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Schlatter, Adolf - Der Galaterbrief - Gal. 1, 11-2, 21. Der dreifache Beweis für die Sendung durch Gott.

Das erste Ziel, welches sich Paulus vorsetzt, geht darauf, das Vertrauen der Gemeinden zu seinem Apostelamt neu zu erwecken, damit er ihnen wieder ohne Verdächtigung und Zweifel der Apostel Jesu Christi sei. Er möchte Herr werden über den Verdacht, als gelte sein Wort in dieser Sache wenig, als könnte man anderswo bessere Leitung finden. Es handelt sich dabei im Besonderen um sein Verhältnis zu Petrus, ob man sagen dürfe: Petrus gilt uns mehr als Paulus, ob man sich gegen das Wort des Paulus auf Petrus berufen dürfe. Petrus schien ja dadurch einen großen Vorzug zu haben, dass er der ältere war, der von Jesus selbst die Unterweisung empfangen hatte und hernach von Anbeginn an die Gemeinde gesammelt und geführt hatte. Darum zeigt Paulus, wie es mit seiner göttlichen Sendung steht, wie unabhängig ihn Gott von allen Menschen gemacht hat, wie er niemand nachgesetzt ist, sondern von Christus direkt zu seinem Boten bestellt wurde und mit allem ausgerüstet ist, was das Vertrauen der Gemeinden zu ihm begründen kann.

Er erzählt ihnen zu diesem Zweck drei Geschichten aus seinem Leben. Die erste ist diejenige seiner Bekehrung. An der Weise, wie er zum Apostel geworden ist, muss es sich zeigen, ob er den andern Aposteln untergeordnet ist. Er ist aber ohne der Menschen Zutun Apostel geworden durch Christus allein. Er hat sich nicht erst im Verlauf der Zeit selbständig gemacht, so dass er ursprünglich Lehrer und Führer über sich gehabt hätte und erst hernach die Abhängigkeit von ihnen überschritten hätte; sondern zuerst stand er der Gemeinde ganz fern und war ihr Verfolger. Dann hat ihm Gott Jesus geoffenbart und dies so, dass es seine einzige, aber auch völlig ausreichende, ausschließlich göttliche Ausrüstung zum Apostelamt geworden ist. Damit hat er sofort seine Arbeit begonnen und sein Verkehr mit den Aposteln in Jerusalem folgte erst später und war von kurzer Dauer und beschränkt.

Das zweite Ereignis, das er erzählt, ist seine Verhandlung mit den älteren Aposteln über die Einrichtung der Heidengemeinden. Später kam allerdings ein Zeitpunkt, wo er absichtlich sein Evangelium denen vorlegte, welche in Jerusalem die Säulen der Kirche waren. Er hat die Apostel in Jerusalem ausgesucht und sie befragt, was sie zu seiner Predigt sagen, und ihr Urteil über sein apostolisches Werk verlangt. Das tat er aber unter ganz besonderen Umständen, weil falsche Brüder sein Werk unter den Heiden störten, und das Resultat war dies, dass er wie für sein Evangelium, so auch für sein Apostelamt bei den Aposteln die volle Anerkennung fand.

Zuletzt erzählt er die Versündigung des Petrus an den Heiden in Antiochien und seine Bestrafung durch Paulus. Beide Apostel trafen in Antiochien zusammen. Da hat sich nicht Paulus als der schwächere erwiesen, welcher der Leitung des Petrus bedürftig war. Vielmehr blieb er aufrecht und stark, als Petrus schwankte und sündigte, und hat ihn zurecht gewiesen und den Schaden abgewandt, den das Verhalten des Petrus den Gemeinden hätte bringen können.

Mit fortschreitender Kraft führen diese drei Geschichten den Beweis dafür, dass er nicht auf Menschen steht, sondern allein auf Gott, und darum nicht verachtet werden darf, sondern ganz in derselben Weise, wie Petrus, als Apostel Jesu zu hören ist. Er ist ohne die Menschen Apostel geworden, und als er hernach vor die Apostel trat, da konnten sie lediglich zustimmen zu dem, was Gott durch ihn gewirkt hatte. Ja auch gegen Petrus hat er die Wahrheit und Freiheit des Evangeliums geschützt, und ist allein auf der geraden Bahn geblieben, als der Blick aller andern sich trübte und ihr Urteil furchtsam von der Wahrheit wich. Die beiden letzten Erzählungen schlagen umso wichtiger ein, weil sie eben diejenige Frage betreffen, welche die galatischen Gemeinden beschäftigte, ob nicht das Gesetz doch noch zum Christenstand gehöre. Eben in dieser Frage stand er vollständig ebenbürtig neben den Aposteln und dieselben haben nichts anderes getan, als sein Wort gebilligt, seine Stellung bestätigt und der Ordnung der Heidengemeinden, wie er sie eingerichtet hat, zugestimmt. Und eben in der Gesetzesfrage ist er stärker als Petrus gewesen und hat sich als den erleuchteten und innerlich befestigten erwiesen, als den rechten Lehrer und Führer der Heidengemeinden, der keiner Schwankung ausgesetzt war, sondern mit gewisser Klarheit in der Bahn des Evangeliums blieb. Die Galater dürfen also nicht erwarten, anderswo über das Gesetz und Evangelium bessern Bescheid empfangen zu können, als bei ihm. Gerade das ist die Frage, über die er in sonderlicher Weise Licht erhalten hat, in welcher Gott die Kirche, auch Petrus nicht ausgenommen, an ihn gewiesen hat.

Dieser Teil des Briefs war von jeher vielen in- und außerhalb der Kirche ärgerlich. Und er wäre in der Tat unerbaulich, wenn Paulus gegen Petrus stritte, wer von ihnen der größere sei, wenn er so eifrig versichern würde: er habe auch von den Aposteln nichts empfangen, um auf sich selber hinzuzeigen: seht, welch ein genialer Mensch ich bin! vollends, wenn er den Fehltritt des Petrus beschrieb, um in dessen Schwäche sich selber zu spiegeln und sich durch seine Erniedrigung zu erhöhen. Dann hätten wir allerdings lediglich das Menschenherz vor uns in seiner wohlbekannten Art, das nicht anders in die Höhe zu kommen weiß als so, dass es die andern herabzieht und niederwirft. Wer jedoch das in diesem Abschnitt findet, der denkt sich den Apostel flugs nach seiner eigenen Art, und nimmt nicht wahr, was Paulus bewegt.

Wo kämpft Paulus für sich und seinen eigenen Ruhm? Wo fordert er von uns, dass wir ihn anstaunen, ihn erheben über Petrus, oder wer es immer sei? Er sagt nicht: statt des Petrus feiert mich, sondern er sagt: weder vor Petrus noch vor mir, sondern vor Christo beuget euch. Für das, was Gott geoffenbart hat, für das, was Christus gebracht hat, kämpft er. Das will er freilich nicht bedeckt und herabgezogen wissen um irgendeines Menschen willen.

Er spricht mit hohem Mute von sich selbst und stellt sich neben alle hin, sei ihr Name noch so hoch und gefeiert, nicht weil er nach Ehre begierig wäre und diese nicht den andern lassen wollte, sondern weil man mit seiner Person Gottes Gabe und Werk verachtet, weil man in Galatien sagt: es ist ja nur Paulus! seine Warnung bedeutet nichts. Er lässt sich nicht verachten, weil sein Evangelium nicht verachtet werden soll. Ihm hat es Gott gegeben, darum erhebt er sein Haupt hoch und stellt sich ohne Scheu Petrus an die Seite; aber gegeben hat ihm Gott alles, was er hat und kann; drum ist seine Erhebung von reiner leuchtender Demut voll.

Er demütigt Petrus, aber nicht tiefer als sich selbst. Auch Petrus ist Apostel und Knecht Christi und alles, was Paulus hier von der Größe eines Boten Jesu sagt, umfasst auch ihn. Er nimmt ihm nur den falschen Ruhm, in welchen ihn die Verehrung der Menschen hüllt, die sich an seine Person hängen und mit ihr einen Heiligendienst verrichten, als wäre der Mensch Petrus unser Führer, als könnte Fleisch und Blut unsre Hilfe sein. Darum zeigt Paulus ohne Ziererei mit dem Ernst der Wahrheit auf den furchtsamen schwankenden Petrus hin, damit der Heiligenschein zerrinne, mit dem sie ihn zieren, und ob dem sie sich das Recht zusprechen, Christi Wort nicht zu hören, weil es ihnen Paulus bringt. Diese Beugung und Demütigung alles Menschlichen, die in Gott allein Wahrheit, Gerechtigkeit und Hilfe sucht, hat Paulus zuerst und zumeist an sich selbst geübt, und hat am wenigsten mit sich selbst Heiligendienst getrieben und auch die Gemeinden solchen nicht mit sich treiben lassen, sondern Fleisch und Blut auch an sich selbst verleugnet, als untauglich zum Himmelreich und fern von Gott, und jedermann zum Glauben an den gewiesen, welcher allein der Sohn Gottes ist und dessen Boten Paulus und Petrus in gleicher Weise sind.

So macht gerade dieser Abschnitt nicht am wenigsten die Kraft und Größe unsers Briefes aus. Er ist des Heiligen Geistes Zeugnis gegen alle Abgötterei mit den Menschen und deren Anbetung. Niemals gab es einen Heiligendienst, der reiner, begründeter, unverfänglicher schien, als derjenige, der den Aposteln erwiesen wurde. Ein Petrus, ein Johannes, ein Jakobus, welch ein Strom von Ehrfurcht, Dankbarkeit, Hingebung und Andacht erregten diese Namen in der Kirche mit allem Recht. Konnte man sie genugsam schätzen? Die tiefste Ehrfurcht und der unbedingteste Gehorsam ist hier rein und recht, so lange in ihnen Gott geehrt wird und das Auge von ihnen zu dem aufsteigt, dessen Werk und Werkzeug sie gewesen sind. Ein fleischliches Herz bleibt aber an der Figur der Menschen hängen und bringt auch in die Verehrung der Apostel Unlauterkeit. Sie war von vornherein unrein und fleischlich, wenn sich, wie in Galatien, mit der Verehrung für Petrus Abneigung gegen Paulus mischte. Dann schaute man sicherlich nicht mehr durch Petrus hindurch auf Christus und Gott, sondern hatte nur noch Petrus im Auge und beugte die Gemeinde unter des Menschen Namen und Art. Darum macht hier Paulus wieder Platz für Gott und richtete die, welche vor Petrus auf die Kniee fallen, auf, und hat damit auch uns in der Kraft und Fülle Heiligen Geistes den Freibrief geschrieben, der uns den Kniefall vor jedem Menschen erspart, sei er geistlich noch so hochbegabt und von Gott wunderbar ausgezeichnet.

Es ist nicht zufällig, dass der Heiligendienst und der Gesetzesdienst durch dieselben Leute nach Galatien gebracht wurden und von Paulus im selben Brief beseitigt werden müssen. Sie begleiten einander stets. Sie waren schon in der Judenschaft beisammen. Abraham, Isaak, Jakob, die Väter alle sind mit dem Dienst unter dem Gesetz zu den Heiligen der Synagoge geworden, auf deren Verdienst und Fürsprache man baute. Auch in der Christenheit war dies stets beisammen, in alter und neuer Zeit. Steht der Mensch unter dem Gesetz, so hält er sich an sich selbst, und muss die Kraft und Tugend bei den Menschen finden. Hat er sie selbst nicht, so müssen sie doch andere haben, größere, vollkommenere, heiligere Leute als er. Das Gesetz muss irgendwo erscheinen als Kraft und Tat an einer Heiligengestalt, die Tugend irgendwo sich finden an einem Tugendbild, für das man schwärmen und mit dem man sich trösten kann. Ich muss doch etwas haben, was größer ist als ich, zu dem ich emporschauen kann. Lerne ich aber durch das Evangelium merken auf das, was Gott gibt, so habe ich den wahrhaft Hohen und Erhabenen gefunden, in dessen Gnade meine Seele ruht. Vor ihm muss sich nicht nur der Zöllner und Sünder, vor ihm muss sich der Mensch neigen mit allem, was er ist und kann. Darum hat da, wo Gottes Gnade im Glauben an Christum erfasst ist, kein Heiligenbild mehr Raum.

Und jetzt erst ist in unsern Herzen für die Apostel Raum, dass wir sie nach ihrem echten und wahrhaften Beruf ehren, nämlich als Christi Boten, die uns zu ihm hinführen. Die, welche Petrus fleischlich verehrten, meinten ihn zu erhöhen; in Wahrheit erniedrigten sie ihn; denn sie machten den Menschen an ihm groß und nahmen ihm dadurch, was ihn allein wirklich groß gemacht hat, dass er durch Gottes Gnade mit Gottes Botschaft ausgestattet ist und Gott durch ihn zu uns redet. Paulus aber, der Petrus demütigt, setzt ihn in seine wahre rechte Ehre ein und schreibt mit dem Zeugnis gegen den Heiligendienst zugleich das Zeugnis für die Echtheit und Wahrheit des göttlichen Berufs, der den Aposteln gegeben war.

Gal. 1, 11-24. Wie Paulus ohne die Menschen Apostel wird.

Der Hauptsatz, zu dem die folgenden Geschichten den Beweis enthalten, lautet: mein Evangelium ist nicht nach der Menschen Maß und Art, V. 11; ihr habt es bei dem, was ich euch sage, mit Gott zu tun. Hieran hängt alles Weitere. Sowie dies beachtet wird, verliert die Weise, wie Paulus von sich und den Aposteln spricht, jeden Schein von Anstößigkeit. Wie kam er zu seinem Evangelium? Er hat es nicht von irgendeinem Menschen erhalten. Gelernt hat er's nicht. Letzteres nennt den natürlichen Weg, wie Wort und Erkenntnis von einem zum andern übergeht. Der eine wird Schüler, der andre wird Lehrer. So ging's bei ihm nicht, sondern von oben herab, durch eine göttliche Gnadentat trat das Evangelium in seine Erkenntnis hinein, durch Offenbarung Jesu Christi, dadurch dass ihm Jesus sichtbar geworden ist. Gott hat ihm Christus gezeigt. Aus der Verborgenheit, die Christus von uns Menschen scheidet, stellte ihn Gott hervor vor das Auge des Paulus hin, so dass er ihn sah. Daher hat er sein Evangelium. Daher weiß und verkündigt er, dass Jesus lebt, dass der Gekreuzigte der Herr der Herrlichkeit ist und der Quell der Gnade, an den man glauben darf.

Kein Unterricht hätte ihm geben können, was ihm Jesu eigne Offenbarung, durch die ihm Jesus sichtbar ward, verlieh. Auch das reichste, hellste Wort bietet nicht dasselbe, wie eigne persönliche Wahrnehmung. Deshalb ist es unsre Hoffnung, dass wir, die wir jetzt Christus nur im Worte kennen, ihn dereinst auch sehen werden, und wir werden ihm dann anders verbunden sein, wenn wir ihn sehen, als jetzt, wo wir nur von ihm hören. Die Offenbarung Christi schuf in Paulus jene Gewissheit, die das eigne Erlebnis uns verschafft. Es war ihm damit die Eigenschaft eines Zeugen verliehen, der von dem spricht, was er selbst gesehen hat. Und eben dies ist das wesentliche am Evangelium, dass es nicht ein Ahnen und Meinen und Forschen, sondern ein Zeugnis ist von Gottes Güte und Christi Macht.

Auch seine einstige Verirrung diente der Absicht Gottes und erhöht die Bedeutung des Wunders, das ihm widerfahren ist, V. 13.14. Sie macht offenbar, dass der Mensch bei seiner Berufung nicht mitgeholfen und nichts ausgerichtet hat, weder die Apostel noch sonst jemand aus der ersten Christenheit, am wenigsten er selbst. Die Predigt der Apostel hat ihn nicht überwunden, sondern erbittert. Der Glaube und die Hoffnung, welche die erste Gemeinde auf Christum gesetzt hat, erschien ihm als gotteslästerlich und der Verfolgung wert. Auch ihr Leiden und Sterben, wie wir's von Stephanus wissen, hat ihn nicht ergriffen. Zwischen den Menschen, die damals das Evangelium verkündigten, und ihm war eine tiefe Kluft; Gott allein hat ihn zu Christus gebracht.

