Schlatter, Adolf - Der Galaterbrief - Gal. 3, 6-14. Was man im Glauben erhält und mit dem Gesetz verliert.

Ohne ein Gesetz, ohne ein Werk, ohne ein Verdienst, deswegen weil die Galater glaubten, als ihnen Jesus beschrieben ward, gab ihnen Gott seinen Geist. So ist ihnen genau dasselbe widerfahren, was Abraham geschehen ist. Gott hat es mit ihnen nicht anders gehalten als mit Abraham. Abraham hatte ebenfalls kein Gesetz, kein Werk, kein Verdienst, sondern die Verheißung Gottes kam zu ihm und er glaubte, und das war seine Gerechtigkeit vor Gott.

Wenn der glaubende Abraham bei Gott Gerechtigkeit fand, und die glaubenden Galater den Geist erlangten, so offenbart sich hier und dort dieselbe göttliche Gnade. Wer Geist aus Gott erlangt, der hat in ihm das Zeugnis der Rechtfertigung. Wen Gott verwirft, den einigt er nicht mit sich selbst durch das heilige Band der Geistesgabe. Kommt der Geist, so ist unsre Sünde vor Gott bedeckt, unsre Scheidung von ihm überwunden, und wir stehen als die Gerechten vor ihm. Und zwar findet sich hier nicht nur Gleichförmigkeit, sondern was Abraham von Gott erhielt und was die Heiden von ihm empfingen, das ist aneinander geknüpft durch einen inneren Zusammenhang. Hier ist das eine der Grund, das andere die Folge. Weil Gott den Abraham so behandelt hat, hat er's mit den Heiden nicht anders gehalten. Aus der Gnade, die Abraham empfing, wuchs die Gnade für die Heiden hervor. Der erste Schritt Gottes zieht die andern nach sich. Die Rechtfertigung, die Abraham durch seinen Glauben bei Gott fand, öffnet auch den Heiden den Zugang zu Gott und macht, dass ihr Glaube so wunderbar reiche Folgen hat.

Paulus hat die Galater zuerst an das erinnert, was sie selbst erlebten. Sie haben schon darin die deutliche Weisung, die ihnen für immer ihren Weg bestimmt. Nun fügt er ihr Erlebnis zusammen mit dem großen Gang Gottes in seiner ganzen Offenbarung, mit dem Zeugnis der Schrift, mit der immer gültigen göttlichen Heilsordnung. Dadurch wird ihnen ihre Erfahrung erst recht gewiss und überzeugend. Sie sehen nun, wie das, was sie erlebten, aus Gottes festem Rat entspringt. Das erläutert ihnen Paulus an Abraham, weil die Galater gern Abrahams Kinder werden möchten, da Gott ja dem Abraham und seinen Kindern seinen Segen versprochen hat. So haben es ihnen die Juden vorgesagt: ihr seid bloß Heiden; wir aber sind die Kinder Abrahams. Darum zeigt ihnen Paulus, wie Gott an ihnen genau auf dieselbe Weise gehandelt hat, wie an Abraham. Sie sind ihm nicht nachgesetzt, sondern Gott hat sie ihm mit derselben Gnade zugesellt.

Somit ist offenbar, wer Abrahams Kinder sind. Die sind es, die aus dem Glauben sind, V. 7.

