Alle, die wir in Christum getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir nun mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf dass, gleichwie Christus auferweckt von den Todten durch die Herrlichkeit des Vaters, also sollen wir auch in einem neuen Leben wandeln.

Summa, wir haben durch das Leiden Christi das ewige Leben und die Gemeinschaft aller Güter. Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einigen Sohn gab, auf dass Alle, die an ihn gläuben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Solche Früchte und Nutzen sollen wir nun wohl bedenken und uns derselben tröstlich im Glauben annehmen, freuen und darauf verlassen. Der Ursach halber sollen wir auch die Historia des Leidens Christi desto lieber hören und lernen und täglich betrachten; denn dadurch werden unsere Herzen in Andacht gegen Gott entzündet.

Darum hat auch St. Bernhard gesagt: Eines Christenmenschen tägliche Lection soll sein das Gedächtniss des Leidens Christi; denn desselben Betrachtung lindert auch manche Trübsal und Traurigkeit, wie St. Gregorius spricht: Nichts ist so schwer, es wird leichter, so man das Leiden Christi zu Gedächtniss führt.

Ja, mit ernstlicher Betrachtung des Leidens Christi wird auch den Sünden und Lastern gewehrt. Darum sollen wir die Betrachtung desselben dazu auch gebrauchen.

Ficht dich Hoffahrt an und sticht dich die alte Schlange in deinem Herzen, dass dir dieselbige von Gift aufläuft und du anhebest, dich über Andere zu erheben, so denk’, wie tief sich dein Heiland gedemüthigt hat und seinen Jüngern die Füsse gewaschen und sich gar herab unter alle Menschen erniedriget.

Ficht dich an das Podagra der Trägheit und Nachlässigkeit im göttlichen Dienst und Gehorsam göttlicher Gebote, denke, wie unser Herr Christus seinem Vater gehorsam ist gewesen bis in den Tod.

Ficht dich das Grimmen und Colica des Hasses und Neides an, denke, wie freundlich sich der Herr am Kreuz auch gegen seine Feinde gehalten.

Ficht dich das Halsgeschwür des Fressens und Saufens an, gedenke, was der Heiland am Kreuz für einen schlechten, geringen Trank hatte und damit genug hatte.

Ficht dich die Wassersucht des Geizes an, gedenke, wie dein Herr Christus so milde gewesen, dass er das Seine Alles mit einander und sich selbst dazu hingegeben und ausgetheilt.

In diesen und anderen Stücken folge ihm nach und rufe Gott fleissig an um seine Hilfe und heiligen Geist dazu. Was gilt’s, wo man also stets das Leiden Christi im Gedächtniss hätte, ob nicht der groben Laster und Sünden sollten weniger werden in der Welt. Denn wider diese geistlichen Gebrechen alle findet man in der Historia vom Leiden Christi geistliche Arznei. Item wider das hitzige Fieber der Rachgierigkeit, wider die Hauptkrankheit der Vermessenheit und eigenes Gutdünken, wider das Durchlaufen der Unbeständigkeit und des Zweifels, wider das Grimmen und Grind des bösen, unruhigen Gewissens, wider den Ansatz böser Exempel und Verführung anderer Leute.

Das sollen wir aber hier auch lernen, dass gar ein grosser Unterschied ist zwischen Christi und anderer Heiligen Leiden. Denn Christi Leiden ist allein ein Sühnopfer für die Sünde und ist so gross und schwer, dass damit Nichts zu vergleichen ist. Aber der anderen Heiligen Leiden versühnet nicht die Sünde, sondern sie leiden entweder um ihrer Uebertretung willen, als David, da er in’s Elend gejagt ward, und was ihm sonst widerfuhr, Das hatte er mit dem Ehebruch und Todtschlag wohl verdient, und ob ihm wohl die Sünde für Gott vergeben war, so wollte ihn doch unser Herr Gott durch seine Züchtigung im Zaume halten, ihm und Anderen zur Warnung, sich vor Sünden hinfort zu hüten und dem Teufel nicht zu viel Raum zu geben. Oder es werden die Heiligen darum in Leiden gesteckt, dass ihr Glaube, gottseliges Leben und Hoffnung dadurch an den Tag komme und geübt werde, wie dem lieben Joseph widerfuhr, da er von seinen Brüdern verkauft und darnach gefänglich eingezogen ward, dadurch sein keusches Herz, seine Liebe zu Gott und andere göttliche Gaben herfürleuchteten und Jedermann kund worden. Und also werden auch die rechten Gläubigen unterschieden von den Heuchlern und prächtigen Hochrednern, die ihr Christenthum nur im Munde führen, im Herzen Nichts drum wissen.

Es leiden auch wohl die Heiligen darum, dass sie mit ihrem Leiden und Tod Zeugen sein, dass die evangelische Lehre recht und Gottes Wahrheit sei, und dass ein ander Leben nach diesem gewisslich zu hoffen; darinnen ihnen Gott reichlich wiedererstatten werde, was sie hier verlieren und sie alles ihres Jammers, Leidens und Schmerzes ergötzen.

So verdienet nun allein Christus durch sein Leiden uns Vergebung der Sünden, aller andern Heiligen Leiden, so sie im Glauben hier mit Geduld tragen, sind Opfer und Danksagung und gefallen Gott wohl, nicht, dass man damit Vergebung der Sünden verdiene, sondern dass man nach erlangter Gerechtigkeit hierinnen Gott Gehorsam leistet zu seinen Ehren und zu hindern die Sünde und Ungerechtigkeit.

Also sollen wir auch geduldig, was uns Gott zuschickt, leiden und das Leiden Christi lassen unsern grössten Schatz sein, sollen uns nicht daran ärgern, wie die Juden, sondern bedenken, was der Herr selber sagt Matth. 11: Selig ist, der sich nicht an mir ärgert. Wir sollen auch nicht davon klügeln, wie die Philosophi gethan, die es für Narrenwerk gehalten, wenn man gelehret, dass Gott Mensch worden und für uns gestorben sei. Dagegen wissen wir sehr wohl, dass die Gottheit nicht stirbt. Wir wissen aber gleichwohl auch, dass die Gottheit mit der Menschheit vereinigt dazumal, da Christus am Kreuz gehangen, unzertrennlich in Christo dermaassen geruhet und inne gehalten, dass seine heilige Menschheit leiden und sterben konnte, wie der heilige Lehrer Irenäus auch also davon redet. Denn es wird auch wohl bleiben, wie Paulus sagt 1. Corinth. 1: Dieweil die Weisheit durch ihre Weisheit Gott nicht erkannte in seiner Weisheit, gefiel es Gott wohl, durch thörichte Predigt selig zu machen Die, so daran gläuben, dass er also die Weisheit dieser Welt zur Thorheit mache.

Wir sollen auch nicht das Leiden Christi lästern und schmähen, wie die Heuchler und Werkheiligen thun, die zum theil auch auf ihre eigene Gerechtigkeit, Werke und Verdienst ihr Vertrauen setzen, sondern wir sollen sehen, dass wir mit St. Paulo in Christo erfunden werden, dass wir nicht haben unsere Gerechtigketi, die aus dem Gesetz kommt, sondern die durch den Glauben an Christum kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die dem Glauben zugerechnet wird, zu erkennen Ihn und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seines Leidens und Herrlichkeit. Das gebe Gott! Amen.

Quelle: Beste, Wilhelm - Die bedeutendsten Kanzelredner der lutherschen Kirche des Reformationszeitalters