Ein merkwürdiger Triumphwagen fährt durch die Zeiten hin. Christus sitzt darauf, mit Dornen gekrönt, mit Schmach beladen, mit Geißeln zerschlagen, mit Blut bespritzt. In der Linken trägt er das Kreuz, in der Rechten die beiden Testamente. Freudig und rüstig haben sich die Apostel in das Joch gespannt, um den Zug zu bewegen; ihnen voraus schreiten die Patriarchen und Propheten. Zu beiden Seiten des Wagens gehen große Schaaren der Märtyrer und neben ihnen die Lehrer der Kirche mit aufgeschlagenen Bibeln. Als Gefolge erblickt man eine unzählbare Menge Menschen beiderlei Geschlechts aus verschiedenen Ständen und Völkern, Juden und Heiden, Reiche und Arme, Gelehrte und Ungebildete. Sie alle jubeln und klatschen vor Freuden in die Hände. Rings um den Zug aber stehen große Hausen von Feinden, Kaiser und Könige, Fürsten, Weise und Große dieser Welt mit Völkern von allen Zungen, mit Sclaven und Freien, Männern und Frauen; und unter gewaltiger Anstrengung stürmen sie auf die Schaar der Frommen ein. Allein mit ihrer Macht ist nichts gethan. Die Götzenbilder stürzen und werden zertreten; das Kreuz Christi siegt und führt das Gefängniß gefangen.
Mein Sohn, sagt der Weise, verziehe nicht, dich zu Gott zu bekehren, schiebe nicht einen Tag nach dem andern auf, denn sein Zorn eilends über dich fallen wird. Allein wider diesen guten Rath raunt der Teufel dem Menschen ins Ohr: Du bist noch jung, kannst noch lange leben, kannst dann immer noch deine Sünden bereuen und bekennen. Und viele glauben auch dem Verführer und verschieben die Buße bis auf ihre alten Tage, wo sie weder gehen noch stehen, weder sehen noch hören können. Sie gleichen Einem, der sich viel Geld borgt und nimmer bezahlt. Das Capital wächst täglich durch die unabgetragenen Zinsen; zuletzt muß der Schuldner mit seiner eignen Haut bezahlen. Darum verziehe doch Keiner mit der Buße bis zu dem Augenblicke, wo die Reue von so Vielen nicht mehr hat gefunden werden können!
Gott, der Du wohnest in einem Lichte, da Niemand zukommen kann, der Du mit leiblichen Augen nicht gesehen, mit menschlichem Verstande nicht begriffen wirst und mit Engelzungen nicht genugsam magst gepriesen werden, unaussprechlicher Gott, höchstes Gut, zu Dir rufe ich. An Dir allein habe ich gesündigt und übel vor Dir gethan. Menschen scheute ich mehr, als Dich; denn ich war blind und hatte fleischliche Augen. Ach, wo soll ich nun hingehen vor Deinem Geist, und wo soll ich hinfliehen vor Deinem Angesicht? Was soll ich machen? Wer wird mich schützen? Herr, ich habe keine Hülfe, denn allein bei Dir. Erbarme Dich meiner, nicht nach Deiner geringeren Barmherzigkeit, nach welcher Du in leiblichen Nöthen hilfst, sondern nach Deiner großen Barmherzigkeit, wonach Du Missethaten vergiebest, und mit der Du die Welt also überschüttet hast, daß Du Deinen eingebornen Sohn für sie in den Tod gabest. Tief sind meine Sünden, o Herr, aber tiefer ist Deine Gnade. So verschlinge denn ein Abgrund den andern, die Tiefe Deiner Barmherzigkeit verschlinge die Tiefe meiner Dürftigkeit. Eile entgegen, lieber Vater, Deinem verlornen Sohne, der sich aus seinem Lande zu Dir aufgemacht hat; komm, du guter Samariter, und hilf mir Armen, der ich bis in den Tod verwundet bin. Tröste mich wieder, mein Gott, mit Deiner Hülfe und Dein freudiger Geist belebe mich.
