An dem, was Paulus über Gottes Offenbarung und Regierung sagt, war die Aufgabe, die das Gesetz bei derselben hat, noch das dunkelste. Es steht so seltsam neben der Verheißung und dem Segen und dem Glauben als etwas ganz anderes. Vom Gesetz ging die Verwirrung in den Gemeinden aus. Was hat Gott eigentlich für eine Absicht mit dem Gesetz und wie fügt es sich ein in seinen großen Rat? Auf diese Fragen geht nun Paulus mit sorgfältiger Belehrung ein.
Die Galater brauchen das Gesetz dazu, um sich damit die Verheißung Gottes schwankend zu machen. Sie vermischten es mit der Verheißung und hängten es als deren Bedingung an dieselbe an. Wenn ich mich beschneide, wenn auch ich den Sabbat halte, dann ist mir die Verheißung sicher wenn! wenn! wenn ich dies tue und das und nochmal dies! Das heißt das Gesetz verkehrt gebrauchen. Wir haben zweifellos oft genug das Gesetz ähnlich missbraucht und uns Gottes Zusage dadurch schwankend gemacht. Deshalb hebt Paulus damit an, dass er die Verheißung und das Gesetz von einander scheidet und die selbständige Festigkeit der Verheißung uns vors Auge hält, V. 15-18. Und weil er damit sich an der Menschen Gedanken anschließt und unserem Zweifel und Unglauben entgegenkommt, so leitet er diese Erläuterung mit den Worten ein: ich rede nach der Menschen Weise, im Blick auf das, was ein Menschenherz zu denken pflegt. Paulus ergreift die verheißenden Worte Gottes an Abraham als seinen Schild. Auf sie stellt er sich als auf einen Felsen, der nicht wankt, und spricht: Das Wort sie sollen lassen stahn. Dem Abraham wurden die Verheißungen geredet, V. 16. Geredet sind sie, jene Zusagen, die zum Beginn der Offenbarung Gottes Israel anzeigen, wie großes Gott in der Welt zu tun gedenkt und wie viel er uns schenken will. Gott hat sein Wort gegeben, und das stößt niemand um, weder der Mensch noch weniger Gott selbst. Jene verheißenden Worte an Abraham stehen da als ein unantastbares Heiligtum mit ewiger Gültigkeit und unzweifelhafter Erfüllung. An der Art, wie wir ein menschliches Testament behandeln, heißt uns Paulus lernen, wie wir Gottes Verheißung zu ehren haben. Jene Zusagen Gottes sind einem Testament vergleichbar, weil sie die göttliche Willenserklärung enthalten über das, was er der Welt geben will. Ob nun ein Testament auch nur eines Menschen Wille ist, gleichwohl achten wir es und lassen es so, wie es der Testierende angeordnet hat, und entkräften es nicht, verändern es auch nicht durch eigene Zusätze. Aber Gottes Gnadenwille muss ungültig sein. Gottes Versprechungen drehen wir hin und her, machen sie wankend, betrachten sie für aufgehoben, oder hängen ihnen doch nach unserer Willkür eigene Bedingungen an, und versehen sie mit unserem „wenn“ und „aber“: „Gott hat's versprochen, aber du bist nicht beschnitten; wenn du dich beschneidest, dann mag Gottes Zusage wahr sein auch für dich rc.“ Schämt euch, will Paulus sagen, vor Gott. Ehrt die Majestät Gottes dadurch, dass ihr sein Versprechen lasst, wie er es gab. Wägt das Gewicht eines göttlichen Worts auf rechter Waage, so wird's euch größer, fester, gewisser als alles andere in der Welt.
Jene Versprechungen bleiben denen, welchen sie gegeben sind. Niemand streicht diejenigen aus Gottes Testament, die er darin bedacht hat, und niemand setzt andere Erben an deren Statt. Nun sind die Verheißungen dem Abraham gegeben und seinem Samen. Wer ist dieser Same, dem Gott sein Wort verpfändet hat? Das ist Christus, und niemand neben ihm. Paulus fährt haarscharf dem Buchstaben des göttlichen Ausspruchs nach, der vom Samen als von einer Einheit spricht. Er ist eine solche im allerengsten Sinne, weil es nur einen gibt, dem allein der Reichtum des göttlichen Reiches in die Hand gegeben ist. Nicht die Menge der Juden, nicht die Abrahamskinder nach dem Fleisch sind in Gottes Testament genannt als die Besitzer seiner Güter. Wie kann irgend ein Jude so blind und eingebildet sein, zu meinen, er bringe den Segen auf alle Völker und sei selbst der Aufgang des Lichts und Heils von oben für alle Welt, während er selbst zuerst vom Fluch erlöst und zu Gott herzugebracht werden muss? Mit solchen Abrahamskindern ist niemand gesegnet, durch sie niemand zu Gott gebracht. Darum ist nicht von ihnen in Gottes Testament die Rede, sondern von Christo. Auf ihn zielt die Höhe und Größe der göttlichen Verheißungen. Um seinetwillen hat Gott ein Segenswort in die Welt gestellt, das nicht bricht. Ihn hat er eingesetzt zum Werkzeug seiner Gnade, durch das sein Heil aller Welt aufgeht; ihm hat er sein Reich und seine Herrlichkeit zugeteilt, damit er sie austeile an alle, die Gott herzurufen wird. Dieses Testament nimmt Gott nicht zurück, auch dadurch nicht, dass er das Gesetz gegeben hat. Er hat damit weder Abraham sein Wort gebrochen, noch Christus enterbt und aus seiner Stellung abgesetzt, darin er Gottes Güter uns ausschließen darf als freie Gnade. Darum sollen wir am Gesetz nicht Zweifelsgedanken nähren und Christum dessen berauben, was ihm die Verheißung Gottes übertragen hat.
