Alle Beschreibungen der Sünde, die der Römerbrief enthält, sind uns zu dem Zweck gegeben, dass wir am Umfang und an der Macht unsrer Sünde die Größe und Kraft der göttlichen Gabe erkennen möchten, die uns in Christo verliehen ist. Schon beim Blick auf die heidnische Zerrüttung, in die der Mensch durch die undankbare Verachtung der Wahrheit und Güte Gottes fällt, Kap. 1, hat der Apostel das Werk der Gnade im Auge, welche uns dadurch, dass wir sie dankbar hinnehmen, in die Gerechtigkeit versetzt. Ebenso hat er die von Adam ausgehende königliche Obmacht der Sünde und des Todes dazu beschrieben, Kap. 5, damit wir an derselben die Macht Christi fassen, welcher noch viel sieghafter und kräftiger die Gerechtigkeit und das Leben zu allen strömen lässt. Und an die Knechtschaft, in welche uns der Gehorsam unter die Sünde brachte, hat er uns darum erinnert, Kap. 6, damit wir begreifen, dass wir durch den Gehorsam unter das Evangelium auch Knechte geworden sind, doch nun der Gerechtigkeit. In derselben Absicht hat uns Paulus soeben, Kap. 7, die Tiefe unsrer Sündigkeit gezeigt, nicht damit wir nun klagend und verzagend uns selbst ansehen, sondern damit wir im Gegenteil gerade an unsrer Bedürftigkeit erkennen, dass Christi Gabe allgenugsam ist für uns und durch sie uns alle Verdammung abgenommen ist. In uns selbst finden wir den traurigen Zwiespalt, an dem das menschliche Wirken scheitert. Wir sind zwar in unsrer Vernunft an Gottes Gesetz gebunden, so dass wir ihm innerlich beistimmen und unterworfen sind, aber gleichzeitig sind wir mit dem Fleische an das Gesetz der Sünde gebunden, welcher dasselbe zum Werkzeug dient, vgl. 7, 25. Folglich, fährt Paulus fort, ist nichts Verdammliches an denen, die in Christo sind, Vers 1, und keine Verurteilung, sondern Gottes ganzes, volles Wohlgefallen ruht auf uns. Siehe, ruft uns Paulus zu, was dir fehlt; so weißt du, was du in Christo hast. Weil es dir selber fehlt, darum ist es dir in Christo gegeben. Du findest in dir selbst die Ohnmacht, eben darum in ihm die Befreiung von aller Verdammlichkeit. Seine Gabe entspricht unserm Bedürfnis völlig und ersetzt unsern Mangel ganz; denn in ihm ist uns die Gnade zugewandt, welche eben unsern Mangel zum Maß ihrer Gabe macht und unsre Ohnmacht zum Grunde der Kraft, mit dem sie uns beschenkt. Deshalb dürfen wir den Blick in unser Elend endigen lassen in den Schluss: also bin ich reich; denn was ich bedarf, das bekomme ich in Christo, weil ichs bedarf. Das heißt gläubig die Sünde erkennen und gläubig sich in die eigene Not vertiefen; das ist diejenige Buße, die aus dem Glauben kommt und wiederum zum Glauben führt. Darum bleibt der Römerbrief trotz der vielen dunkeln Bilder, die er von unsrer Sünde und Not entwirft, dennoch Verkündigung des Evangeliums; ja gerade aus jenen dunkeln Bildern entsteht sein heller, dankbarer, anbetender Jubelton.
Die Einkehr in uns selbst hat uns gezeigt, dass wir des Geistes ermangeln; aber eben das, was uns fehlt, nämlich Geist, finden wir in Christo, Vers 2. Vernunft haben wir wohl und in ihr das Gesetz Gottes. Aber das Wissen, das unsre Vernunft in sich trägt, ist kein Können und Vermögen, und ihr Wünschen kein Wirken und Vollbringen. Wir entbehren der Kraft, die das Erkennen ins Wollen und Wirken führt. Der Geist hat diese Kraft und er wohnt in Christo und durch ihn in uns.