Aus Glauben sein, damit macht Paulus das ganze Geschick des Menschen vom Glauben abhängig. Außer ihm wissen wir von keiner Kraft und keiner Gerechtigkeit. Es wird uns so viel zufallen, als unserm Glauben von Gott zugemessen wird. Er ist ja nicht unsre Einbildung und wird nicht von uns gemacht, sondern entspringt dem Anblick Christi. Er wird uns durch Christus als die kräftige Wurzel eingepflanzt, aus der uns alles erwächst, was wir vor Gott haben. Auch Abraham ist aus Glauben gewesen; ohne denselben war er vor Gott nichts. Gottes Wohlgefallen galt nicht Abrahams Fleisch und Blut noch irgendeinem Werk desselben, sondern allein seines Glaubens wegen hat ihn Gott zum Vater gesetzt für das ganze Geschlecht derer, die Gottes Reich ererben sollen. Darum gibt es keine andere Verwandtschaft mit Abraham als die, welche im selben Glauben steht. Der Jude sagte, er sei Abrahams Sohn, obwohl er ungläubig Christum verwarf und Gott widerstrebte. Den christlichen Juden schien's, sie seien gläubig an Christum und dazu auch noch Abrahams Same. Die Abrahams Kindschaft kam auch ihnen zum Glauben hinzu als etwas Neues, was von ihm unterschieden sei. So wurde immer wieder etwas neben dem Glauben aufgerichtet, was Gott wohlgefällig sein und als Gerechtigkeit gelten sollte. Paulus sagt: alles andre, was Abraham hatte, ist vor Gott völlig nichtig gewesen. Wer nur Fleisch und Blut mit Abraham teilt, hat nichts von dem empfangen, was Abrahams Leben vor Gott gewesen ist. Es gibt nur eine Verwandtschaft mit ihm, das ist der Glaube, weil er allein Abrahams Gerechtigkeit gewesen ist.

Mit dieser Erkenntnis war aller Verwirrung ein Ende gemacht, die in der ersten Christenheit daher kam, dass die gläubigen Juden sich höher dünkten als die Heiden. Wollen die Galater erst noch Abrahams Kinder werden, etwa durch Beschneidung und Gesetz, so ist das eine blinde Torheit. Aus Glauben sein, das war gerade Abrahams Art. Die glaubenden Heiden sind ihm somit gleichförmig und wachsen aus derselben Wurzel wie Abraham. Sie haben empfangen, was Abraham zuerst gegeben war. Lassen sie sich, um die Abrahams Kindschaft zu erwerben, aus dem Glauben herauslocken, so verlieren sie gerade, was sie mit Abraham verwandt und zu seinen Kindern macht. Sind sie gläubig, so müssen sie nicht erst Abrahams Kinder werden, sie sind's, sie gehören zu denen, die Gott als desselben Wesens teilhaft mit Abraham zu einer großen Familie zusammenfasst.

Nun ist Paulus an Abraham noch ein zweiter Punkt von Wichtigkeit, der das, was über seinen Glauben gesagt ist, bestätigt. Es wird nämlich schon zu Abraham von den Heiden gesprochen als von solchen, die Gott segnen wird, V. 8. Spricht Gott über einen Menschen die Segnung, so ruht sein Wohlgefallen auf ihm, so wendet sich ihm seine Liebe zu, so teilt er ihm seine Gaben aus. Nun soll es von Gott gesegnete Heiden geben; also ruft Gott auch die Heiden zu sich. Die gesegneten Heiden stehen nicht mehr in der Ferne von Gott und sind der Verheißung nicht mehr fremd. Ihre Sünde ist bedeckt und die Feindschaft abgetan. Das ist ja, sagt Paulus, schon das Evangelium! Die Schrift hat Abraham das Evangelium zuvor verkündigt! Eben dies ist nun die Botschaft, die Paulus im Namen Jesu den Heiden bringt: euch Heiden segnet Gott!

Und zwar stellt die Schrift die Heiden unter denselben Segen wie Abraham. Gott macht ihn zum Werkzeug seiner Segnung für die Heiden: in dir, heißt es, sollen die Heiden gesegnet werden. Er empfängt dieselbe zuerst, später empfangen sie durch ihn auch die Heiden. Das ist ja wiederum das Evangelium, wie es Paulus im Namen Christi auszurichten hat, dass Juden und Heiden eins gemacht sind im Besitz derselben göttlichen Gnade, dass Israel sein Erbe mit den Heiden teilen und für sie zum Quell der Segnung werden darf durch seinen Herrn, durch Jesus Christ.

