Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen - Der 124. Psalm.

1. Ein Lied Davids im höhern Chor. Wo der HErr nicht bei uns wäre, so sage Israel, 2. Wo der HErr nicht bei uns wäre, wenn die Menschen sich wider uns setzen: 3. So verschlängen sie uns lebendig, wenn ihr Zorn über uns ergrimmte; 4. So ersäufte uns Wasser, Ströme gingen über unsere Seele; 5. Es gingen Wasser allzu hoch über unsere Seele. 6. Gelobt sei der HErr, dass er uns nicht gibt zum Raub in ihre Zähne. 7. Unsere Seele ist entronnen, wie ein Vogel dem Strick des Voglers, der Strick ist zerrissen, und wir sind los. 8. Unsere Hilfe steht im Namen des HErrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

Der 124. Psalm heißt 1) in seiner Überschrift: Ein Lied Davids im höhern Chor. David legt darin dem kleinen Häuflein des Volks GOttes zweierlei vor, teils vor wie viel Gefahr sie der gnädige GOtt bewahrt, teils was für Vertrauen sie deswegen ihrem GOtt schuldig seien. 2) Wo wäre es hingekommen, wenn der gnädige GOtt es nicht abgewendet hätte, und davon soll der Glaube sagen und rühmen, V. 1-5. 3) Wie soll man GOtt darüber mit Danken und weiterem Vertrauen die Ehre geben? V. 6-8. Wie das bei dem alten Israel der Kern aller Verheißung war: Ich will dein GOtt sein, Ich will mit euch sein, so ist es nun auch für die kleine Herde JEsu das Tröstlichste: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. Von der Erfüllung dieser Verheißungen ist das freilich ein starker Beweis, wenn man denkt: Wo wäre es sonst hingekommen, wie hätte sich das Volk Israel unter den Heiden durchgebracht? Wie nahe ist es schon dabei gewesen, dass die Christenheit von den Sarazenen und Türken wäre verschlungen worden! Wie sehr fehlerhaft ist es bei Ausbreitung und bisheriger Erhaltung der christlichen Kirche zugegangen? Aber dem fleischlichen Sinn ist es nie gelungen. Die halsstarrigen abgestandenen Juden haben nie härter darüber gehalten, dass Jerusalem nicht solle erobert, noch der Tempel zerstöret werden, als da es am nächsten dabei gewesen. Darum schreibt der sel. Spener bedenklich gegen die verderblichen besorglichen Heimsuchungen unserer Kirche, darin etwa nicht viel von unserem Äußerlichen möchte übrig bleiben. Können wir uns der Verheißung unsers Erlösers: dass Er Seine Kirche schützen und erhalten wolle, nicht also getrösten, dass wir durchaus versichert sein könnten, dass jene Not nicht kommen würde? Denn Seine Verheißung wird freilich so wahr bleiben, dass sie auch von der Höllen Pforte nicht kann überwältigt werden. Aber Sein Reich und Kirche hängt nicht an unserer äußerlichen Verfassung, sondern bleibt ohne diese noch fest stehen. Ja es mag dies das obwohl betrübte, doch gesegnete Mittel sein, die Schlacken zu verbrennen, dass das pure Gold desto herrlicher werde. Da wird sich aufs neue zeigen, was wir sonst zu singen pflegen:

Wenn Vernunft spricht, es ist Alles verloren,
So hat das Kreuz doch neu geboren,
Die seiner Hilfe harren.