Sengelmann, Heinrich Matthias - Verstehst du auch, was du liest? Einleitung

Die Verkündigung Simeons, dass Christus nicht bloß zum Auferstehen, sondern auch zum Fall Vieler in Israel gekommen sei, dass er zu einem Zeichen diene, dem widersprochen werde1), und die eigne Aussage des Herrn: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert2)“ hat in der Geschichte der Kirche bis auf den heutigen Tag ihre Bestätigung erhalten. In seiner Person und seinem Evangelio hat sich vorzüglich der Unglaube der Welt kund getan. Zwar hat nun derselbe in den verschiedenen Zeiten seine Formen gewechselt, aber der Gang des Kampfes ist fast immer sich gleich geblieben. Zuerst nämlich pflegte jede besondere Form des Unglaubens sich unter denen geltend zu machen, die der Schrift Meister sein wollten; dann bahnten diese selbst dem Kampf seinen Übergang ins Volk, und hier hatte er seinen Schauplatz auch dann noch, wenn auf wissenschaftlichem Gebiet bereits ganz andere Streitkräfte in ganz anderer Weise sich gegenüberstanden. So geht es denn auch in unsern Tagen. Neue Gegensätze, von denen unsre Väter nichts ahnten, haben sich unter den Gottesgelehrten gebildet; aber diejenigen Punkte, die zu ihrer Zeit auf dem Feld der Wissenschaft Gegenstand des Streites waren, sind jetzt, da sie von jenem längst verschwanden, zum Streitapfel der Laien geworden. Jener rohe Unglaube, der die göttliche Wahrheit vor den Gerichtshof seines sogenannten gesunden Menschenverstandes lud, ist jetzt von der Wissenschaft gerichtet, und die ihn dennoch in diesen Tagen zu vertreten wagen, werden als Ruinen der Vorzeit betrachtet und gewürdigt; ja selbst der moderne Unglaube will nichts mehr mit ihm gemein und zu tun haben und verlacht in gleicher Weise wie den Glauben, so auch ihn. Aber damit ist er keineswegs gänzlich verschwunden; wer Gelegenheit hat, die Kämpfe der Laien zu beobachten, wird finden, dass in ihnen nichts Anderes sich zeigt, als die Frucht der vor einem halben Jahrhundert gestreuten Saat. Dazu kommt, dass solche Saat an manchen Orten langsamer, an manchen rascher aufgeht. Ich könnte Orte nennen, wo die dürre Gestalt der Orthodoxie noch lange herumwandelte, als anderswo die nach der Mode aufgeputzte Aufklärung sie längst schon verdrängt hatte, die dann aber wieder jenen Flitterstaat noch lange sich bewahrten und stets noch bewahren, während ihre Umgebungen denselben unter ihre Altertümer gestellt haben. - Auch das ist übrigens allen jenen Kämpfen - mit Ausnahme der allerneuesten Zeit - gemein, dass der Unglaube seine Waffen gleichfalls aus dem Worte Gottes zu entlehnen vorgibt. Diese Erscheinung erklärt sich aber schon aus Matthai 4.; den wohl Gerüsteten schreckt sie nicht, den minder Festen kann sie jedoch oft in missliche Lagen bringen. Dem Letzteren will dieses Büchlein hilfreich zur Hand gehen, indem es ihm eine Auslegung derjenigen biblischen Sprüche gibt, welche der Unglaube für sich auszubeuten und mit denen er die Grundwahrheiten des Evangeliums zu bekämpfen pflegt. Kräftigt es Diesen oder Jenen, dessen Glaube im Kampf zu wanken droht, so hat es seinen Zweck erreicht und im reichen Maß den Segen empfangen, den der Verfasser für dasselbe erfleht.

1)
Luk. 2,34
2)
Matth. 10,34.