Diese Deutung der Abrahamsverheißung verfährt nach derselben großen Regel, nach welcher Paulus alle Schrift gedeutet hat. Ihm ist Christus das Mittel zu aller Erkenntnis Gottes und deshalb auch der Schlüssel zu allem Verständnis der Schrift. In Christo ist Gottes Rat offenbar; in ihm erscheint uns, was seine Gnade über uns beschlossen hat. An ihm allein können wir ermessen, was die Worte Gottes meinen und seine Verheißungen in sich haben. Wo ist jemand, in dem alle Völker gesegnet werden? In keinem Menschen aus Abrahams Geschlecht erfüllt sich dies, als in Christo. In ihm aber hat Gott das alles getan. Also ist er Grund und Ziel und Inhalt jener Verheißungen. Von ihm sprach Gott, ob wir's verstehen oder nicht. Nicht das interessiert Paulus, was Abraham oder irgend ein Mensch sich selbst bei Gottes Wort gedacht hat, sondern das interessiert ihn, was Gott gedacht hat, und Gottes Gedanken sehen und verstehen wir an Gottes Tat.
Aber, sagt der Jude, nachher ist ja das Gesetz gekommen! Doch nicht dazu, damit du Gottes Verheißung damit entkräftest. Eben dies, dass es erst hintendrein kommt, und zwar nach langer Frist, zeigt, dass es nicht mit der Verheißung eins ist und nicht mit ihr vermengt werden darf, als gälte nun nicht mehr die Verheißung, sondern das Gesetz, oder die Verheißung doch nur nach und hinter dem Gesetz. Die Verheißung ist Gottes erstes oberstes Wort, festgestellt in völliger Selbständigkeit, und wird durch das Gesetz weder verändert noch betroffen. Wer das Gesetz in die Verheißung einmischt, hebt sie auf, V. 18. Es gilt hier nur eins oder das andere. Entweder müssen wir das Erbe mit unserem eigenen Tun erwerben unter des Gesetzes Anleitung, oder es wird uns geschenkt, deshalb, weil es Gott uns zugesagt hat. Das Gesetz und die göttlichen Versprechen sind zwei verschiedene Dinge. Das Gesetz sagt: erwirb's; das Versprechen sagt: ich gebe es. Das Versprechen ist der Ausdruck der freien Güte Gottes, zu der er durch sich selbst getrieben ist. Wie es Gott hält, siehst du an Abraham. Er hat ihm das Erbe geschenkt. Nur so ist's in Wahrheit ein Erbe. Denn ein Erbe können und sollen wir uns nicht selbst erwerben. Es fällt uns ohne unser Werk durch den Willen dessen zu, der es uns verordnet hat.
So fest heißt uns Paulus Gottes Verheißung umfassen, als etwas Ganzes, Vollendetes, Unbewegliches, in dem wir ruhen können mit einer vollen Zuversicht. Dadurch entsteht nun die Frage: was ist denn des Gesetzes Zweck? Ich darf es nicht in die Verheißung einmengen; es ist nicht als ein Nachtrag und Anhang zu derselben gegeben. Was will es denn? Der Übertretungen wegen wurde es hinzugetan, V. 19.
Verheißung und Erbe einerseits, Gesetz und Übertretung andererseits sind von Gott zusammengeordnet. Dadurch hat jedes der beiden göttlichen Worte seinen besonderen und heiligen Beruf. Das Amt des Gesetzes ist nicht, uns das Erbe zu bringen und uns einen anderen Weg zu demselben zu zeigen neben der Verheißung vorbei, sondern in des Gesetzes Weise spricht Gott mit uns der Übertretungen wegen. Mit dem Licht des Gesetzes beleuchtet er unsere Sünde, so dass dieselbe als Übertretung uns offenbar wird, und darin hat das Gesetz das Feld seiner Wirksamkeit, Geltung und Macht.
Die Sünde ist nicht erst durch das Gesetz gekommen, sondern sie steht am Anfang der menschlichen Geschichte und beherrscht von dort aus unser ganzes Geschlecht. Sie ist auch in jedem von uns vorhanden, ehe wir inwendig und persönlich mit dem Gesetz bekannt werden. Eben deshalb, weil wir sündig sind, hat Gott uns das Gesetz gegeben. Dasselbe hat uns zu zeigen, was Übertretung ist. Es gibt uns Aufschluss über die Tiefe und Macht unserer Sündigkeit, zeigt uns, wie wir zu Übertretern werden, und misst uns das Urteil zu, das jedem Übeltäter gebührt.
So zerrinnen alle Einbildungen, die wir am Gesetze nähren, weil wir uns selbst so unbekannt sind wie ein fernes, fremdes Land. Gerechtigkeit wollten wir mit demselben erjagen; es sollte uns die Stufe werden zu Gottes Thron und unser Schmuck und Chrenkleid sein vor ihm. Paulus sagt: wo erfüllen sich denn solche Hoffnungen? Bist du unschuldig geworden durch das Gesetz? Nein! schuldig. Ist deine Sünde durch dasselbe verschwunden und unsichtbar geworden? Nein! sie wurde offenbar. Bist du mit seiner Hilfe besser geworden und in die Höhe gestiegen? Nein! du bist gefallen. Und das zerrissene Gebot treibt dich weg von Gott und ist deine Schande und das Kainszeichen auf deiner Stirn. Dieses Ende hat Gott wohl bedacht. Dazu gerade hat er dich unter das Gesetz gestellt.