Wie konnte aber die Schrift von gesegneten Heiden reden? Weil sie voraussah, dass Gott die Hei den aus Glauben rechtfertigt. Wo Verdammung ist, da ist nicht Segen. Segen empfängt nur der, den Gott rechtfertigt. Der Heide vermag aber Gott nichts anderes zu erweisen als den Glauben. Werk und Gesetz hat er nicht, weil er offenkundig gottlos und ungerecht ist. Wäre die Rechtfertigung an eine andere Bedingung gebunden, so hätte sie der Heide nimmermehr erlangt, und der Segen wäre ihm ewig verschlossen. Doch der Rat der Gnade stand von jeher fest, die Menschen zum Glauben zu leiten und ihren Glauben zu erhören, so dass an ihm alle ihre Sünde begraben ist und Gerechtigkeit ihnen zugemessen wird. Weil der Rat Gottes derselbe war von Anfang an, wie er jetzt durch Christus ins Werk gesetzt worden ist, und die Schrift dies voraussah, darum konnte sie von den Heiden reden als von den Gesegneten des Herrn. Folglich wissen wir, was für Leute mit dem glaubenden und im Glauben treu beharrenden Abraham gesegnet sind; das sind die, die wie er selbst aus Glauben sind und denen wie ihm der Glaube zur Rechtfertigung geworden ist.

Auf dem Weg des Glaubens finden wir die Kindschaft Abrahams und Gottes Segen; was finden wir mit dem Gesetz? Von all dem das Gegenteil, wodurch aufs Neue bewiesen ist, dass der Glaube der Weg zu Gottes Segnung ist. Denn alle, die aus Werken des Gesetzes sind, sind unter dem Fluch, V. 10. Aus Werken des Gesetzes sein, ist das genaue Widerspiel zu dem Wort: aus Glauben sein. Das heißt, nicht bloß Werke, wie sie das Gesetz fordert, üben. Das heißt sie zur Stütze machen, die uns halten soll, und unser Geschick an unsere Werke binden, so dass wir erlangen, was aus unsern Werken sich ergibt. Hängen wir von unsern Werken ab, so kann über den Ausgang gar kein Zweifel sein: wir sind verflucht.

Gottes Fluch ist ebenso heilig und mächtig als sein Segen. Der Fluch ist das Wort des göttlichen Unwillens, mit dem uns Gott von sich wegweist und die Feindschaft stiftet zwischen ihm und uns und uns seine Gaben nimmt. Der Fluch ist dem Gesetze zur Seite gestellt. Er liegt auf jedem, der es übertritt. Und zwar steht ein solcher unter ihm und kann ihn nicht von sich abschütteln und über ihn emporkommen. Der Fluch ist, wie jedes Wort aus Gottes Munde, eine Macht, die uns gebunden hält.

Ja, wenn wir das Gesetz wenigstens hie und da ungestraft übertreten könnten! Das ist die Hoffnung aller derer, die sich an ihre Werke als ihrer Gerechtigkeit hängen und sich derselben freuen. Sie machen sich das Gesetz nach ihren Neigungen zurecht und nehmen aus ihm heraus, was ihnen gefällt. Sie sind nicht bereit, stets und in allen Dingen zu gehorchen. Jedermann erholt sich hie und da von seinem Gesetzesdienst und erlaubt sich einige Ausnahmen. So vergessen wir, was das Gesetz ist, und nehmen ihm seine Heiligkeit. Das Gesetz sagt deutlich genug, was es verlangt: bleiben bei allem, was geschrieben ist, so dass du's tust. Es gilt, zu verbleiben beim Gebot. Ich kann nicht heut gehorchen, morgen aber ungehorsam sein, jetzt einen Anlauf zum Guten nehmen und darauf wieder sündigen. Und bei allem muss geblieben sein. Ich kann dem Gesetz nicht in diesem Stück willfahren und in einem andern widerstreben. Und getan werden muss es; das erst ist Erfüllung des Gesetzes, mit der dasselbe zufrieden ist. Man kann Gottes Gesetz nicht stückweise halten, sondern nur ganz. Es darf niemals und nirgends zerrissen werden.

Vor diesem Wort standzuhalten kann nur ein krummer Lügner versuchen, mit dessen Heuchelei das Gesetz bald fertig wird. Auch der stolzeste Jude rühmte sich keiner solchen Erfüllung des Gesetzes. Sie bekannten sich alle als sündig. Nun denn, so höre, was das Gesetz den Sündern sagt, wie es den Fluch Gottes über sie spricht, und bedenke, was der Fluch Gottes ist. Er steht als Mauer zwischen ihm und dir und lässt dich nicht herzu zu seinem Angesicht.

