Alle Dinge sind mir übergeben von meinem Vater. Und niemand kennet den Sohn, denn nur der Vater; und niemand kennet den Vater, denn nur der Sohn, und wem es der Sohn will offenbaren. Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.
Matthäus 11,27-30.
Eines der herrlichsten synoptischen Selbstzeugnisse Jesu und zugleich eine der herzandringendsten Einladungen, die je von Jesu Lippen an Sünderherzen kam, liegt uns hier vor. –
Vers 27 findet sich, fast wörtlich gleich, Lukas 10,22 wieder, dort wie hier nach dem bekannten Dankgebet Jesu bei der Rückkehr der Siebenzig. Matthäus scheint nicht den Anlaß für das Gebet und für die Worte von Vers 27 nennen zu wollen. Vers 27 ist von dem Vorhergehenden dadurch abgegrenzt, daß Jesus, der bist jetzt zu dem Vater gesprochen, jetzt in Vers 27 von dem Vater in der 3. Person spricht, ohne jedoch schon jemanden direkt anzureden. Erst in Vers 28-30 wendet er sich an die Mühseligen und Beladenen. Vers 27 enthält auch eine neue, selbständige Aussage, die sich aber mit dem Vorhergehenden wie mit dem Folgenden leicht verbinden läßt. Wir betrachten Vers 27 in Verbindung mit den Versen 28-30, die nur Matthäus hat. Ob Vers 27 ursprünglich mit den Versen 28-30 ein Ganzes bildete oder nicht, jedenfalls ergänzen sich die beiden Abschnitte gegenseitig und stellen einander wirkungsvoll ins Licht. Das Selbstzeugnis wird durch die folgende Einladung teilweise illustriert, die Einladung wird durch das Selbstzeugnis gewinnender, verheißungsvoller, ernster, und ergreifend stehen einander die verborgene Hoheit und die offenbare Herablassung des Herrn gegenüber.
Kurz und kraftvoll bezeichnet der Herr mit den ersten Worten seine einzigartige Stellung der ganzen Welt gegenüber.
”Alles ist mir übergeben von meinem Vater.” Jedem, der sehen will, fällt auch in diesem Vers das johannische Gepräge auf, durch das die Verse 25-27 eines der synoptischen Selbstzeugnisse für das Johannesevangelium bilden.
In den Versen 25 u. 26 war von der Offenbarung der Gottesgedanken an Unmündige die Rede. Vers 27b u. c reden vom Erkennen des Sohnes und des Vaters, dies bei dem Wort “alle Dinge” veranlaßt uns 1) an alle Erkenntnis zu denken, die dem Sohne vom Vater übergeben worden sei. Die in unserem Kapitel vorausgehenden gewaltigen Gerichtsworte über die galiläischen Städte, die Erwähnung des Vaters als des Herrn Himmels und der Erde, die Einladung an die Mühseligen und Beladenen, bei denen es sich nicht nur um Erkenntnis, sondern um kraftvolle Hilfe handelt, das alles legt uns nahe, daß bei “alle Dinge” 2) an alle Macht zu denken ist, die dem Sohne vom Vater übergeben worden ist.