Das Gesicht des Menschen ist ein Spiegel seiner Seele. Die Furcht bedeckt es mit Blässe, Zorn und Schaam, überziehen es mit Rothe. Den Stolzen kann man an seiner frechen Stirn, den Grausamen an seinen stechenden Augen, den Unzüchtigen am lüsternen Blicke erkennen. Des wahren Christen Antlitz hat ein göttliches Gepräge, und übt eine Macht über die Gemüther aus. Dem grausamen Herrscher der Hunnen, Attila, der die blutigste Niederlage gesehen und den noch keine Schlacht in Schrecken gesetzt hatte, nöthigte eine Rede des Römischen Bischoff Leo Ehrfurcht und Gehorsam ab. Totilas, König der Ostgothen, der überall Mord und Zerwüstungen angerichtet, warf sich einem armen Benediktinermönche zu Füßen und wartete, bis ihn dieser aufrichtete. Kaiser Theodosius ließ sich wegen seiner zu Thessalonich begangnen Grausamkeiten von Ambrosius, Bischof von Mailand, strafen und zur Buße bewegen. So sehen wir auch jetzt noch oftmals, daß anmaßende und böse Menschen in Gegenwart frommer Männer Sinn und Worte ändern, und zu einem neuen Lebenswandel bestimmt werden. Denn der Heilige Geist schmückt auch nach Außen Mann und Weib. Jugend und Alter. Die Jugend ziert er mit wunderbarem Reize, das Alter mit herrlicher Würde, und je nach den Umständen flößt er bald Liebe zu ihnen, bald Ehrfurcht vor ihnen ein.
Wer an allen andern Gütern reich wäre, der hätte Nichts, wenn ihm die Gnade und Liebe Gottes fehlte. Wer aber sie besitzt, der hat Alles. Daraus folgt, daß sich der Christ, so viel er kann, bemühen wird, diesen Schatz zu erhalten und zu vermehren. Sehen wir doch schon bei unvernünftigen Kreaturen, daß sie ihr Leben auf jegliche Weise zu retten suchen, daß sie mit allen Kräften ihrem Untergange widerstehen und alles Andre daran geben, wenn nur ihr Dasein erhalten werden kann. So will denn auch der Christ, dessen eigentliches Leben in der Gnade und Liebe besteht, alle Güter Leibes und der Seele opfern, alles Elend, ja selbst den Tod eher erdulden, als die Gnade und Liebe Gottes verlieren.
Schwer ist es, Reichthümer zu besitzen, ohne das Herz daran zu hangen. Denn der Wille des Christen schwebt zwischen den Gütern der Ewigkeit und den Gütern der Zeit, wie ein Eisen zwischen zwei Magneten. Der Glaube zieht nach oben, die Sinne ziehen nach unten. Da nun jeder sinnliche Gegenstand in der Nähe stärker anlockt, als in der Ferne, so ist es klar, daß der Reiche viel mehr von dem Irdischen angezogen werden muß, als der Arme; und deßhalb spricht der Herr: Es ist leichter, daß ein Kameel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher ins Reich Gottes komme. Weil wir nun aber einmal ohne zeitliche Güter nicht leben können, so mögen wir uns ihrer also, wieder Kranke einer bittern Arznei, bedienen. Dieser nimmt nicht gern viel davon ein, er möchte ihrer lieber ganz entrathen können. So sollen auch die irdischen Güter für unsern geistlichen Geschmack immer etwas Abstoßendes und Herbes behalten. Wollen wir Gott dienen, so dürfen wir den Mammon nicht lieben.
Um die Leiden und Anfechtungen dieses Lebens in Geduld zu ertragen, vergegenwärtige dir erstens die Mühen und Leiden Christi und seiner Frommen, wie sie im Neuen und Alten Testamente erzählt werden; denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf daß wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben. Zweitens bedenke oft die Kürze aller zeitlichen Güter und Freuden. Drittens erwäge den herrlichen Lohn, welchen Gott denen geben wird, die ihn lieben, gleichwie geschrieben steht: Das kein Auge gesehen hat, und kein Ohr gehöret hat, und in keines Menschen Herz gekommen ist, das hat Gott bereitet denen, die ihn lieben. Nimmst du Solches zu Herzen, dann wirst du vor keiner Trübsal erschrecken, sondern freudig mit dem Apostel ausrufen: Dieser Zeit Leiden ist der Herrlichkeit nicht werth, die an uns soll offenbaret werden.