Die tiefe Reue, welche der Apostel zeitlebens in der Erinnerung an seinen Irrweg in sich wach erhielt, äußert sich auch hier. Übers Maß habe ich sie verfolgt. Er denkt an seine Leidenschaftlichkeit zurück, die keine Schranke kannte, der keine Maßregel zu hart war. Andre hassten den Christennamen auch, aber kühler; sie kannten eine Grenze, und wäre es auch nur diejenige, welche das träge schlaffe Gehenlassen der Dinge mit sich bringt. Ihm füllte der Widerwille gegen Jesus und die Christenheit das Herz und er stand nicht auf halbem Wege still. Die Gemeinde Gottes habe ich verfolgt. So erschien ihm sein Verhalten damals noch nicht. Die Gemeinde Gottes war im Gesetz der Ehrenname Israels, der ihm seinen Vorzug, Gottes Eigentum zu sein, vorhielt. Paulus suchte damals das wahre Israel noch nicht in der verachteten Schar derer, die sich zu Jesus bekannten. Aber nun ist ihm das Israel der Hohepriester und Schriftgelehrten nicht mehr die Gemeinde Gottes, und jene Schar, die im Namen Jesu verbunden war, ist der Erbe dieses Namens geworden. Wenn er gegen sie kämpfte, so war's ein Ansturm gegen Gott, mit dem er bewies, dass er Gott nicht kannte, sein Wort nicht hatte, seine Wege nicht sah, sondern blindlings Gottes Wort und Werk zerstören wollte. Und alles, was er gegen die Gemeinde gesagt und getan hat, war böse, bittere Ungerechtigkeit.

Auch daran erinnert uns Paulus, dass sein Ansturm gegen die Gemeinde nicht erfolglos war. Er hat die Gemeinde nicht nur verfolgt, sondern auch verwüstet. Sein Eifer kam zum Ziel. Die Gemeinde zerstreute sich; mancher kehrte wohl auch zur Synagoge zurück; viele, welche der Sache Jesu geneigt waren, wurden abgeschreckt. Er zog nach Damaskus in der Überzeugung, in Jerusalem sei die Gemeinde zertreten und das Ende des Christentums sei da. Je mehr er sich als Sieger erschien, um so ferner war er dem Evangelium. Es brauchte Gottes Hand, um ihn aus seinem Siegeslauf herumzuholen zu der von ihm zertretenen Christenheit.

Mit V. 14 hebt er den inneren Grund hervor, der ihn zum Verfolger machte und sein Ohr dem Zeugnis der Christenheit verschloss. Sein Gottesdienst galt damals dem Gesetz. Auch auf diesem Felde waren seine Anstrengungen nicht vergeblich. Ich kam voran im Judentum über viele meiner Altersgenossen hinaus. Wie eine weite Rennbahn tat sich das Leben vor den jungen Israeliten auf. Die Satzung der Väter steckte das Ziel, und miteinander wetteifernd, strebten sie demselben zu. Wer kennt die Überlieferung am besten? wer hält sie am getreuesten? wer ist der pünktlichste in allen Ordnungen Gottes und in seinem Wandel stets ganz korrekt? wem kam niemals auch nur die geringste Verlegung eines Sabbats nachgewiesen werden? wem fällt niemals eine Übertretung der Speiseordnung zur Last? wer ist der genaueste und freigebigste im Zehnten? usw. Mit den Alten konnte man sich nicht vergleichen. Sie waren die Meister in der Kenntnis der Satzung und deren längst erprobte Praktiker. Mit der langen Reihe ihrer Verdienste kann kein jüngerer wetteifern. Aber an den Altersgenossen misst man sich: wie weit haben sie's gebracht und wie weit ich? Solche Prüfungen fielen für Paulus ermutigend aus. Er durfte sich sagen: ich bin vielen voran. Der Eifer der andern war lauer; sie wurden müde, wo er zur Arbeit im Gesetzesdienst frisch und munter blieb. Ihre gesetzliche Vollkommenheit war mangelhafter und er unter ihnen der Korrekteste. So wuchs sein Mut. Gott gab ihm Gelingen auf seiner Bahn. Die Hoffnung kam ihm nah, ein Leben führen zu können, das ein Muster der Gesetzestreue sei in aller Heiligkeit.

Es trieb ihn ein starker Eifer für meine väterlichen Überlieferungen. Nichts ging dem Israeliten über die „Väter“. Sie sind die heilige Autorität, auf die man blickt. Gott ist der Väter Gott, der Bund und das Gesetz den Vätern erteilt, die Verheißung den Vätern verliehen. Die Väter sind die Weisen, welche die Schrift durchforscht und ihren Inhalt wohlbedacht in ihren Satzungen erläutert haben. Zu bleiben bei dem, was die Väter geordnet haben, ist die höchste Tugend und der glänzendste Ruhm. Ihre Überlieferungen sind ja meine väterlichen Überlieferungen. So griff ein rechter Jude nach dem, was ihm die Väter hinterlassen hatten, und zog es an sich. Dieser Eifer verschloss Paulus das Ohr für das Evangelium. Als der Weg Gottes galt ihm das Gesetz. Gottes Wohlgefallen ruht auf dem, der das Gesetz hält; ihm werden Gottes Reich und Gaben zugeteilt. Da war kein Raum für einen neuen Bund in dem Gekreuzigten. Was glauben heißt, und im Glauben die Gerechtigkeit haben, das fasste Paulus damals nicht. Gott allein hat ihn auf eine neue Bahn gestellt.

Die jüdischen Leute können nicht sagen, Paulus verstehe ihren Eifer nicht. Er kennt das alles recht gut und hat das auch getrieben. Welch eine Macht in den Worten liegt: „Gesetz Gottes, den Vätern gegeben“, „väterliche Überlieferung“, welch einen Reiz die eifrige Übung der Satzung gewährt, wie lockend es ist, sich über die trägen unfrommen Menschen zu erheben durch den korrekten Wandel nach dem Gesetz, das weiß er alles ebenso gut als sie. Er hat das einst eifriger getrieben als die, welche ihm jetzt mit dem Gesetze widerstehen. Sie sind nur halbe Juden, er war es ganz. Ihr Eifer ist geknickt, innerlich unwahr und künstlich aufgetrieben, sein Eifer war aufrichtig und ernst. Sie mögen an ihm sehen, wohin ein rechtschaffener Eifer für das Judentum führt, weg von Christo, hinaus aus seiner Gemeinde, in die Reihe derer, welche Christum verfolgen und seine Gemeinde zerstören. Dorthin gehören solche jüdische Eiferer und nicht in die Christenheit hinein. Sie sollen aber auch wissen, warum er sich mit diesen Dingen jetzt nicht mehr abgibt. Das tat er, ehe er Christum kannte, als er ihn verfolgte. Eben aus seinem Judentum heraus hat ihn Gott zu Christo bekehrt, und ihn dadurch zum Evangelium gebracht, dass er ihm seinen jüdischen Eifer als Irrweg erwies und nahm.

Nun sagt uns Paulus, wie es zu seiner Bekehrung kam, V. 15. Den letzten Grund derselben bildet Gottes Wohlgefallen. Fragen wir ihn: wie bist du denn Christ und Apostel geworden? so antwortet er: so gefiel es Gott wohl; es war Gottes Wille und Beschluss. Im Willen Gottes lässt er seine Gedanken ruhen. In sich selbst kann er den Grund nicht suchen. Hier regiert ein freies Walten Gottes, das Gott bei sich festgestellt hat in seiner eignen Weisheit und Güte, vor dem sich Paulus dankbar beugt.

Dieses göttliche Wohlgefallen hat sein ganzes Leben von Anfang an regiert: Gott hat ihn ausgesondert vom Schoße seiner Mutter her. Sein Elternhaus mit seinem jüdisch frommen Sinn, seine Verpflanzung nach Jerusalem, sein Studiengang, sein Emporwachsen in die Reihe der Schriftgelehrten, sein Eifer im Dienst Gottes nach dem Gesetz, ja auch seine Berührungen mit der Christenheit und sein Kampf gegen sie, das alles waren Mittel zu dem Ziel, zu dem ihn Gott bestimmt hatte. Das ist im Rückblick des Apostels auf seinen Lebenslauf der ergänzende Gedanke zu dem, was er V. 13 ausgesprochen hat. Dort kommt heiß und laut die Neue zum Wort, die er nicht löschen und stillen kann noch will; sie ist ja seine Kraft. Sie hindert ihn aber nicht, mit der tiefsten Dankbarkeit auf seinen Lebensgang zurückzusehen, weil ihm derselbe überall Gottes Leitung offenkundig macht. Gottes Auge ist nicht von ihm gewichen, Gottes Hand hat ihn mit jedem Schritt auf der besonderen hohen Bahn erhalten, an deren Ende die apostolische Berufung stand. Seine Bekehrung ist ein Wunder Gottes und doch mit seinem ganzen Lebenslauf im engsten Zusammenhang und dessen wohl vorbereitetes Resultat. Freilich nicht er selbst hat diese Vorbereitung hergestellt. Er wusste gar nichts von dem Ziel, dem dies alles diente. Erst jetzt, wo er am Ziele steht, sieht er, wie Gottes Wohlgefallen seinen ganzen Gang gestaltet hat.

Wie kam nun der entscheidende Moment? Dadurch dass Gott ihn rief. Da werden wir an das Erlebnis bei Damaskus zu denken haben. Dort drang nun Gottes Ruf an sein Ohr aus Christi Mund. Durch seine Gnade rief er ihn. Wenn Gott an den Verfolger seiner Gemeinde kein Strafwort richtet, sondern den einladenden Ruf, der ihn mit Gott in den Frieden stellt und an seinen Gaben ihm Anteil gibt, so ist das freilich Gnade. Nichts kann die Wurzel einer solchen Berufung sein, als die aus dem Erbarmen emporsteigende und durch die Sünde durchbrechende göttliche Gnade. Das gibt dem Leben des Apostels seinen besonderen Charakter, dass Gnade in dieser besonderen Weise der Grund desselben war.

Wir wissen nun, woher das Apostelamt des Paulus kommt. Er ist erwählt durch Gottes Wohlgefallen, ausgesondert von seines Lebens Anfang an, und berufen, als sich sein Leben zu Gott hin wenden sollte. Was war aber bei all dem Gottes Ziel? Er wollte seinen Sohn in mir offenbaren. Das ist die Gabe, welche Gottes Wohlgefallen ihm zudachte und die Aussonderung vorbereitete und die Berufung ihm zuteilte. Das Gesetz Gottes kannte er, auch hatte er schon manches von Jesus gehört durch seinen Verkehr mit der Christenheit. Aber der Sohn Gottes war ihm verborgen, ohne dass er eine Ahnung hatte von seinem Leben und seiner Macht. Nun zeigte ihm Gott denselben. Mit Bedacht hat Paulus gerade hier Jesus den Sohn Gottes genannt. Was Jesus bei Gott und für Gott ist, darauf kommt es an. Jetzt sah er den, der von Gott ausgegangen und mit ihm als seinem Vater in Ewigkeit verbunden ist. Und seine Erkenntnis lebt nun in ihm. Die Erscheinung Jesu, die ihm von oben entgegentrat, war keine vergängliche Gabe, wie wenn ein Licht aufleuchtet mit plötzlichem Strahl und wieder in die Dunkelheit versinkt. Mit dem äußeren Sehen wurde ihm auch ein inneres Sehen geschenkt, ein Offenbarsein Christi in seinem Geist, das ihm den Aufblick zur Herrlichkeit Christi „mit aufgedecktem Angesicht“ bleibend möglich macht, vgl. 2 Kor. 3, 18.

Was ihm gegeben wurde, war nicht bloß für ihn allein bestimmt. In der besonderen Gabe erfasst Paulus nüchtern und ernst die besondere Aufgabe: damit ich ihn verkündige unter den Heiden, V. 16. Gott hat ihn zum Empfänger der Gnade gemacht, damit er ihr Werkzeug sei. Und wie er in der Gabe vor den andern ausgezeichnet ward, so hat er auch eine Arbeit zu tun, die den andern Aposteln nicht oblag. Ihm ist speziell der Dienst Christi unter den Heiden zugewiesen. Hierin findet Paulus den Schlüssel zu allem, was ihm Gott Sonderliches verliehen hat.

Die Art, wie Paulus hier von seiner Bekehrung spricht, ist in ihrer schlichten, knappen Einfachheit überaus schön. Eine wunderbar geordnete, fest und klar gewordene Seele tut sich in diesen Worten kund. Schlicht und aufrichtig ist seine Reue in der Erinnerung an seine Verirrung, schlicht und tief auch seine Dankbarkeit im Rückblick auf seinen Lebensgang. Klar und fest spricht er von der unvergleichlichen Gabe, die ihm zuteil geworden ist; klar und fest erfasst er zugleich den Auftrag, der mit ihr verbunden ist. Da mischt sich kein hohler Ton ein, kein Bombast, keine Künstelei, keine ungezügelte Regung der Seele. Sie ist unter Gott gestellt und damit zur Ruhe und Ordnung gebracht.

Und als er nun Christus kannte, sofort machte er sich ans Werk. Da gab es keinen leeren Zwischenraum, keine Zeit des Schwankens und Besinnens: was soll ich tun? will ich oder will ich nicht? Er war zum apostolischen Werk vollständig ausgerüstet. Er wusste, dass Jesus der Christus ist und der Glaube an ihn Gerechtigkeit und Leben hat, und der Auftrag, ihn den Heiden zu verkündigen, lag vor ihm. Was sollte er noch zögern? Ohne Zögern glaubte und gehorchte er. Hätte er sich zuerst bei den Menschen erkundigen sollen, ob Gottes Offenbarung Wahrheit sei? und die Menschen um Erlaubnis bitten sollen, ob er dem Auftrag Gottes gehorchen dürfe? „Ich legte es nicht auch noch Fleisch und Blut vor.“ Er war gewiss, dass Gott ihn erleuchtet und berufen hatte; in dieser Gewissheit handelte er.

Fleisch und Blut nennt er hier den Menschen, weil er ihn Gott entgegensetzt. Neben Gott ist der Mensch nichts. Unter diesen Titel befasst er auch Petrus und Johannes, die Apostel und Gemeinde in Jerusalem. Damit geschieht ihnen an ihrer Ehre kein Abbruch. Nur das liegt in diesem Wort, dass Paulus Gott für größer achtet als Petrus, dass Gottes Wort nicht erst der Bestätigung der Apostel bedarf und nicht erst durch sie zur Wahrheit wird, dass Petrus Gottes und Christi Bote ist, und darum da nichts zu sagen hat, wo der Herr selbst in anderer Weise geredet hat. Sollte Paulus etwa nach Jerusalem zu Petrus und Johannes reisen und ihnen berichten: Gott hat mich berufen, was meint ihr dazu? Was anders hätte ihm Petrus sagen können, als: glaube dem, was dir Gott offenbart, und gehorche dem, was dir Gott befiehlt? Paulus gab Gott die Ehre und ließ nicht auch noch den Menschen reden, nachdem Gott geredet hat, sondern war in dem, was ihm von oben gegeben war, beruhigt und gewiss.

Petrus konnte ihm freilich viel Lehrreiches mitteilen von Jesu Worten und Taten, aus der Geschichte seines Leidens und Auferstehens und aus den Erlebnissen der ersten Gemeinde. In den Erinnerungen an Jesu Wandel auf Erden bestand das besondere Besitztum der ersten Jünger, das ihren Dienst der Kirche unentbehrlich machte. Hätte Paulus die Absicht gehabt, Petrus zu verdrängen oder es ihm gleichzutun, so hätte er sich eifrig um diese Kenntnis bemühen müssen. Dergleichen kam nie in das Herz des Apostels. Er hat nicht nach der Gabe des Petrus gestrebt, sondern mit der ihm selbst verliehenen Gabe Jesu gedient, und wollte nicht tun, was Petrus konnte, sondern das, wozu er selbst vom Herrn befähigt war. Gott hatte ihm gezeigt, dass Jesus der Christus ist, Gottes Sohn, gekreuzigt für uns und auferstanden für uns. Dieses jedermann zu bezeugen, bildete sein Amt, zu dem er keinen Menschen nötig hatte. Was ihm an Kenntnis aus der Geschichte Jesu und der ersten Gemeinde zukam, hat er sicherlich nicht gering geschätzt, sondern gesammelt und an seinem Ort benutzt. Aber sein Apostelamt stand nicht hierauf.

Er erinnert an den Ort seiner ersten Tätigkeit. V. 17. Es war für den Anfang seiner apostolischen Arbeit von Wichtigkeit, dass ihm Jesus nicht in Jerusalem, sondern bei Damaskus erschienen ist. Er war dadurch schon räumlich von den älteren Aposteln getrennt und es konnte kein Verkehr mit ihnen statthaben. Von Damaskus dehnte er seine Arbeit auf die anstoßenden Gegenden aus, nach Arabien, wobei wir an die Landschaften zwischen dem Jordan und dem Wüstenrand zu denken haben. Dass er nicht allzu weit nach dem Süden ging, ergibt sich daraus, dass er wieder nach Damaskus zurückkehrte.

Ob dieser Erstlingsarbeit verstrichen drei Jahre, und noch hatte er niemand aus dem Apostelkreis gesehen. Nun aber ging er nach Jerusalem. Wir wissen aus der Apostelgeschichte 9, 23 ff., vgl. 2 Kor. 11, 32, dass diese Reise nicht auf einem freien Entschluss beruhte, sondern dadurch veranlasst war, dass ihm in Damaskus die Arbeit unmöglich wurde. Der Hass gegen ihn war so gestiegen, dass man die Tore bewachte, um ihn zu fangen. Über die Mauer hinweg verließ er die Stadt. Seht, da er aus seinem bisherigen Arbeitsfeld vertrieben war, jetzt freilich wollte er Petrus kennen lernen. Paulus bewegt sich gegenüber den älteren Aposteln in freier Unbefangenheit. Er war nicht an sie gebunden, so dass er auf ihre Zustimmung und Anweisung warten musste, er hat sein Werk ohne sie begonnen. Aber ebenso wenig mied er sie absichtlich', als hätte er ein böses Gewissen oder als schätzte er sie gering. So lange er in Damaskus arbeiten konnte, blieb er von Jerusalem weg. Als er Damaskus verlassen musste, stand es unter seinen Wünschen vorne an, den Petrus zu sehen.