”Alle Dinge sind mir übergeben!” solch ein Wort hatte noch kein Menschenmund ausgesprochen; soviel auch den Größten des Alten Bundes anvertraut gewesen war, alles hatte der Vater nur in die Hände des Einen legen können, der in viel völligerem Sinne als Mose “treu war in seinem ganzen Hause.” – Jesus aber, nachdem er mit einem Herrscherblick sein alles umfassendes Machtgebiet überschaut hat, sieht alsbald mit einem Kindesblick auf zum Vater und bezeugt, daß dieses alles des Vaters – Gabe ist. Und wie er schon dort bei der Versuchung nicht geblendet ward durch alle Reiche der Welt, so bleibt er auch jetzt nicht stehen bei dem ihm Geschenkten, sondern seine Gedanken verweilen weiter beim Vater: “Und niemand erkennt den Sohn als nur der Vater.” Nur der Vater, der sein Wesen in den Sohn gelegt, kann den, der wesenseins mit ihm, der Abglanz seiner Herrlichkeit ist, durch und durch erkennen. Wir haben nur das Zeugnis des Vaters, der den Sohn kannte: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. – Was das Bewußtsein und die Tatsache des vom Vater Erkanntseins für den Sohn bedeutete, dessen Fülle seine Vertrautesten nicht zu fassen vermochten, das kann niemand ausdenken. Vers 27b u. 27c mögen auch den Grund zu 27a enthalten: Weil ihn der Vater kennt, wie keiner den Sohn kennt, hat ihm der Vater alles übergeben, denn er weiß, daß der Sohn ihn kennt, wie sonst niemand, und daß niemand so völlig mit des Vaters Macht des Vaters Willen ausführt, wie es der Sohn tut. – Vers 27b u. c beziehen sich hier auf das Verhältnis des historischen Christus zu Gott; lassen sich natürlich auch auf den präexistierenden Sohn anwenden, aber es hier zu tun, dazu fehlt jede Veranlassung.
Der Artikel bei Sohn drückt aus, daß es sich um den Sohn im absoluten Sinn handelt, für den Gott nicht “auch Vater”, sondern der Vater ist, ebenfalls im absoluten Sinn.
Wie nun der Sohn völlig allein vom Vater erkannt wird, so gibt sich auch der Vater, der in unzugänglichem Lichte wohnt, nur dem Sohne ganz zu erkennen, so ganz, daß der Sohn sagen kann: “Ich bin im Vater und der Vater in mir.”
Und zu dem “und niemand kennet den Vater als nur der Sohn” fügt Jesus hinzu: ”und wem der Sohn will offenbaren”. Daß dieses Offenbaren den Vater betrifft, ist aus dem Zusammenhange klar, aber durch das Fehlen des Objekts bei “offenbaren” scheint angedeutet zu sein, daß hier keine Grenze gesetzt werden soll und kann, wo von der Offenbarung der unendlichen Fülle die Rede ist, welche in Gott ist.
Fragen wir noch weiter: was kann man erkennen von Gott und von Christo?” (Denn daß Christus nicht so erkennbar sei wie Gott, will nach dem sonstigen Schriftzeugnis das Fehlen eines Satzes, der lauten würde: “niemand erkennt den Sohn, als wem der Vater offenbart” gewiß nicht sagen). Erkennbar von Gott ist das Geoffenbarte. Diese Offenbarung ist auf jeder ihrer Stufen eine Wesensdarstellung Gottes. Mit Christo hat die vollkommene Offenbarung begonnen, die aber erst mit der äußeren Verklärung Christi und der Seinen abgeschlossen sein wird; damit wird dann auch unsere Seele gesättigt sein. Aber auch diese vollkommene Offenbarung ist keine absolute, denn es bleibt bestehen, daß Gott in einem Lichte wohnt, da niemand zukommen kann. Nur der eingeborene Sohn kann den Vater völlig erkennen. Die Grenze, die den Schöpfer vom Geschöpf trennt, wird immer bleiben. Absolute Erkenntnis ist nur auf Grund einer Wesensgleichheit möglich; die Möglichkeit der für den verklärten Menschen erreichbaren, vollkommenen Erkenntnis beruht auf der durch die Wiedergeburt erlangten göttlichen Natur. Hieraus ergibt sich auch nun, wie der hier vorliegende Ausspruch vom Nichterkennen des Vaters und Sohnes mit den ihm scheinbar widersprechenden Stellen von völliger Erkenntnis des Vaters und Sohnes zu vereinigen ist.