Fragen wir: ist denn das Gottes würdig? so haben wir zu bedenken: woher nehmen wir das Recht, zu verlangen, dass jedes Wort an uns lieblich, gütig, aufrichtend sein müsse? Uns Sünder darf Gott füglich erniedrigen. Das Gesetz ist wahrlich nicht an unserer Bosheit schuld.
Dass es uns in die Schuld und Schande der Übertretung hinunterführt, das verdanken wir uns selbst. Darum haben wir nicht zu murren, sondern zu ermessen, dass es Gott wohl zusteht, das Licht seines Gesetzes hineinstrahlen zu lassen in unsere Sündigkeit, damit die Dunkelheit derselben uns greifbar werde und wir deren Last empfinden lernen.
Es ist bei Paulus überall derselbe Ernst der Wahrhaftigkeit. Er macht sich Gottes Güte ernst und groß und Gottes Forderung nicht weniger. Jene erhebt uns zur Gerechtigkeit und Herrlichkeit Gottes. Diese macht uns versinken in die Tiefe unserer Übertretungen. Aber der Jude halbiert alles, und wir verfahren nicht anders als er. Er bricht die Größe der göttlichen Verheißung mit seinem Wenn und Aber aus dem Gesetz, und er bricht den Ernst des göttlichen Gebots mit leichtsinnigem Trost aus der Verheißung. Beides wiegt ihm leicht; die Verheißung besagt nicht viel und das Gebot auch nicht viel. Dem Apostel ist Gottes Wille voll von unendlicher Majestät. In der Verheißung kehrt sich Gottes gnädiger Wille zu uns und erhebt uns himmelhoch. Im Gebot kehrt sich Gottes heiliger Wille gegen uns; daran scheitern wir. Und gerade weil Paulus vor der Majestät des Gebots sich aufrichtig beugt und sich durch dasselbe als Übertreter darstellen lässt, vermag er auch die Verheißung Gottes zu erfassen in ihrem unendlichen Wert. Wer aber den gebietenden Willen Gottes gering achtet, dem gilt auch sein verheißender Wille nichts.
Klagen oder verzweifeln könnten wir nur dann, wenn das Gesetz das einzige Wort Gottes wäre. Aber es ist weder Gottes erstes noch letztes Wort. Voran geht ihm die Verheißung. Und was folgt nach? Der Same, dem diese gegeben ist. Dieser war noch nicht da, als das Gesetz am Sinai zu Israel kam. Darum kam auch damals die Verheißung noch nicht, weil ihr Empfänger noch nicht vorhanden war. Jene Schar, die am Fuß des Sinai versammelt war, und das ganze Israel, das seither unter dem Gesetze stand, das war nicht derjenige Same, für den Gottes Testament errichtet ist. Das ist Christus, und die Verheißung und Gerechtigkeit und Ehre konnten noch nicht für uns aufgehen, bis Christus kam. So gewiss Christus nicht schon am Sinai erschienen ist, so gewiss ist das Gesetz nicht Leben und Erlösung und Gerechtigkeit, sondern deren Gegenteil. Gottes Verheißung ist mit Christo eins; und sie kommt nicht anders als mit ihm.
Also ist die Geltung des Gesetzes begrenzt auf die Zeit, da Christus noch nicht erschienen war. Mit ihm tritt eine neue Ordnung in Kraft. Durch Christus redet Gott nicht von unsern Übertretungen mit uns, sondern in ihm nimmt Gottes Gnade nun das Wort. Darum bringt er die Wendung aus der Tiefe in die Höhe, macht dem Fallen ein Ende, in welches uns das Gesetz versest, hebt die Scheidung auf, die es zwischen uns und Gott errichtet hat, und macht aus dem Übertreter einen Gerechtfertigten.
Wir sind nicht gewohnt, mit dem Apostel Christus als den Empfänger der Zusage Gottes zu betrachten. Wir denken ihn lieber als den Boten und Mittler, der dieselbe uns verschafft. Sicherlich ist die Verheißung Gottes Christo dazu gegeben, damit sie in ihm der Welt Reichtum werde. Der Apostel hat aber absichtlich die Verheißung allein zu Christus hingelenkt, um festzustellen, dass er der alleinige und ausschließliche Mittler derselben ist und es keinen Zugang zu ihr gibt, außer in ihm. Wollen wir in Gottes Testament einbegriffen sein, so müssen wir zu Christo gehören. Er ist der Universalerbe. Es gibt keinen Erben neben und außer ihm; es gibt Erben nur durch ihn. Paulus schlägt damit allen Übermut darnieder, der Christum verachtet und gleichwohl nach der Verheißung Gottes greifen will. Nicht neben Jesus, als wäre ich ihm gleichberechtigt, nur unter ihm umfasst die Verheißung Gottes auch mich.