Wie wenig er seine Selbständigkeit durch diesen Besuch verloren hat, zeigt sich aus dem Verlauf desselben.

Schon dass er erst nach drei Jahren nach Jerusalem kam, schließt jeden Verdacht aus, als habe ihn innere Unsicherheit zu Petrus getrieben, um Unterweisung von ihm zu holen. Sodann hat sein Besuch bloß fünfzehn Tage gedauert. Das war nun freilich nicht bloß die Folge der eigenen Entschließung des Apostels. Er war auch in Jerusalem nicht müßig geblieben und dies brachte ihn sofort in Lebensgefahr. Vor einem Mordanschlag der Juden wich er aus der Stadt. Es ist für Paulus sehr bezeichnend, dass er weder bei der Abreise aus Damaskus; noch bei derjenigen aus Jerusalem auf die Gefahr hindeutet, durch die er hindurchgegangen ist. Er prunkt nicht mit seinen Kämpfen und Leiden. Man kann seinen Worten nicht entnehmen, wie mutig er in den Synagogen den Kampf für Jesus bestand, wie wenig er dabei seines Lebens schonte. Der Grund, weshalb er die Stadt so bald verlassen musste, ist für seinen Zweck nebensächlich. Es kommt ihm darauf an, dass sein Besuch nur von so kurzer Dauer war. Sodann hebt er hervor, dass er damals nur Petrus und Jakobus und keinen andern Apostel sah. Was ihn hieran hinderte, ob niemand von den Aposteln in Jerusalem war, oder ob dies mit seiner plötzlichen Abreise zusammenhängt, das wissen wir nicht. Aber es tut auch dies kund, wie sein Weg abseits von der Christenheit von Gott geleitet ward. Er stand schon lange in reicher ausgebreiteter Wirksamkeit, ehe er mit der Mehrzahl der Apostel persönlich zusammentraf. In all dem steht er von den Menschen unabhängig da. Wäre ihm eine längere Frist in Jerusalem beschieden gewesen, so hätte er sie dankbar ausgenügt. Hann er nur einige Tage daselbst verweilen, so betreibt er sein Apostelwerk auch so. Hätte er die andern Apostel auch gesehen, so hätte er sich dessen gefreut. Traf er sie nicht, so war dies kein Hindernis auf seinem Wege. Er bedurfte die Menschen nicht.

Das sind Dinge, die er nicht beweisen kann, für welche die Leser auf sein Zeugnis angewiesen sind. Darum beruft er sich auf Gott, vor dem er spricht. Es soll ihm hier niemand einen Zweifel anhängen und sagen: es scheint uns unglaublich, dass du so selbständig und allein auf Gott gestellt zum Apostelamt gekommen bist; du erzählst das wohl, doch wer will untersuchen, ob es sich so verhält nein! so ist's geschehen und Gott ist Zeuge. Auch mag manches über die Anfänge des Apostels von den Juden erdichtet worden sein, was der Wahrheit nicht entsprach und was er mit seinen bestimmten Mitteilungen widerlegen will. Mit seinem Eid dämpft er jeden Widerspruch. Darauf hat ihn seine Arbeit in die Weite geführt. Cilicien mit Tarsus und Syrien mit Antiochien wurden sein Arbeitsfeld, und die Berührung mit der jüdischen Christenheit blieb zunächst auf jenen kurzen Besuch beschränkt. Nur sein Name war ihr wohlbekannt. Und damals war noch kein Argwohn und keine Missstimmung gegen ihn erwacht. Damals freute man sich in Judäa seiner. Dass Gott den Verfolger zum Verkündiger des Glaubens an Jesus gemacht habe, das war für die Gemeinden ein großes und erfreuliches Erlebnis; darob pries man Gott.

So fällt bei den Anfängen seines Apostelamts den Menschen keine Rolle zu. Mit Gott hat er sein Werk begonnen, gestützt auf das, was Gott an ihm getan hatte.

Gal. 2, 1-10. Wie Paulus in Jerusalem Anerkennung fand.

Im Anfang seiner Apostelarbeit stand Paulus ganz allein, ohne mit den Männern in Jerusalem verbunden zu sein. So konnte es nicht immer bleiben. Es kam die Zeit, wo es notwendig ward, dass sie sich gegeneinander aussprachen und ihr Verhältnis zueinander deutlich regelten. Paulus hat später getan, was er in den Anfängen seiner apostolischen Arbeit nicht getan hat, und sein Evangelium den älteren Aposteln vorgelegt, damit sie über dasselbe ihr Urteil vor der Kirche abgeben. Er ist auch damals von den Menschen nicht abhängig geworden, vielmehr hat sich seine von Gott ihm verliehene Selbständigkeit aufs Neue bewährt. Er erzählt uns zuerst den Anlass, der ihn später bewogen hat, sich an die Apostel zu wenden, V. 1-5, und sodann, was die Frucht dieses Schrittes war, V. 6-10.

Der Beweggrund, welcher Paulus zu dieser Reise nach Jerusalem trieb, wird uns V. 4 genannt. Paulus stand in einer reichen, großen Freiheit und leitete auch die Gemeinden zu derselben hin. Frei war er im Gebrauch der Natur und hat nichts an derselben für unrein geachtet, sondern alles zum Guten mit Danksagung gebraucht. Freiheit hatte er im Verkehr mit den Menschen, weil es für ihn hier keine trennenden Unterschiede gab. Er wies sie alle in dieselbe Stellung vor Gott in der Sünde und in der Gnade, und verband alle in derselben Berufung zu Christo. Frei war er weiter vom Gesetz, das neben Christo keine Stelle mehr hat, sondern völlig durch das ersetzt ist, was wir in Christus finden, frei deshalb auch von der Sünde, weil die Gnade Christi ihr übermächtig ist und die Schuld derselben löscht und den Reiz derselben überwältigt in der Kraft des Geistes. Frei wusste er sich darum auch von der Knechtschaft unter den Tod und die Vergänglichkeit, in welcher alles Natürliche steht, da ihm ewiges Leben gegeben ist durch seinen Anteil an Christus, so dass er nicht bloß für irdische, zeitliche, vergängliche Ziele, sondern für Gott lebt und wirkt. So waren überall die Hindernisse, Knechtungen und Ketten, die den Menschen ohnmächtig machen, für ihn abgefallen. Er war inwendig fest erfasst und gehalten von Christus; sein Denken und Trachten war vollständig an ihn gebunden, und dadurch war er aus allem herausgezogen, was das Menschenleben zerrüttet, geschützt gegen alle Feinde seines Heils, und es war ihm Macht gegeben, in der Schöpfung Gottes sich ungehindert zu bewegen und alle Gaben Gottes zu nützen sich zum Guten und zur Dankbarkeit.

Diese Freiheit haben wir in Christo. Wir haben sie uns nicht selbst genommen durch einen eigenmächtigen Griff. Im Hader gegen Gott entsteht stets das gerade Gegenteil der Freiheit. Wer sie begehrt, muss sein Herz fest machen und mit Gott eins, und das geschieht dadurch, dass wir Christum kennen. Ihn hat uns Gott dazu gesandt, damit er uns in die Freiheit stelle. Weil sie aber zu Christi Werk gehört und einen wesentlichen Teil seiner Gabe bildet, konnte Paulus seine Freiheit aus keinem Grunde preisgeben. Wer die Freiheit nicht mag, stößt Christum weg.

Nun war um die Freiheit Streit entstanden. Man hatte Paulus knechten wollen, dadurch, dass man ihm die mosaischen Gebote als unverletzliche Satzung auferlegen wollte. Wir wissen aus der Apostelgeschichte, dass dies in Antiochien geschehen ist, Ap. 15, 1.

Paulus nennt diese Leute nebeneingedrungene falsche Brüder. Er spricht ihnen jedes Recht in der Gemeinde ab. Sie gehören nicht zur Kirche, kennen Christum nicht, haben keinen Glauben zu ihm und stehen in keiner lebendigen Verbindung mit ihm im Geist. Man kann nicht Christum im Glauben ergriffen haben, ohne von ihm befreit zu sein. Sie sind von derselben Art, wie die Verfolger der Kirche draußen in der Judenschaft, nur dass sie nicht mit Gewalt verfahren, sondern mit List, und wie Spione in das eigene Lager der Christenheit sich eingeschlichen haben, um Mittel und Wege zu erkunden, wie man sie um ihr Kleinod bringen könne, um ihre Freiheit und damit um ihre Kraft.

Dieses Urteil zieht scharf den Grundtrieb ihres Herzens aus allen Selbsttäuschungen hervor. Unrecht hat ihnen Paulus damit nicht getan. Sie wollten allerdings auch Christen sein, sprachen auch vom Glauben an Jesus und von der Hoffnung auf ihn, von der Erwartung seines Reichs und dem Empfang der Seligkeit durch ihn. Aber die Hauptsache blieb ihnen doch ihr Judentum und Gesetz. Das zeigte sich darin, dass sie Christo seine Freiheit nicht lassen wollten, selig zu machen alle die an ihn glauben, und zu berufen, wen er will. Er sollte nur Juden selig machen, nur durch das Gesetz hindurch. Darum ließen sie auch den Glaubenden ihre Freiheit nicht, volles Genüge in Christo zu finden und auf nichts ihr Vertrauen zu setzen, als auf ihn allein. Sie sollten vor allem ans Gesetz gebunden sein. Damit erwiesen sie, dass ihnen nicht Christus, sondern das Gesetz als ihr Heiland, als ihr Band mit Gott, als der Träger und Mittler seiner Gaben galt. Der alte Judengeist war nicht ausgetrieben, sondern trat in ihnen mitten in der Gemeinde auf.

Sie stießen in Paulus auf einen harten Felsen, der sich nicht brechen ließ. Mochten sie noch so laut rufen: Gottes Gesetz, Gottes Gesetz, unwandelbare Satzung des Herrn, Sakrament seines ewigen Bundes, bleibendes Zeichen seiner Erwählung usw.: Paulus hielt unerschüttert bei der Freiheit in Christo Wacht. Forderten sie, dass der Sabbat gelte, so hielt er ihn nicht. Verlangten sie die reine Speise, so achtete er nichts für gemein. Wollten sie die Beschneidung haben, so nannte er die Glaubenden mit samt ihrer Vorhaut Christi Eigentum.

Und doch konnte Paulus so nachgiebig und fügsam sein, man lese 1 Kor. 8, Röm. 14, und in unserem eigenen Brief 5, 26-6, 5. Es sind die zartesten Mahnungen zur Nachgiebigkeit, zur Rücksicht auf das Urteil der andern, zum Verzicht auf das eigene Recht und die eigene Freiheit. Ja auch vom Glauben sagt er, dass wir ihn nicht hervorkehren und andern aufdringen sollen: hast du Glauben, so habe ihn für dich selbst bei Gott. Warum wich er dagegen diesen Männern nicht einen Augenblick? Damit die Wahrheit des Evangeliums bei euch bleibe. Paulus dachte an seine Heidengemeinden. Was sollte aus ihnen werden, wenn das Evangelium nur noch ein Anhang zum Gesetze war? Damit ging ihnen die im Evangelium enthaltene Wahrheit verloren. Nur ein Schein desselben blieb ihnen noch, eben jenes „andere Evangelium“, Kap. 1, 6, welches nichts als Verkehrung des Evangeliums Christi ist. Wo aber Gottes Wahrheit auf dem Spiele steht, da gelten alle andern Rücksichten nichts. Die Freiheit, in der Paulus stand, hat manchen ängstlich und besorgt gemacht. Gegen alle Ängstlichen war Paulus voll schonender Rücksicht; er hielt das Band der Gemeinschaft mit ihnen mit hingebender Sorgfalt fest. Sie waren keine falschen Brüder, sondern mochten sie noch so schwach sein, echte rechte Brüder, denen alle Liebe zu erweisen war nach Christi Art. Aber gegen die trotzigen Geister, die nicht nur selbst die Freiheit nicht hatten, sondern sie auch andern rauben wollten, fürchtete er keinen Kampf.

So scheiterte der erste Anlauf der falschen Brüder und sie konnten ihre Absicht nicht ausführen. Aber sie gaben deshalb ihre Meinung nicht auf und lästerten die Freiheit des Paulus und der Heiden. So war in den Gemeinden Zank. Dies trieb Paulus nach Jerusalem. Jetzt wandte er sich an die dortige Gemeinde und zumeist an die dortigen Apostel. Jetzt sollen auch sie reden und unzweideutig in dieser Sache Stellung nehmen. Sie sollen mit ihm die Freiheit in Christo schützen und die falschen Brüder abweisen.

Es lag ihm speziell an denen, die das Ansehen hatten, V. 2 vgl. 6 und 9, an Petrus, Johannes und Jakobus. Er nennt sie hier nicht Apostel Jesu, sondern die Geltenden, die den Namen, Schein und Titel haben. Er spricht offenbar mit Unwillen und Tadel, aber nicht gegen Petrus und Jakobus, sondern gegen die, welchen die Wahrheit des Evangeliums nichts galt, wenn Paulus sie ihnen vorlegte, es sei denn, dass sie auch Petrus bestätigte, gegen die, welche über die Freiheit in Christo murrten, bis sie Petrus schweigen hieß, während sie Paulus nicht zum Schweigen bringen konnte, weder mit seiner apostolischen Vollmacht, weil sie die Sendung Christi in ihm verachteten und weit geringer schätzten, als das Ansehen des Petrus, noch durch die Darlegung der Allgenugsamkeit der Gnade Christi und der Vollkommenheit seiner Erlösung, weil sie das Evangelium nicht fassten noch glaubten. Solche unterwarfen sich nicht Christo und der Wahrheit seines Worts, sondern dem Petrus und Jakobus und ihrem Ansehen. Das war für sie der Zügel, den sie respektierten. An den Menschen hingen sie.

Eben dieses knechtische Hängen an Petrus und Jakobus nötigte Paulus die Sache nach Jerusalem zu ziehen. Er kam nicht zu Petrus als zum Apostel Jesu, um zu erfahren, was der Wille Christi sei, er war des Willens Christi gewiss; sondern die, welche das Ansehen hatten, suchte er auf. Er wandte sich an sie als an die vielgeltenden Männer, deren Wort in der ganzen Kirche gehört wurde und die Widersprechenden zum Schweigen nötigte, die Schwankenden befestigte und den Streit dämpfte. Für Paulus war diese Reise ein Weg der Demut und Nachgiebigkeit. Er stellte sich damit zu denen, die nicht das Ansehen haben, um der Schwachen willen, die sich durch die falschen Brüder verwirren ließen. Warum galt ihnen Petrus mehr als Paulus? Warum glaubten sie dem Evangelium nicht, wenn es Paulus verkündigte, wohl aber, wenn es Petrus bestätigte? Die Gründe hierzu waren nicht geistlicher Art. Aber die Gefahr war in jenem Augenblick für die Kirche groß, und die Gründe, die Paulus zu diesem Schritte trieben, dringend: damit ich nicht vergeblich laufe oder gelaufen sei.

Was sollte aus seiner ganzen Arbeit werden, wenn die Einigkeit unter den apostolischen Männern nicht unzweifelhaft ans Licht trat? Paulus und Petrus waren bisher selbständig ihre eigenen Wege gegangen; aber nun musste es offenbar werden, dass der einige Christus beide in dieselbe Wahrheit und Freiheit geführt hatte, und die Stunde war da, wo sie einander die Hand reichen und Petrus das selbständig herangewachsene Werk des Paulus ausdrücklich anerkennen und ihm zustimmen musste. Hätte Petrus jetzt sich von Paulus getrennt oder gar ihm widersprochen, hätten sich die Apostel unter sich nicht geeinigt so wäre die ganze Arbeit des Paulus, nicht nur seine künftige, sondern auch seine bisherige, umsonst gewesen; dann baute er und andere rissen ein und alle seine Bemühungen wären am Zwiespalt der Apostel in nichts zergangen. Es hätte für die Kirche kein größeres Unglück geben können, als eine Entzweiung zwischen Petrus und Paulus. Man erwäge, wie hinderlich der Zwist zwischen Luther und den Schweizern für die Reformation geworden ist. Nun haben aber die Reformatoren für die Reinigung der Kirche eine ungleich geringere Bedeutung gehabt als die Apostel für die Gründung derselben. Sie standen ja nicht als Apostel da, nicht als Boten Christi in göttlichem Auftrag. Hätte ein Apostel dem andern widersprochen, das wäre der Ruin der Kirche gewesen. Paulus sagt sicherlich kein Wort zu viel.