Warum Christus bei dem Vater von der Möglichkeit einer Erkenntnis spricht, bei sich aber nicht, das hat vielleicht zum Teil darin seinen Grund, daß die Erkenntnis Christi nicht Endzweck ist, sondern das Erkennen des Vaters. Den Vater offenbart aber Christus, indem er sich offenbart, das heißt erkennbar macht. So wäre dann die Erkenntnis Christi bezw. das Erkennen Christi in das des Vaters eingeschlossen. Einen anderen Grund führt Kübel an, der den eben genannten nicht ausschließt; er sagt: “Wo Jesus von sich und seiner einzigartigen Stellung redet, von sich, der hier als Mensch vor Menschen steht, da ist es viel nötiger, eben das hervorzuheben, was ihn so hoch stellt, als das, daß allerdings auch andere durch Gottesoffenbarung zu seiner Erkenntnis kommen können, was dann durch das übrige von selbst deutlich wird.”
Der aber, dessen Herrlichkeit und Hoheit wir soeben geschaut, er steht in der Gestalt der Niedrigkeit mitten unter den Menschen, um sich ihnen zu offenbaren und zwar gerade denen unter ihnen, die scheinbar am weitesten von ihm entfernt sind, die aber eben deshalb am meisten gerade eines solchen Heilandes bedürfen. Wem er sich offenbaren will, sagt Vers 28.
Herbei, her zu mir, alle ihr Müden, Abgearbeiteten, und ihr Belasteten, Gedrückten, und ich werde euch erquicken.
Die Erfahrung lehrt, daß das Bevorzugt- oder Gehobensein auf dem physischen, auch auf dem intellektuellen Gebiet das Selbstbewußtsein des natürlichen Menschen steigert, bezw. sein Abhängigkeitsgefühl vermindert, während umgekehrt intellektueller Mangel und physisches Elend das Selbstbewußtsein vermindert und das Gefühl der Heilsbedürftigkeit vermehrt. Die Barmherzigkeit des Heilandes, der gekommen ist, zu trösten alle Traurigen, wendet sich daher auch denen zu, die durch äußeres Elend bedrückt sind. Wir dürfen uns auch vergegenwärtigen, wie sehr die Armen unter den mannigfachen Gesetzesvorschriften und Aufsätzen der Aeltesten seufzten, da sie entweder nur mit empfindlichem Aufwand an Geld und Zeit ihren religiösen Pflichten nachkommen konnten, oder aber unter dem niederdrückenden Gefühl der Nichterfüllung standen. Dann aber werden wir diese Einladung, dem Gesamtzeugnis der Schrift entsprechend, als an alle die gerichtet betrachten, die zu geistlich Armen geworden waren, denen ihre Sünden wie eine schwere Last zu schwer geworden waren, solche, die sich im Ringen nach Gerechtigkeit abgemüht und die ihre Ohnmacht erkannt hatten. Zu jeder Art von solchen Leuten, zu jedem einzelnen neigt sich der, dem alles übergeben ist, sie sucht Er, der in engster Gemeinschaft mit dem Vater steht, und lädt sie ein zur Gemeinschaft mit ihm und zum Anteil an seinem Besitz. Klar und bestimmt erklärt er ihnen, daß er gesonnen und imstande sei, ihnen gerade das zu geben, was am genauesten ihrem Bedürfnis entspricht.
Ich will! Mit einem Nachdruck, der an das alttestamentliche “So spricht der Herr!” erinnert, beginnt der Herr seine Verheißung. Hier, wo es gilt, den Seelen Mut zu machen, wo es gilt, für den Vater ein Zeugnis abzulegen, da stellt der sanftmütige und demütige Heiland seine Person gerne in den Vordergrund. Ich werde euch aufhören machen, d.h. ich werde euch Ruhe schaffen oder vielleicht am besten hier mit Luther: Ich werde euch erquicken! In demselben Verhältnis wie das äußerliche Mühselig- und Beladensein sich bei dem einzelnen zu einem inneren Gebeugtsein vertieft, gewinnt auch der Begriff Ruhe an Tiefe und Fülle. Jesus, persönlich und aktiv, ist es, der hier Ruhe schafft, und so weit reicht dieses: Ich will euch Ruhe geben, so viel kostet es, diese Ruhe zu schaffen, so tief ist sein eigenes Ich dabei in Mitleidenschaft gezogen, daß der Prophet ausruft: “Fürwahr, Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen!”
