Rieger, Carl Heinrich - Sacharia - Das vierte Kapitel.

Der Prophet wird durch den Engel, der mit ihm redete, in einen besonderen Stand der Entzückung gesetzt, und sieht in demselben ein weiteres Gesicht, und empfängt auch darüber einige ihm nötige Deutung.

I. Der Prophet wird von seinem sonstigen Zustand und Umgang mit dem Sichtbaren in eine erweckte Fähigkeit gesetzt, wichtige Eindrücke und Vorstellungen aus dem Unsichtbaren zu empfangen.

1. Und der Engel, der mit mir redete, kam wieder, und weckte mich auf, wie einer vom Schlaf erweckt wird, 2. Und sprach zu mir: Was siehst du? Ich aber sprach: Ich sehe; und siehe, da stand ein Leuchter ganz golden mit einer Schale oben darauf, daran sieben Lampen waren, und je sieben Kellen an einer Lampe; 3. Und zwei Ölbäume dabei, einen zur Rechten der Schale, den andern zur Linken.

II. Nun folgt die Deutung hierüber, wie teils der Prophet durch sein lehrbegieriges Fragen, teils auch der ihm zugegebene Engel durch sein Anmahnen dazu Gelegenheit gemacht.

4. Und ich antwortete, und sprach zu dem Engel, der mit mir redete: Mein Herr, was ist das? 5. Und der Engel, der mit mir redete, antwortete, und sprach zu mir: Weißt du nicht, was das ist? Ich aber sprach: Nein, mein Herr. 6. Und er antwortete und sprach zu mir: Das ist das Wort des HErrn von Serubabel: Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der HErr Zebaoth. 7. Wer bist du, du großer Berg, der doch vor Serubabel eine Ebene sein muss? Und er soll aufführen den ersten Stein, dass man rufen wird: Glück zu! Glück zu! 8. Und es geschah zu mir das Wort des HErrn und sprach: 9. Die Hände Serubabels haben dies Haus gegründet, seine Hände sollen es auch vollenden; dass ihr erfahret, dass mich der HErr zu euch gesandt hat. 10. Denn wer ist, der diese geringen Tage verachte, darinnen man doch sich wird freuen und sehen das zinnerne Maß in Serubabels Hand, mit den Sieben, welche sind des HErrn Augen, die das ganze Land durchstehen? 11. Und ich antwortete, und sprach zu ihm: Was sind die zwei Ölbäume, zur Rechten und zur Linken des Leuchters? 12. Und ich antwortete zum andernmal, und sprach zu ihm: Was sind die zwei Zweige der Ölbäume, welche stehen bei den zwo goldenen Schneuzen des goldenen Leuchters, damit man abbricht oben von dem goldenen Leuchter? 13. Und er sprach zu mir: Weißt du nicht, was die sind? Ich aber sprach: Nein, mein Herr. 14. Und er sprach: Es sind die zwei Ölkinder, welche stehen bei dem Herrscher des ganzen Landes.