Damit ist der Ohnmacht des Gesetzes abgeholfen, das wegen unsrer Fleischlichkeit eine leere, unerfüllte Forderung blieb und nur unsern Widerstreit gegen Gott offenbar machte. Denn nun fasst es uns in neuer Gestalt an als das Gesetz des Geistes. Der Geist hat, wie alles, was von Gott ausgeht, Gottes Gesetz in sich, und mit seiner kräftigen Leitung und Begabung wird das Gesetz in uns eine Macht, die uns gestaltet und erfüllt, bewegt und regiert.
Wir mussten uns für tote Leute achten, weil mit dem Aufleben der Sünde wir selber starben und unser Leib zum Leib des Todes ward. Nun aber, weil wir in Christo den Geist finden, ist unsrer Not abgeholfen. Denn Geist ist Leben; er ists, der uns lebendig macht.
Wir erkannten uns als unter die Sünde verkauft, da wir tun müssen, was wir selbst nicht wollen, uns zum Jammer, da unsre eignen Glieder wider uns sind. Mit dem Geist aber ist uns Freiheit gegeben, weil er sich uns zur Kraftquelle macht, die dem Gesetz der Sünde und des Todes, dem wir unterstellt sind, überlegen ist.
So kommt nun erst, während früher bloß die Verurteilung des Gesetzes zur Geltung kam, die Gerechtigkeit vom Gesetz verordnet zur Erfüllung in uns, Vers 4, und das was das Gesetz gerecht heißt und den Gerechten verordnet, zusagt und verspricht, tritt in Kraft, und alles, was an uns verdammlich ist, ist abgetan.
Damit, dass wir in Christo Geist als Gottes Gabe finden, empfängt alles, was uns bisher über Christi Werk gesagt worden ist, erst sein volles Licht. Das ist also die Endabsicht bei jener Anbietung der Rechtfertigung, die in Jesu Tod geschehen ist: sie hat den Geist im Auge, der uns in Christo gegeben wird; in so voller Wahrheit erweist er sich als Gnadenthron. Und darum ist Jesus in noch höherer Weise als Adam der Menschheit zum Haupt gesetzt: Geist gehet von ihm aus und verbindet die Glaubenden mit ihm und eignet ihnen die Gerechtigkeit zu, die er ihnen durch seinen Gehorsam erworben hat. So wird auch vollends deutlich, wie wir in seinen Tod und in seine Auferstehung eingeschlossen sind, so dass wir mit ihm gekreuzigt und auferstanden sind: das Band, das er zwischen. uns und ihm stiftet, ist ein lebendiges und besteht in seinem Geist. Daher setzt uns unser Gehorsam in ein Dienstverhältnis zur Gerechtigkeit, so dass wir ihr angehören mit Leib und Seele: wir sind durch Jesus in den Besitz des Geistes gestellt.
Wie kommen wir zum Geist? Nichts verdammliches ist an denen, die in Christo Jesu sind. Mit der Enthüllung der göttlichen Gabe wächst auch Jesu Person vor unsern Augen. Wir erkannten in ihm den Boten der göttlichen Gerechtigkeit, das Werkzeug Gottes, durch welches er unser Verhältnis zum göttlichen Recht und Urteil in Ordnung bringt, Kap. 3. Wir sahen in ihm das höhere Gegenbild Adams, das Haupt unseres ganzen Geschlechts, dem wir alle zugeteilt sind, damit das, was er hat, für uns vorhanden sei, Kap. 5. Er trat vor uns als das Vorbild, dem wir gleichförmig gemacht werden, so dass sein Tod und Leben uns verheißend und weisend den Weg durchs Leben zeigen, Kap. 6. Nun leitet Paulus unsern Blick noch höher: wir sind in ihm und er ist in uns.
Wir sind nicht bloß das Gebiet seiner Macht und königlichen Herrschaft, so dass wir seine Wirkung an uns erfahren; auch sind wir ihm nicht nur so verbunden, wie das Urbild sein Abbild umspannt; sondern er hält uns umschlossen mit einer lebendigen Gegenwart. Er erreicht uns nicht nur mit der Gewalt, die ihm gegeben ist, und mit der Wahrheit, die in ihm erschienen ist, sondern er hält seine Liebe auf uns gerichtet, und das ergibt eine Gemeinschaft, die ein Zusammenleben in sich hat. Das ist des Glaubens höchster Segen und reifste Frucht, dass er uns in Christum hineinversetzt. Denn eben im Glauben verlässt der Mensch sich selbst und fasst Christum als seines Lebens Fundament und Mittelpunkt. Und das ist nun die Stelle, wo uns der Geist erreichbar wird. Wir werden seiner dadurch teilhaft, dass Christus uns, die wir glauben, so ergreift, dass wir in ihm sind und er in uns.
