Schlachter, Franz Eugen - Samuel und Saul - 10. Eben-Ezer.

1. Sam. 7,3-12.

Die Ankunft der Bundeslade in Israel war ein freudiges Ereignis für das Volk. Die Bundeslade war ja das sichtbare Zeichen der Gegenwart des HErrn. Sieben Monate hindurch hatten sie dasselbe entbehrt. Das war eine Ursache großer Traurigkeit gewesen für das Volk; sie hatten die Abwesenheit ihres Heiligtums, den Verlust der sichtbaren Nähe des HErrn empfunden als ein schweres Gericht. So kann es auch uns ergehen, dass uns die sichtbaren Beweise der Gegenwart des HErrn genommen werden, und das Bewusstsein Seiner heiligen Nähe uns verloren geht. Wie froh sind wir dagegen, wenn der HErr uns Sein Nahesein wieder schenkt. Da möchten wir wie David mit aller Macht tanzen vor der Lade des HErrn, und rufen mit ihm aus: „HErr, mache Dich auf zu Deiner Ruhe, Du und die Lade Deiner Macht!“ Ps. 132,8. Aber gerade an dem fehlte es jetzt in Israel noch, an einem Ruheort für die Lade des Herrn.

Man wundert sich, dass sie nicht sofort nach Silo in die Stiftshütte zurückgebracht wird, wie sie in Beth-Semes angekommen ist; aber dies kommt offenbar daher, dass Samuel der Leitung des HErrn nicht vorgreifen will. Er hatte keinen Befehl vom HErrn, dies zu tun; die Lade kam auch nie mehr nach Silo zurück, erst David holte sie dann von Kiriat-Jearim nach Jerusalem hinauf. Einstweilen aber blieb sie in dem Haus eines Leviten zu Kiriat Jearim, dessen Sohn ihrer hütete, nachdem die Bethsemiten sie nicht mehr behalten wollten wegen der Furcht vor ihrer Heiligkeit.

Das Volk Israel aber sollte aus dieser Verzögerung der Wiederkehr des Heiligtums zur Stätte seiner Ruhe lernen, dass man die Gnade des HErrn zwar schnell verlieren kann, dass es aber oft lange geht, bis das Verlorene wieder gewonnen ist. Der Geist Gottes ist schnell betrübt, aber es geht oft lange, bis Er wieder festen Fuß bei uns fassen kann.

Diese Verzögerung machte nun auch wirklich, wie wir gesehen haben, den vom HErrn beabsichtigten Eindruck auf das Volk. Die Zeit verzog sich so lange - 20 Jahre lang - bis das ganze Israel dem HErrn nachjammerte.

Das ist die echte Buße, die göttliche Traurigkeit, wenn dem HErrn nachgejammert wird. Gerade jener oft gebrauchte Ausdruck „göttliche Traurigkeit“ bedeutet eigentlich ein Trauern um Gott; man trauert darum, dass man Ihn betrübt, ja Ihn verloren hat. So heißt es auch von der zukünftigen Buße Israels: „Sie werden um Ihn - den Messias - klagen wie um ein einiges Kind, und werden sich um Ihn betrüben, wie man sich betrübt um einen erstgebornen Sohn.“ Das will viel sagen, wenn man dem Heiland so nach jammert, wie einem einzigen Kind, welches man verloren hat und das kommt leider selten vor. Man jammert gewöhnlich ganz andern Dingen nach. Etwa einem verlorenen Vermögen oder Verdienst, einem verlorenen Freund, oder Angehörigen, vielleicht auch der verlorenen Zeit und versäumten Gelegenheit, aber dem HErrn, dass man nämlich Seiner Gegenwart verlustig gegangen ist, dem jammert man selten nach. Und doch kann nur das die rechte Buße sein, wo Er vermisst wird von uns und man es ohne Ihn nicht mehr machen kann. Die Israeliten jammerten zuerst nur der verlorenen Bundeslade nach und so geht es gewöhnlich; man ist mehr bekümmert um die äußeren Güter der Religion, als um den HErrn; es jammern manche mehr um die Kirche, um die Gottesdienste, die sie etwa nicht mehr besuchen können, zuweilen auch um diesen und jenen Prediger, der nicht mehr da ist, als um den HErrn. Unsere Buße ist aber nur dann echt, wenn sie auf den HErrn gerichtet ist. Einem Menschen oder einer menschlichen Einrichtung nachzujammern, ist kaum der Mühe wert; „Lasst ab von dem Menschen, der den Odem in seiner Nase hat, denn was ist er zu achten!“ ruft der HErr uns zu; dagegen kann man sich nicht genug darüber betrüben, wenn man den HErrn verloren hat.