Wer in ängstlicher Bekümmerniß wegen der Zukunft lebt, den hält der Unglaube noch befangen. So fest es steht, daß sich Gottes Fürsorge auf alle Kreaturen erstreckt, so gewiß ist es, daß sie auf den Menschen vorzüglich gerichtet ist; denn kostbare Sachen hebt Jedermann höher auf, als geringere. Sehet die Vögel unter dem Himmel an, spricht der Herr, sie säen nicht, sie erndten nicht, sie sammeln nicht in die Scheuern, und euer himmlischer Vater nähret sie doch, als wollte er sagen: Fehlt den niedrigsten Kreaturen zu keiner Zeit Etwas, wie viel weniger wird es den Menschen, vornehmlich den Frommen fehlen. Dasselbe erklärt er aber auch ausdrücklich mit den Worten: So denn Gott das Gras auf dem Felde also kleidet, das doch heute stehet und morgen in den Ofen geworfen wird, sollte er das nicht vielmehr euch thun, o ihr Kleingläubigen. Darum müssen wir uns fest überzeugt halten, daß Gott Alles das versehen wird, was nicht in unserer Macht steht. So werden wir von vielen Sorgen frei werden, und Zeit und Gelegenheit zu himmlischen Gedanken und zum Gebete gewinnen.
Ach Herr, mein Herz hat mich verlassen, es denkt nicht mehr an mein Elend, hat seines eigenen Heils vergessen, hat sich verirrt und ist in ein fremdes Land gezogen. Ich habe ihm gerufen, aber es antwortet mir nicht, es ist fern von mir, umgekommen und verkauft in Sünden. Was soll ich nun thun? Was soll ich sagen? Mein Herr, ich schreie zu Dir, schaffe in mir ein reines, demüthiges, niedriges Herz, ein sanftmüthiges, friedsames Herz, ein gütiges und gottesfürchtiges Herz, ein Herz, das Niemanden schadet, nie Böses mit Bösem vergilt, ein Herz, das Dich über alle Dinge liebt, von Dir allezeit redet, Dir immerdar danket, sich an Psalmen und geistlichen Lobgesängen ergötzt und schon hier im Himmel wandelt. Ein solches Herz schaffe in mir, aus Nichts schaffe es, auf daß ich durch Gnade bekomme, was ich von Natur nicht erlangen kann. Ja schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gieb mir einen neuen, gewissen Geist!
O allmächtiger, ewiger Gott, der Du Dich einen himmlischen Vater unser Aller genannt hast, auf daß wir Deine himmlischen Kinder sein mochten: Gieb, daß Dein allerheiligster Name in uns durch Frömmigkeit des Sinnes und Wandels geheiliget werde. Schaffe, daß das Reich Deiner Gnade und Barmherzigkeit in unser Herz einziehe. Verleihe, daß wir Deinem Willen gehorchen bis in den Tod, Fleisch, Welt und Teufel überwinden und Eines Sinnes unter einander leben, wie die himmlischen Heerschaaren. Gieb uns, Herr, das tägliche Brod zur Nahrung des Leibes, gieb uns, das Brod Deines Wortes zur Speise unserer Seelen. Hilf, daß wir unsern Feinden und Beleidigern freundlich begegnen und ihnen ihre Fehler gern vergeben, damit auch Du uns unsre Sünden verzeihen mögest. Laß uns nicht in zu tiefe Anfechtung fallen und verderben, sondern schenke uns in aller Trübsal eine liebliche Empfindung Deines väterlichen Sinnes. Endlich gieb, gütigster Vater, daß wir von allem Uebel Leibes und der Seele durch Deine Gnade erlöst, zum Erbtheil des Himmels, das uns durch das Blut Deines Sohnes erworben ist, erhoben und in Gemeinschaft der Engel der ewigen Freude theilhaftig werden, durch Jesum Christum, unsern Heiland, welchem sammt Dir und dem heiligen Geiste sei Lob, Ehre und Preis in Ewigkeit. Amen!
Der Glanz der Weltehre ist nur ein Glanz in der Finsterniß. Kommt einst der Tag des Herrn, wo der Allmächtige alles Verborgene, auch die Rachschlage der Herzen wird offenbaren, so werden alle diejenigen, welche jetzt stolz und hoffärtig in der Welt einhergehen, elend und gering erscheinen. Man kann sie daher dem faulen Holze vergleichen, das in der Nacht schimmert, aber bei Tage morsch und zerfressen erscheint; oder den schwarzen Nachtvögeln, die in der Dunkelheit sich belustigen, bei Tage aber stumm und verborgen sitzen müssen. Das weltliche Gepränge ist dem Rauche ähnlich, der, je höher er steigt, desto mehr sich verliert; dem Grase, dos auf dem Dache wächst, und bald verdorren muß.
Quelle: Galle, Friedrich - Geistliche Stimmen aus dem Mittelalter