Weil die Zeit damals noch nicht erfüllt war, zu der Gott Christus senden wollte, ist das Gesetz durch andere göttliche Boten gebracht worden, und hierin zeigt sich wieder, dass das Gesetz nur vergängliche Bedeutung hat. Am Sinai waren die Werkzeuge und Boten der göttlichen Rede Engel und ein Mensch; Engel, deren Gegenwart in jenen wunderbaren Erscheinungen sichtbar wird, welche die Gesetzgebung begleiten, im Posaunenschall und Donner, in der sichtbaren Wolke und hörbaren Stimme, welche die Gebote dem Volke zuruft, und der Mensch Mose, der als Mittelsmann zwischen dem Volk und Gott handelt, jenem die Befehle Gottes und diesem die Erklärungen des Volks überbringt. Auch hierin ist das dienende, bloß vorbereitende Ziel des Gesetzes ausgedrückt. Engel, so hoch sie gestellt sind, sind nicht der Sohn. Er steht über ihnen. Was uns Engel bringen, ist noch nicht Gottes Verheißung und Testament. Und der Mittler Mose macht mit seinem Amt ebenfalls die Schwäche des Gesetzes offenbar. Denn bei einem Einzigen braucht es keinen Mittelsmann, Gott aber ist einer, und bedarf zur Ausrichtung seines Werks des Mittlers nicht. Der Mittelsmann zeigt an, dass hier nicht Gott sein Werk vollbringt, sondern dass der Mensch hier handeln und sein Werk ausrichten soll. Darum hält sich Gott im Hintergrund und stellt einen Mittelsmann vor das Volk, damit er ihm das Gesetz überbringe. Wenn aber Gott seine Verheißung erfüllt, da handelt er, der Einige, allein. Darum geht es dort anders zu, ohne Mittelsmann, ohne Verhandlung zwischen zwei Parteien, nicht so, dass der Mensch neben Gott zu stehen kommt, in einer Art Vertragsverhältnis, das durch einen Vermittler begründet, bezeugt und verbürgt wird. Vielmehr steht nun Gott allein im Licht, und wir stehen unter ihm, und er offenbart uns seinen Sohn, und schenkt uns ewiges Leben nach seinem eigenen Gnadenrat.
Nun sind wir freilich gewohnt, Christi Amt dadurch auszudrücken, dass wir ihn den Mittler heißen zwischen uns und Gott, und wir tun dies nach Anleitung der Schrift, 1 Tim. 2, 5. Hier aber ist bloß Mose und nicht Christus in die Stellung eines Vermittlers zwischen den Menschen und Gott gesetzt, und der Unterschied zwischen dem Gesetz und der Gnade dadurch ausgedrückt, dass jenes einen Mittler brauchte, diese dagegen nicht. Solche Verschiedenheiten in der Lehrform der Bibel dürfen wir nicht störend heißen, sondern gerade sie sind sehr lehrreich und wohl zu beachten. Solche Unterschiede nötigen uns, unsere Gedanken wirklich schriftgemäß zu machen, und uns nicht zu versteifen in einseitigen Missverstand der Schrift.
Warum heißt die Schrift anderswo Jesus unsern Mittler?
Weil zwischen uns und Gott Feindschaft aufgehoben und Zwiespalt überwunden werden musste, weil wir Gott nicht kennen ohne ihn und Gott nicht lieben ohne ihn, und Gott uns nicht kennt ohne ihn und uns nicht liebt ohne ihn, sondern im Sohne Gottes steht unsere Einigung mit Gott. Dasselbe sagt unsere Stelle dadurch, dass sie Christus allein zum Inhaber der göttlichen Verheißung macht, so dass sie uns nur darum umfasst, weil wir ihm angehören als sein Reich und Eigentum. Warum sagt denn Paulus hier, dass Christus nicht ein Mittler sei wie Mose? Weil Christus Gott nicht bedeckt und in den Schatten stellt und nicht ein Stellvertreter des abwesenden Gottes, sondern selbst der Aufgang der Gnade für uns ist, weil sie da ist durch Gott selbst und durch Gott allein, und uns eben damit erwiesen wird, dass Christus zu uns kommt und wir ihm verbunden werden als die Glieder seines Reichs. Sagen wir: Christus ist unser Mittler, so denken wir an den Ort, an dem wir ursprünglich stehen, fern von Gott und im Streit wider ihn. Sagt uns Paulus: die Gnade bedarf keinen Vermittler wie das Gesetz, so denkt er an die Weise, wie Gott sich zu uns hält, dass er selbst nach dem Reichtum seiner eigenen Liebe in Christo zu uns niedersteigt, dass Gott in Christo war und die Welt versöhnte mit sich selbst. So mahnt uns unsere Stelle, nicht so von Jesu Mittleramt zu sprechen, dass wir damit auf die Freiheit und Vollkommeheit der göttlichen Güte einen Schatten werfen. Vielmehr ist Jesus eben dadurch unser Mittler mit Gott, dass er der Diener der freien eigenen Gnade Gottes für uns ist.
Wir haben durch die bisherigen Worte des Apostels Verheißung und Gesetz unterscheiden lernen, und das entgegengesetzte Ziel beider erkannt. Sie liegen so weit auseinander, dass die Frage entsteht, ob denn nicht ein Widerstreit zwischen ihnen sei, so dass das Gesetz der Verheißung im Wege stände und sie hinderte. Wenn ich am Gesetz ein Übertreter werde, so scheint damit die Verheißung mir entrückt. Ist's aber wirklich so, dass das Gesetz mich des verheißenen Erbes beraubt? Nein! hier ist kein Zwiespalt. Ein und derselbe Gott redet durch beide Worte zu uns, und er hat sie trefflich zusammengeordnet nach seiner Weisheit zu einem einträchtigen Rat.
Paulus zeigt uns zuerst, woher jene Verwirrung unserer Gedanken stammt, wenn wir das Gesetz und die Gnade nicht miteinander reimen und als einträchtige Offenbarung Gottes fassen können. Dahinter stecken lediglich unsere aufgeblasenen Einbildungen über das, was das Gesetz für uns bedeuten müsse. Wir geben dem Gesetz die Macht, lebendig zu machen. Dann freilich ist Krieg und Zwiespalt zwischen der Gnade und dem Gesetz. Denn nur wenn das Gesetz so gegeben wäre, dass es lebendig machen könnte, dann käme in der Tat die Gerechtigkeit aus dem Gesetz, V. 21. So wäre das Gesetz ein Nebenbuhler zu Christi Werk: wir ständen vor zwei Wegen zur Gerechtigkeit und müssten zwischen ihnen wählen, und würden mit dem Gesetz uns Christus entbehrlich machen und auf andere Weise ans Ziel gelangen, als durch die Verheißung Gottes hindurch. Aber ein solch lebendigmachendes Gesetz existiert nur in unserer Einbildung. Was uns lebendig macht, ist weit mehr als Gesetz, ist väterliches Erbarmen Gottes, ist das Versöhnen Christi, ist allmächtige Gnade, die Tote lebendig macht und Sünder rechtfertigt. Gerade weil das Gesetz solche Lebenskräfte nicht in sich hat, darum ist dasselbe kein Widerspruch zur Verheißung, sondern lässt ihr den Raum völlig frei und hindert Christus nicht an seinem erlösenden Werk.