Die Bedingung dazu, dass wir den Geist empfangen, war Jesu Tod, Vers 3. Der Geist kommt nicht, bis das Fleisch verurteilt ist. Darum war der Weihnachtstag noch nicht der Pfingsttag für die Welt, und es war nicht schon Jesu irdische Gegenwart von der Offenbarung des Geistes begleitet; vielmehr wurde Jesus in der Gestalt des sündlichen Fleisches und der Sünde wegen gesandt, damit diese ihr Urteil empfange in seinem Tod. Aber nun, nachdem er dem Fleisch gebracht hat, was ihm gebührt, nämlich die Verurteilung an seinem Kreuz, nun wohnt der Geist in ihm nicht nur zu seiner eigenen Verklärung, sondern auch zu unserem Besitz.
So kann sich nun unser Leben in doppelter Richtung bewegen, je nachdem es von unten durch die natürlichen. Triebe oder von oben aus dem Geist bestimmt und geleitet wird, und der Apostel stellt uns den gänzlich verschiedenen Verlauf beider Lebenswege dar, Vers 5-17. Was uns im Grunde unsrer Person hält und regiert, dem folgt unser Sinnen und Trachten nach. Darum kehrt sich der Lauf unserer Gedanken, Wünsche und Begehrungen um und wird neu, wenn statt des Fleisches der Geist der innere Grund unseres Wesens geworden ist, Vers 5. Das Fleisch lenkt unser Trachten auf das Fleisch, der Geist auf den Geist. Dort werden uns die Dinge zum Bedürfnis, die das Fleisch reizen, erquicken und sättigen, und das, was dem Geiste angehört, bleibt uns unfasslich, ohne Reiz und Wert; hier wird uns das, was nur das Fleisch angeht, unwichtig und schattenhaft, und das, was dem Geist entspringt und den Geist in uns erhält und stärkt, füllt unser Herz und wird uns zum Bedürfnis und zur Lust.
Das setzt uns in eine gänzlich verschiedene Stellung zu Gott. Geht unser Sinnen und Trachten vom Fleische aus zum Fleische hin, so treten wir in Feindschaft gegen Gott. Wir durchbrechen und zerreißen sein Gesetz, das mit seinen auf den Geist weisenden Mahnungen unserem fleischlichen Trachten widersteht, und an solchem Widerstreit entzündet sich der Unwille und Ärger über Gott; wir wollen ihn vergessen und ihm entlaufen und stoßen ihn innerlich von seinem Thron. Wir können so Gott ? nicht gefallen und wollen es auch nicht. Der Geist dagegen, der uns Christo zu eigen macht, dass wir sein sind, ist eben dadurch zugleich der Geist der Kindschaft zu Gott, Vers 15. Darum weil uns Gott in die Sohnesstellung setzt zu ihm und uns als seine Kinder an- und aufnimmt, gibt er uns Teil an seinem Geist. Wir treten also durch den Empfang des Geistes in den Besitz und Genuss der Kindschaft ein. Darum überwindet der Geist nicht nur die Feindschaft gegen Gott in uns, sondern auch die Furcht vor ihm, die sich von ihm ferne hält, wie sie wohl dem Knechte, aber nicht dem Sohne ziemt, und pflanzt in uns ein herzliches Vertrauen zu Gott, dass wir zu ihm herzutreten und ihm rufen dürfen und uns zu ihm verhalten wie ein Kind und Sohn, weil er sich zu uns als unser Vater stellt. Diese unsere Kindschaft ruht auf festem Zeugnis, denn die Gewissheit, die wir selbst durch den Glauben in unserem Geiste tragen, ruht auf dem, was Gottes Geist uns bezeugt, Vers 16. Alles was er in uns wirkt, tut kund, dass wir Gottes Kinder sind. Straft er uns, so straft er uns als die Kinder, die nicht weggetrieben. werden von Gott, sondern hinzugezogen werden zu ihm auch durch Bestrafung und Zucht. Tröstet er uns, so geschieht es dadurch, dass er Gottes Vaternamen in uns lebendig macht und uns unser Kindesrecht gebrauchen lehrt; er ist ja dazu gegeben und gesandt, damit wir die Kindschaft empfangen.