Das Haus Israels jammerte dem HErrn nach, weil mit ihrer Betrübnis die Erkenntnis der Sünde verbunden war. Samuel sagt ihnen offen, dass ihr Götzendienst schuld an dem Verlust der Gegenwart des HErrn gewesen sei und verlangt als Beweis der Echtheit ihrer Bekehrung, dass sie die Götzen aus ihrer Mitte tun. Die Kinder Israels gehen auf diese Forderung ein; sie schaffen die Baale und die Astarten ab und dienen dem HErrn allein. Hierauf lässt Samuel das ganze Volk gen Mizpa in der Nähe von Jerusalem versammeln, um dort für sie um Errettung aus der Knechtschaft der Philister zu bitten. Diese Versammlung wird zu einem rechten Bußtag für Israel.

Sie verleihen ihrer Buße Ausdruck auf eine eigentümliche Art, indem sie Wasser ausgießen vor dem HErrn. Sie tun das in dem richtigen Gefühl, dass sie nicht genug Tränen vergießen können über ihre Sünden. Anstatt das Wasser zu trinken, gießen sie es aus, was bei der Kostbarkeit und Seltenheit dieses Getränks in jenem Land einer Entsagung gleichkommt; sie dehnten ihr Fasten also sogar auf die Enthaltung von jeglichem Genuss, selbst vom Genuss des Wassers, aus an jenem Tag. Dabei legen sie das Bekenntnis ihrer Verschuldung ab: „Wir haben an dem Herrn gesündigt,“ sprechen sie. Samuel begnügt sich aber nicht mit einem bloßen allgemeinen Sündenbekenntnis und mit einer Generalbuße des Volks. Seine Bußversammlungen sind praktischer Natur, sie greifen ins tägliche Leben ein. Da er weiß, dass sie unter sich noch unerledigte Streitigkeiten haben, verlangt er, dass sie dieselben vor ihn bringen, damit er sie schlichte: „also richtete Samuel zu Mizpa die Kinder Israels“. Das mag für uns ein Wink sein, dass es sich bei der Buße nicht nur um eine Versöhnung mit Gott, sondern auch mit unsern Nächsten handeln soll. Das Hängenlassen unerledigter Streitsachen ist kein Beweis von Buße, wohl aber deren Beilegung.

Durch die große Bußversammlung der Kinder Israels wird der Ärger und die Feindschaft der Philister erregt. Sie vermuten, und nicht ganz mit Unrecht, dass es dabei auf sie abgesehen sei, und dass das Volk Gottes ihr Joch vom Hals schütteln will Deshalb ziehen sie hinauf wider Israel. Es ist bekannt, dass die Welt sich noch immer feindlich zu den Versammlungen des Volkes Gottes stellt, und natürlich umso feindlicher, je mehr sie von denselben zu fürchten hat. Der Feind sieht sich von den bereinigten Gotteskindern bedroht und er macht sich gerne auf, wenn er sieht, dass wir Ernst machen mit der Bekehrung zu unserm Gott. Die Philister hatten weniger zu befürchten von Israel, so lange es im Götzendienst versunken war, als nun, wo es Buße tat.

Doch auch die Kinder Israels fürchten sich vor des Feindes Macht. Sie waren nicht zusammen gekommen mit den Waffen in der Hand, und nun ziehen die Philister gerüstet gegen sie. Sie wollten nur erst beten um Befreiung von den Philistern und nun soll es schon zum Kampf kommen!

So wird aber das Gebet oft unmittelbar vom Kampf gefolgt. Vom Gottesdienst weg eilen die Kinder Israels in den Streit; denn während Samuel das Opfer darbringt, nahen sich die Philister zum Streit. Der HErr aber streitet für Israel.

Samuels Fürbitte begleitet sie in den Kampf. Die himmlische Artillerie lässt gegen die Philister ihre Donner los, dass sie in Verwirrung geraten und geschlagen werden vor Israel. Unter diesen Umständen liegt den Israeliten nur noch die Verfolgung des Feindes ob; sie jagen die Philister und schlagen sie bis unter Beth-Car. Sie erfechten also einen völligen Sieg, dessen Folge ist, dass die Philister, so lange Samuel lebt, nicht mehr einfallen ins Gebiet Israels, und dass die Städte, die Israel an sie verloren hatte, wieder zurückerobert werden von diesem Volk.

Zum Andenken an diesen Steg setzt Samuel einen Denkstein, dem er den Namen Eben-Ezer gibt. Dieser „Stein der Hilfe“ ist der Ausdruck dankbarer Erinnerung an den Sieg, den der HErr gegeben hat; und deshalb wird der Stein bei Mizpa gesetzt, vermutlich an der Stelle, wo der Opferaltar gestanden und Samuel den HErrn für Israel angerufen hat, damit es Israel nie vergesse, dass Jehova die Philister besiegt hat, und nicht einer der Götzen, noch es selbst in eigener Kraft. So musste der Stein aber auch eine Verheißung sein, dass der Gott, der bis hieher geholfen, auch weiter helfen kann, bis endlich alle Feinde Israels geschlagen sind.