Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen - Der 63. Psalm.

1. Ein Psalm Davids, da er war in der Wüste Juda. 2. GOtt, du bist mein GOtt, frühe wache ich zu dir; es dürstet meine Seele nach dir, mein Fleisch verlangt nach dir, in einem trockenen und dürren Lande, da kein Wasser ist. 3. Daselbst sehe ich nach dir in deinem Heiligtum, wollte gern schauen deine Macht und Ehre. 4. Denn deine Güte ist besser, denn Leben. Meine Lippen preisen dich. 5. Daselbst wollte ich dich gerne loben mein Leben lang, und meine Hände in deinem Namen aufheben. 6. Das wäre meines Herzens Freude und Wonne, wenn ich dich mit fröhlichem Munde loben sollte. 7. Wenn ich mich zu Bette lege, so denke ich an dich; wenn ich erwache, so rede ich von dir. 8. Denn du bist mein Helfer, und unter dem Schatten deiner Flügel rühme ich. 9. Meine Seele hängt dir an; deine rechte Hand erhält mich. 10. Sie aber stehen nach meiner Seele, mich zu überfallen; sie werden unter die Erde hinunter fahren. 11. Sie werden ins Schwert fallen und den Füchsen zu Teil werden. 12. Aber der König freut sich in GOtt. Wer bei ihm schwört, wird gerühmt werden; denn die Lügenmäuler sollen verstopft werden.

Der 63. Psalm heißt 1) in seiner Überschrift: Ein Psalm Davids, da er war in der Wüste Juda. Hieraus kann man sich schon vorstellen, warum nun David im Psalm so ein Verlangen nach dem wahren Gottesdienst, und nach der Gemeinschaft des Volks GOttes bezeugt; denn solche Stücke werden in ihrem Wert und Lieblichkeit erst erkannt, wenn man derselben entbehren muss. Inzwischen zeigt der Psalm doch, wie man sich auch in solchen Abgang schicken soll, dass einem doch dem Geist und der Wahrheit nach nichts abgehe an der Anbetung und dem Genuss GOttes. Demnach fangt der Psalm 2) an mit einem kurzen, aber kräftigen Glaubensbekenntnis. O GOtt, Du bist mein GOtt; 3) und das wird nun ausgebreitet in einer umständlichen Vorstellung, wie er sich seinen GOtt zu Nutzen mache, auch bei dem Mangel, da er in der Wüste des öffentlichen Gottesdienstes entbehren muss, V. 29. 4) Auf das beschließt er nun, mit glaubensvollem Ruhm auf den guten Ausgang seiner Sache zu warten, V. 10-12. GOtt, Du bist mein GOtt! ist dem Glauben, der Liebe und der Hoffnung allezeit ein süßes Wort; aber wenn es einem der Unglaube absprechen will, wenn die äußerlichen Umstände kümmerlich sind, wenn der Versucher in der Wüste Steine anbietet, die man zu Brot machen soll, so schmeckt es doppelt wohl, wenn dies Licht aus der Finsternis hervorbricht: GOtt, Du bist mein GOtt! Und da kann es wohl auch nicht nur einen Durst der Seele, sondern auch ein Verlangen des Fleisches nach GOtt abgeben, wenn man auch gerne seine Lippen und Hand zum Lob GOttes brauchen möchte. Als es dem David aber nachmals wohl ging, ist er durch eine Reihung des Fleisches gefällt worden. Man spürt es eben unserm Fleisch an, wenn es unter dem Druck ist, oder nicht; bei der Macht der Sünde im Fleisch ist es uns oft nötig, dass uns GOtt in die Wüste führt. Da lernt man desto mehr sein Seufzen mit dem Seufzen der ganzen unter die Eitelkeit geratenen Kreatur vereinigen.