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Römheld, Carl Julius - Predigt am dritten Sonntage des Advents.

Wie groß, wie angebetet ist dein Name, o Heiland Jesus Christ, wie teuer deinem Volke. Ja, dein Name ist uns heilig und teuer; aber wir bitten dich, wirke jetzt durch dein Wort und durch den Heiligen Geist, dass uns dein Name noch lieber und höher werde, ach, verkläre in dieser Stunde deinen Namen! Amen.

Text: Ev. Matth. 11, 2-11.\ Da aber Johannes im Gefängnis die Werke Christi hörte, sandte er seiner Jünger zwei und ließ ihm sagen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johanni wieder, was ihr seht und hört: die Blinden sehen und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein, und die Tauben hören, die Toten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt. Und selig ist, der sich nicht an mir ärgert. Da die hingingen, fing Jesus an zu reden zu dem Volke von Johanne: Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her bewegt? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige Häusern. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch, der auch mehr ist denn ein Prophet. Denn dieser ist's, von dem geschrieben steht: „Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.“ Wahrlich ich sage euch: Unter allen, die von Weibern geboren sind, ist nicht aufgekommen, der größer sei denn Johannes der Täufer; der aber der Kleinste ist im Himmelreich, ist größer denn er.

Geliebte in dem Herrn! Man sagt zwar: „Es geschieht nichts Neues unter der Sonne“, und bis zu einem gewissen Grade ist das auch richtig. Ähnliche Ereignisse, wie die, welche in unsrer Zeit geschehen, ähnliche Bestrebungen, ähnliche Sitten und Gebräuche, ähnliche Moden, wie sie in unsrer Zeit vorkommen, sind auch früher schon dagewesen, und vielleicht schon mehr als einmal. Der Menschen Herz, der Menschen Dichten und Trachten ist beinahe von Anfang an dasselbe gewesen, wie es jetzt noch ist. Und Gott und Gottes Regierung der Welt und der Menschen sind auch zu allen Zeiten dieselben gewesen, die sie heute noch sind. Daher erklärt sich's, dass sich in der Weltgeschichte, im Menschenleben und in der Natur von Zeit zu Zeit die Dinge wiederholen. Darum wenn schlimme Dinge, schlimme Zeiten, böse Zustände, schlechte Sitten aufkommen, so tröstet sich mancher, indem er denkt: „ist alles schon dagewesen und ist auch wieder vorübergegangen, ist auch wieder besser geworden; es geschieht ja nichts Neues unter der Sonne“.

Aber dieser Trost ist doch nicht ganz fest und zuverlässig. Denn es geschieht doch auch manches Neue unter der Sonne, und es ereignet sich doch auch manches, was noch nie dagewesen ist. So hat z. B. unsre Zeit manches Gute und Große, was, so lange die Erde steht (soviel wir wenigstens wissen), noch nie dagewesen ist, und was die Menschen der früheren Jahrhunderte und Jahrtausende nicht besessen haben. Bei einigem Nachdenken werdet ihr selbst leicht einiges der Art finden. Dagegen hat unsre Zeit auch vieles Bedenkliche, was noch nie dagewesen ist. Manche Leute meinen, die Weltgeschichte und der Weltlauf sei ein beständiger Kreislauf. Allerdings, wenn man einen kreisrunden Körper fort und fort dreht, dann kommen nach einiger Zeit dieselben Dinge wieder oben hin und zum Vorschein. So, meinen sie, drehe sich auch die ganze Natur und die ganze Menschengeschichte, und da kämen von Zeit zu Zeit dieselben Dinge wieder an die Reihe. Allein so ist doch Gottes Weltregierung nicht, und es sind von Zeit zu Zeit auch Dinge geschehen, die nie zuvor geschehen waren. Und Gottes Wort lehrt uns, dass auch in Zukunft noch Dinge geschehen werden, die bis jetzt noch niemals vorgekommen sind.

Lasst uns heute einmal in eine Zeit und in Begebenheiten blicken, die nie zuvor dagewesen waren. Wir reden

Von den zwei größten Menschen, die je gelebt haben, und betrachten sie, indem wir 1) eine Frage, 2) eine Antwort zur Sprache bringen.