Paulus entreißt seinen Gegnern damit die Wahrheit, mit der sie sich gegen ihn wehren wollten, und kehrt sie gegen sie selbst. Der Vorwurf, den sie gegen ihn erhoben, fällt auf sie selbst zurück. Sie sagen ihm: du bringst das Gesetz und die Verheißung in Zwiespalt, weil du uns vom Gesetze lösest, um uns zu Christo zu führen. Nein! antwortet Paulus, Gesetz und Verheißung sind völlig einstimmig, da wo man Gott im Glauben untergeben ist. Aber bei euch wird alles durch Zwiespalt entstellt, weil ihr das Gesetz ausstattet mit dem, was ihm nicht zusteht, und dasselbe zu eurem Heiland macht. Nun habt ihr zwei Heilande und schwankt zwischen ihnen hin und her. Für euch gibt's zwei Lebensquellen und zwei Gerechtigkeiten. Eine hebt die andre auf. Im Glauben an Christus aber wird Gottes Offenbarung als ein einträchtiges Ganzes voller Weisheit und Güte erkannt. Da hat das Gesetz seinen besonderen Dienst und die Gnade übt ihr eigenes Werk. Das Gesetz erniedrigt, die Gnade erhöht. Das Gesetz tötet, die Gnade macht lebendig. Das Gesetz macht Sünder, die Gnade Gerechte. Keines stört das andre; das Gesetz dient vielmehr der Gnade und bereitet ihr den Weg.
Jene Einbildungen, die wir ans Gesetz hängen, als brauchten wir nichts als Gebote und fänden im Gebot eine lebendig machende Kraft, werden durch die Schrift selbst zerstört. Sie weiß nichts von solchen Menschen, denen man schon mit dem bloßen Gebot ins Leben helfen könnte, sondern die Schrift hat alles unter die Sünde verschlossen, V. 22. Ihr Zeugnis lautet gegen jedermann mit allem, was er ist und tut: ihr seid unter der Sünde, ohne dass ihr sie von euch wegbringt. Nichts was ihr seid und tut, hebt euch über eure Sünde empor, und macht, dass ihr sie nicht mehr auf euch hättet. Diesen Spruch der Schrift heißt Paulus eine Macht, die uns eingesperrt hält. Wir mögen es ja versuchen, dieses Urteil der Schrift für uns selbst unwahr zu machen und in eine Höhe empor zu klimmen, wo uns dasselbe nicht mehr trifft; es wird uns aber nicht gelingen. Das Wort, das die Schrift über den Menschen sagt, wird auch an uns wahr werden. Es steht als ein Riegel da, den wir nicht wegschieben. Wir werden uns unter der Macht und Schuld der Sünde finden, wie die Schrift es sagt, und werden uns an den Platz begeben müssen, den die Schrift uns angewiesen hat. Ein solcher Verschluss unter die Sünde ist aber das Gegenteil von lebendig machender Kraft.
Doch nun gilt's auf den Zweck zu achten, um deswillen uns die Schrift ihren anklagenden Spruch entgegenhält, wie einen Riegel, der uns gefangen setzt. An diesem Zweck sehen wir, dass das Gesetz nicht wider die Verheißung ist: damit die Verheißung aus Glauben an Jesum Christum gegeben würde den Glaubenden. Die Schrift heißt uns sündig und gestattet uns nicht, dass wir uns gerecht und fromm scheinen, nicht weil sie uns die Verheißung entziehen will, im Gegenteil, damit sie uns gegeben werde. Aber was wir empfangen sollen, das ist Gottes Verheißung, nicht der Lohn unsrer Arbeit und die Frucht unsrer Werke, sondern das, was Gott uns zugesagt hat um seiner selber willen. Und aus Glauben an Jesus sollen wir's empfangen, so dass uns Christus Gottes Gaben bringt, er, dem allein die Verheißung angehört. Zu ihm sollen wir glaubend hinzutreten und das soll uns zum Empfangen führen, nicht unser Werk und Gottesdienst. Denn der Kreis, dem Gott seine Verheißung zugedacht hat und an dem er sie durch Christus zur Erfüllung bringt, sind die Glaubenden.
Die Schrift hat alles unter die Sünde verschlossen, damit die Verheißung aus Glauben gegeben werde. In diesem damit liegt der volle Friede des apostolischen Evangeliums. Nun sehen wir, wie Gesetz und Evangelium sich die Hand reichen und auch das Gesetz in seinem Teil der Gnade dient. Erwächst uns doch sogar aus unsrer Sünde eine Segensfrucht. Was soll ich aus meiner Sünde machen? Einen Beweggrund zum Glauben, das ist das einzige, wozu sie mir dienen kann. Dient sie mir nicht dazu, so ist sie mir lauter Verderben. Aber das ist der Nutzen, den uns unsre Sündhaftigkeit bringen kann. Um deswillen schaute die Gnade unserm Falle zu; um deswillen gab uns Gott das Gesetz zur Seite, das denselben noch tiefer machte. Er täte es nicht, wenn er nicht auch aus unsrer Übertretung Heil und Leben uns bereiten könnte, dadurch nämlich, dass unser Vertrauen nun nicht auf uns selber stehen kann, dass wir uns nach Christus umsehen müssen, das offene Auge für ihn gewinnen, seiner Gnade bedürftig werden, darum nun auch auf sie bauen und trauen, weil sie unsre alleinige Gerechtigkeit und Hoffnung ist. So macht das Gesetz, obgleich sein Ausgang für uns zunächst tödlich ist, Christo die Bahn frei. Es bereitet die Armut, die Raum hat für Christi Fülle; es lässt uns nicht Ruhe und Frieden in uns selbst und schafft dadurch das Herz in uns, das glauben kann.