Aus dem Gesichte und dessen Deutung sieht man so viel mit hinlänglicher Überzeugung, dass darin die neue Gemeinde GOttes in Juda und Jerusalem, samt dem Werk, das GOtt in derselben habe, und den Knechten, deren Dienst Er sich zu demselben vorzüglich gebrauchen wolle, vorgestellt werde. Im vorigen Gesicht kam der Hohepriester Josua und seine Freunde oder Amtsbrüder im priesterlichen Geschlecht vor, aber so, wie sie als ein Brand aus dem Feuer gerissen waren, und an ihren unreinen Kleidern noch Merkmale von ihrem Aufenthalt in fremden Ländern trugen, deswegen auch erst aus dem Gericht genommen und gegen des Satans Anklage geschützt, auch von dem, wovon er den Vorwand, ihnen zu widerstehen, genommen hat, befreit werden mussten. Hier aber kommt nun Alles, Gemeinde und die Diener daran, in einem hochbegnadigten, gereinigten und geheiligten Stand vor GOtt für, in einem reichen Ausfluss des Geistes GOttes über sie, und so, dass in der Kraft dieses Geistes das Werk ihrer Hände gefördert, und alle im Sichtbaren und Unsichtbaren bisher gewesenen Hindernisse gehoben werden. In diesen doppelten Anblick, den die Kirche GOttes und die Gemeinschaft der Heiligen noch immer hat, muss man sich schicken lernen, und sichs nicht befremden lassen, wann es bald wie ein Lazarett und Krankenhaus aussieht, und man Kirche und ihre Diener, und das Werk GOttes darin, als von Schwachheiten, Mängeln und Ärgernissen verstellt, als kaum aus dem Feuer gerissen und des Satans Widerspruch entzogen findet, bald aber auch ein solcher schöner Lichtstrahl aus dem Wort GOttes auf dieselbe fällt, dass man wieder merken kann, wie es doch einen Sieg nach dem andern gibt, und wie GOtt sich mit Seinem Geist noch immer darin beweist, und Alles der Vollendung Seines Geheimnisses zuführt. Daher muss inan sich auch gewöhnen, das Werk GOttes immer als Eines anzusehen, beim Jetzigen und Gegenwärtigen immer auf die gute Wurzel im Vorigen zurücksehen, auf welcher das jetzige Kirchenwesen gleichwohl steht, und den Hoffnungsblick auch auf das hinaus zu führen, was GOtt noch herausbringen wird, und um Deswillen Er eben das Gegenwärtige so trägt, weil es Ihm inmittelst doch die Brücke abgibt, auf welcher es zu der großen Hilfe hinüber geht, die GOtt schaffen wird. Es mögen jetzt Serubabel und Josua eines Teils, und die zwei Propheten Haggai und Sacharja andern Teils, dem Willen GOttes bei der Aufrichtung des zweiten Tempels noch so redlich gedient haben, und also auch Jeder an diesem Gesicht und dessen Bedeutung seinen gemäßen Anteil haben, wie es Esra 5, 1. 2. deutlich steht; so kann doch die ganze Vorstellung weiter hinaus zielen, und auch das in sich fassen, was noch in künftigen Seiten zwei vortreffliche Rüstzeuge GOttes in Jerusalem ausrichten werden, wovon Offenbarung Joh. 11, 3. 4. nachzusehen. Wie in der Natur Väter und Vorsätzer schon den Samen zur Nachkommenschaft in sich haben; so präsentieren vor GOtt Seine gläubigen Kinder und Knechte oft auch schon das, was sie nicht just Alles allein zu ihrer Zeit ausrichten, sondern was sich erst in den Nachkommen weiter entwickeln wird. Wie die treffliche Übereinstimmung des Fürsten Serubabels mit dem Hohenpriester Josua viel gesegneten Einfluss in das Werk GOttes selbiger Zeit gehabt; so wird freilich GOtt auch beim künftigen weiteren Anbruch Seines Reichs die leidigen Kollisionen1) zwischen dem Weltreich und der Kirche, die Eingriffe ins Geistliche von der weltlichen Macht, und die Befleckung des Geistlichen mit weltmäßiger Herrschsucht heben; und rechte Gesalbte erwecken, in denen Sein Geist kräftig wirkt, so dass auch Andere durch sie zu diesem Geist und dessen Gnade geleitet werden. Zu keiner Zeit aber soll Jemand von seinem eigenen Abnehmen, Verfall und Zurückbleiben die Schuld auf Andere, oder auf den allgemeinen Lauf in der Kirche oder in der Welt schieben wollen, und seine Tage als geringe Tage verachten, darin er nicht genug Förderung hätte. GOtt hat einen Jeden in die ihm angemessene Zeit gesetzt; sei Jeder nur der Gnade seiner Zeit getreu; nehme sich dessen, was GOtt schafft, mit Beten, Loben und Danken an, erbaue sich auf seinen allerheiligsten Glauben, verfange sich nicht an der Betrachtung der Hindernisse im Äußern, sondern sehe im Glauben mehr auf die Hilfe aus dem Unsichtbaren.

Kaufet, kauft die Zeit,
Denn es heißt noch heut,
Kaufet Öle, kauft Erkenntnis,
Lasst euch öffnen das Verständnis;
Kaufet, kauft die Zeit;
Denn es heißt noch Heut.

1)
Zusammenstöße