Keine andere Bedingung als die des “Kommens” ist an den ersten Satz der Einladung Jesu geknüpft: “Her zu mir! Und es geht eine Kraft auf euch aus, die eurem Elend ein Ende macht!” Aber ist wirklich so große Wohltat so leichten Kaufs zu bekommen? Kann jeder herzutreten und wie einen Raub sich den Segen bei Jesu holen und dann weg von ihm gehen und ferne von ihm bleiben, wie die neun Aussätzigen? Nein! Wohl heilte er sie alle, die zu ihm kamen, niemand hat eine Fehlbitte getan und ist ungesegnet von dannen gegangen, der je mit ihm in gläubige Berührung kam. Aber wer einmal schmecken will die Kräfte der zukünftigen Welt, wer eine fruchtbringende Rebe am Weinstock sein will, der hat eine weitere Bedingung zu erfüllen:
Vers 29: Nehmet mein Joch auf euch und lernet von mir, denn ich bin sanft- und demütig von Herzen, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen. Ein Anklang an Stellen, wie Hosea 11,4 mag die unsrige sein; vielleicht auch an die, wie wir hören, bei den Rabbinern häufige, auch bei Sirach vorkommende Bezeichnung der Lehre als ein Joch. – Was immer die Eingeladenen drückte, jedenfalls seufzten sie unter einem schweren Joch; nun lädt er sie ein, unter sein Joch sich zu begeben. Daß ihnen das alte zuvor abgenommen werden sollte, ist wohl selbstverständlich. Ob der Tausch empfehlenswert sei, davon ist noch nicht die Rede. Zunächst, was bedeutet es, ein Joch auf sich zu nehmen? Unter einem Joch gibt es keinen Eigenwillen, man ist der Leitung eines anderen überlassen. Ein Joch ist darum kein Spielzeug, aber wenn der, der es auflegt, ein guter Herr ist, ist es auch kein Marterwerkzeug; es ist ein Geräte, vermöge dessen das Zugtier bei der Tagesarbeit zur zweckmäßigen Verwendung seiner Kräfte, entsprechend dem Willen des Herrn, angehalten und angeleitet wird.
Dieses Joch nun zwingt der Herr niemanden auf, er sagt: nehmet es auf euch, laßt euch einspannen, ein für allemal.
Der zweite Imperativ zeigt nun, was der Herr mit dem Joch meint: Lernet von mir, kommt zu mir in die Lehre, werdet meine Jünger! Was es bei ihm zu lernen gebe, das zeigt zum Teil Vers 27, zum Teil läßt es sich, wie wir nachher sehen werden, aus dem Zwischensatz “denn ich bin sanftmütig” entnehmen.
Wenn sie das Joch auf sich nehmen und von ihm lernen, so werden sie Ruhe finden für ihre Seelen, Ruhe, das längst gesuchte Gut.
Die schon in Jeremia (Kap. 6,16) den Juden in Aussicht gestellte Ruhe ist nicht eine vorübergehende Erquickung, sondern ein Zustand, ein Gut und Besitztum. Um eine solche Ruhe handelt es sich auch in unserer Stelle; sie wird von Luther in Vers 28 mit “erquicken” übersetzt und in Vers 29 eine Ruhe der Seelen genannt.