Die Sprache des Paulus zeigt, dass es damals noch nicht jedermann offenbar war, wie sich Jakobus, Petrus und Johannes zu den Heidengemeinden stellten. Die falschen Brüder werden Paulus eifrig vorgeworfen haben, er stehe im Widerspruch mit den Aposteln in Jerusalem; in Jerusalem halte man das Gesetz, in Antiochien nicht; in Jerusalem sei der Sabbat heilig, in Antiochien entweihe man ihn; in Jerusalem kenne man nur beschnittene Gläubige, in Antiochien habe man auch unbeschnittene; in Jerusalem denke niemand daran, sich von Israel zu trennen, in Antiochien habe man sich von der jüdischen Gemeinde separiert; das widerspreche der Lehre der Apostel. Die Apostelgeschichte hat uns überaus schön dargestellt, wie ruhig und nüchtern und natürlich die erste Gemeinde herangewachsen ist. Sie machten keine weit aussetzenden Projekte und stellten nicht Lehren auf, die keine praktische Veranlassung und keine Beziehung zu ihrer Aufgabe hatten. Schritt um Schritt, wie Gott es fügte und die Dinge sich gestalteten, ging man voran. Petrus und die andern Apostel waren von Jesus nach Jerusalem gewiesen; dort blieben sie und waren als die Glieder ihres Volks allen Ordnungen des Gesetzes untertan. Darin waren sie äußerlich den falschen Brüdern ähnlich, weshalb sich diese auf sie berufen konnten. Sie hatten auch beides: das Gesetz und Christus, den Gottesdienst Israels und den Glauben an den Gekreuzigten und Auferstandenen. Aber ihr Unterschied von den falschen Brüdern bestand in der Weise, wie sie beides nebeneinander übten und zusammenordneten, nicht so wie diese, dass sie Christum dem Gesetz nachsetzten, sondern so, dass ihr Glauben und Hoffen wahrhaftig und ganz auf Christo stand. Ihn predigten sie und nicht das Gesetz; in ihm suchten sie Gottes Gnade und nicht in ihrem Gesetzesdienst; von ihm erwarteten sie den Eingang ins Himmelreich und nicht von ihrem Judentum. Die Ähnlichkeit mit den falschen Brüdern war äußerlich, die Trennung von ihnen innerlich; umgekehrt war der Unterschied von Paulus äußerlich und ihre Gleichheit mit ihm innerlich, und diese inwendige Einheit zwischen Petrus und Paulus musste nun offenbar werden für die ganze Christenheit.

Diese Besprechung mit den Aposteln in Jerusalem fand erst lange Zeit nach der Berufung des Paulus statt, 14 Jahre nach seinem früheren Besuch in Jerusalem, nachdem er allein ohne die Bestätigung der Apostel in Jerusalem sein Werk schon weit aufgebaut und bis tief ins Innere Kleinasiens hinein ausgedehnt hatte. Auch vertrat er die Sachen der Heidengemeinden nicht allein, sondern mit ihm ging Barnabas als Zeuge und Vertreter desselben Evangeliums und derselben Freiheit, die Paulus besaß. Zugleich nahm Paulus den Titus mit; aus welchem Grunde er dies tat, zeigt Vers 3. Titus war ein gläubiger Heide ohne Beschneidung. Paulus stellte also die Gemeinde in Jerusalem gleich auch praktisch vor die Frage, wie sie sich zu den gläubigen Heiden stellen wolle. Er führte einen solchen in ihre Mitte. Wurde er brüderlich aufgenommen, so war die ganze Heidenkirche in Jerusalem anerkannt; wäre von ihm die Beschneidung gefordert worden, dann freilich war der Riss in der Kirche da.

Das alles tat Paulus nicht ohne bestimmte göttliche Weisung. Er zog aus einer Offenbarung hinauf, V. 2. Es leiteten ihn nicht nur seine Erwägungen, wie nötig gerade jetzt das Einverständnis mit Petrus sei, und nicht nur die Beschlüsse der Antiochenischen Gemeinde, welche die Sache gerne in Jerusalem entschieden sah, sondern er empfing auch Gottes Weisung und Zusage: eben jetzt sei der rechte Moment zu diesem Schritt. So konnte er getrost nach Jerusalem gehen und Titus zuversichtlich mitnehmen. Er wusste, dass Gott ihm den Weg daselbst bereitet hatte und bei dieser wichtigen Wendung der Dinge die Hand schützend über der Kirche und seinem Apostelwerke hielt.

Seine Hoffnung hat ihn nicht getäuscht. Wie er von der Sorge spricht, die ihn damals bewegte, dass am Zwiespalt in der Kirche seine Arbeit untergehen könnte, fügt er gleich bei, dass das Ergebnis ein anderes war. Die Apostel in Jerusalem haben sich samt der dortigen Gemeinde von den falschen Brüdern getrennt. Titus wurde nicht genötigt sich beschneiden zu lassen, V. 3. Vielleicht hätte mancher Mann in der Gemeinde es gern gesehen, wenn er Israel beigetreten wäre, aber gefordert wurde es nicht. So stand denn der unbeschnittene Titus wegen seines Glaubens an Jesus unter der jüdischen Christenheit als ihr Bruder, wie sie Sohn Gottes und Erbe Christi, derselben Gnade gewürdigt und zur selben Hoffnung berufen wie sie.

Eingehender erzählt uns Paulus den Erfolg jener Besprechung in V. 6-10. Die Apostel in Jerusalem haben ihm zugestimmt. Er legte ihnen sein Evangelium vor und sie legten ihm nichts vor, was zu demselben als ein Zusatz hinzugekommen wäre, wie die falschen Brüder zum Glauben an Christus auch noch die gesetzlichen Forderungen hinzutaten. Sie haben an der Ordnung der Heidengemeinden, wie er sie getroffen hatte, nichts geändert. Was sie von denselben als Erweis und Frucht ihres Glaubens forderten, das forderte er auch; was Paulus dagegen bestritt, das haben auch sie nicht gefordert. Über Art und Wesen eines rechtschaffenen Christenstands waren sie einig. Vom Gesetz war keine Rede, als wäre es Christenpflicht. Es blieb für die Gemeinden alles so, wie es durch des Paulus Predigt und Weisung geworden war. So schlug der Versuch der jüdischen Eiferer, die Gemeinden jüdisch zu machen, in sein Gegenteil um; denn ihre Freiheit war nun durch das Zeugnis aller Apostel festgestellt. Es war kein Riss zwischen den apostolischen Männern entstanden und auch die apostolische Selbständigkeit des Paulus war durch diese Reise und Verhandlung nicht verdunkelt, sondern hell ins Licht gestellt, denn mit der Zustimmung zu seinem Evangelium ging die ausdrückliche Anerkennung seines Apostelamtes Hand in Hand.

Es war ein großer Schritt, den die Apostel in Jerusalem damit vollzogen, weil es für jeden Juden eine schwere Sache war, über das mosaische Gesetz hinwegzugehen. Allerdings hatte man bei diesen Beschlüssen zunächst nur die Heiden im Auge. Aber auch den Heidengemeinden konnten sie die Freiheit vom Gesetz nicht zugestehen, wenn sie nicht eine innere Lösung und Erhebung über das Gesetz erworben hätten, dadurch dass sie etwas Größeres kannten, als das Gesetz, worüber ihnen dieses zur Nebensache geworden war. Petrus hat viel gelernt seit jenem Tage, da er in Joppe der göttlichen Aufforderung mit lebhaftem Widerwillen antwortete: niemals kam etwas Unreines in meinen Mund! Nun stand ein Heidenapostel vor ihm, dem das Gesetz gänzlich dahingefallen war, und eine Heidenchristenheit, die sich Israel nicht gleichförmig machte, und er erkannte jenen als Apostel und diese als Christi Gemeinde und vollzog fest und mutig die Einigung mit ihr, ob er auch damit das Ganze für das Gesetz eifernde Israel wider die Christenheit erbitterte und in den Augen aller Pharisäer seinen Abfall von Gott und seinem Wort vollends an den Tag brachte. Es kam an diesem Tage vieles zur reifen Frucht, Jesu eigene Unterweisung und die Freiheit, mit der der Herr selbst über die Satzung hinweggegangen war zum Dienste Gottes in Geist und Wahrheit, sodann die schwere Schule des Kreuzes und der bitteren Erfahrungen von Israels Unglauben, welche gezeigt hatten, dass gerade der Gesetzesdienst Israel fern halte von Christo und von Gott, vor allem aber die reichen innerlichen Erweisungen der Gnade und Größe Christi, die sie in lebendiger Buße vor ihm gebeugt und zum dankbaren Glauben an seinen Namen erhoben hatten, so dass ihnen derselbe über alles teuer geworden war und sie ihn auch im Heiden höher schätzten als alles, was Israels Ruhm gewesen war.

Hier, wo Paulus von der Zustimmung redet, die sein Evangelium bei denen gefunden hat, die das Ansehen haben, erklärt er zugleich mit den stärksten Worten, dass auf ihr Ansehen gar nichts ankomme, V. 6. Er will jenem Hängen an den Menschen, welches spricht: ja wenn es Petrus gesagt hat, dann freilich ist es sicher! keinen Vorschub bieten, auch jetzt nicht, wo er zu erzählen hat, dass Petrus sein Apostelamt bestätigt hat. Es soll der Schein völlig vermieden werden, als ob das Evangelium erst durch Petrus wahr, gültig und glaubhaft geworden sei. Darum erklärt er: an ihrer Person liegt nichts, und er dehnt dies ausdrücklich auf den Punkt aus, aus welchem das Ansehen des Petrus und der andern Apostel floss, auf das, was sie dereinst gewesen sind. Auch das macht keinen Unterschied. Dereinst waren sie die Begleiter Jesu, die Zuhörer seiner Predigt, die Zeugen seiner Wunder, seines Todes, seiner Auferstehung, die ersten Verkündiger des Evangeliums. Das alles, sagt er, kommt hier nicht in Betracht und gibt ihrer Person keine besondere Wichtigkeit.

Warum nicht? Gott sieht nicht Person an. Wenn die Schrift dem Richter sagt, er solle nicht Person ansehen, so ist ihm verboten, irgendjemand gegen das Recht zu bevorzugen und Parteilichkeit in seinem Urteil walten zu lassen. Er darf keine Günstlinge haben, sondern soll allen gleiches Recht geben. Der Apostel überträgt das Wort auf Gott und sagt damit, dass auch er niemand zu seinem Günstling macht und nicht mit besonderer Liebe, die zur Parteilichkeit wird, an diesen oder jenen Menschen sich hängt. Die Gleichheit aller Menschen vor Gott ist damit bezeugt. Eine und dieselbe Regel Gottes steht über allen. Ein und dasselbe Antlitz kehrt Gott allen Menschen zu.

An niemand, und ob es Petrus, Johannes oder Jakobus sei, hat sich Gott gebunden, so dass man sagen dürfte: was nicht von Petrus herkommt, soll nichts gelten. Petrus wiegt in Gottes Wage nicht mehr als Paulus oder sonst ein Mensch. Es ist hier allzumal kein Unterschied. Das ist das Verderbliche an allem Heiligendienst, dass er Gott unter die Menschen knechtet. Die Heiligen werden Gottes Günstlinge, deren Bitten besonders wirksam sind bei ihm, so dass sie mehr vor ihm vermögen, als andere Menschen, weil sie einen sonderlichen Zugang zu ihm haben. Eben dies rügt hier Paulus an der fleischlichen Verehrung der Apostel.

Es gibt allerdings Unterschiede der Begabung und Berufung. Dass Petrus und Johannes von Jesus zu seinen ersten Jüngern erwählt wurden und die Zeugen seines ganzen Wandels geworden sind, gibt ihnen eine unvergängliche und unvergleichliche Bedeutung für die ganze Kirche und macht sie zu Lehrern und Leitern für alle Gläubigen. Aber diese Wichtigkeit, die sie haben, stammt daher, dass sie Gott in seinem Dienst gebraucht und seine Gaben ihnen verliehen hat. Was uns Paulus hier lehrt, ist dies, dass wir den Menschen lediglich als Gottes Werkzeug zu achten und in dem Apostel nur den Boten Gottes zu sehen haben, durch welchen wir Gott hören. Das Werkzeug bleibt das nebensächliche, unwichtige. Und hierin ändert auch die höchste Höhe der Begabung und Berufung nichts. Und wenn Petrus Jesum vom Jordan bis nach Golgatha begleitet und am Pfingsttag mit neuen Zungen geredet hat und der Fels geworden ist, auf den Jesus seine Kirche baute: an ihm liegt nichts. Die Wahrheit, die er spricht, ist Gottes Wort und die Gnade, die er predigt, Gottes Gnade. Auch folgt daraus nicht, dass Gott alles durch ihn allein ausrichte und nicht neben ihm z. B. auch einen Paulus berufe. Gott wählt und bildet sich seine Werkzeuge frei. Es gilt hier beides: schau den Menschen mit Gott verbunden und unterscheide sie. Schau sie verbunden; denn Gott spricht und wirkt durch den Menschen. Er legt die Ehre, ihm dienen zu dürfen, auf ihn. Das macht den Menschen wichtig, groß, ehrwürdig, doch nicht so, dass er es in sich selber ist, er ist's und wird's durch Gott. Deshalb musst du ebenso wohl zwischen beiden unterscheiden, sonst tritt dir der Mensch an Gottes Statt und es wird eine Art Halbgott aus ihm. Weil Paulus mit dieser trüben Vermischung von Mensch und Gott zu kämpfen hat, die die Ehre, welche Gott dem Menschen gibt, auf diesen selber überträgt, darum betont er scharf den Unterschied, damit wir den Menschen, und sei es Petrus, bleiben lassen, was er ist: ein Mensch.

Wie Luther ganz richtig sagte, dass an ihm nichts liege, da Gott gar wohl zehn Doktor Martin schaffen könne, wie Paul Gerhard rund und schön sagt: „an mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd', was Christus mir gegeben, das ist der Liebe wert,“ so sagt hier Paulus vom allergrößten Beispiel, von Petrus, Johannes, Jakobus: an ihnen liegt nichts. Freilich was Gott ihnen gegeben hat, das ist unendlich groß.

Der Gewinn, den Paulus hieraus zog, war der, dass ihn kein Mensch am eigenen freien Zugang zu Gott verhindern konnte. Er brauchte keinen Menschen als Mittler mit Gott. Er war gewiss: ich habe denselben Gott wie Petrus und dieselbe Wahrheit und Gnade Gottes scheint auch mir.

Bei der Ehre, die ihm selbst widerfahren ist, hebt Paulus sorgsam dasjenige hervor, wofür er Anerkennung begehrt. Es gilt natürlich auch von ihm selbst: Gott sieht nicht die Person an. Aber er ist mit dem Evangelium für die Heiden betraut und Gott ist für ihn wirksam gewesen und hat ihm Gnade verliehen. Das, was ihm von oben anvertraut und gegeben ist, das soll erkannt und geschätzt werden und wurde auch von den Aposteln in vollem Maß gewürdigt. Sie stellten Paulus neben sich als ihnen gleich, sie, die für die Säulen der Kirche galten, als die festen Pfeiler, die sie trugen. Das bewog sie nicht, sich über Paulus zu erheben, sondern weil ihnen seine göttliche Berufung und Ausrüstung zum Apostelamt gewiss und deutlich war, nahmen sie ihn willig in ihren Kreis auf. Die Hand der Gemeinschaft, die sie ihm reichten, war mehr als das Zeichen der brüderlichen Gemeinschaft zwischen Christen in der Einheit des Glaubens und der Liebe. Sie ist hier das Zeichen der Genossenschaft im apostolischen Beruf, der Gemeinsamkeit in der Sendung durch Christus zum selben Werk.

Mit dieser Gleichstellung verträgt es sich vortrefflich, dass jeder seine besondere Arbeit behielt. Sie wollten und konnten nicht alle dasselbe tun und haben dies auch nicht voneinander verlangt; jeder behielt vielmehr sein bestimmt abgegrenztes Arbeitsfeld. Petrus begann nicht sofort die Heidenpredigt und Paulus zog nicht die Leitung der jüdischen Gemeinde an sich. Petrus war überzeugt, dass ihn Christi Befehl nach Jerusalem stelle, weil Israel das Evangelium hören und zu Christus hingewiesen werden sollte. Paulus wusste, dass ihm die Heiden von Jesus überwunden seien. Jeder treibt das ihm aufgetragene Werk und wird hierin von den andern geachtet und geehrt. Eben in dieser Teilung der Arbeitsgebiete lag die volle gegenseitige Anerkennung. Weil sie einander Vertrauen erwiesen und jeder im andern den Apostel Christi sah, der unter des Herrn eigener Leitung steht, darum gewährten sie einander ungeschmälerte Selbständigkeit.