So ist auch der Ausgang der beiden Lebensläufe ein gänzlich verschiedener. So lebenslustig das Fleisch zu sein scheint, so geht sein Sinnen und Trachten doch nur nach dem Tod, Vers 6. Kennen wir nur die natürlichen Lebenstriebe, so begehren wir kein anderes Leben, als ein solches, das ein Wandern hin zum Grabe ist. Zuerst gehen wir diesen Weg unbedacht und sorglos, dann, wenn wir der Lust des Fleisches satt geworden sind, mit Wissen und Bedacht. Wir mögen nicht leben, wenn uns unser Fleisch gefangen hält; die Last, die auf uns liegt, ist zu schwer. Wie könnte auch in der Feindschaft gegen Gott Lust am Leben entstehen? Wem Gott verhasst ist, der erwählt sich den Tod zum Freund und richtet seine Hoffnung auf das Grab. Der Geist aber richtet unser Sinnen und Trachten auf das Leben und den Frieden hin, Vers 6, und diese zwei sind eins, gleichwie die Feindschaft gegen Gott und der Tod untrennbar bei einander sind.
Gott lässt seine Kinder nicht sterben; wen er zu seinem Sohn annimmt, den setzt er auch zu seinem Erben ein, Vers 17, zum Empfänger seiner eigenen Güter, des Reichtums seiner Herrlichkeit. Gott lässt uns an Jesus schauen, was er uns zum Erbe gibt. Denn Gottes Erben werden wir als die Miterben Christi, wie wir Gottes Kinder werden in der Gemeinschaft mit ihm, dem einigen Sohn.
Allerdings bringt uns das Leben im Geist noch nicht die Vollendung unsrer Erlösung, und hebt uns noch nicht aus allem Mangel und aller Unvollkommenheit heraus. Dazu bedürfen wir nicht nur Geist, sondern auch die Macht der Herrlichkeit, die auch den Leib und die Natur verklärt. Wir sind zu Gott hinzugebracht und dadurch ist unserm Geiste Leben eingepflanzt in Unzerstörbarkeit aus Gottes Geist, aber unser Leib ist tot und bleibt es vorerst noch, Vers 10, und darum ist er der Schwachheit und dem Leiden, dem Erkranken und Zerfallen untertan. Das Vermögen, das uns Gott als seinen Kindern zugeteilt hat, ist ein Erbe und noch nicht unser eigenes Gut. Darum wird aus dem Glauben das Hoffen, jedoch eine gewisse und lebendige Hoffnung. Der Geist lässt sein Leben schaffendes Werk nicht unvollendet. Gleichwie Christus nach seinem ganzen Wesen aus dem Tode und der Sterblichkeit herausgenommen ist, also wird auch der Geist für uns zur verklärenden, unsern Leib ins Leben weckenden Macht, Vers 11. Und wenn uns nicht nur jenes Leid trifft, das der Lauf der Natur mit sich bringt, wenn wir Gottes wegen leiden müssen, so können wir uns dessen nicht weigern, da wir mit Christo an seinem Erbe teilzunehmen begehren. Wir verlangen nach demselben Ziel mit ihm, so werden wir uns auch den Weg wohlgefallen lassen, den er selber ging.
Auch an dieser Stelle, wo der Apostel auf den kräftigen, durchdringenden Trieb des Geistes hingewiesen hat, wahrt er ausdrücklich dem Gebote seinen Platz. Denn der Geist nimmt uns nicht so in seine Hut und Macht, dass unsers Herzens eigene Regung und Bewegung darob zerginge und auslöschte wie ein Kerzlein im Sturmessausen. Das wären völlig ungeistliche Gedanken über den Geist, die vom Werk des Geistes nichts wissen noch verstehen. Triebe, die uns ohne unsern Willen treiben als blinde Gewalt, sind nicht Geist. Vielmehr je enger und wesenhafter unsre Einigung mit Gott wird im Band des Geistes, um so kräftiger und völliger wird unser Herz zur Selbständigkeit gestärkt, in der es sein Trachten von dem, was des Fleisches ist, ablösen und in das, was des Geistes ist, einsenken kann. Gott hat uns in Christo durch den Geist dem Fleische gegenüber so gestellt, dass wir nicht mehr seine Schuldner sind und den Anspruch, den es an uns erhebt, abweisen dürfen und können, Vers 12. Nun denn, so halte die Macht und Freiheit, die dir gegeben ist, in deinem Willen und in deinem Wirken fest. Ja gerade vor den, der im Geiste lebt, tritt das Gebot mit besonderer Dringlichkeit, je größer die Gabe ist, die er empfangen hat. Ihm ist nun mit besonderem Ernst gesagt: wenn ihr nach dem Fleische lebt, werdet ihr sterben, Vers 13. Diese Gefahr ist damit noch nicht verschwunden, dass wir im Geiste leben, sondern sie ist nur dann überwunden, wenn wir auch nach dem Geiste wandeln. Das geschieht, wenn wir mit ernster Beharrung vom Fleische uns abgewandt halten und das, was es in uns hervortreibt und bewirkt, töten und der Weisung des Geistes lenksam und gehorsam offen sind.