Zuerst muss darum der Glaube gekommen sein. Er ist gekommen, als Christus kam, und kommt auch zu uns, dadurch dass uns Christus fasslich und erkennbar wird. Israel war auch vorher fromm, diente Gott mit Fleiß und Eifer, hatte auch nicht bloß Misstrauen und Argwohn gegen Gott im Herzen, sondern kehrte sich auch glaubend nach oben, stützte sich auf Gottes Hilfe, hoffte auf seine Gnade und rief seinen Namen an. Und dennoch erst jetzt, als Christus kam, kam der Glaube. So geglaubt, wie wir's nun im Anblick Christi können, haben wir nicht, ehe wir ihn kannten. Da blieb's ein schwankendes Hoffen und Fürchten, ein angestrengtes Rennen und Laufen, ein Schweben zwischen Anklage und Entschuldigung, ein Abwägen der eigenen Kraft, ein Sehen auf sich selbst und das eigene Werk. Das Gesetz ließ es nicht anders zu. Es hielt uns unser eigenes Bild vors Auge mit der Pflicht, Sünde und Not, die auf uns liegen. Nun haben wir den gefunden, in welchem uns Gott gesucht und sein Reich uns aufgeschlossen hat. Nun ruhen wir, als die da gefunden und empfangen haben. An die Stelle der bangen Spannung tritt jekt der Friede und die Gewissheit. Das Sehen auf uns selbst und auf unser Werk hat ein Ende, und über der Selbstanklage und eigenen Rechtfertigung steht die Vergebung und Rechtfertigung, die uns Christus gebracht hat. So kam der Glaube, als der Christus kam.
Aber bis der Glaube kam, war im Gesetz ein Wächter über uns gestellt, der uns in einer Gefangenschaft verschlossen hielt. Nicht das macht das Gesetz einem Gefängnis ähnlich, dass es uns das Böse verwehrt und vor der Sünde warnt. Vom Bösen scheidet uns Christus genau ebenso vollständig. Bewacht wurden wir unter dem Gesetz, weil es wie eine Mauer uns von Gott abschloss. Es ließ uns nicht zu seiner Liebe. Die Pforten des Heiligtums blieben verschlossen; wir mussten warten. Es war noch Nacht in uns und um uns her. Wir hörten von Gott her nur das eine: sein Gebot und seine Drohung; das war noch nicht die Sonne seiner Erkenntnis, die ewiges Leben ist. Aber diese Mauer ist nicht dazu bestimmt, unser ewiger Kerker zu sein. Dieser Riegel wird zurückgeschoben dann, wenn der Glaube offenbart wird. Er war eine Offenbarung für die Welt.
Man kann ihn sich nicht vorstellen, bis er kommt, nicht selbst erfinden, bis er uns gegeben wird. Er leuchtet in uns auf als ein Strahl von oben. Die Decken fallen, das Auge findet Christus, merkt seine Herrlichkeit, schaut in ihm Gottes Angesicht, und nun ruht die Seele in ihm als ihrem festen Grund. Erst von Christo her entsteht die Offenbarung des Glaubens; aber die Haft, mit der uns das Gesetz umschließt, ist die stille Zubereitung zu derselben.
Wer darum noch nicht weiß, was Glaube ist, der weiß doch, was Gesetz Gottes ist, und bleibe deshalb in seiner Hut und Haft. Den Riegel des Gesetzes brechen, um ihm zu entrinnen, das ist die größte Thorheit unsres Lebens. Wir haben uns still und gehorsam von demselben einschließen zu lassen, bis uns Gott selbst zur Freiheit führt.
Jetzt erst, nachdem wir Christum erkannt und Glauben erlangt haben, verstehen wir Amt und Zweck des Gesetzes recht. Am Ziel des Weges vermögen wir zu erkennen, warum derselbe diese Richtung eingeschlagen hat, und nicht schon unterwegs. Also ist das Gesetz uns zum Zuchtmeister gegeben auf Christum hin, V. 24. Paulus denkt an die Weise der vornehmen Leute, die sich nicht selbst mit ihren Knaben bemühen. So setzt der Vater einen Diener über sie als seinen Stellvertreter und überträgt ihm seine Zuchtgewalt. Derselbe hat wohl die Strafgewalt, aber nicht die Liebe des Vaters; er ist dessen Vertreter, aber nicht der Vater selbst.
Es liegt auch bei diesem Wort nicht in des Apostels Sinn, das Gesetz zu schelten. Nicht darum vergleicht er's mit dem Zuchtmeister, als wollte er gegen dasselbe murren, es sei zu hart und streng. Auch hier hebt er ja ausdrücklich die Abkunft des Gesetzes von Gott hervor. Der Vater setzt den Zuchtmeister, so dass er nicht in seinem eignen, sondern in des Vaters Auftrag sein Amt verwaltet. Gott ist's, der uns dem Gesetz untergeben hat. Aber dadurch hält er uns von sich vorerst entfernt. Wir sind einem Stellvertreter überlassen, der Gottes Name und Wille in unsrer Erinnerung erhält, aber doch nur einen kümmerlichen Ersak gewährt für den offenen Zugang zu Gott, für den Genuss seiner Liebe, für das Bürgerrecht in seinem Reich. Das alles ist uns vorerst entzogen, und wir sind aufs Gesetz verwiesen. An dessen Gebot haben wir Gott zu ehren, darin Gott zu gehorchen. Das bildet unsern Gottesdienst. So wird derselbe ein harter Dienst, und die Rute und das Strafamt fehlt diesem Zuchtmeister nicht. Er vergibt nicht, er tröstet nicht; in ihm erscheint nicht die Liebe des Vaters, sondern dessen strenger Ernst.
