(Ps. 31,15. vergl. Ps. 25,2.; 31, 15. Th. 4. Pr. 6.)
Was dieser kurze Ausspruch des Glaubens in sich fasset, wollte ich gern zu deinem Trost etwas erklären. Wenn ich ein Ding bei seinem Namen nenne, so begreife ich in demselben alles, sein Wesen und alle seine Kräfte. So wenn ich die Sonne nenne, so verstehe ich dadurch lauter Licht, Klarheit, Lieblichkeit; wenn ich eine Rose nenne, so nenne und fasse ich in solchem Worte alle Anmuthigkeit, Schönheit, Geruch, Kräfte dieser schönen Blumen; und je edler und kräftiger das ding ist, welches ich nenne, je mehr begreifet der Name in sich. Also, wenn ich Gott nenne, so verstehe ich dadurch das ewige Wesen über alle Wesen, von welchem alle anderen Dinge ihr Wesen, Leben, Kraft und alles haben, die Weisheit über alle Weisheit, die Gütigkeit über alle Gütigkeit, die Kraft aller Kräfte. Der Name Gottes begreift in sich mehr Liebe, Süßigkeit, Güte, Kraft, Leben, Licht, Heil, als in der ganzen Welt und allen Kreaturen in der Welt ist, ja mehr als aller Menschen Herz und Seele begreifen und fassen kann, und wenn ihnen gleich allen ein so weises und reiches Herz, wie dem Salomo, gegeben wäre (1. Kön. 4,29). Alle Kreaturen sind nichts Anders, denn eine unzählbare Menge großer und kleiner Gefäße, von der Güte und Kraft Gottes angefüllet. Sie sind lauter Kunstbilder, daran seine Weisheit und Allmacht zu ersehen ist, er selbst aber ist das Meer, die Tiefe, die Fülle, der Abgrund aller Güte, Weisheit und Kraft, die sich in so viel tausendmal tausend Geschöpfen bisher ergossen hat, noch täglich ergießet und ferner ergießen, doch nimmer erschöpfet wird, ja nicht den geringsten Abgang leidet. Diese Fülle ist immer voll, diese Kraft ist immer stark, dieses Licht immer helle rc. Wenn ich nun im Glauben sage: Gott ist mein Gott! so ist dies die Meinung: Das ewige, gütige, unbegreifliche Wesen, das Himmel und Erde und alles, was drinnen ist, erschaffen hat, das hat von Ewigkeit an mich gedacht, es hat mich je und je geliebet, es hat mich ihm zum Gefäß und Werkzeuge seiner Ehren erkoren, es hat für mich gesorget, ehe denn ich geworden bin, es hat mich ersehen, da mich niemand sah und kein Mensch von mir wußte, es hat mir das Leben gegeben, mich gebildet, bearbeitet und bereitet zu der Zeit, die ihm beliebet, es hat mich aus Mutterleibe gezogen, es ist meine Zuflucht, mein Schutz, meine Kraft, mein Leben gewesen von meiner Mutter Brüsten an; ich lebe auch noch, webe und bin in ihm (Apostelgesch. 17,28.), es hat mich mit seiner Güte, Allmacht, Weisheit umgeben, es begleitet mich allenthalben; was ich esse und trinke, das nehme ich aus seiner Hand und es ist von ihm gesegnet und bereitet, ich schlafe oder wache, so ist es um mich, es wachet über mir, es liebet mich, es sorget für mich, es denket an mich, es stärket, schützet, bewahret, versorget und erhält alle seine Kreaturen, aber mich insonderheit; seine Allmacht, Weisheit, Güte, Vorsorge, Regierung erzeiget sich allenthalben und auch an mir, so klärlich und deutlich, als an irgend einem unter seinen Geschöpfen, es fället nicht ein Haar von meinem Haupte, es widerfährt mir nichts ohne seinen Willen, mein ganzer Lebenslauf gehet nach seinem heiligen Rath, von Anfang bis zu Ende u.s.w.
Ich wollte gern erklären das Wort: Gott ist mein Gott! Ich bekenne aber, daß ich mir selbst kein Genügen schaffe, denn es ist mir zu hoch, zu groß und unbegreiflich; doch ist mein Absehen dahin vornehmlich gerichtet, daß ich alle christlichen Seelen gerne bewegen wollte, daß sie von Gott nicht so schläfrig, kaltsinnig, kleinmüthig und schlecht denken, halten und reden möchten, wie man, leider! gewohnet ist. Denn wir betrachten selten und erwägen nicht mit gebührender Andacht, daß Gott nicht ferne von einem Jeglichen unter uns ist, daß er allenthalben in der Welt gegenwärtig, alles regieret, schaffet, versorget und erhält und daß er einen jedweden Menschen, insonderheit seine Gläubigen, mit seiner Allmacht, Weisheit, Güte umschlossen und in seine Gnade, Liebe und Treue gefasset hat. Dies sagen wir endlich wohl und bekennen es mit dem Munde, aber wir glauben es nicht von Herzen und machen es uns in der Uebung, in unserm Wandel, in unsern Geschäften und Sorgen nicht zu Nutzen; sondern wenn wir beginnen, unser Leben, unsern Stand, unsere Geschäfte, unser Anliegen, unser Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges u.a.m. zu überdenken, so thun wir es so, als wären wir allein und müßten uns selbst versorgen, schützen und erhalten, als wären wir außer Gott und seiner gnädigen Versehung, Vorsorge und Regierung. Ich berufe mich deßfalls auf das Gewissen euer aller, die ihr dieses höret (und leset), welches euch sagen wird, daß es so mit uns bewandt und nicht anders. Jener hochbetrübte Mann bekannte es frei öffentlich und sagte, als er des Morgens aufstund und die Nacht vieler Sorgen halber nicht hatte schlafen können: Heute hab' ich mich selbst wollen zu einem Gott machen, denn ich habe immer gesorget, wie ich mich und die Meinigen ernähren und erhalten möchte, da doch Gott als ein sonderbares Regale ihm vorbehalten, daß Er für uns sorgen wolle.
Lerne denn, du gottliebendes Herz, mit Andacht und im Glauben sagen: Gott ist mein Gott! mein Vater, mein Herr, er denket an mich, er sorget für mich, er liebet mich! und lerne dich von ganzer Seele auf seine Liebe, Güte,, Treue, Allmacht, Weisheit und Vorsorge verlassen. Von den Heiden spricht der Apostel, daß sie ohne Gott seien in der Welt, Ephes. 2,12. Sind wir denn auch Heiden? haben wir auch keinen Gott? Das sei ferne! Wir haben einen Gott! wir haben einen Gott! und zwar einen allmächtigen, liebreichen, gnädigen, weisen, allgegenwärtigen, unsterblichen, getreuen Gott, der für uns sorget, der uns in seine ewige Liebe eingeschlossen hat. Wir haben einen Gott, der Himmel und Erde erschaffen und alles, was drinnen ist, nun so lange her versorget und erhalten hat. Meinen wir denn, daß er uns allein nicht versorgen kann oder will, oder daß er unser etwa unter so viel tausenden vergessen hat?
Quelle: Klaiber, Karl Friedrich - Evangelische Volksbibliothek, Band 3