I. Die Frage.

Als Johannes der Täufer unschuldig im Gefängnis saß, gut verschlossen, tüchtig verwahrt, abgesperrt von der Welt, da durchdrang das ganze Land, ja die ganze damalige gebildete Welt die Kunde von einem merkwürdigen Manne, wie noch keiner gelebt, wie die Jahrhunderte und die Jahrtausende noch keinen gesehen hatten. Es war ein armer Mann aus einer armen Stadt, und er galt für eines Zimmermanns Sohn. Der durchzog das Land und verrichtete Taten, wie sie noch nie ein Mensch getan, Taten, die nur Gott tun kann. Und nicht bloß hier einmal und da einmal verrichtete er eine solche unerhörte Tat, sondern hundertweise vollbrachte er sie. Wo er ging und stand, schaltete und waltete er über die Natur wie ein Gott; es waren ihm untertan die Engel und die Gewaltigen und die Kräfte. Wie nun dieser Mann, von dem man bis zu seinem 30. Lebensjahre nichts gehört hatte, mit Taten und Werken göttlicher Allmacht das Land durchzog, wie vornehmlich der Tod in allen seinen Gestalten vor ihm floh, da wurde das ganze Volk erregt, an allen Orten erzählte man von ihm, und man war gewiss: So ist noch kein Mensch auf Erden gewesen, so lange die Welt steht.

Ich kann mir von dem großen und allgemeinen Aufsehen, welches die Taten des nazarenischen Mannes unter dem Volke und den Zeitgenossen hervorbrachten, einigermaßen eine Vorstellung machen. Ich habe einen Mann persönlich kennen gelernt, von dem wurde mir erzählt, dass er einen gewaltigen Geist des Gebetes habe, dass er etwas von apostolischem Wesen und eine innige Liebe zu dem Herrn Jesu Christo in sich trage. Es wurde mir weiter erzählt, dieser Mann habe einige Kranke durch das Gebet des Glaubens gesund gemacht, oder richtiger ausgedrückt: Gott habe diese Menschen auf sein Gebet hin plötzlich gesund gemacht. Ob sich das wirklich so verhält, oder nicht, das lasse ich dahin gestellt. Aber die Leute in der Umgegend glaubten es allgemein, und der Mann erregte ein so außerordentliches Aufsehen, dass, wenn er in einen Ort kam, die Glocken geläutet wurden, und die Gemeinde zusammenkam und ihn in die Kirche führte. Hier musste er, obgleich er kein Geistlicher ist, zu den Leuten reden, ihnen Gottes Wort sagen und auslegen. Auch brachten sie ihre Kranken, und er musste über ihnen beten. Das ist nicht in katholischen, sondern in evangelischen Orten, und zwar in sogenannten freisinnigen Gemeinden geschehen.

Nun kann man sich denken, was das für ein Aufsehen und einen Aufruhr im ganzen Lande gab, als Jesus, mit göttlicher Machtvollkommenheit ausgerüstet, als Herr der Welt, als Herr der Natur, als Herr über die Kräfte seine Taten und Werke verrichtete. Das war etwas Neues, bis dahin noch nie Gehörtes, und darum war im ganzen Volke aller Mund voll von ihm.

Nun drang auch durch die Kerkermauern des armen gefangenen Johannes die Nachricht von den außerordentlichen Taten des Mannes von Nazareth, ein Beweis, dass man allgemein von ihm sprach. Glaubt ihr auch, dass es einen Unterschied macht, wo und in welcher Lage jemand von Jesu und seinen Taten hört? Wer sie in lustiger Gesellschaft hört, auf den wird solche Nachricht anders wirken, als auf den, der sie auf dem Kranken- und Schmerzenslager einsam und verlassen hört. Wer im Glücke dieser Welt drin ist, auf den wirkt die Botschaft von Jesu und seinen Taten anders, als auf den, der tief im Unglück ist. Johannes war tief im Unglück, unschuldig war er darin. Ruchlose Herzen und ruchlose Hände hatten ihn eingekerkert, und er sah dem Henkertode entgegen. Als nun durch seine dicken Kerkermauern und sein Eisengitter die Kunde drang: Der Mann aus Nazareth verrichtet wahre Wunder Gottes, gleich als sei er selbst Gott von Art und Macht, da hielt es der arme Gefangene nicht länger aus, er schickte zu dem nazarenischen Manne und ließ ihn fragen: Bist du, der da kommen soll? Oder sollen wir eines andern warten?