Aber wer wird diese Ruhe der Seele mit dem Sichfügen unter Jesu Joch nicht zu teuer erkauft, wird es nicht eine zu harte Schule sein? so mag das argwöhnische Menschenherz fragen. Mit dem noch vor der Verheißung der Ruhe eingeschobenen Zwischensatz begegnet der Herr diesem Bedenken, indem er versichert: Denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig. Dies ist Erklärung und Begründung seiner Einladung, zu ihm zu kommen, statt zu den Gesetzeslehrern ihres Volkes. Einem solchen Lehrer wie er durfte sich der Schwächste, Aengstlichste und Geringste anvertrauen, er wird weder hart noch herrisch gegen sie sein. Nein, er wird trotz seiner überlegenen Weisheit und Macht ihnen herzlich entgegenkommen. Sein innerstes Wesen ist sanftmütig und demütig, und das bürgt dafür, daß er seine Gesinnung und sein Verhalten nicht über kurz oder lang ändern wird. – Aber freilich, wo der Lehrer selbst, wenn er sich charakterisiert, Sanftsein und Demut als seine Eigenschaften nennt, da sind die Schüler nicht nur zum Genusse dieser Tugenden ihres Lehrers eingeladen, sondern zu mehr und allerdings auch zu schwererem, zur Aneignung und Verkündigung der herrlichen Tugenden des, der sie berufen hat. Sanftsein ist ein Verhalten; es quillt aus der Demut, die eine Gesinnung ist, wie die Wärme aus dem Feuer. Demut ist vielleicht tiefgefaßt, als eine religiöse Tugend zu bezeichnen; sie bezieht sich zuerst auf die Selbstbeurteilung im Lichte der göttlichen Wahrheit und hat zur Folge eine entsprechende Stellungnahme zu Gott und Menschen. Die Demut beugt sich und richtet andere auf. Sanftmut kann man vielleicht als eine soziale Tugend bezeichnen, sie bezieht sich auf eine Beurteilung der andern im Lichte der göttlichen Liebe und eine entsprechende Stellungnahme zu den Menschen, sie gießt Oel in die Wunden und saugt das Gift heraus. – Diese Tugenden ihres hohen Lehrers sind geeignet, die Bedenken der Schüler gegen seine Person zu zerstreuen. Aber noch kann eine unberechtigte Furcht des natürlichen Menschen vor dem Joch, vor den Anforderungen, die die Lehre des Lehrers an ihn stellt, bestehen. Aber ihm kann man nicht den Vorwurf machen, den der Herr mit Recht den jüdischen Gesetzeslehrern machte: “Ihr beladet die Menschen mit unerträglichen Lastern” (Lukas 11,46). Er zeigt, daß es in der Tat möglich ist, unter der Last des neuen Joches wirklich die verheißene Ruhe der Seele zu finden. ”Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.”
Der Herr leugnet also keineswegs, daß es unter seiner Leitung und Zucht Lasten zu tragen gibt, aber er kennt sich selber und weiß, was er tun wird, um die Last leicht zu machen. Darum kann er den Eingeladenen wohl versichern, daß sie bei ihm nicht mehr zu Mühseligen und Beladenen werden, sondern daß, je völliger sie sich unter sein Joch schmiegen, desto mehr ihre Seele darunter ruhen wird.
Und wenn wir noch einmal die Worte an unserem Geiste vorüberziehen lassen, die hier der Herr redete, rufen sie uns dann nicht jenes Bild vor die Seele, das der Jünger, den er liebte, von ihm zeichnete: Joh. 13,3-5. Da Jesus wußte, daß ihm der Vater alles in seine Hände gegeben, und daß er von Gott gekommen war und zu Gott ging, stand er vom Abendmahl auf, legt seine Kleider ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich. Danach goß er Wasser in ein Becken, hob an, den Jüngern die Füße zu waschen und trocknete sie mit dem Schurz, damit er umgürtet war.
“Wo findet die Seele die Heimat, die Ruh?” Die Antwort auf diese Frage gibt die Einladung, die unser Text enthält.