Wir dürfen nicht sagen: das Gesetz enthalte doch nicht bloß den strengen Fluch, sondern daneben auch gnädige Worte, welche die Sünder schonen und aufrichten. Gewiss! Die Gerechtigkeit, die Gott durch Glauben gibt, ist schon bezeugt durch das Gesetz, Röm. 3, 21. Das Gesetz der Bibel ist durchwoben mit reichen Bezeugungen der göttlichen Gnade. Und wenn wir Gnade suchen, so ist alles recht. Dann sind wir gläubig; die Gnade begehren heißt gläubig sein; dann sind wir nicht mehr aus Werken des Gesetzes, dann hängt unser Leben nicht mehr an unsern Werken und nicht mehr am Gesetz, sondern an der Gnade Gottes. Soll mir aber mein Heil aus meinen Werken erwachsen und nach dem Gesetz mir zugemessen werden, was mir gebührt, dann gilt nicht Gnade, sondern Recht, und für den, der unter dem Gesetze steht und es dennoch bricht, kann es nichts anderes geben als den Fluch.

Paulus fasst die drohenden Sprüche der Schrift ebenso ernst als ihre gnadenvollen Worte. Gottes Verheißungen sind ihm unverbrüchlich wahr und unendlich reich, voll ewigen Lebens; er nimmt sie mit ungeteiltem Glauben in sein Herz hinein. Aber ein göttliches Fluchwort ehrt er ebenso in seiner Wahrheit und Allgewalt. Es ist nicht redlich, wenn wir uns nur an der Verheißung der Schrift ergötzen, aber ihre Strafe und Drohung leichthin überhören. Es liegt darin viel Verachtung Gottes. Alle, die ihre Hoffnung auf sich selbst gründen und am Gesetz genug zu haben meinen, machen sich dieser Heuchelei schuldig. Alle beschönigen ihre Bosheiten. Keiner richtet die Sünde rund und ganz. Keiner heiligt Gott und lässt sein Urteil gegen alle Bosheit unverkürzt und unbezweifelt. Sie verleugnen alle den Fluch Gottes, der auf der Übertretung des Gesetzes steht. Es stand nicht so, dass die jüdischen Leute die Verteidiger des Gesetzes wären, die für seine Heiligkeit und Unverbrüchlichkeit eiferten. Sie brechen es mit leichtem Herzen und ihre Übertretungen machen sie nicht unglücklich. Und wenn die Galater jetzt mit dem Gesetz sich einlassen, so ist's bloß eine Spielerei, die keine Ahnung hat vom heiligen Ernst des Gesetzes, vor welchem ein Menschenherz erbeben muss. Sie handeln an Christo und am Gesetz mit demselben Leichtsinn und Übermut. Das tut Paulus wehe. Er eifert für Gottes Gesetz und ehrt dasselbe und gibt ihm, was ihm gehört, unverletzliche Majestät, ganze Heiligkeit und einen Fluch gegen seine Übertreter, der kräftig ist, uns von Gott zu scheiden und zu begraben in den Tod.

Liegt aber wirklich dieses Urteil auf allen, die dem Gesetze dienen? Kann man nicht auch im Gesetz gerechtfertigt werden? Dann wäre Gottes Wort nicht mehr wahr, welches sagt: Der Gerechte wird aus Glauben leben. Hätte Paulus hier mit Leuten zu reden, die noch nicht gläubig sind, so würde er sie wohl anleiten, sich ehrlich zu gestehen, dass sie das Gesetz mit der Tat vielfach brechen und das Gute nicht vollbringen. Weil er aber zu Christengemeinden redet, welche sich auf Gottes Verheißung erbauen, nimmt er aus dieser seine Antwort her. Wer nicht über das Gesetz hinausschaut, sondern innerhalb desselben bleibt und doch meint, es gebe für ihn Rechtfertigung, der heißt Gottes Verheißung eine Lüge. Gott hat uns zugesagt, dass wir leben werden; aber wie? Durch Glauben. Das ist dasjenige an uns, was uns ins Leben hilft, weil Gott sich unsern Glauben als Gerechtigkeit wohlgefallen lässt. Wer nicht über das Gesetz emportreten will, der will auf anderem Weg ins Leben kommen als auf dem, den uns Gottes Verheißung zeigt; das wird nicht gelingen. Keiner wird ins Leben kommen als nach der Regel: dein Glaube hat dir geholfen; du batest mich, darum gebe ich dir. Du hast's im Glauben von mir erwartet; das ist in meinen Augen deine Gerechtigkeit, und deshalb ist das Leben dein.