Wunderbare Frage! Bist du, der da kommen soll, nämlich vom Himmel? Der Adventskönig, Gott, offenbart im Fleisch, Jehova, in Menschengestalt zu seinem Volke gekommen, bist du der? Es ist eine gewaltige Glaubensfrage. Ach, wie viele große und kleine Fragen tauchen in der Welt und unter den Menschen auf, aber an dieser Frage gehen sie immer vorüber. Das ist die Frage aller Fragen: Jesu, wer bist du eigentlich? Bist du ein Mensch wie andere Menschen? Oder bist du ein Prophet, von Gott mit Wundermacht ausgestattet? Oder bist du, der da kommen soll vom Himmel, der da war und der da ist und der da kommt und der da wieder kommt, der Allmächtige? Bist du der?

Johannes glaubte das Letztere. Aber vor seinem Lebensende, ehe er den Kopf dem Henkerbeile neigte, wollte er völlige und unbezweifelte Gewissheit darüber haben, er wollte wissen, ob er im Glauben an Jesum selig sterben könne. Und darum schickte er zu ihm selbst und fragte bei ihm selbst. Von Jesu selbst wollte er Antwort, Bescheid und Gewissheit darüber haben, von keinem anderen.

Gehen wir weiter und hören

II. die Antwort.

Als die fragenden Boten zu dem großen Manne kamen, war er mitten in seiner Arbeit, und er konnte seine Antwort kurz machen. Tut die Augen auf, tut die Ohren auf, seht und hört selbst, und was ihr selbst seht und hört, das bringt dem gefangenen Johannes als Antwort zurück! Und was sahen und was hörten sie? Die Blinden sahen; die Lahmen gingen; die Aussätzigen wurden rein; die Tauben hörten; die Toten standen auf; und den Armen wurde das Evangelium gepredigt, den Armen wurde das Himmelreich angeboten und geschenkt.

Das sahen, das hörten sie selbst, davon waren sie Augen- und Ohrenzeugen. Ich muss gestehen, das war etwas ganz Neues unter der Sonne, denn es war alles das Umgekehrte von dem, was stets in der Welt gewesen war. In aller Welt sehen die Blinden nichts, und hier? Die Blinden sahen. Und was dabei noch besonders merkwürdig ist, die Sehenden waren blind, wie Jesus an einer anderen Stelle sagt. In aller Welt können die Lahmen nicht fort, und hier? Die Lahmen gingen. Die Tauben hören sonst nichts, und hier? Die Tauben hörten. Die Aussätzigen waren sonst unheilbar, und hier? Die Aussätzigen wurden rein. Die Toten bleiben in aller Welt liegen, regungslos bleiben sie liegen, und hier? Die Toten standen auf und wandelten. Und den Armen und Elenden, den Mühseligen und Beladenen, den geängsteten und beschwerten Herzen wurde das Evangelium gepredigt, und durch das Evangelium wurde ihnen das Himmelreich angeboten und geschenkt; aber an den Reichen, Hohen, Angesehenen und Einflussreichen ging das Himmelreich vorüber!

O, eine wunderbare Zeit, wo es so herging! Eine solche Zeit hatte die Welt noch nicht erlebt. Und wisst ihr, was das Wesentliche an allen diesen Taten und Begebenheiten war? Wisst ihr, wie wir alles, was die Boten des Johannes sahen und hörten, in vier Worte zusammen fassen können? Blindheit ist der anfangende Tod, wer blind ist, bei dem ist ein Glied des Leibes tot. Lahmheit ist ein Stück Tod. Taubheit ist ein Stück Tod. Aussatz ist schon weit vorgeschrittener Tod. Armut und Elend ist ein Stück Tod. Und der Tod derer, die wieder lebendig auferstanden, war der völlige Tod. Und das alles vertrieb Jesus. Jesus vertrieb den Tod; das sind die vier Worte, in welche wir alles zusammenfassen können, was die fragenden Boten des Johannes sahen und hörten. Den Blinden, den Lahmen, den Tauben, den Aussätzigen, den Toten gab Jesus das zeitliche Leben wieder; den Armen und Elenden gab er das ewige Leben noch dazu.

Das war es, was die Abgesandten des Gefangenen sahen und hörten und worin sie Jesum von Nazareth mitten drin antrafen. Sie sahen mit eignen Augen und hörten mit eignen Ohren, wie der Mann von Nazareth den Tod in allen seinen Gestalten vertrieb und das Leben schuf und gab. Und davon sprach er: Geht hin und sagt es dem schwergeprüften Dulder in seinem Kerker!

Aber sie sahen nicht bloß diese Taten und Werke, sie sahen auch ihn, der sie verrichtete. Und in ihm sahen sie das wahrhaftige Leben und den Lebengeber in sichtbarer Gestalt vor sich, in leibhaftiger Person. Denn in ihm war das Leben. Das sahen die glücklichen Boten des Johannes, und das sollten sie ihm melden.