Damit war den jüdischen Eiferern verboten, die heidnischen Gemeinden mit ihren Forderungen zu beschweren; diese sollen ungehindert ihren eignen Weg gehen, und sich nicht von Jerusalem aus regieren lassen. Nur in einem Punkt sollen auch sie der jüdischen Gemeinde dienen und sich nicht weigern, an ihrer Last mitzutragen: sie sollen zur Erhaltung der Armen in Jerusalem mithelfen. Damit war von ihrer Freiheit nichts abgebrochen, dafür aber der Liebe die Gelegenheit gegeben, die Einheit der ganzen Kirche im Glauben an denselben Herrn sichtbar zu machen.

Die jüdische Gemeinde muss schon damals sehr bedrängt gewesen sein. In der dichten Menschenmenge, die sich in Jerusalem zusammendrängte, weil es der Ort des Tempels und die Stadt der Verheißung war, muss sich neben großem Reichtum überaus viel Armut gefunden haben. Und nicht aus den reichen jüdischen Familien, sondern aus den Armen sammelte sich die Gemeinde. Darum sehen wir sie von Anfang an mit der Armut im Kampf. Schon jene großen Taten der Aufopferung, die alles für die Gemeinde hergab, wie sie uns die Apostelgeschichte aus der ersten Zeit der Kirche erzählt, beweisen, dass die Gemeinde schwer mit Armen belastet war. Dazu war seither die Feindseligkeit der Judenschaft gekommen, die manchen aus seiner Familie hinausgeworfen und von seinen Existenzmitteln abgeschnitten haben wird. So sah man sich in Jerusalem verlangend nach Hilfe um, und dies gab Paulus und den Heidengemeinden eine Gelegenheit, ihre Verbindung mit Jerusalem durch ein sichtbares Zeichen stets wieder zu erneuern. Paulus hat dies mit großem Eifer betrieben, vgl. 2 Kor. 8 und 9. Seine letzte Reise nach Jerusalem ist dafür das größte Zeugnis; denn damals hat er Leben und Freiheit an die Ausrichtung dieses Liebesdienstes gesetzt.

So hat diese Reise des Paulus nach Jerusalem ein großes Resultat erreicht. Einmal haben alle apostolischen Männer einstimmig die Heidengemeinden allein auf Christum gewiesen und ihre Freiheit bestätigt. Sodann galt nun Paulus auch in Jerusalem als Apostel und war von den älteren Aposteln ihrem Kreise beigefügt.

Für die Galatischen Gemeinden gab's hier viel zu lernen: dass es eine Torheit sei, am apostolischen Berufe des Paulus zu zweifeln, während doch die Säulen der Kirche ihn anerkannt und die Heiden ausdrücklich ihm übertragen haben, und dass es eine Lüge sei, wenn sie die Apostel gegen einander stellten und Petrus zu lieb das Evangelium des Paulus verwarfen, während doch zwischen den Aposteln kein Zwiespalt bestand und in Jerusalem dasselbe Evangelium gepredigt wurde, das Paulus verkündigte, und auch Petrus für die Heiden keinen andern Weg zu Gott kannte, als den durch den Glauben an Jesum Christ. Dies alles hat auch für uns noch dieselbe Wichtigkeit wie für die Galatische Christenheit.

Gal. 2, 11-21. Worin Paulus stärker als Petrus war.

Petrus hat nicht nur in Jerusalem mit Worten aus der Ferne der Heidenkirche zugestimmt und ihre Freiheit bestätigt, sondern er kam selbst nach Antiochien, trat unter die Heidenchristen und hat durch brüderlichen Verkehr mit ihnen ihren Glauben und ihre Freiheit bekräftigt. Hierbei ergaben sich freilich Schwierigkeiten, die Petrus nicht bedacht hatte. Er kam ins Schwanken, und Paulus fiel die schwere Aufgabe zu, ihm zu widerstehen. Allein Paulus war auch hierzu stark genug. Er leistete Petrus Widerstand mit scharfer Zurechtweisung, V. 11. Er konnte den Gemeinden keinen größeren Beweis für seine innere Sicherheit erzählen. Wenn er von den Gemeinden verlangte, dass sie bei seinem Evangelium bleiben, würde auch ein Engel vom Himmel ihnen anders predigen, so hat er es selbst so gehalten und ist beim Evangelium geblieben - mit Petrus, als dieser mit dem Evangelium einträchtig war - ohne Petrus und gegen Petrus, als dieser von demselben wich. Als Petrus schwach wurde, wurde er nicht schwach, sondern war stark genug, gegen ihn aufzustehen, und ließ die Wahrheit des Evangeliums nicht fahren, sondern hielt sie allen vor, die irre gingen, damit sie sich an ihr zurechtfinden. Ohne Petrus wuchs er hinein in sein Apostelamt; mit Petrus hat er einträchtig das Evangelium gegen die falschen Brüder geschützt. Und nun wurde er sogar noch über Petrus gestellt, so dass er Petrus zur Stütze und Zurechtweisung geworden ist.

Wir müssen ein Herz haben für die Schwierigkeiten, welche den gläubigen Juden aus dem Gesetz erwuchsen.

Reinigkeit und Sabbat waren unzweifelhaft biblische Gebote und durch Gott zum Gesetz für Israel gemacht. Es war eine tief ins Gewissen dringende Frage, wann und wie man dieselben übertreten dürfe. Diese Schwierigkeiten waren für die Juden damit noch nicht erledigt, dass die Heidengemeinden vom Gesetz frei gemacht waren. Sie mussten auch in ihrem eigenen Gewissen ermächtigt sein, als Juden die gesetzlichen Ordnungen zu beseitigen, ohne dass darin Ungehorsam gegen Gott und Verachtung seines Wortes lag. Unfromme Juden gab's zu jeder Zeit, die mit leichtem Herzen das Gesetz zerrissen und Gottes nicht achteten. Aber ein frommer Jude zu sein, in der Furcht Gottes zu stehen, sein Gebot über alles zu ehren, und doch die gesetzlichen Ordnungen zu begraben mit gutem Gewissen und ohne innere Anklage, das war schwer.

In Jerusalem, wo jedermann nach dem Gesetz lebte, lag kein Anlass vor, von den Ordnungen desselben abzugehen; wohl aber wurde dies in den gemischten Gemeinden notwendig, wo Juden und Heiden im engen Band des brüderlichen Verkehrs zusammen lebten. Da konnten die jüdischen Gläubigen die Schranke, welche das Gesetz zwischen Israel und die Heiden setzte, nicht auch gegen die heidnischen Gläubigen kehren, und die Speiseordnung fiel. Das war aber für einen frommen Juden eine ernste Tat, zu der ein festes Fundament nötig war.

Wo Paulus mit seiner Klarheit und Freiheit voranging, da vermochten auch die jüdischen Gläubigen ihm nachzugehen. Er hat alle, Juden wie Heiden, in derselben Weise höher geführt als das Gesetz. Der Heide ist nicht darum vom Gesetz frei, weil er ein Heide ist, sondern darum, weil er in Christo ist und in Christo das lebendige Gesetz seines Lebens hat. Bei ihm finden alle die Freiheit in derselben Weise, auch die Juden, wie auch alle sie bedürfen. Um Christi willen hatten deshalb in Antiochien auch die jüdischen Glieder der Gemeinde die Speiseordnung außer Kraft gesetzt, die Person und den Tisch des heidnischen Bruders nicht mehr unrein genannt, obgleich sie es nach der alten Ordnung der Schrift waren, und die Scheidung zwischen Israel und den Heiden innerhalb der Gemeinde abgetan. Als nun Petrus nach Antiochien kam, trat er auf dieselbe Bahn. Er setzte sich, ohne des Gesetzes zu gedenken, mit den heidnischen Gläubigen zu Tisch und hielt die Bewahrung der Speiseordnung nicht mehr für seine Pflicht.

Dieses Verhalten hat er plötzlich geändert. Er hielt sich von den Heiden abseits, zog die Speiseordnung wieder hervor und mied das gemeinsame Essen mit den Heiden. Der Grund lag darin: es waren noch andere Leute von Jerusalem her angelangt, solche, die von Jakobus kamen. Sie waren entschlossen, für ihre Person die Speiseordnung nicht zu brechen, weshalb Petrus voraussah, dass sie seine Freiheit als unrichtig und sündlich tadeln werden. Dagegen werden sie erfreut sein, wenn sie bemerken, dass er die Speiseordnung nicht vergessen hat; sie rechneten ihm solche Treue gegen das Gesetz zum Verdienste an.

Die erste Christenheit war ein Reich der Wahrheit und der Freiheit. Nie mehr sind so viel Menschen beisammen gewesen, denen die Wahrheit das eine große und heilige Anliegen ihres Lebens war, und zwar nicht bloß so, dass sie dieselbe gern gekannt hätten, sondern so, dass sie aus der Wahrheit zu sein und die Wahrheit zu tun sich bemühten. Ihr Christentum war keine angelernte Form und Farbe, sondern von innen heraus erwachsen in selbsterlebter Begründung und Aneignung. Darum geht nicht bloß Paulus seinen besonderen Weg abseits von den andern, sondern auch unter den großen Aposteln in Jerusalem, Jakobus, Petrus, Johannes, hat jeder seine eigene Art. Das machte, dass jeder auch seinen besonderen Kreis um sich sammelte. Weil aber keiner unter ihnen sich selber lebte, sondern alle aufrichtig Christus, dem gemeinsamen Herrn, untergeben waren, deshalb ward kein Parteiwesen daraus. Schwierigkeiten gab's freilich auf diesem Wege, wie unsere Geschichte zeigt. Es ist in gewissem Sinn leichter, Menschen zusammenzuhalten, wenn einer als General kommandiert und die anderen alle blindlings folgen, wenn eines Meinung für alle gilt, eines Wort von allen wiederholt wird, und nicht jeder nach seiner Erkenntnis und nach seinem eigenen Glauben handeln soll. Nur ist das nicht mehr Gemeinschaft in der Wahrheit und im Geiste, und die Apostel wussten, dass eben sie das Wesen der Kirche Christi ist.

Jakobus hielt sich unter den Aposteln am nächsten bei der frommen Art Israels. Darum wurde er in Jerusalem sehr geschätzt. Wir werden diejenigen Männer bei ihm finden, welche sagten: ich bleibe auch in der Nachfolge Jesu ein ganzer Israelit; eben dazu bin ich Christ, damit ich ein treuer Jude sei. Solche Männer konnten schwer dazu kommen, die Speiseordnung zu übertreten. Sie stand mit hellen Worten in der Schrift; es schien ihnen bedenklich, ausdrückliche Worte der Schrift durchzustreichen, und sich durch dieselben nicht mehr für verpflichtet zu halten. Mit dem Gesetz hing die gesonderte Existenz Israels untrennbar zusammen. Fiel das Gesetz, so verschwand Israel unter den Völkern. Nun war es gewiss Gottes Wille, dass auch die Heiden sich zu Christo

bekehrten. Aber soll deshalb der Jude aufhören ein Jude zu sein? Hat nicht Gott Israel zu einem bleibenden Zweck geschaffen, und darf nun der Mensch, so viel an ihm liegt, Gottes Werk zerstören und den Unterschied aufheben, den Gott selbst zwischen Juden und Heiden gegründet hat? Und wie missverständlich war diese Freiheit, Gottes Gesetz zu übertreten! So machte man sich den ungläubigen Verächtern des Gesetzes ähnlich, die deshalb wie die Heiden lebten, weil sie Gott und die Hoffnung Israels verleugneten, und wie anstößig war diese Ähnlichkeit, auch wenn sie nur äußerlich war. Und wie widerwärtig war der Eindruck auf die Judenschaft, wie hinderlich für die Verkündigung Christi. Das erweckte ja den Schein, als ob der Glaube an Christus vom Gehorsam gegen die göttlichen Gebote losbinde. Was konnte man noch antworten, wenn die Feinde Jesu ihn lästerten, als sei sein Werk durch die Schrift gerichtet? Und das galt nun alles noch in besonderem Maß für Petrus, der in der jüdischen Christenheit das Ansehen hatte und auf den jedermann in Jerusalem sah. Es ist doch wahrlich keine unverständliche Sache, wenn es jüdischen Männern überaus schmerzlich war, Petrus wie einen Heiden leben zu sehen. Auch für Petrus hatten solche Erwägungen Gewicht.

Er nahm Rücksicht auf diese Brüder und wollte nicht vor ihren Augen und in ihrer Gegenwart das Gesetz brechen. Es war ihm lieber, wenn die Freiheit, mit der er sich zunächst in Antiochien bewegt hatte, nicht zu ihrer Kenntnis kam und nicht nach Jerusalem gemeldet wurde. Er fürchtete den Anstoß, wenn es bekannt werde: Petrus hat in Antiochien gelebt, als wäre er kein Jude mehr.

Sein Beispiel zog auch die übrigen Juden mit. Die Speiseordnung stand aus ihrem Grabe wieder auf. Sie ließen Petrus nicht im Stich, sondern halfen ihm, die jüdischen Männer zu beruhigen. Auch die andern Juden heuchelten mit ihm, V. 13. Sie sollten sehen, dass man in Antiochien für jüdische Treue und Art ein warmes Herz habe und ihr gerne Raum und Recht gewähre, dass auch sie das väterliche Gesetz als ein Heiligtum verehrten und ihm nicht abtrünnig geworden seien. Warum sollte man nicht auf die Juden Rücksicht nehmen und ihnen alles, was sie stieß, aus dem Wege räumen? Warum nicht den Juden ein Jude werden? Sogar Barnabas hatte in dieser Stunde nicht den Mut, seine Freiheit vom Gesetz offen an den Tag zu geben. Er mochte sich nicht von Petrus trennen, mit dem er von der Zeit seiner Bekehrung so eng verbunden war, und nicht allein dastehen als der, der das Gesetz verachte. So sah sich denn der heidnische Teil der Gemeinde plötzlich vom jüdischen verlassen, und einzig Paulus erschien noch als Gast am heidnischen Tisch.

Paulus heißt das Heuchelei, weil die Juden nicht aus eigenem Trieb und innerer Überzeugung das Gesetz wieder hervorzogen. Sie stellten sich ihrer Gäste wegen anders als sie wirklich waren. Sie wollten etwas verbergen, was doch wirklich geschehen war, und einen guten Eindruck hervorbringen, der doch nicht der Wahrheit entsprach. Sie spielten eine fremde Rolle, andern Leuten zu lieb!

Der ganze Vorgang ist überaus natürlich und durchsichtig. Ähnliches geschieht im Großen und im Kleinen fort und fort. Das aber geschieht äußerst selten, dass man wie Paulus Heuchelei und Menschenfurcht bei ihrem rechten Namen nennt und sich vor keines Menschen Ansehen scheut. Auch Paulus ist den Juden ein Jude geworden und hat das Gesetz bald beobachtet, bald unterlassen, jetzt den Sabbat gefeiert und ein andermal ihn versäumt, hier die Beschneidung vollzogen und ein andermal sie unterlassen. Es scheint ja, Petrus halte es ebenso, wenn er jetzt mit den Heiden wie ein Heide, und hernach vor den jüdischen Zuschauern wie ein Jude lebte. Den Unterschied zwischen der zarten weichen Rücksicht des Paulus auf die Menschen und dem, was hier geschah, drückt Paulus selber aus: sie wandelten nicht mit geradem Schritt nach der Wahrheit des Evangeliums, V. 14. Paulus hat niemals im Namen der Liebe die Wahrheit verlegt. Die echte Liebe dient den andern dadurch, dass sie ihnen in die Wahrheit hilft. Zarte Anpassung an die Meinungen und Neigungen der andern mit schonender Rücksicht auf das Maß ihrer Kraft ist die rechte edle Christenkunst; aber zwei Dinge vertragen sich nicht mit ihr: Verleugnung der Wahrheit und Schädigung der Aufrichtigkeit. Beides hängt eng zusammen und beides war hier geschehen. Dieser Eifer für die Speiseordnung war eine leere Demonstration, ein bisschen Schauspielerei. Die Freiheit, die man doch in Anspruch nahm, sollte heimlich bleiben, weil sie unangenehme Folgen hatte und zu Erörterungen und Vorwürfen führte. Das war nicht aufrichtig. Und damit war die Wahrheit preisgegeben. Petrus stellte dadurch seine Freiheit wie ein Unrecht dar, als hätte er nicht mit gutem Gewissen aus des Heiden Schüssel gegessen und nicht sein Christenrecht gebraucht und nach seiner Christenpflicht getan, als er sich ihm gleichstellte. So richtete er das Gesetz wieder auf, als wäre es eigentlich doch gültig, und bestärkte die Eiferer für das Gesetz in ihrer Schwachheit, statt sie emporzuheben in die Freiheit Christi. Er hatte nicht allein, ohne andere Rücksichten, die Wahrheit des Evangeliums im Auge, dass sie herrsche und leuchte in ihrer ganzen Kraft. Vielmehr verdunkelte er dieselbe den Juden zu Gefallen durch sein Schwanken zwischen Freiheit und Unfreiheit, als wäre nicht Christus unsere Freiheit und Gerechtigkeit.