Wenn Paulus den Fluch bestätigt über jeden Übertreter des Gesetzes, so will er nicht im Mindesten zweifelhaft machen, dass Gottes Segen und Rechtfertigung über uns steht. Die Gemeinden wissen, dass wir einen Weg zur Rechtfertigung haben, trotzdem niemand im Gesetz gerechtfertigt wird. Aber Paulus heißt sie diesen Weg zur Rechtfertigung wohl erwägen und seinen Unterschied vom Gesetzesweg erkennen. Die Gnade, die unsern Glauben erhört und zur Wurzel des Lebens für uns macht, steht über dem Gesetz. Wer sie hat, der ist nicht mehr im Gesetz. Wer im Gesetz bleiben will, der tritt nicht auf den Glaubensweg und ist deshalb auch nicht auf dem Lebensweg.

So behandelt Paulus das Gesetz und den Glauben als einen scharfen, reinen Gegensatz. Entweder, sagt er, bleibst du im Gesetz, oder du wendest dich gläubig an Gott. Du kannst nicht auf beide Wege zugleich treten. Gerade das verbargen sich die Galater und wollten ein Stück Gesetz und ein Stück Glauben zusammenfügen. Darum hebt der Apostel diesen Gegensatz hell ins Licht. Das Gesetz ist nicht aus Glauben. Was vom Gesetz verlangt wird, hat nicht im Glauben seine Wurzel, weil es uns nicht dazu gegeben ist, um uns gläubig zu machen, so dass wir aus dem Glauben heraus ihm dienen könnten, sondern das Gesetz sagt: Du, Mensch, handle, und wenn du das Gesetz tust, dann spricht es dir das Leben zu.

Der Unterschied zwischen Gesetz und Glaube steht in der Frage: wer macht mein Heil, ich oder Gott? bringe ich selbst oder bringt Gott mein Leben ans rechte Ziel? Das Gesetz sagt mir: tue den Willen Gottes; das ist deine Gerechtigkeit und dann wird dir Gott das Leben geben. Ich darf das Gesetz nicht anders brauchen als so, dass es mich zum Werk bewegt. Jeder andere Gebrauch desselben ist lügnerisch und böse. Der Glaubende weiß dagegen, dass er das Gesetz nicht erfüllen kann. Darum wenden wir uns gläubig an Gott: handle du an meiner Statt; gib mir, was mir fehlt, und schaffe du für mich Gerechtigkeit und Leben. Und weil der Glaube im Anblick Christi entspringt, so wissen wir, dass Gott uns Gerechtigkeit und Leben verliehen hat und dass wir in ihm alles haben, was uns fehlt. So besteht zwischen Gesetz und Glaube ein reiner deutlicher Unterschied. Eins hebt hier das andere auf, und darum stößt der, welcher im Gesetz Rechtfertigung sucht, das göttliche Wort um, welches uns das Leben zusagt als des Glaubens Frucht.

Der Apostel hat uns bisher zwei Worte Gottes vorgeführt und ausgelegt. Das eine ergeht an Abraham. Es gibt, weckt den Glauben und teilt den Segen aus. Das andere ist durch Mose gebracht. Es gebietet, verlangt die Tat und spricht den Fluch. Die beiden stehen scheinbar wider einander. Sie laufen in verschiedener Richtung. Wo kommt die Einheit beider ans Licht? Sieh Christum an. Dort tritt Gottes ganzer Rat hervor, aus dem das verheißende und das gebietende Wort als Zweige erwachsen sind. Das Gesetz scheint mit seinem Fluch sich vor den Segen zu stellen, so dass uns derselbe nicht mehr erreichbar wird. Wie kommt er dennoch zur Erfüllung trotz des Fluchs, den jeder Übertreter des Gesetzes auf sich hat? Sieh Christum an, dort siehst du, wie aus dem Fluch der Segen kommt. So stellt denn Paulus neben das, was Gott Abraham getan hat, und neben das, was er durch Mose verkündigt hat, Jesu Werk.