An dem, was uns noch fehlt und noch unsern Mangel bildet, entzündet sich unsere Hoffnung, und Paulus schließt damit, dass er die Hoffnung ins Wort fasst nach ihrer Festigkeit und Sicherheit. Er gibt ihr einen doppelten Beweis: der eine steigt von unten nach oben, vom Sehnen und Seufzen zu dessen Erfüllung empor, Vers 18-27; der andere beginnt in der Höhe, bei Gottes Rat und Vorsatz und steigt zu dessen Ausführung herab, Vers 28-30.
Wir sind Leidende; aber wir seufzen nicht allein. Ein großes Harren und Warten geht durch die ganze Welt. Meinen wir, dass dieses Sehnen und Seufzen vergeblich sei und verhalle? Es zeigt durch sich selbst die Erfüllung an, die ihm kommt, so gewiss Hoffnung nicht zuschanden werden lässt. Gott lässt es nicht unerhört. Paulus weist uns auf ein dreifaches Seufzen hin. Die Kreatur seufzt und stöhnt, aber nicht allein sie, sondern auch wir, die wir den Geist empfangen haben, seufzen noch, obgleich wir mit dem Geiste Größeres empfangen haben, als was der Kreatur durch Gottes Schaffen verliehen und eingepflanzt worden ist. Aber Paulus bleibt hierbei noch nicht stehen: auch der Geist selbst macht sich in uns zum seufzenden, indem er hilfreich an unsrer Schwachheit Anteil nimmt. So erstreckt sich das Harren und Verlangen von der Kreatur bis hinauf zu Gottes Geist.
Die Kreatur ist noch nicht vollendet, sondern steht im Warten und zwar in einem schmerzvollen Warten, weil sie inzwischen in den Dienst der Vergänglichkeit hineingesetzt und an das Verwelken und Vergehen gebunden ist. Darum streckt sich der Mensch schon von Natur der Zukunft zu und hofft und wartet fort und fort. Er weiß selbst nicht worauf, und doch kann er das Hoffen und Harren nicht lassen; je mehr er leidet, desto sehnlicher und dringlicher erregt es sich in ihm; es liegt ihm in der Natur. Sein Sehnen wartet, so wenig er es selbst versteht, auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Solange Gottes Kinder noch verborgen und verhüllt sind in der Gestalt des sündlichen Fleisches, stehen auch Natur und Menschheit noch nicht an ihrem Ziel. Zuerst muss Christus offenbar werden aus seiner Verborgenheit zu neuer Gegenwart in königlicher Machtwirkung. Damit fallen auch für die, welche in ihm Gottes Kinder geworden sind, die Schranken und Hemmungen des Fleisches hinweg und ihre Freiheit und Herrlichkeit erscheint. Und dann bricht für alles, was Gott geschaffen hat, für die Natur und Menschheit um uns her, die Stunde der Befreiung und Vollendung an. Kreatur ist nicht nur der Mensch, sondern auch die Natur, in der wir leben und weben als in unserm Haus, und auf der wir stehen als auf dem Boden, der uns hält und nährt. Aber Kreatur ist auch der Mensch. Und wie sollte Paulus ihn, das Ziel und die Krone der Schöpfung, ausschließen, wenn er vom Geschaffenen spricht, zumal hier, wo er von der seufzenden und hoffenden Schöpfung spricht? Der Apostel deutet an, dass es auch für diejenige Menschheit, die vom Evangelium nicht erreicht worden ist, Stillung ihres Seufzens und Erfüllung ihres Sehnens gibt, weil auch sie in ihrer Weise zur Teilnahme an der Herrlichkeit der Gemeinde Christi bestimmt ist, vgl. 1 Kor. 15, 23-28. Gewiss ist in keinem andern Namen Heil, als in Jesu Name; aber aus wessen Hand wird denn die Kreatur Befreiung und Verklärung empfangen? Eben aus Christi Hand, seiner Gnade und seinem Reichtum zur Verherrlichung.