Es ist sehr lehrreich, wie auch hier sofort zur Aufrichtung des Gesetzes ein Stück Heuchelei sich gesellt. Gesetz und Heuchelei sind immer beisammen im Judentum wie im Christentum, bis auf den heutigen Tag. Was damals in Antiochien geschah, war ungleich edler und feiner, als wie man's in der Synagoge trieb. Wenn der Pharisäer auf dem Markte betete und den Gebetsriemen recht sichtbar machte, so war seine ganze Frömmigkeit von der Rücksicht auf die Menschen durchzogen und verdorben. Petrus hat gelernt, wahrhaft auf Gott zu blicken und die Menschen zu vergessen und sich führen zu lassen durch Christi Bild. Aber damals kam wieder etwas von dem zum Vorschein, was Jesus den Sauerteig der Pharisäer genannt hatte, vor dem sich die Jünger zu hüten hätten. Die Rücksicht des Petrus auf die Juden war gemischt mit den reinsten Trieben, mit apostolischer Sorge für die ihm anvertraute jüdische Gemeinde, mit der Furcht vor unnötigem Ärgernis, mit treuer Liebe zu Israel. Aber er sah doch hinaus auf die Menschen und gab sich ihretwegen dem Gesetz zu Ehren einen Schein, der nicht aus der Wahrheit war.

Wer hierbei von Wankelmut spricht, der dem Petrus besonders eigen gewesen sei, von seinem „sanguinischen Temperament“ und dergleichen, hat noch nie versucht mit geradem Schritt nach der Wahrheit des Evangeliums zu gehen. Versucht er das einmal, so wird er merken, ob es zu solchen Schwankungen eines besonderen Maßes von Wankelmut bedarf. Petrus stand fester als wir allesamt. Unsre Geschichte stellt sich allerdings neben die ähnlichen Erzählungen der Evangelien, die uns Petrus schwankend zeigen, wie denn dieselben deshalb erzählt sind, damit wir wissen, wie Petrus war, nicht nur wie er dereinst gewesen war, sondern was er auch als Apostel war und blieb, nach seiner menschlichen Art. Wie er, als Jesus auf den Wellen vor ihm stand, auch auf dieselben hinaustrat und dann doch erschrak, wie er Jesu nachging, bereit mit ihm zu sterben, und ihn doch verleugnete, so trat er hier in die Heidengemeinde, als könnte ihn das Gesetz nicht mehr erfassen, als wäre er lauter Glaube und völlig in die Freiheit gestellt, und dann erschrickt er doch wieder und das Gesetz wird ihm zu stark und er mag nicht ein Gesetzesübertreter heißen. Ja wenn es nur keine Wellen gegeben hätte auf seinem Gange über den See und keine Magd im Hof des Hohepriesters und keine Juden aus Jerusalem in Antiochien. Aber was ihn beugt, ist nicht natürliche Schwäche oder ein besonderer, ihm eigener Charakterzug; das ist unser aller Unfähigkeit, Gott groß zu achten in unserem Herzen und alles andere klein, unser aller Unvermögen, das Herz gebunden zu halten im Glauben, der allein auf Christus blickt. Solche Schwachheit tritt an Petrus besonders hell ans Licht, weil er zu größeren Aufgaben berufen war als wir und in Gottes Namen mehr gewagt hat, als irgendeiner neben ihm. Es war auch damals in Antiochien eine große Tat von ihm vollbracht. Der Apostel der Beschneidung saß neben dem Apostel der Heiden am Tisch der glaubenden Heiden, und das Gesetz lag hinter ihnen. Da war dem Wort Jesu von der Stunde, wo man weder auf dem Zion, noch auf dem Garizim, sondern in Geist und Wahrheit

Gott anbete, eine teilweise Erfüllung gekommen. Und für niemand bedeutete ein solcher Schritt mehr, als für Petrus, den Felsen, der die Kirche trug. Aber nun warf das Gesetz doch wieder seinen Schatten auf seinen Glauben und riss ihn wieder zurück.

Damals war Paulus stärker als er. Er erwies, dass er nicht ein Knecht der Menschen sei und nicht ihnen zu gefallen strebe, dass er sein Auge einfältig auf die Wahrheit des Evangeliums gerichtet halte, ohne sich durch irgendeine Furcht oder Liebe davon abziehen zu lassen. Ich widerstand ihm ins Gesicht, denn es traf ihn nicht nur Klage, sondern Verurteilung, V. 11. Wäre sein Fehltritt eine zweifelhafte Sache gewesen, bei der man Petrus freundlich hätte entschuldigen können, so hätte Paulus gerne geschwiegen und sein Verfahren zum Besten ausgelegt. Er ergriff nicht mit Lust eine Gelegenheit um Petrus zu demütigen. Er hat uns V. 2 gesagt, wie tief er vor jedem Zwist im Apostelkreis erschrak. „Wäre Petrus nicht zu mir gestanden, so wäre ich vergeblich gelaufen und würde mich auch fernerhin umsonst bemühen.“ Da dürfen wir's ihm zutrauen, dass er auch jetzt, wie er das Wort schrieb: ich widerstand ihm, und damals, als es galt, gegen Petrus aufzustehen, die tiefe Empfindung in sich trug, wie unendlich wichtig die Einheit der Apostel für die Kirche war. Nur eine zwingende Notwendigkeit konnte ihn dazu bewegen. Aber es ging nicht anders; Petrus war ein verurteilter Mann. Ein offenkundiger Fehltritt war geschehen und sein Schritt war ohne Zweifel sündig und falsch. Darum sprach Paulus, und zwar am rechten Ort und zu rechter Zeit, nicht hinter seinem Rücken oder erst nach seiner Abreise. Er richtete seinen Tadel an ihn selbst, vor allen öffentlich. Das war keine unnötige Härte und keine Verletzung der Regel Jesu, dass wir die Fehlenden still zurecht zu weisen haben mit sorgsamer Schonung ihrer Ehre. Es war der einzig mögliche Weg, um den Fehler des Petrus gut zu machen und den Schaden zu heilen, den er angestiftet hatte. Was Petrus verdecken wollte, musste frei heraus ans Licht. Es musste öffentlich gesagt werden, dass dieser jüdische Eifer nur Schein sei und Petrus samt allen andern heidnisch gelebt habe. Die Heuchelei war nur dann unschädlich gemacht, wenn sie öffentlich ihre Widerlegung fand.

Darum sagt ihm Paulus: Du, Petrus, lebst heidnisch, V. 14. Dein jüdisches Wesen ist nicht Wahrheit; das hast du nur zum Schein angenommen, der Zuschauer wegen. Dadurch soll sich niemand täuschen lassen, weder die Juden aus Jerusalem, noch die Heidenchristen. Der echte Petrus lebt heidnisch, obgleich er ein Jude ist. Aber nun gibt er ihm zu bedenken, was er mit diesem jüdischen Schein anrichtet: Du zwingst die Heiden jüdisch zu leben.

Wir müssen das Amt des Petrus im Auge behalten. Warum schalt Paulus nicht die Leute aus Jerusalem? Sie waren zweifellos noch mehr befangen in gesetzlicher Art und waren schließlich an allem schuld. Aber sie waren nicht der Apostel mit dem hohen Petrusnamen, der ihn zum Felsen bestellte, damit er die Kirche Christi trage. Die Schwäche jener war für die Heidenchristen ohne Folgen. Solches Eifern konnten sie ertragen. Anders war's, wenn Petrus, der Apostel Christi, zu den Heidenchristen kam und das Gesetz hervorzog und den Glaubenden erklärte: ich bin ein Jude; euer Tisch und eure Person verunreinigen mich; zwischen uns steht scheidend das Gesetz. Das hieß die Heiden zwingen, jüdisch zu leben, selbst wenn Petrus kein Wort der Empfehlung für das Gesetz aussprach, sondern bloß still sich von den Heiden absonderte. Die Heiden konnten ihn, den Apostel Christi, doch nicht meiden, und konnten doch nicht ungehindert mit ihm verkehren, als in der gesetzlichen Form. Sie mussten in ihm ihr Vorbild suchen, und nun behandelte er das Gesetz als ein ihn verpflichtendes Gebot und legte Nachdruck darauf, dass er nur reine Speise essen dürfe. Wer durfte denn in der Kirche noch andere Speise genießen, wer die gesetzlichen Ordnungen ohne Sünde übertreten, wenn dies Petrus unmöglich war? An diese Folgen seiner jüdischen Haltung hatte Petrus nicht gedacht. Er sah auf die Juden und auf den Schmerz und Anstoß, den er ihnen ersparen wollte, und dachte nicht an das, was er den Heiden zu geben hatte und ihrem Gewissen an Rücksicht schuldig war. Er sollte ihnen die Zuversicht geben, dass sie in ihrer Freiheit vom Gesetz keinen Makel an sich tragen und der Gnade Christi teilhaft seien, wie die Juden. Statt dessen stellte er das Gesetz zwischen sie und ihn.

Dadurch kam ein greller Widerspruch in sein Verhalten. Selbst ein Jude sein und doch heidnisch leben, dafür aber die Heiden nötigen jüdisch zu leben, das verträgt sich nicht. Petrus hat das Gesetz für sich selbst überschritten und legt es nun doch wieder den Heiden auf. Dieses kurze Wort stellt das unrichtige am Verfahren des Petrus genügend ins Licht. Er darf von den Heiden nicht verlangen, was er selbst für seine eigene Person nicht gelten lässt. Weil aber solches Schwanken daher rührt, dass das Gesetz noch immer eine Macht in den Herzen der Juden war, so stellt Paulus den inwendigen Grund hervor, der uns vom Gesetz ablöst und über dasselbe hinaushebt. Die Schwankenden zeigten, dass ihre Freiheit vom Gesetz noch nicht fest gesichert und völlig begründet war. Es fehlte derselben noch an Kraft. Darum zeigt Paulus, was jedermann vom Gesetz frei macht, so dass er sich mit ihm in keiner Weise mehr einlassen darf. Er hat dadurch zugleich die heidnischen Gläubigen vor dem verwirrenden Eindruck geschützt, den das Verhalten des Petrus auf sie machen konnte. Natürlich hat Paulus bei diesen Worten zugleich die Galater im Auge, und will ihnen deutlich machen, warum ihn solche Schwankungen nicht ergreifen konnten, warum er sie so entschieden und scheinbar hart bekämpfen musste, warum er jeder Aufrichtung des Gesetzes widerspricht, auch wenn sie in der mildesten Form geschieht, wie dort durch Petrus. Er spricht mit diesen Worten den tiefsten Beweggrund aus, der ihn jetzt, da er den Brief schreibt, wie damals, als er mit Petrus sprach, völlig und für immer vom Gesetz abgeschieden hält.

Die Kraft, die vom Gesetz befreit, ist der Glaube an Jesus. Wie Jesus dem schwankenden Petrus zurief: warum zweifelst du, Kleingläubiger? so hält ihm auch Paulus vor, was Wesen und Kraft des Glaubens ist. Wer unter das Gesetz tritt, hat für Christus keinen Glauben mehr. Das ist der starke Hebel, mit dem Paulus Petrus und alle Gläubigen vom Gesetz weggehoben hat. Wir sind gläubig an Christum; das ist Kern und Stern unseres Lebens. Nun denn, mit dem Glauben an Christus verträgt sich kein Gesetzesdienst. Kein rechtschaffenes Glied der Gemeinde, und Petrus am allerwenigsten, wollte den Glauben an Jesus preisgeben. Damit, dass ihnen Paulus zeigte, dass ihr gesetzliches Wesen Schwäche des Glaubens sei, zog er sie in die Freiheit empor.

Warum, fragt Paulus, glauben wir denn an Jesus? Wir, die wir von Natur Juden und nicht Sünder aus den Heiden sind, V. 15. Er spricht zuerst den großen Unterschied zwischen den Juden und den Heiden aus. Götzendienst und mancherlei Bosheit machen den Heiden offenkundig zum Sünder. Und wenn wir hieran denken, ist's freilich ein großer Vorzug, ein Jude zu sein. Paulus war damals unter allen Juden der einzige gewesen, der sich den Heiden gleichgestellt hatte, und der einzige, dem das Gesetz nichts mehr galt. Aber warum? Hat er etwa nötig, dass man ihn an den Vorzug Israels erinnere, als sähe er den Unterschied zwischen den Juden und den Heiden nicht, als verachtete er den Dienst, den das Gesetz dem Juden leistet? Hat er etwa Wohlgefallen an der heidnischen Gottlosigkeit und einen Widerwillen gegen den Gottesdienst Israels? Sieht er die heidnische Sünde und die Rechtschaffenheit der Juden nicht?

O nein! Er weiß, dass Petrus ein Jude ist, und ist auch selber ein solcher und dankt Gott, dass er durch den Dienst des Gesetzes von der Sünde der Heiden abgeschieden war. Er stellt sich den Heiden an die Seite mit der vollen Kenntnis von der Größe ihrer Sünde und vom Wert der Gesetzeszucht.

Aber dieser Unterschied macht nicht, dass es zwei verschiedene Mittel gäbe, durch die ein Mensch sich vor Gott rechtfertigen könnte. Der Heide mit seiner bösen Gottlosigkeit und der Jude mit seinem ernsten Gottesdienst sind beide aus demselben Grunde vor Gott gerecht. Das haben die gläubigen Juden sämtlich anerkannt, dadurch, dass auch sie an Christus gläubig sind. Auch wir Juden, die wir von Kindheit an Gottes Gebot besitzen und ihm mit demselben gedient haben mit Fleiß und Aufrichtigkeit und an der Sünde der Heiden keinen Anteil haben, auch wir haben, wie die Heiden, unser Vertrauen auf Christus gestellt, V. 16. Allen ist klar, dass dem Heiden nicht zu helfen ist, als dann, wenn er sich gläubig zu Christo kehrt. Ihm hilft das Gesetz nicht, weil er es weder gekannt noch gehalten hat, vielmehr wird sein heidnisches Wesen vom Gesetz gerichtet. Ihm erscheint die Hilfe nur in Christo, und sein Anteil an derselben beruht auf seinem Glauben. Allein nun sagt Petrus nicht bloß den verkommenen Heiden: seid doch gläubig; euer Glaube wird euch helfen! sondern auch er selbst ist an Christus gläubig, obwohl er ja kein Heide ist. Warum haben denn auch wir Juden an ihn geglaubt?

Weil wir wissen, dass ein Mensch aus Werken des Gesetzes nicht gerechtfertigt wird. Aus Gottes Liebe und Reich ist alles Böse ausgeschlossen. Niemand wird sein Reich ererben, außer der, den Gott als gerecht erkennt. Diese Wahrheit hat das Gesetz mit großer Kraft jedem frommen Israeliten ins Herz hineingepflanzt. Es hat ihn angehalten, um das Urteil Gottes sich zu kümmern, und ihm eingeschärft, dass er verloren ist, es sei denn, er habe die göttliche Rechtfertigung für sich.

Nun sind das Höchste und Beste, was wir haben, ehe wir Christum kennen, die Werke, die wir im Dienst des göttlichen Gesetzes vollbringen, damit Gottes Gebot durch uns erfüllt werde. Alles andere fällt als nichtig von uns ab, sowie wir an Gottes Urteil denken. Mit Wünschen, Vorsätzen und Erkenntnissen können wir uns nicht entschuldigen; sie tun dem Gesetze Gottes nicht genug. Aber auch aus unsern Werken wird uns Gottes Wohlgefallen nicht erwachsen. Wären wir Gott recht und angenehm, um deswillen, was wir nach seinem Gesetz getan haben, dann brauchten wir Christum nicht. Wir wissen aber, dass eine solche Zuversicht hoffärtige Eitelkeit und Blindheit ist. Was soll denn aus unsern Sünden werden, wenn wir nichts zur Deckung und Rechtfertigung besitzen als das, was wir selber des Gesetzes wegen tun? Über unsern Sünden steht Gottes Verdammung nach dem Gesetz; wie können uns denn unsere Werke zur Rechtfertigung sein?

Wir müssen eine Rechtfertigung haben, die Sündern Gerechtigkeit zuerkennt. Kann es eine solche geben? Oder wird es vor uns Nacht und ist Gottes Reich uns entrückt, himmelhoch ohne Weg und Steg dorthin, weil Gottes Verwerfung über uns steht? Nein! wir wissen noch mehr. Wir wissen, dass ein Mensch aus den Werken des Gesetzes nicht gerechtfertigt wird, es sei denn aus Glauben an Jesus Christus. Wir kennen nicht bloß das Gesetz, sondern wissen, dass Gott uns Christus gegeben hat und dass uns Christus ihm glauben heißt und zu uns spricht: glaube nur! glaube mir! glaubst du mir, so dient dir das bei Gott zur Rechtfertigung. Keiner wird von Gott verstoßen, der mir glaubt, keiner zu Schanden, der auf mich seine Hoffnung stellt. Gott hat Christus zu uns gesandt, damit seine Gnade stehe über allen, die ihm glauben. Daran fällt unsere Sünde dahin; sie ist uns erlassen, weil wir glauben; wir haben Gottes Wohlgefallen und stehen als die Gerechten vor seinem Blick, weil wir glauben. Um Christi willen, weil Gott den Glauben, den wir auf ihn stellen, erhört, steht die Rechtfertigung, die uns unerreichbar war, so lange wir auf uns selber sahen, nun vor uns fasslich und nah. Um Christi willen wird uns das Urteil Gottes, von dem wir unserer Sünden wegen die Verwerfung erwarten mussten, zum Eingang ins Leben, weil uns Christus ihm glauben heißt, und auf denen, die ihm glauben, Gottes Gnade ruht. Weil wir das wissen, darum griffen auch wir Juden zu und haben unser Vertrauen nicht auf das Gesetz gestellt und nicht auf unsere Werke, wie reich und groß ihre Zahl auch immer sei, sondern bauen auf Christus und zählen darauf, dass er uns nicht umsonst auf ihn trauen heißt.