Christus hat uns losgekauft aus dem Fluch des Gesetzes. Wir streben zurück unter das Gesetz und laden uns damit seinen Fluch auf die Seele. Und doch ist Christus dazu gekommen, um uns diesen Fluch abzunehmen, und wie? Da er für uns ein Fluch geworden ist. Es ist wieder Jesu Kreuzesgestalt, die uns Paulus zeigt. Am Kreuz erscheint er nicht als der Gesegnete des Herrn und stellt uns nicht an seiner Person dar, was Gottes Segnung in sich hat. Hier ist er ein Fluch worden. Das hat Paulus sehr bitter erfahren in seinem Verkehr mit den Juden. Der Gekreuzigte - verflucht ist er; diese Antwort hat er unzählige Male empfangen. Warum verflucht? Eben weil er aufgehängt am Kreuzholz endete. So enden die von Gott gerichteten. Und dieser schreckliche Eindruck, den das Kreuzesende Jesu macht, stammt nicht nur aus der natürlichen Empfindung des menschlichen Herzens, sondern wird durch die Schrift bestätigt. Auch das Gesetz hat den am Holze aufgehängten ausdrücklich einen Fluch genannt. Der Jude berief sich mit Grund auf das göttliche Wort, wenn er Jesus einen Fluch nannte. Paulus stimmt bei und sagt: ja das ist er geworden - für uns.

Warum ward Jesus dieses Marterbild, der Mann der Schmach und Schmerzen, an dem wir sehen, was es heißt, von Gott verlassen sein, an dem der Fluch Gestalt gewinnt und sichtbar wird, so dass sich an ihm die Tiefe und Bitterkeit desselben ermessen lässt? Hier erscheint der Fluch, den das Gesetz ausspricht über den, der es übertritt.

Am Kreuz ward die Mauer sichtbar, die das Gesetz zwischen uns und Gott befestigt hat. Jesus hat an sich selbst gekostet, wie das Gesetz den Sünder von Gott wegtreibt und vom Genuss der göttlichen Hilfe und Herrlichkeit abtrennt. Er tat das für uns. Denn wir, nicht er, sind als die Übertreter des Gesetzes fluchbeladen vor Gott.

Hieran sollen wir nicht bloß erkennen, wie ernst und heilig der Fluch des Gesetzes ist, da auch Christus selbst sich unter ihn beugen musste als unter Gottes heiliges Urteil, sondern noch mehr, dass wir nicht mehr unter demselben stehen. Christi Leiden ist unser Loskauf vom Fluch. Der von Gott geordnete Fluch ist ein unlösliches Band für jeden, der unter ihn fällt. Keines Menschen List und Macht streift ihn von sich ab. Aber Christus hat diese Verhaftung gehoben und für uns abgetan, eben dadurch, dass er sich mit seiner eigenen Person ihm unterwarf. Auch er hat ihn nicht so beseitigt, dass er ihn zerrissen hat. Wie sollte er das Urteil Gottes umstürzen? Gottes Wort ist ihm heilig, auch wenn es ein Gerichtswort wider uns Menschen ist. Nur das gibt eine gerechte Lösung, die den Fluch ehrt als gerecht und gültig und unverbrüchlich. Darum nahm er ihn auf in sein eigenes Geschick und erlebte ihn an sich selbst, und nun ist er lauter Segen, Gnade und Gabe für uns. Indem er sich selbst unter den Fluch stellte, hob er uns aus demselben empor.

Dadurch ist uns der Rückweg zum Gesetz für immer verschlossen. Wir wollen doch den Loskauf nicht rückgängig machen, den Christus für uns erstattet hat. Soll er sich selbst umsonst in den Tod gegeben haben? Nein! dankbar bedenken wir's, dass unsere Erhebung über das Gesetz eine Erlösung ist, deren Wert die Größe seines Leidens uns vor die Augen hält.