Der Apostel hat die mit Christo im Glauben verbundenen in die Mitte der Schöpfung Gottes hineingestellt. Auf sie wartet dieselbe und hofft auf das, was sie besitzen. Aber nicht darin besteht der Unterschied zwischen den Glaubenden und der Welt um sie her, dass diese leiden müsste und jene über Schmerz und Not erhaben wären, sondern auch wir, trotzdem wir das Größte empfangen haben, was jetzt erlangt werden kann, den Geist, seufzen, nicht nur im Mitleiden der Liebe mit den andern, sondern bei uns selbst, denn der Geist ist wohl der Erstling der Gabe Gottes, der sie uns als deren Pfand und Siegel ganz verbürgt, aber sie ist uns mit ihm noch nicht nach ihrer ganzen Fülle eingehändigt. Er macht mit seinem inwendigen Wirken die Kinder Gottes noch nicht offenbar, so dass auch sie die Kindschaft zwar wohl empfangen haben, aber doch noch auf sie warten müssen, denn sie sind jetzt noch nicht voll und ganz in die Sohnesstellung eingesetzt und genießen ihr Kindesrecht noch nicht nach allem, was es in sich hat. Der Geist erlöst wohl den Geist in uns von den Banden, die ihn knechten; aber unser Leib steht wie die ganze Kreatur noch im Dienste der Vergänglichkeit, und wir müssen uns inzwischen ins Leiden fügen, bis auch er seine Erlösung empfängt. Die Errettung zur Seligkeit ist uns wohl zu teil geworden; aber das, worauf sie steht und wodurch sie unser wird, ist jenes Hoffen, das aus dem Glauben kommt. So ist uns also das Sehen noch entzogen, und die vollendete Gegenwart der Gabe Gottes noch nicht da, und wir sind auf die Geduld verwiesen, die zum Leiden willig ist und es mannhaft trägt, V. 23-25.
Aber auch auf den Geist selbst geht, freilich nicht in menschlicher Weise, sondern in göttlicher Art, unser Seufzen über, darum, weil er in uns und mit uns lebt, und unsere Not zu der seinigen macht, V. 26. 27. Paulus erinnert an die Stunden, wo unser eigenes Gebet verstummt, weil unsere Einsicht in das, was wir erbitten sollen, zu Ende ist. Wahrhaftes Gebet, das in Glaube und Furcht Gottes geschieht, setzt voraus, dass ich weiß, was ich bitten darf und soll, so wie es sich gebührt. Weißt du das nicht, so kannst und sollst du nicht beten. Und wie oft kommen wir in Lebenslagen, und zwar keineswegs nur dann, wenn Krankheit unser Bewusstsein lähmt, nein, mitten in der vollen Manneskraft, wo unser Erkennen und eben darum auch unser Bitten vor unübersteiglichen Schranken steht. Wenn ihr im Geiste lebt und wandelt, sagt uns Paulus, so hört euer Gebet nicht auf; ihr könnt zwar nicht mehr selber beten, aber es wird gebetet in euch. Es fasst sich nicht mehr ins Wort und wird nicht aussprechbar, aber es büßt damit an seiner Kraft nichts ein. Solches Seufzen hat die Fürbitte des Geistes in sich, und sie geht an den Herzenskündiger und ist ein heiliges Gebet in gänzlicher Übereinstimmung mit Gottes Willen und geschieht für die, die Gott selbst zu sich gezogen hat und teuer hält als seine Heiligen. Diese Fortsetzung unseres Gebets, auch über unsere bewussten, eigenen Gebetshandlungen hinaus, kann uns darum nicht verwunderlich sein, weil ja alle wahrhaften Bitten keine Selbstgemächte sind, das wir willkürlich bilden könnten, sondern ein empfangenes. Alles echte Gebetsleben, das wirklich zu Gott aufsteigt, ist ein Geschenk.