An den Anschlagesäulen und in den Zeitungen unserer Städte finden wir täglich in großen Lettern Bekanntmachungen aller Art und darunter die mannigfaltigsten Einladungen. Und wenn ein auf unserm Planeten Unkundiger dieselben lesen würde, müßte er denken, daß unsere Erde in nächster Zeit ein Paradies werden müsse, wenn sie’s nicht schon sei. Da versichern die einen, ein unfehlbares Mittel gegen alle Arten körperlicher Leiden zu besitzen, da bietet der andere seinen Nebenmenschen die Hand, nicht nur fast umsonst ihre Lebensbedürfnisse bei ihm zu befriedigen, sondern auch im Handumdrehen reich zu werden, die laden zu Freude und Genuß und Erholung ein, und jene wollen uns den untrüglichen Weg zeigen, um alle Notstände, alle Leiden und Laster, alles Unrecht und alle Unterschiede rasch aus der Welt zu schaffen, die in den Jahrtausenden des Zusammenlebens der Menschen entstanden sind. Und wir lesen und hören ungläubig lächelnd die meisten dieser Einladungen und wissen, daß sie nicht ernst gemeint und nicht ernst zu nehmen sind. Aber ab und zu steht unter den vielen Einladungen auch eine, die den Namen irgend eines Mannes trägt, den wir als einen ernsten, zuverlässigen Ehrenmann kennen; wir wissen, hier werden wir nicht getäuscht, und vertrauensvoll geht man, kauft, hört, läßt sich raten und helfen und freut sich. Wenn es heutzutage mehr als je darauf ankommt, was für ein Mann es ist, der uns etwas anpreist, so fragen wir auch bei der Einladung, die uns hier vorliegt, zunächst: Wer ladet ein? Die Antwort lautet: Jesus Christus, und ihn macht ein Doppeltes uns vertrauenswürdig, einmal seine einzigartige Stellung zur Welt und dann seine einzigartige Stellung zu Gott. – Vers 27a: Alles ist mir untertänig! Das hätten alle Welteroberer so gerne gesagt, aber sie konnten es nicht sagen, denn nur zu bald standen sie an den Grenzen ihrer Macht, der eine will das Meer in Ketten legen und mit Peitschenhieben bändigen, aber es kümmert sich nicht um ihn, wohl aber wird es ganz stille, wenn Jesus ein Wort spricht; der andere kann auf dem Gipfel seiner Macht seinem jungen Leben keine Spanne mehr zusetzen, denn nur Jesus ist der Fürst des Lebens; für eine kurze Zeit waren ihnen ein paar Millionen Menschen untertan, dann kam das Ende ihrer Herrschaft. Der Thron der Menschheit blieb leer, bis der kam, der sagen konnte: Alles ist mir übergeben.
Wir könnten davon reden, wie die Denker und Forscher gesucht haben, und wie sie sich groß dünkten, wenn sie einen Strahl von dem sahen, was Jesus war und hatte: von der Wahrheit. Auf allen Gebieten des Lebens, wo Menschen sich mühten, im heißen Ringen etwas zu erreichen, und sie vermochten es nicht, da klingt ihnen von Jesu entgegen: Alles ist mir übergeben. Aber er, dem alles untertan ist, sagt: Es sei ihm alles übergeben. Kein Fürst, der je sein Fürstentum wahrhaft als von Gottes Gnaden ansah, hat es so tief erfaßt wie Jesus, daß sein Reich eine Gabe sei, und hat so ganz sein Leben dafür eingesetzt, alles dem zu Füßen zu legen, der es ihm gegeben. – Und wir, ach, sind wir nicht so langsam, das, was wir sind und können und haben, von Herzensgrund als Gottes Gabe anzusehen, anzuerkennen vor andern und es als Gabe zu verwalten? Sind wir nicht so schnell, zu tun, als ob wir es nicht empfangen, für andere empfangen hätten? – Jedes einzelne Wort in diesem Ausspruch Jesu ist wunderbar! Alle Macht der Welt ist einem Menschen untertan, und ehe wir das unendliche Gebiet nur überschaut, ehe wir seinen Herrscher bewundert haben, zeigt uns sein drittes demütiges Wort, daß es eine Gabe ist, und er weist uns an den, den zu verklären sein Leben ist, an den Vater, und führt uns hinein in das Geheimnis seiner Stellung zu Gott.