Auch die Heiden sind in diesen Kauf eingeschlossen. Sie waren ja vollends durch das Gesetz von der Gnade abgeschnitten und unter das Gericht gestellt. Das Gesetz sagte deutlich genug, was heidnischer Götzen- und Lasterdienst vor Gott verdiene, so dass die Sache der Heiden hoffnungslos war, so lange sie auf dem Gesetz stand. Wenn nicht einmal der Israelit mit seinem Gottesdienst etwas anderes gewann am Gesetz als Fluch, so stand für den Heiden vollends das Gesetz mit flammendem Schwert vor dem Eingang ins Himmelreich. Paulus weiß nichts von einem bloß jüdischen Gesetz, sondern kennt nur ein göttliches Gesetz, dem allerdings Israel allein unterstellt worden ist, das aber den göttlichen Willen und die göttliche Regel ausspricht und darum aller Menschen Stellung vor Gott bestimmt. Indem der Heide durch das Gesetz von Gottes Bund und Verheißung ausgeschlossen ist und ohne Gott und ohne Hoffnung in der Welt dasteht und um seiner Sünde willen verloren geht, erfährt er an sich des Gesetzes Spruch. Aber auch ihm ist die Wohltat Christi bestimmt, und auch für ihn hat Christus des Gesetzes Fluch getragen und abgetan.

Darum fährt Paulus fort: Christus ist ein Fluch worden und hat uns dadurch losgekauft vom Fluch des Gesetzes, damit zu den Heiden hin der Segen Abrahams in Kraft trete in Christo.

Segen war da von Anfang an auch für die Heiden. Als Abraham gesegnet wurde, war ihm gesagt worden, dass mit ihm auch die Heiden vor Gott daständen, als seine Gesegneten. Aber das Gesetz war der Riegel, der den Segen bis jetzt noch nicht zu den Heiden gelangen ließ. Nun ist das Gesetz zu seinem Ziel gelangt und sein Fluch in Kraft getreten, als Christus zum Kreuzestode willig war. Nun tritt auch der Segen in Kraft. Derselbe hat jetzt in Christo seinen Mittler erhalten, der ihn zur Tat und Gabe werden lässt. Den Fluch litt er an sich selbst; den Segen gibt er den Heiden.

Darum ist jetzt die Zeit gekommen, wo die Verheißung nicht mehr bloß verkündigt, sondern empfangen wird. Erhalten haben wir Eins, und dies eine ist in gewissem Sinne die ganze Verheißung und bringt alles mit sich, was Gott versprochen hat: wir haben den Geist empfangen. Er ist noch nicht unsere Verklärung, noch nicht Gleichgestaltung mit dem Auferstandenen; aber er ist die Wurzel aller Herrlichkeit und ewiges Leben in unzerstörlichem Anfang. Er ist innerliche Einigung mit Gott in Christus. Paulus erläutert die verheißenden Worte Gottes an Abraham: „ich will dich segnen, ich will dein Gott sein,“ so: ich gebe euch meinen Geist. Mit ihm ward aus dem Versprechen eine Gabe, aus der Hoffnung ein Erlebnis. Dass durch Christus der Geist auch in den Heiden ist, das ist das fröhliche Dokument, dass für die Verheißung die Stunde der Erfüllung kam.

Der Weg zum Empfangen des Geistes ist der Glaube. So ist nun das, was die Galater selbst erlebten, in seiner Einstimmigkeit mit Gottes großem Rat gezeigt, und diese sehen, dass sie auf der Bahn zu verbleiben haben, auf die sie im Glauben getreten sind. Nichts können sie gewinnen, wenn sie darüber hinausstreben, nur all das verlieren, was ihnen jetzt gegeben war. Treten sie vom Glauben ab, so scheiden sie sich von Abraham, werden von Moses Fluch getroffen und werfen die Frucht des Todes Jesu weg. Bleiben sie im Glauben, so sind sie mit Abraham verbunden als seine Kinder, fallen nicht unter Moses Gericht, und Jesu Tod kommt ihnen zu gut und wendet ihnen die Erfüllung der Verheißung zu.