Wissen wir, warum wir glauben, so wissen wir auch, wozu wir glauben. Was möchten wir durch unsern Glauben erlangen? was schwebt uns vor als die Gabe, die wir glaubend suchen? Eben Rechtfertigung, und zwar aus Glauben an Christus und nicht aus Werken des Gesetzes. Weil wir uns die Gerechtigkeit nicht selbst verschaffen, weil sie uns gegeben wird, wenn wir Christo glauben, darum können wir nun nach nichts anderem mehr streben, als dass uns die Rechtfertigung zufalle unseres Glaubens wegen und nicht unserer Werke wegen.

Glaube ist noch kein Besitzen, Sehen und Genießen, sondern noch ein Begehren und Erwarten, das aber auf gewissem Grunde steht und weiß, was es empfangen wird. Eine Rechtfertigung, die geglaubt werden muss, ist noch nicht an mir offenbar. Das wird sie erst dann, wenn ich vor Christi Thron stehe und aus seinem Mund den Spruch vernehme, der mich für ewig ins Licht der göttlichen Herrlichkeit stellt und mir die himmlische Gnade zu genießen gibt. Dieses Suchen und Verlangen meines Glaubens kann aber nur auf Christum zielen. Es kann den Grund nicht aufheben, aus dem es entspringt. Es entsteht aus der Einsicht: mit dem Gesetz bin ich ungerecht, Christus aber verheißt mir: glaube an mich so bist du gerecht. So will ich nun nichts anderes, als eben gläubig und durch Glauben gerecht sein, und suche meine Gerechtigkeit nicht mehr in meinem Werk.

Und zwar ist es unmöglich, dass wir auf anderem Wege in Gottes Gericht bestehen, nach dem Worte der Schrift: Ps. 143, 2, welches allem, was Fleisch ist, die Rechtfertigung aus den eigenen Werken nimmt. Ich mag der frömmste Diener des Gesetzes sein und mein Wirken hoch emporsteigen lassen, so dass ich ein reines Vorbild glänzender Tugend bin und mein Leben eine reiche Summe von Werken wird, die nach Gottes Gesetz geschehen: ich bleibe Fleisch, ein Mensch mit dem irdischen Lebensgepräge. Es wird auch von mir gelten, dass ein jeder, der Fleisch ist, Dinge an sich hat, die Gottes Verdammung herausfordern. Auch ich bin mit all meinem guten Willen und ernsten Streben und tüchtigen Wirken auf Glauben gewiesen, muss auf mich selbst verzichten und bekennen: ich habe Unrecht getan, und muss mich an Christus halten und ihm danken, dass er mir von Gott zur Rechtfertigung gegeben ist. Der Glaubensweg ist nicht nur für die gebaut, die sonderlich tief fallen. Er ist der einzige Weg zur Rechtfertigung, den Gott für alles geordnet hat, was im Fleische lebt. Gott kann niemand gerecht nennen, als wer seine Zuversicht auf Christus stellt.

Wie sieht's nun mit der Speiseordnung aus, und mit der Weigerung des Petrus, am Tisch der Heiden zu essen, weil ihr Fleisch nicht nach dem Gesetz bereitet war? Das taten die gläubigen Juden nicht Christi wegen, sondern alle sagten: das tun wir bloß des Gesetzes wegen. Um Christi willen, sagte Petrus zu den Heiden, bin ich euch verbunden als ein Bruder; des Gesetzes wegen bin ich aber von euch geschieden, wie ein Reiner von den Unreinen.

Nun sagen die Juden weiter: die reine Speise, dieses um des Gesetzes willen getane Werk, gehört für uns zur Gerechtigkeit; wir würden vor Gott als Sünder erfunden, wenn wir unreine Speise genössen. Also steht ihr Glaube nicht mehr auf Christus, und sie haben es aufgegeben, im Glauben an ihn ihre Rechtfertigung zu suchen. Also ist das Gesetz ihre Ehre und ihr Schmuck vor Gott und sie sind Gott recht und lieb ihres Werkes wegen. Der Glaubende weiß, dass ihm die reine Speise nicht die Rechtfertigung bringen kann, dass er sie auch nicht zu derselben bedarf, weil er sie im Glauben hat. Dann ist's einerlei, ob unsere Speise nach dem Gesetz bereitet ist oder nicht. Dann darf Petrus getrost in der Weise der Heiden leben. Dann ist's weiter ein Unrecht, wenn er die Heiden zur Satzung zwingt, die ihnen vor Gott nichts helfen kann. Sie sind verloren, auch wenn nie etwas Unreines über ihre Lippen kommt; das ist keine Entschuldigung für ihre Sünden; und sie sind gerecht, auch wenn sie die Speiseordnung dahinten lassen, weil sie durch ihren Glauben an Christus gerechtfertigt sind. Könnten sie neben dem Glauben auch noch mit reiner Speise Gottes Wohlgefallen finden, dann stände ihre Zuversicht zum Teil auf dem Gesetz und ihrem eigenen Werk.

Weder Petrus noch irgendein gläubiger Jude wollte Christus fahren lassen; denn um Christi willen erwarteten sie, teil zu haben am Himmelreich. Nun denn, sagt Paulus, macht damit Ernst, und sagt nicht beständig ja und nein zugleich. Jetzt sagt ihr: der Glaube an Christus schließt ein in Gottes Gnade; dann wieder: die reine Speise macht, dass wir bei Gott in Gnaden stehen. Jetzt sagt ihr: um Christi willen sind wir gerecht, und dann fügt ihr doch wieder bei: das Gesetz macht uns gerecht.

Ihr lasst beständig wieder fahren, was ihr ergriffen habt. Ist der Glaube an Christus wirklich unsere Gerechtigkeit vor Gott, dann ist alles andere bedeutungslos, dann gibt's nur eine Pflicht für uns, nur eine Weise, wie wir Gott dienen, nur ein Ziel, auf das wir unverrückt das Auge halten, dass wir nämlich festgewurzelt und unbeweglich im Glauben an Christus stehen.

Genügt das? So fragt der kleingläubige Sinn, den das Gesetz noch erschüttert. Darf ich wirklich den Glauben allein als meine Gerechtigkeit betrachten, so dass mir alles andere zur Sache der Freiheit wird? Wurden auch wir, antwortet Paulus, als Sünder erfunden, die wir in Christo gerechtfertigt zu werden suchen, soll denn Christus ein Diener der Sünde sein? Dieser Vorwurf wird Christus niemals treffen, V. 17.

Paulus schaut auf die ängstlichen Leute um ihn her, und zwar auf beide, auf die jüdischen wie auf die heidnischen Glieder der Gemeinde. Sein Wort warnt beide in derselben Weise. Die jüdischen Christen sehen ängstlich auf das Gesetz zurück und sagen, wenn wir die Speiseordnung nicht halten, werden wir ja als Sünder erfunden und stehen vor Gott als die Übertreter da! Und die heidnischen Glaubenden fragen bestürzt: wurden wir also doch als Sünder erfunden, da ja das Gesetz gelten soll nach des Petrus Weisung? und steht nun Paulus mit seiner Freiheit vom Gesetz doch als Sünder da? Bedenkt, sagt Paulus, was ihr mit solchem Verdacht aus Christus macht. So hälfe ja Christus der Sünde zur Macht und zum Sieg.

Halten wir den Glauben für unsere Gerechtigkeit, so suchen wir sie, so eifrig und so ernst als nur irgendeiner, der dem Gesetz dient, aber wir betrachten Christus als den, um deswillen Gott sie uns zuerkennt. Aus Christo leiten wir die Gnade Gottes für uns her, und wissen und begehren keinen andern Weg, auf dem wir dieselbe finden könnten. Um Christi willen glauben wir, dass Gott uns unsere Sünde nicht vergilt, sondern vergibt, und sehen uns nach keinem andern Mittel um, sie zu entschuldigen. Um Christi willen erwarten wir, dass Gottes gute Gaben uns nicht versagt, sondern geschenkt werden, und wir zweifeln nicht daran, dass wir sie empfangen. Warum wir vor Gott nicht als Ungerechte gelten, sondern als Gerechte, dafür kennen und suchen wir keinen andern Grund, als was Christus ist und schafft, was er für uns tut und aus uns macht. Wir haben unser Los und Geschick in seine Hand gelegt und erwarten seine Kraft und Gabe, dass sie uns von jeder Verdammung entlaste und uns durch Gerechtigkeit zu Gott erhebe. Und nun soll das Täuschung sein. Es zeigt sich, dass auch wir keine Rechtfertigung besitzen und keinen Vorzug haben vor denen, welche mit dem Gesetz und Werk sich selbst vergeblich rechtfertigen möchten, sondern ebenso wie diese als Sünder dastehen. Dann ist Christus der Sünde unterlegen, und sie ist mächtiger als er geworden, und Christi Werk hat sie nicht beseitigt, sondern gemehrt, und es bleibt der Sünde der Triumph, dass sie sogar Christus in ihren Dienst nehmen und als ihr Werkzeug brauchen kann. Denn zum Glauben an ihn sind wir durch Christus selbst berufen, und er selbst hat sich uns als unsere Rechtfertigung angeboten in seinem Tod. Einen solchen Verdacht trägt kein Glaubender gegen Christus im Herzen. Vielmehr spricht er mit gewisser Zuversicht: du bist der Sünde übermächtig; sie macht dein Werk nicht scheitern, sondern muss weichen und vergehen vor dir. Weil wir glaubend auf dich sehen und du uns führst und deine Gnade bei uns ist und deine Kraft in uns lebt, dürfen wir getrost sagen, dass wir vor Gott nicht als die Sünder stehen. Was sündig ist an uns, ist durch dich bedeckt; und was gerecht ist vor Gott, wird durch dich gewirkt.

Die jüdischen Eiferer klagten: wer das Gesetz dahinten lässt, der macht ja aus Christus einen Sündendiener. Bindet uns denn Christus von den Geboten los? Mir, antwortete Paulus, mir ist er kein Sündendiener, weil ich in Christus eine vollkommene Gerechtigkeit mir gegeben weiß. Ihr seid's, die ihn als einen Diener der Sünde behandelt. Eure Anklage gegen mich fällt auf euch zurück. Ihr meint, ihr findet in Christo doch nicht eure Rechtfertigung und müsst noch das Gesetz daneben haben zur Abwehr der Sünde. Ihr seid diejenigen, die das, was Christus euch gegeben hat, nicht für Gerechtigkeit halten, sondern meinen, er lasse doch der Sünde noch Raum und Macht und Sieg. Wollt ihr Christus ehren, so zweifelt nicht, dass er eure vollkommene Rechtfertigung ist. Was Sünde ist an uns, das treibt er aus; was er nicht austreibt, das liegt nimmermehr als Sünde auf uns vor Gott. Lüge und Unzucht und Ungerechtigkeiten und Gottlosigkeiten jeder Art, das treibt er aus; das tut niemand in Christi Namen und im gläubigen Aufblick zu ihm. Aber die unreine Speise hat uns nicht Christus verboten. Von ihr scheidet uns nicht der Glaube an ihn. Sie meiden wir in des Gesetzes Namen. Sie ist uns also nimmermehr Sünde vor Gott und kein Verlust unserer Gerechtigkeit, so gewiss als Christus die Sünde nicht schont und pflegt. Ich wenigstens, sagt Paulus, trage nicht die Angst im Herzen, dass Jesus einen Sünder aus mir mache, weil er mich nicht an das Gesetz, sondern an ihn allein gebunden hat. Ich weiß, dass in ihm ein ganzes völliges Wohlgefallen Gottes über mir steht, eine wirkliche Vergebung meiner Sünden, eine wirkliche Erlösung von allem, was böse ist, eine wirkliche Einführung in die Gerechtigkeit, so dass alles, was ich im Glauben an ihn tue, rein und recht vor Gott ist. Darum schreckt mich das Gesetz nicht und ich kehre nicht zu ihm zurück. Ich will Christus dadurch ehren, dass ich nichts für Gerechtigkeit halte, als das, was mir aus ihm erwächst.

Wir sagen leicht: wir glauben an die Vergebung der Sünden; wir sagen's aber nur. Was wir damit sagen, legt uns Paulus mit diesem Worte aus: Das heißt: wissen, dass wir vor Gott nicht als Sünder erfunden werden, weil Christus unsere Rechtfertigung ist. Da tritt ans Licht, was Paulus Glauben heißt. Er hat kein geteiltes Herz, das zum Teil auf Christus hofft und zum Teil auf andere Dinge. Er hat in seinem Herzen nur für einen einzigen Helfer Raum. Dem hat er sich ganz ergeben; all sein Hoffen, seine ganze Erwartung, sein ganzes Streben zielt auf Christus hin. Da liegt die Hauptschwierigkeit, um deren willen uns die Worte des Apostels dunkel scheinen. Unser glaubensloses und zerspaltenes Herz versteht nicht, wie Großes Paulus von Jesus hofft und wie ungeteilt er an ihm hängt.

Wann wird man denn als Sünder erfunden? Als Übertreter erweise ich mich dann, wenn ich das wieder aufbaue, was ich abgebrochen habe, V. 18. Als wir gläubig wurden und unsere Gerechtigkeit bei Christus suchten, da haben wir uns vom Gesetz abgewandt und unsere Gerechtigkeit nicht mehr in den vom Gesetz befohlenen Werken gesucht. Wenn ich mich nun wieder zum Gesetz zurückwende, dann spreche ich mir allerdings das Urteil und beschuldige mich, dass ich das Gesetz mit Unrecht verlassen habe und ein Band zerriss, in das ich vor Gott gebunden war. Auch dieses Wort antwortet auf die Befürchtungen der Juden. Sollen wir denn zu Übertretern des Gesetzes werden? klagen sie. Nein, sagt Paulus, eben das sollt ihr nicht werden; ihr sollt nicht in Zwist mit dem Gesetz geraten. Wenn ihr wider das Gesetz streitet, geht ihr zweifellos zu Grunde. Auf dem Wege des Glaubens wird man aber nicht zum Übertreter des Gesetzes; das wird man gerade auf eurem gesetzlichen Weg. Meine Abwendung vom Gesetz, sagt Paulus, die völlig von demselben los und ledig ist, ist rein und recht. Ihr aber, die ihr noch halb am Gesetz hängt, und es jetzt wegwerft, um es hernach wieder zu holen, euch jetzt im Glauben von ihm löst und euch dann wieder unter dasselbe stellt, ihr seid allerdings Übertreter. Ihr erweist, dass ihr das Gesetz nicht auf rechtem Weg und mit reinem Gewissen verlassen habt. Von euch wird das Gesetz misshandelt und um seine Heiligkeit gebracht. Ihr fallt unter seine Verurteilung, deshalb weil ihr's wieder aufbaut, weil ihr euch wieder unter dasselbe stellt, und nicht mit völligem Glauben über dasselbe emporgetreten seid. Das war nun freilich für die gesetzlichen Eiferer eine verwunderliche Rede, dass gerade sie die Übertreter des Gesetzes seien. Aber so geht es uns bei allen unlauteren, schwankenden Stellungen. Da kommt nichts zu seinem Recht; alles wird gebrochen und verkürzt. Die Juden wollten Gesetz und Christus zusammenfügen und gaben weder Christo noch dem Gesetz seine Ehre. Sie verleumdeten Christus und brachen das Gesetz.

Warum ist des Paulus Abkehr vom Gesetze rein? Ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, V. 19. Für das Gesetz gestorben sein - das ist die ganze Lösung vom Gesetze statt der halben.

Einem jüdischen Mann, dessen Gewissen von seiner Kindheit her ans Gesetz gebunden war, konnte es kaum glaublich sein, dass ein Jude, der Gott vor Augen habe, sich über das Gesetz ohne innere Vorwürfe hinwegsetzen könnte. Kannst du, werden sie Paulus gefragt haben, wirklich z. B. am Sabbat arbeiten, ohne dass dir das Herz klopft und du vor dir selber schamrot wirst und dich das Wort strafend verfolgt: „gedenke des Sabbattags“? Seine Antwort lautet: ich bin dem Gesetze tot und werde inwendig nicht mehr von ihm gefasst. Es hat keinen Zugang mehr zu mir und spricht nicht mehr in mich hinein. Die Gerechtigkeit, die ich mit dem Gesetz erwerben könnte, begehre ich nicht; sie hat jede lockende Kraft für mich verloren. Ebenso wenig beängstigt mich die Drohung, die auf der Verlegung des Gesetzes steht. Das Gesetz mit innerer Selbstverurteilung beseitigen, ist freilich ein unheilvolles Verfahren, woran sich der Mensch verdirbt; das ergibt jenes Abreißen und Wiederaufbauen, woran man zum Übertreter wird. Das trifft mich nicht. Ich bin gänzlich vom Gesetze los.