Und wie sicher macht uns das Wort, daß sein Reich des Vaters Gabe ist, denn wir wissen, daß Gott seine Gaben nicht gereuen, und wie der Sohn Johannes 10,28 von den Seinen sagt, niemand könne sie aus seiner Hand reißen und dann Vers 29 hinzufügt, daß sie niemand aus des Vaters Hand reißen könne, der größer sei als alles, so schlingt sich auch hier des Vaters Rechte um die des Sohnes und bewahrt das Reich, das er dem Sohne gab. – Hier lernen wir uns auch beugen vor dem Sohne, dessen Hoheit man über seiner Niedrigkeit so leicht vergißt. – Und wenn nun Jesus vollends von dem Geheimnis des Verhältnisses zwischen Vater und Sohn redet, so können wir nur anbetend stehen und dafür danken, daß es des Vaters Wille ist, daß wir den Vater im Sohne kennen lernen. Wir können der Liebe nachsinnen, die uns der Vater erzeiget, daß Menschen in einem ähnlichen Verhältnis mit ihm stehen sollen. Und wer schon eine solche Hoffnung hat, der empfindet das Bedürfnis, sich selbst zu reinigen, gleich wie er rein ist. An Jesum sind wir alle gewiesen, von seinem Willen hängt es ab, ob wir Gott erkennen, und das ist das ewige Leben, den allein wahren Gott und den er gesandt hat, Jesum Christum, erkennen.
Wer es wagt, mit seinem eigenen Geist Gott erkennen zu wollen, der wird, so weise er sich dünkt, zum Narren, denn wenn wir wissen wollen, wie Gott ist, was er will, wie er denkt, was er kann, so können wir es nur durch Jesum erkennen. Wem aber will Jesus offenbaren? Wem gilt die Einladung? Den Mühseligen und Beladenen. Gibt es in dem Jahrhundert, wo Dampf und Elektrizität den Menschen ihre Kräfte leihen, wo man gegen jedes Unheil sich versichern kann, wo die Kunst des Menschen und sein Wissen so gewaltig zugenommen hat, auch noch Mühselige und Beladene? und wenn, so werden es nur wenige sein? Wenn wir hinein hören und schauen ins Leben, so werden wir der Klage des Dichters Recht geben: “Wohl klüger bist du Menschheit worden, doch glücklicher und besser nicht.” Nun, wenn dem so ist, für diese Klassen und Massen, die in mühseliger Arbeit ihr Brot verdienen müssen, ist Jesus da. Er, der des Vaters Gedanken über die Menschen, er, der den Adel der Menschheit kennt, hat ein Herz für sie alle. Ach, wenn es nur das brauchte, daß Jesus sich diesen Tausenden offenbaren wollte, sie kennten ihn schon lange.