Das, meine Lieben, war eine Antwort durch die Tat, oder vielmehr durch eine Reihe von Taten; und es war eine Antwort durch den Anblick der einzigen und höchsten Person, die je auf Erden gelebt hat. Aber der große Mann gab auch noch eine Antwort in Worten; denn er fügte hinzu: Und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. Selig ist, wer an meiner armen und niedrigen Erscheinung keinen Anstoß nimmt, sondern mich als das Leben und den Lebengeber erkennt; selig ist, wer an mich als den Quell des Lebens, als den Vertreiber des zeitlichen und ewigen Todes glaubt! Das sollten die Boten dem Johannes gleichfalls sagen.

Es ist kein Zweifel, als sie zu dem Gefangenen zurückkehrten und erzählten ihm: Wir haben das wahrhaftige Leben gesehen, er hat den Tod in allen Gestalten vertrieben, er hat nach allen Seiten hin das Leben gegeben, er hat gesagt: wer sich an mir nicht ärgert, der ist selig, es ist kein Zweifel, als Johannes dies von Augen- und Ohrenzeugen hörte, da war er froh und glücklich in seinem Kerker, und er glaubte nun unzweifelhaft an Jesum als das erschienene Gottesleben. Und in dem Glauben an Jesum ist er fest, mutig und froh durch Henkershand den Tod der Gerechten gestorben, und hat das unvergängliche, das ewige Leben von und in diesem nämlichen Jesus empfangen.

Meine Lieben, das ist mir eines der teuersten und kostbarsten Worte in der ganzen heiligen Schrift: Selig ist, wer sich an Jesu von Nazareth nicht ärgert! Wir wollen uns nicht an ihm ärgern, wir wollen keinen Anstoß an ihm nehmen, wenn auch die ganze Welt Anstoß an ihm nähme, sondern wir wollen an ihn glauben, von ganzem Herzen an ihn glauben denn wir wollen selig werden! Nicht wahr?

Dass dieser Jesus von Nazareth der größte Mann ist, der je auf Erden gewandelt hat, das werdet ihr wohl glauben, denn dieser Mann ist zugleich das erschienene uranfängliche Leben, Gott von Gott geboren. Aber dass Johannes der Täufer der zweitgrößte Mann war, der je auf Erden lebte, das wird euch schon zweifelhafter sein. Ich würde es auf eignes Urteil hin und nach eigner Ansicht auch nicht behaupten; aber ich spreche es dem nach, den wir eben als den Allerhöchsten kennen gelernt haben. Dieser hat gesagt: Wahrlich, ich sage euch, unter allen, die von Weibern geboren sind, ist kein größerer aufgekommen, als Johannes der Täufer. Groß vor Gott, ewig und unvergänglich groß ist der Mensch, der zu dem Herrn Jesu Christo in einem nahen Verhältnisse steht: groß vor Gott und ewig groß ist der, welcher die Menschen zu dem Herrn Jesu Christo weist und führt. Und das hat Johannes der Täufer getan, wie kein anderer Mensch vor ihm und nach ihm, wie auch kein Prophet und kein Apostel, wie es auch kein Prophet und kein Apostel gekonnt hat. Nicht aus der Ferne, sondern ganz aus der Nähe, ganz direkt und unmittelbar hat er die Menschen zu Jesu hingewiesen; er hat ihnen den Heiland der Welt mit dem Finger gezeigt und ihnen gesagt: „Seht, ihr Leute, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“ Das hat kein Prophet und Apostel getan und gekonnt, das hat unter allen Menschen Johannes allein getan. Und darum war er mehr als ein Prophet, darum nennt ihn Gottes Wort den Engel des Herrn, und darum war er der zweitgrößte Mann, der je auf Erden lebte.

Dabei versteht sich's von selbst, dass noch ein unendlicher Abstand zwischen Jesu und Johannes ist. Denn jener ist der Herr, dieser ist sein Knecht, Jesus ist das Licht der Welt und strahlt im eignen göttlichen Glanze, Johannes aber glänzt in dem Lichte, welches von Jesu auf ihn fiel.

Meine Brüder und Schwestern! Ist Jesus der, der da kommen sollte vom Himmel? Ja, gewiss! Oder sollten wir vielleicht doch eines anderen zu warten haben? Nein, nimmermehr! Nun denn, selig ist, wer sich an Jesu von Nazareth nicht ärgert! Amen.