Wir haben nicht zu fragen, ob uns das Bild vom Zuchtmeister das beschuldigende, richtende Amt des Gesetzes vorführe, oder die Hilfe und den Schutz, den es uns gegen unsre Bosheit gewährt, wodurch es uns vor schlimmerm Fall bewahrt. Das Strafamt und das Schutzamt des Gesetzes sind nicht zweierlei. Eben die Buße, in die uns das Gesetz mit seinem richtenden Spruche treibt, ist der Schutz, den es uns gewährt. Es ist uns darum eine Mauer gegen tieferes Fallen, weil es uns die Bitterkeit des Falls zu kosten gibt und uns zeigt, was die Übertretung ist und nach sich zieht. So übt es sein Strafamt uns zum Schutz, auf Christum hin.
Der Knabe entwächst dem Zuchtmeister und dieser gibt sein Amt zurück in des Vaters Hände. Er war von Anfang nicht dazu bestellt, um bleibend den Knaben zu leiten. Und gerade dadurch, dass er scharf seines Amtes waltete, bereitet er die Stunde vor, wo er es niederlegen kann. Der Nachfolger des Gesetzes ist Christus. In seine Hände sind wir nun übergegangen; ihm sind wir untergeben und an ihn im Glauben gebunden, und dadurch zu Gott herzugebracht.
Dem Gesetz sind wir unterstellt, bis Christus kommt, damit wir aus Glauben gerechtfertigt würden. Der leichtsinnige, mutwillige Knabe bedarf des Zuchtmeisters; der Vater setzt ihm denselben seiner schlimmen Streiche wegen. So liegt auch in unsrer Unterwerfung unter das Gesetz Gottes Erklärung, dass er wohl weiß, was in unserm Herzen ist, und unser böses Dichten und Trachten kennt. Das Gesetz ist der laut redende Zeuge unsrer Sündhaftigkeit. Allein Gottes Absicht hierbei ist, diese Beschuldigung abzutun, indem er uns Rechtfertigung gewährt um unsres Glaubens willen. Jetzt, da mit unsrem Glauben an Christus Gottes Zeugnis für uns lautet: du bist gerecht, jetzt ist die Stunde da, wo der Zuchtmeister entlassen wird. Text ist sein Amt und seine Zeit vorbei.
Denn ihr alle seid Söhne Gottes durch den Glauben in Christo. Der Reichtum der Gabe Christi stellt uns über das Gesetz empor und ist der Beweis für unsre Rechtfertigung. Der Apostel fasst alles in ein einziges Wort zusammen, was uns Jesus gebracht hat, indem er sagt: wir seien Söhne Gottes in ihm. Der Knabe, der den Zuchtmeister über sich hat, ist nach seiner Herkunft auch schon Sohn. Aber er genießt dessen noch nicht und hat noch nicht den Platz des Sohns. Er sieht ja den Vater noch nicht und wird noch nicht vom Vater geleitet, sondern zwischen ihm und dem Vater steht der Mittelsmann, an den er gebunden ist. Das ist in Christo für uns anders geworden, weil er selbst der Sohn ist, der mit dem Vater in der innigen und völligen Einheit steht. Er stellt uns neben sich vor Gott. Indem wir ihm durch Glauben verbunden sind, haben wir auch teil an der Weise, wie Gott sich väterlich zu ihm verhält. Sein Gott wird unser Gott, sein Vater unser Vater. So werden wir ihm gleich gehalten und treten in die Ähnlichkeit mit ihm. Das ist die Vollendung seiner freigebigen Gnade, dass er auch den Sohnesnamen und die Kindschaft mit uns teilt.
Kindschaft zu Gott ist kein Recht, das wir fordern könnten, noch ein Gewinn, den ein Mensch sich selbst erwerben kann. Kindschaft kann nur empfangen werden von Gott selbst. Wär's anders, so wäre es keine Kindschaft. Vom Vater kommen die Kinder. Kindschaft zu Gott ist dann unser Eigentum, wenn Gott uns bei sich an- und aufgenommen hat, so dass er unser Herz formt und bildet und sein Leben in dasselbe legt und es sich zuwendet, dass wir bei ihm sind, erkennend und liebend, und bei ihm wohnen und er bei uns.
Darum sind wir in Christo Gottes Kinder. In Christo liegt der Grund, die Wahrheit und Fülle unsrer Kindschaft zu Gott. Was uns Christus gibt, das ist das Göttliche in uns; dass wir bei Christo bleiben, das ist unser Sein und Bleiben bei Gott.