Aber sie sind es nicht, die alle Mühsal und Last des Lebens allein zu tragen haben. Das Wort gilt auch denen, die äußerlich erträglich gestellt, unter einem Leid in der Familie oder sonst einem Kummer seufzen. Ein jeder Stand hat seine Last und seine Sorgen. Und dann gibt es Mühselige, die ein heiteres Angesicht zur Schau tragen, bewundert und beneidet sind, und welch ein Elend würde offenbar, wenn sie die Maske fallen ließen. Aber man braucht kein Unglücklicher, kein unter schwerer Sorgenlast Seufzender zu sein, und doch, die kleinen Aufgaben des unruhigen Alltagslebens, ja vielleicht gerade die Kleinlichkeit dieses Lebens, oder der Mangel an Liebe, an Freunden, und tausend andere Dinge können einem das Leben zur Mühsal und Last machen. – Jemand hat, als er aus einer Predigt ging, gesagt: Entweder weiß der Pfarrer nicht alles oder sagt er nicht alles, von meinem Fall hat er nichts gesagt. Ist auch nicht nötig. Jesus sagt: alle Mühseligen, damit bist auch du gemeint, der du eine einzige Mühsal, oder am Ende gar die hast, daß du der keine zu haben scheinst. Es gibt Leute, die wissen nicht, wie krank sie sind. Und wenn sie’s nicht inne werden, so ist’s ihr baldiger Tod. Und da ist eine Krankheit, die sollte alle mühselig und beladen machen, die Sünde. Hat die dich nie gedrückt? Manche fragen krankhaft, wie sehr sie drücken müsse. Jedenfalls so sehr, daß du sie inne wirst. Und wenn du nur weißt, daß eine Sünde genügte, um verloren zu gehen, und wenn du keine andere Sünde hättest, als daß dein Leben, Denken und Tun sich nicht um Jesum dreht, so hast du wahrhaft Last genug. Aber der, der durch eigene Schuld sein Leben befleckt und vergiftet hat, und der, der fragen muß: “Darf ich wiederkommen mit derselben Schuld?” und der, der schon bekehrt ist, der, der träge war, der irre ging, weil er eigene Wege ging? Jesu Einladung sagt: alle, und ich wage nicht, zu sagen: nicht alle, wenn Jesus sagt: alle, und du sollst auch nicht widersprechen und sagen: alle, aber ich nicht, wenn er sagt: alle.
Und beachtest du nicht, wie freundlich er sagt: “Mühselige und Beladene!” Er denkt daran, wie es uns zu Mute ist. Er könnte auch andere Namen uns geben, wenn er die traurigen Wege nennen wollte, auf denen wir Mühselige und Beladene wurden. Und nun die Einladung selber. Sie enthält zwei Bedingungen und zwei Verheißungen. Die erste Bedingung ist eine leichte, aber unerläßliche: Kommet! Nicht sollt ihr sagen: ich sollte, wollte, möchte, würde kommen, sondern kommet. Mehr will der Herr nicht und kann er von Mühseligen und Beladenen nicht verlangen. Erst muß er erquicken, dann kann er mehr verlangen.
Einige stellen sich den Herrn vor, als ob er die, die als Verschmachtende kommen, statt zu erquicken quäle bis auf den letzten Blutstopfen. Ihr sagt: niemand stellt sich das vor, und doch benehmen sich die meisten so, als ob sie es sich so vorstellten, sonst würden sie nicht sich fürchten, zu ihm zu kommen. Fragt die großen Kenner der Sünde und der Gnade, den David, den Manasse, den Petrus, den Paulus, wie sie den Herrn gefunden haben, ob sie ihn nicht barmherzig und gnädig fanden. Es ist bei Jesu ein freier und offener Born wider alle Sünde; er hat sein Blut für Sünder vergossen. Die Strafe lag auf ihm, auf daß wir Frieden hätten. – Du wagst nicht zu “kommen”? Was soll Jesus dir anders sagen, als “komm”, und wenn du im Vertrauen auf sein Wort gekommen bist, wirst du rühmen: Er erquicket meine Seele.
Vers 29. Wer gekommen ist, soll bleiben. Aber Freiwillige will der Herr. Das Joch der öffentlichen Meinung, der Sitte, der Mode, der Partei, und jedes andere Joch, da sündig und töricht ist, trägt der natürliche Mensch lieber als Jesu Joch. Aber wie das Fleisch sich auch sträubt, wie der Kleinglaube sich fürchtet, - hat unser Herr es nicht um uns verdient, daß wir sein Joch tragen?