So schallt denn ein lautes, vielstimmiges Rufen, Bitten, Weinen zu Gott empor und sucht Antwort bei Gott und es wird dieselbe finden. Paulus lässt uns auch hier den Schluss des Glaubens ziehen, der in der Größe der Not die Herrlichkeit der Hilfe erkennt und an der Dringlichkeit der Klage und Bitte die Gewissheit der Erhörung gewinnt.
Und wenn wir nun auf Gott sehen, so tritt uns dort die Kette seiner Wirkungen entgegen, wo Glied an Glied sich hängt und Gnade der Gnade ruft und Gabe zur Gabe führt in lückenlosem Fortschritt und siegreicher Festigkeit. In Gottes Schauen hebt sich sein Werk an: er hat uns zuvor ersehen, zuvor erkannt, Vers 29. Er stellte unser Bild vor sich und ließ den Blick seiner Liebe darauf fallen. Das ist der erste Ursprung unseres Lebens, aus dem alles fließt, was uns zu teil geworden ist. Und wie viel liegt schon hierin: Gott kannte uns! und nicht erst heute oder gestern, sondern in Gottes ewigen Gedanken ist Raum für uns. Dazu fügt Gott eine neue Gabe: er hat uns verordnet; er wies uns unsere Stellung an und gab uns unsere Bestimmung, und diese schöpft er in seinem Sohn. Ihm gleichgestaltet zu sein, das ist das Ziel, das uns von Ewigkeit gegeben ist. Wir sind geschaffen als Jesu Bruderschar. Und nun steigt Gottes Wirken herab zu uns in unsere zeitliche, irdische Existenz: er hat uns berufen. Das was er bei sich selbst erkannt und geordnet hat, fasst er ins Wort und lässt es zu uns gelangen im Evangelium und legt es uns ins Herz als seinen Ruf. So entfernt er nun auch alles, was uns von ihm trennt oder scheidet. Alle Verurteilung, die auf uns liegt, wird beseitigt, dem göttlichen Recht für uns Genüge getan und Gerechtigkeit für uns bereitet: er hat uns gerechtfertigt. Und nun ist der Herrlichkeit freie Bahn geschaffen, dass sie sich zu uns wenden und uns verklären kann, so dass diese Kette göttlicher Gaben damit schließt: er hat uns herrlich gemacht. Dieses letzte Glied stellt in fester Zuversicht als vorhanden hin, was Gott uns zudenkt und verleihen wird. Und doch gehört auch das Werk, das die Herrlichkeit Gottes an uns wirkt, nicht mehr ausschließlich der Zukunft an; denn Jesus ist schon verherrlicht. So hat es auch für uns schon eine gegenwärtige Bedeutung, dass wir mit ihm auferstanden sind. Ein Neues hat in uns begonnen, und was an neuem Wesen in uns ist, das ist Anbahnung und Begründung unserer Verherrlichung.
Das tut Gott denen, die ihn lieben, und in dies sein Gotteswerk vermag nichts störend und schädigend einzugreifen. Es macht ihnen alles dienstbar und wandelt alles für sie in Segen, so dass alles, was sie erleben, zu ihrem Besten beitragen und mithelfen muss, Vers 28.
So kann nun Paulus seine ganze Unterweisung in ihr Ergebnis zusammenfassen, Vers 31-39, und dasselbe ist eine Völligkeit des Glaubens, Hoffens, Liebens, welche Zweifel und Furcht, Sündenluft und Sündennot, Gesetzesdienst und Leidensscheu vertrieben und verschlungen hat. Gott ist für uns; Jesu Tod ist die Gabe Gottes, die alles in sich fasst. Gott rechtfertigt uns; Christus ist in seinem Tod, seiner Auferstehung, seiner Erhöhung zur königlichen Machtstellung für uns wirksam und tritt nun als der Verklärte für uns ein. Sollen wir's mit einem Wort sagen: in ihm hat uns die Liebe Gottes erfasst, die unüberwindliche, unverlierbare. Was soll die Gemeinde tun, wenn nicht danken, loben, überwinden, glauben mit jenem ganzen Glauben, der in der Liebe Gottes ruht als in seinem ewigen Besitz?