Das seid ihr alle, hält Paulus den Galatern vor. Christus macht keinen bösen Unterschied. Er ist bei allen, die im Glauben stehn, mit seiner ganzen Gnade und Gabe. Wer ihn gläubig sucht, der empfängt von ihm das Kindesrecht. Darum fährt Paulus fort: Denn ihr alle, die ihr auf Christum getauft seid, habt Christum angezogen. Er heißt Christus das Gewand, in das wir gekleidet sind, um uns zu zeigen, wie reich und völlig uns Christus Anteil gibt an allem, was er hat, wie er seine eigene Art auf uns überträgt und uns zu seinem Abbild macht. Wie er Sohn Gottes ist, so führt er auch uns zur Kindschaft Gottes. Seine Gerechtigkeit, seine Heiligkeit, sein ewiges Leben umfassen auch uns. Wie er im Geiste lebt, so durch ihn auch wir. So stehn wir nicht mehr da in unsrer eignen Gestalt, sondern haben ein Kleid erhalten, das unser natürliches Wesen verschwinden macht. Weil wir so gekleidet in unsrer Einigung mit Christo vor Gott stehn, deshalb wird uns Rechtfertigung zuteil und wir erhalten das Kindesrecht.
Das haben alle, die auf ihn getauft sind. Wenn Christus das Gewand genannt ist, welches die Glaubenden angezogen haben, so passt dies trefflich dazu, dass Paulus auf ihre Taufe zurücksieht. Als sie ins Wasser niederstiegen, hatten sie ihr Gewand abgelegt, und als sie getauft wieder emporstiegen, bekleideten sie sich neu. Was ist ihr rechtes neues Taufgewand? Christum haben sie angezogen. Er hat ihnen seinen Namen, seine Gnade, seine Gemeinschaft durch die Taufe dargeboten. Sein ganzes Evangelium, das Buß- und das Glaubenswort, hat Jesus in die Taufe gefasst. Sie zeigt uns, was an uns verschwinden muss, und was uns dargereicht wird statt dessen als Christi Gabe. Darum hat Paulus auch das letzte und herrlichste, was Christus aus uns macht, mit der Taufe verbunden. Wie er im Römerbrief sagt: durch die Taufe seid ihr der Sünde gestorben und von allem Bösen ganz erlöst, 6, 2, so sagt er hier: durch die Taufe habt ihr Christi Art. Der Apostel kennt keinen halben, verkümmerten Anteil an Christus; was uns zu ihm bringt, setzt uns in seine ganze Gnade. Das bringt die Taufe genau in derselben Weise zu Stand wie Jesu Kreuz, dadurch dass sie in unseren Herzen Glauben schafft.
Damit sind die Risse geheilt, die uns Menschen gegen einander erbittern. Die Gemeinden litten unter der religiösen und zugleich nationalen Spaltung, die den Juden von dem Griechen schied. Da war weiter der große Gegensatz in der äußeren Lebenslage zwischen Sklaven und Freien, und der naturhafte Unterschied der Geschlechter zwischen Mann und Weib. Diese Verschiedenheiten bringen viele Schwierigkeiten mit sich. Wie viel Not machen uns die verschiedenen „Konfessionen“, und die Gegensätze, die man jekt „sozial“ zu heißen pflegt. Auch im Verkehr der beiden Geschlechter mit einander kommt es auch im Christenleben oft zu bösem Fall. Paulus sagt nicht, dass diese natürlichen Unterschiede aufhören. Wir sind aber durch Christum mehr geworden als bloß das. Vordem waren wir nur das; da bewegte sich unser ganzes Sinnen und Trachten um jene äußern Lebensverhältnisse. Ein Jude sein oder ein Grieche sein, das war für beide das höchste Interesse. Zur Sklaverei verurteilt zu sein oder die Rechte des Freien zu genießen, das erschien beiden als eine Sache von allerhöchster Wichtigkeit. Dem Beruf des Mannes oder Weibes obzuliegen, das füllte das ganze Leben aus. Nun ist das aus seiner Wichtigkeit heruntergesetzt und bildet nicht mehr den Kern unsrer Person. Das jüdische oder griechische Gewand, das Kleid des Sklaven oder Freien, des Mannes oder Weibes ist bedeckt durch das neue Gewand, das uns durch Christus verschafft worden ist. Aus Christo schöpft das Herz nun seine Triebe. Er gestaltet alle in sein Bild. So sind sie alle einer in Christo, weil einer sie alle regiert, einer sie alle zu sich selber zieht und mit derselben Gnadengabe erfüllt. Da wird das Leben aller in dieselbe Bahn gelenkt und nach demselben Urbild geformt. Es entspringt aus demselben Grund und geht zum selben Ziel.
Da bleibt nicht Raum zur Eifersucht, zum Neid, zur Erhöhung der eignen Person und zur Erniedrigung der andern. Christus ist im Heiden nicht schwächer und ärmer als im Juden, gegen den Juden nicht weniger gütig und mächtig als gegen den Heiden. Seine Herrlichkeit erscheint am Sklaven wie am Freien und sein Werk ist im Weibe nicht unvollkommener als im Mann. Keiner ist hier bevorzugt, keiner benachteiligt. Sie sind einander gleich geworden, weil allen dasselbe Ziel gewiesen ist: Christi Abbild zu sein.
So ist's denn aufs Neue deutlich, wer der Same Abrahams ist, V. 29. Christi Eigentum und Abrahams Geschlecht im göttlichen und ewigen Sinn ist eins und dasselbe. Wie könnte jemand zum Geschlecht, das den Segen erbt, gehören, ohne Christo eigen zu sein, oder wie jemand Christo zugehören und nicht auch ein Glied des Samens sein, dem die Verheißung gegeben ist? Abrahams Geschlecht besteht aus Christi Volk. Abraham ward selbst um Christi willen der Gesegnete. Die Gemeinden haben also nur auf eins bedacht zu sein, dass sie Christo angehören. Dann sind sie auch Abraham beigesellt und die Verheißung steht über ihnen, und das Kindesrecht kommt an ihnen zur Erfüllung dadurch, dass das Kind auch zum Erben wird und, nachdem es den Vater gefunden hat, auch am väterlichen Hause Anteil erlangt.