Sein Wort weist aber noch tiefer. Wie bist du denn los geworden vom Gesetz? Er antwortet: gestorben bin ich. Und das ist mehr als ein Bild, vielmehr der richtige Ausdruck für das, was in ihm geschehen ist. Seine Hoffnungen und Wünsche erloschen; sein Ringen und Laufen stand still; seine Kraft schwand; sein eigenes Leben sank in sich zusammen. Seine Lösung vom Gesetz ist kein Kinderspiel. Ein Sterben hat ihn durchbohrt, ein Tod ist über ihn gekommen. Was verstehen doch die von seiner Stellung zu Gott, welche seine Freiheit vom Gesetz Leichtsinn schelten! Er hat sie schwer erkauft. In diese Freiheit geht man durch ein Sterben ein. Paulus deutet damit auf den ernsten Hintergrund seines Glaubens und zeigt uns das Gewicht, das der freudigen Gewissheit desselben die Waage hält.

Denken wir an die Tage seiner Bekehrung in Damaskus: war es nicht ein toter Mann? Der ganze Gewinn seines Lebens und seiner Arbeit war zernichtet. Seine Gerechtigkeit, an die er alles gesetzt hatte, war wie ein Hauch verschwunden. Er war ein Sünder geworden. Es war ihm nichts geblieben, keine Kraft, die er nochmals hätte einsetzen können, kein Weg, den er noch versuchen, keine Hoffnung, an der er sich wieder aufrichten konnte. Mit sich selbst war er völlig fertig. Er stand am Ende seiner Wege und musste sich selbst aufgeben und rundum verurteilen. Wenn je einem das Herz gebrochen ist, so ist dies Paulus widerfahren. Er schüttelte dieses Sterben nicht von sich ab. Seine Wirkungen waren unauslöschlich. Er trug sie in sich sein Leben lang.

Wer hat ihn in diesen Ausgang hineingeführt? Niemand als das Gesetz. Dem Gesetz hatte er einst gelebt und nichts anderes vor Augen gehabt. Dafür arbeitete und kämpfte er. Mit dem Gesetz ward er zum Sünder, zum Feind Gottes und Verfolger Christi. Und hernach da sprach das Gesetz das Schuldig über ihn, und er musste ihm Recht geben, sich selbst preisgeben als einen, der Unrecht tat und dem Tod verfallen war. Das Gesetz hat ihm mit seinem verdammenden Spruch alle Hoffnungen begraben und das Leben abgeschnitten. Eben darum, weil er durch das Gesetz ein toter Mann geworden ist, ist er nun auch für dasselbe tot. Es hat sein Werk an ihm bis zum Ende getan, nun ist er nicht mehr mit ihm verflochten, sondern frei.

Dieses Sterben war der Weg zum Leben. Ich starb, damit ich lebe; ich starb dem Gesetz, damit ich Gott lebe. Damit kommt die goldene Regel Gottes ans Licht und das Wunder der Gnade in der Führung der Menschen: dass wir im Sterben das Leben gewinnen. Gerade jenes Sterben hat mich, sagt Paulus, so gewiss es ein Sterben war, wahrhaft lebendig gemacht. Ziele und Hoffnungen, Wollen und Vermögen, Kraft und Werk und Gerechtigkeit das kam mir alles erst jetzt, und erst jetzt war dies alles göttlich, aus Gott geschöpft und Gott zugewandt. So ging mir erst jetzt das Leben auf, und zwar ein Leben, das Gott gehört und ihm dient. Auch das war für die Verehrer des Gesetzes eine harte Rede. Sie meinten, durch ihren Dienst am Gesetz Gott zu leben. Das kann aber kein Leben für Gott sein, was mit dem Tode endigt. Wahrhaftiges Leben hat nicht Tod in sich. Bei eurem Dienst am Gesetz, sagt Paulus, beschäftigt ihr euch mit euch selbst. Euer Wollen und Können und Wirken, eure Gerechtigkeit und eure Ehre und eure Seligkeit erfüllen euch. Ihr denkt beständig an euch und sucht euch. Und das Ende ist der Tod. Erst als mir das Gesetz unterging, fand ich Gott. Da ward mir Gott lebendig als der gebende und mich bewegende, auf den ich geworfen bin, von dem ich alles empfangen habe, was ich bin, und dem ich nun auch mein ganzes Trachten und Handeln hingeben darf. So schirmt Paulus seine Freiheit vom Gesetz gegen alle Verdächtigung: ich bin dem Gesetze tot, nicht weil ich mir selbst lebe und meinem Eigenwillen; ich lebe für Gott.

Es musste den Juden immer noch unglaublich scheinen, dass Paulus wirklich vom Gesetz nicht mehr erfasst werde, dass dessen Gebot ihn nicht mehr binde und dessen Fluch ihn nicht mehr schrecke, und dass diese Erstorbenheit für das Gesetz die Wurzel des Lebens für ihn sei, und zwar eines heiligen Lebens voller Fruchtbarkeit für Gott. Er erklärt uns darum, wie er für das Gesetz ein toter Mann geworden ist: ich bin mit Christo ans Kreuz gehängt worden. Jesu Kreuz hat Paulus ins Herz gegriffen und hat ihn mit hineingezogen in Jesu Tod. Zuerst hat sich seine ganze Seele wider dasselbe empört. Mit einem Gekreuzigten wollte er nichts gemein haben und ihn nicht für seinen Herrn und Hirten achten, dem er untergeben sei. Aber Gott hat ihm im Gekreuzigten seinen Sohn gezeigt. Je gewaltiger er sich vorher gegen sein Kreuz empört hat, umso mächtiger erfasst es ihn nun: ja, gerade der Gekreuzigte ist dein Herr, in ihm ist dir Gottes Herrlichkeit bereitet auf dem Kreuzesweg. Das alles gilt dir, deine Sünde wird hier offenbar, dir wird hier das Urteil gesprochen, dein fleischliches Wesen im Tode abgetan. Was ist dein Streben, Laufen, Wirken? An Christi Kreuz sinkt es dahin. Es macht deinem eigenen Wesen und Leben ein Ende. So hat sich Paulus völlig in Jesu Sterben eingeschlossen, es auf sich selbst bezogen und gesagt: mit ihm bin auch ich ein verurteilter und in den Tod gegebener Mann.

Er stellt beides nebeneinander: durch das Gesetz und durch Christi Kreuz bin ich in den Tod versetzt. Denn was uns Gott durch das Gesetz tut, und was er uns durch Christus tut, ist einträchtig. Das Gesetz sagt: Du bist ein Sünder, und ein Sünder kann und darf nicht leben. Das sagt auch Christus und geht deshalb für uns in den Tod. Das Gesetz sagt: Sünde wird nur dadurch gedeckt, dass das Leben um ihretwillen hingegeben wird. Das sagt auch Jesus und vergießt deshalb sein Blut. Das Gesetz sagt: Du bist Fleisch und Gott ist Geist, du bist geschieden von ihm und seinem Reich. Christus sagt es auch und legt sein Fleisch ins Grab. So kommt an Jesu Kreuz das Gesetz zur Erfüllung, und eine und dieselbe Wirkung geht von beiden aus auf uns.

Das Gesetz und das Kreuz lassen sich nicht voneinander trennen. Das eine wird nur durch das andere verstanden. Warum hat Paulus Jesu Tod als seinen eigenen Tod betrachtet? Weil er das Gesetz Gottes vor Augen hatte und in seinem Herzen wirken ließ. Weil das Gesetz sein eigenes Trachten und Wirken traf und tötete, darum begriff er, weshalb Jesus gestorben ist, dass sein Kreuz auch für ihn errichtet ist. Auch wir begreifen Jesu Kreuz nur dann, wenn wir uns dem Ernst des göttlichen Gebots untergeben. Wiederum, was hat Paulus fähig gemacht, dem Spruch des Gesetzes sich zu unterwerfen, ohne dass er in Verzweiflung fiel? Er sah auf Christus und bedachte, dass er mit Christus in den Tod gegeben sei. Christi Kreuz ist aber nicht nur das Bußzeichen, welches uns zeigt, dass Gott die Sünde gerichtet hat, sondern zugleich das Gnadenzeichen, welches uns sagt: du bist mit Gott versöhnt. Darum verwandelt sich solches Sterben in den Aufgang des Lebens. Nun begreifen wir, wie für Paulus aus dem Sterben das Leben kam. Weil er mit Christus in den Tod gegeben war, starb er so, dass das Leben für Gott daraus entstand.

Darum fährt Paulus fort: ich, der ich vom Gesetz zum Tode getroffen und in Christi Kreuzigung mit eingeschlossen bin, ich lebe! Warum? Christus lebt, und das ist auch für mich der Grund des Lebens. Meines Lebens Grund kann nimmermehr in mir selber liegen; ich bin nicht mehr der Lebendige. In mir wirkt und herrscht der Tod. Aber Christus lebt, und er lebt nicht bloß für sich in der Herrlichkeit seiner eigenen Person, sondern er lebt auch in mir und macht, dass sein Leben an mir erscheint und mich durchdringt, so dass ich eine Schöpfung und ein Zeugnis seines Lebens bin.

Was hier Paulus ausspricht, besagt mehr, als was man gemeinhin „Selbstverleugnung“ nennt. Es ist deren höchste, alles umfassende Gestalt. Er hat den Grund und die Kraft seines Lebens nicht in sich, sondern empfängt alles allein aus Christus. Er hat es in sich, aber als Christi Gabe und Werk. Aber wie? Du bist ja Fleisch und Blut, und doch soll das Leben Christi in dir sein? Er ist bei Gott, du bist im Fleisch; sein Leben hat Gottes Gestalt und Herrlichkeit, und du hast die Fleischesgestalt. Wie kann denn Christi Leben in dir sein? Wohl lebe ich jetzt im Fleisch, sagt Paulus, und so lange ist freilich meine Einigung mit ihm noch nicht vollendet und seine Gestalt noch nicht die meinige und sein Leben an mir noch nicht offenbar. Aber das trennt mich von Christus nicht. Es gibt ein Band, das auch aus meiner Fleischesgestalt zu ihm emporreicht und sein Leben zum meinigen macht, das ist der Glaube. Im Fleisch Christo verbunden sein, das macht sich so: ich glaube ihm. Durch den Glauben weiß ich trotz meiner irdischen Art, dass er in mir lebt. Durch den Glauben bin ich über meinen inwendigen Tod emporgehoben und empfange, was mir Christus gibt, was nicht des Fleisches Art an sich hat, sondern aus dem Geiste kommt. Und der Glaube ist seiner Sache gewiss; er weiß, worauf er steht.

Worauf denn? ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich dargegeben hat. Unseres Glaubens Wurzel ist Christi Liebe, die im Todesgang bewährte Liebe des Sohnes Gottes. Darauf lässt sich bauen mit rechtem Glauben, der sich völlig auf ihn verlässt. Christi Leben, sagt Paulus, sehe ich jetzt freilich noch nicht. Aber seine Liebe sehe ich, denn er hat sich für mich dahingegeben: darum glaube ich.

Nun wissen wir, wie Paulus frei geworden ist vom Gesetz. „Christus hat sich für mich dahingegeben,“ das ist das Wort, das er in seiner Seele trägt. Das gibt Glauben, und der Glaube wird von Christo erhört, und macht, dass Christus ihm verbunden ist. Also ist Christi Tod und Leben sein. Dadurch wird Christus ihm zur vollkommenen Rechtfertigung, und er wird nicht mehr als Sünder erfunden. Christi Tod hat seine Sünde bedeckt; Christi Leben macht ihn lebendig in Gerechtigkeit für Gott. Also hat er beim Gesetz nichts mehr zu suchen, sondern lässt sich allein von Christo leiten und tut, wozu Christi Tod und Leben ihn beruft.

So hat ihm Gott Gnade erzeigt, und die Gnade darf man nicht verwerfen. Ich mache die Gnade Gottes nicht ungültig. Es gibt nichts in der Welt, was weniger verachtet werden darf als Gnade. Sie ist das Allerheiligste, was wir unverletzt stehen lassen müssen in seiner Gültigkeit und Kraft. Ich, sagt Paulus, kann mich angesichts der Gnade Gottes nicht besinnen, ob ich sie annehmen will. Ich sage zu derselben. „Ja! ich danke dir; deine Gnade sei mein Eigentum.“ Ich kann nicht anders als gläubig sein, einfach deshalb, weil ich doch der Gnade nicht widersprechen kann, sondern sie stehen lassen muss als mir gegeben und erzeigt. Und nun gibt's keinen Rückweg mehr ins Gesetz. Denn wenn durch das Gesetz die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus umsonst gestorben. Dann hat uns sein Sterben nichts gebracht und war eine fruchtlose Tat, die ohne Wirkung blieb. Was sollte denn die Gabe Jesu sein, die uns sein Kreuz erwürbe, wenn wir die Gerechtigkeit anderswo finden, nämlich in uns selbst, und den Weg des Lebens erreichen, vom Gesetz geleitet? Dann bedürfen wir keiner Liebe, die an unsere Stelle tritt und für uns tote Leute stirbt. Dann handeln wir selbst gut und gerecht und sind dazu kräftig und lebendig genug. Das heißt Jesu Tod für unnütz achten. Das tut niemand, der ihn kennt, niemand, der ihm glaubt. Der Gläubige spricht: Dein Tod ist das Beste, was in der Welt geschehen ist; deine Hingabe ist ewig wirksam uns zur Rechtfertigung; deine Liebe ist das, was wir bedürfen, und in ihr ruhen wir, los von Zweifel und Furcht, gedeckt gegen allen Mangel und Fall, dir verbunden und in dir zu Gott gebracht.

Daher kam die Betrübnis und der Zorn des Paulus über die Heuchelei in Antiochien und die jüdischen Neigungen in Galatien, und die jüdischen Zerstörer der Gemeinden wissen nun, warum er in dieser Sache keines Menschen Ansehen schont, nicht einmal Petrus, geschweige denn unlautere Eiferer und falsche Brüder, wie sie es sind. Das Vertrauen auf Christum wegwerfen, zweifeln, ob er uns zur Gerechtigkeit geworden sei, sich fürchten, als würden wir durch ihn zu Sündern, sich losreißen von seinem Sterben und Leben, das doch allein uns tote Leute für Gott lebendig macht, seine Liebe verachten, die er uns durch das Kreuz bezeugt hat, seinen Tod geringschätzen, als ginge er uns nichts an und als wäre er vor Gott ohne Furcht - das kann Paulus nicht, und wo er solches in den Gemeinden findet, da verfolgt er es mit dem Eifer der Wahrheit, der Christus über alles stellt.

Wie sollte er da irgendeinen Menschen schonen, während Christus herabgesetzt und sein Kreuz verachtet wird? Der Mensch, und sei es auch Petrus, werde klein, und Christus und sein Kreuz werde in der Gemeinde groß und sei das Einzige, was sie bewegt und erfüllt.

Die Erzählung steht hier an ihrem richtigen Ende, trotzdem uns nichts mehr von Petrus erzählt wird, und wir nicht hören, wie er seine Zurechtweisung aufgenommen hat. Der Schein, in den sich Petrus hüllte, war zerstört, und es war öffentlich vor der ganzen Gemeinde festgestellt, dass Petrus heidnisch gelebt hatte. Juden und Heiden wussten nun, was sie von jenem Eifer für die Speiseordnung zu halten hatten. Das Ärgernis war von den Heidenchristen abgewandt und die alleinige Nichtschnur für die, die Christum kennen, hell ins Licht gehoben. Was konnte Petrus anders, als schweigen und Paulus recht geben? Er mag hervorgehoben haben, was er zu seiner Entschuldigung sagen konnte, dass es eben doch für einen Juden eine schwere Sache sei, über das Gesetz hinwegzusetzen, und dass Israel auch in seinem Eifer für das Gesetz alle Schonung verdiene. Aber in der Hauptsache musste er Paulus beitreten und gestehen, dass er nicht offen und mutig gehandelt hatte. Und dass Gottes Gnade und Christi Kreuz und der Glaube an ihn nicht verachtet werden dürfen, sondern die Kraft der Gemeinde Christi sind, darin war Petrus mit Paulus eins. Was sollte Paulus vom Geständnis des Petrus reden, als ginge seine Absicht dahin, ihn zu beschämen? Ihm handelt es sich allein um die Sache, um Christi Ehre, damit wir ihm völlig trauen. Dazu hat er in Antiochien geeifert und dazu die Geschichte auch jetzt erzählt. Diesen Zweck hat er erreicht; so bricht er ab.