enthält eine, teils an die Häupter und Vornehmsten im Volk, teils an die falschen Propheten und den verdorbenen Lehrstand gerichtete ernstliche Straf- Predigt, darin Anfangs der HErr noch selber das Wort führt, hernach aber der Prophet aus einer ihm besonders dazu geschenkten Geisteskraft das Urteil über sie spricht.
I. Der Prophet redet im Namen des HErrn jeden Teil ernstlich an, erinnert ihn seiner Pflicht, stellt ihm die dieser Pflicht zuwiderlaufens den Sünden nachdrücklich vor, und bedroht sie mit schweren Strafen.
1. Und ich sprach: Hört doch, ihr Häupter im Hause Jakob und ihr Fürsten im Hause Israel; ihr solltet es billig sein, die das Recht wüssten. 2. Aber ihr hasst das Gute, und liebt das Arge; ihr schindet ihnen die Haut ab, und das Fleisch von ihren Beinen, 3. Und fresst das Fleisch meines Volks; und wenn ihr ihnen die Haut abgezogen habt, zerbrecht ihr ihnen auch die Beine; und zerlegt es wie in einen Topf, und wie Fleisch in einen Kessel.
GOtt hat jedem Stand in der Welt wie seine Erträglichkeiten im Äußern, so auch seine besonderen Handleitungen zum Guten gegeben; so hätten auch die Großen und Vornehmen in der Welt an ihrer mehreren Kultur, Verstand und Einsicht, eine Handleitung, GOttes Rechte verstehen zu lernen. Aber wie sie diese Gnade versäumen, und ihrer äußerlichen Gewalt missbrauchen, stellt der Prophet nachdrücklich vor; wenn Große in der Welt das Gute hassen, so ist es nicht nur an ihnen selber ein leidiger Beweis, wie sie Kinder des Teufels seien, sondern gibt auch einen gewaltigen Höllenriegel für Andre ab, weil viel Gutes in seiner ersten Blüte gedämpft wird durch den Hass oder doch bösen Verdacht, den die Großen darauf legen. Je mehr man sich von seiner Ungerechtigkeit Genuss und Vorteil machen kann, je weniger lässt man mehr davon.
4. Darum, wenn ihr nun zum HErrn schreien werdet, wird er euch nicht erhören; sondern wird sein Angesicht vor euch verbergen zu derselbigen Zeit, wie ihr mit eurem bösen Wesen verdient habt.
So wenig es sonst der Gewaltigen ihre Sache ist, dass sie zum HErrn schreien, so können doch auch über sie im Krieg, bei schneller Todesgefahr, bei Schmerzen und Krankheiten, viele Umstände kommen, darunter das Schreien zum HErrn aufwacht. Wie die Verheißung von der Erhörung des Gebets das Tröstlichste für einen armen und in sich selbst so hilflosen Menschen ist; so ist die Drohung: nicht erhören, das Angesicht verbergen rc., das Schrecklichste. Man sehe Sprichw. 1, 28. 29. wer manchen Notleidenden, der eine gerechte Forderung an ihn hatte, der sich seines Amts und amtlicher Hilfe zu bedienen befugt war, so abweist, sein Angesicht vor ihm verbirgt, sich verläugnen lässt usw., der sehe zu, was er mit diesem bösen Wesen verdient.
6. So spricht der HErr wider die Propheten, so mein Volk verführen: Sie predigen, es solle wohl gehen, wo man ihnen zu fressen gebe; wo man ihnen aber nichts in das Maul gibt, da predigen sie, es müsse ein Krieg kommen. 6. Darum soll euer Gesicht zur Nacht, und euer Wahrsagen zur Finsternis werden. Die Sonne soll über den Propheten untergehen, und der Tag über ihnen finster werden. 7. Und die Schauer sollen zu Schanden, und die Wahrsager zu Spott werden, und müssen ihr Maul alle verhüllen; weil da kein GOttes Wort sein wird. 8. Ich aber bin voll Kraft und Geistes des HErrn, voll Rechts und Stärke, dass ich Jakob sein Übertreten, und Israel seine Sünde anzeigen darf.
Die Zeiten, wo es im weltlichen Regiment sehr trüb und unordentlich zugeht, führen in der Regel auch große Gefahr der Verführung in der Kirche mit sich. Bei überhandnehmender Ungerechtigkeit will noch Jeder mitessen, wo er zukommen kann, und vom Genuss des Irdischen an sich reißen, was er weiß. Das wirft auch einen so großen Teil vom Lehrstand in den irdischen Sinn. Desto mehr ist es mit Dank von GOtt zu erkennen, wenn Er gegen einen großen Verfall auch noch etwas aufstellt, das mit Seinem Geist und Kraft ausgerüstet ist. Botschafter an Christus Statt möchten freilich jetzt lieber ihr Amt, das die Versöhnung predigt, im Geist und Kraft führen, als nur Übertreten und Sünde anzeigen; aber sie können eben nichts wider die Wahrheit, sondern für die Wahrheit, und darum müssen sie das Verkündigen des Übertretens oft mit dazu nehmen.
II. Mit einem neuen, in seiner gewaltigen Strafpredigt genommenen Anlauf wendet sich der Prophet noch einmal zu den Vorstehern in den beiden oberen Ständen, und braucht große Freimütigkeit, ihr Unrecht aufzudecken und ihr fleischliches Vertrauen niederzuschlagen.
9. So hört doch dies, ihr Häupter im Hause Jakob, und ihr Fürsten im Hause Israel, die ihr das Recht verschmähet, und Alles, was aufrichtig ist, verkehrt; 10. Die ihr Zion mit Blut bauet, und Jerusalem mit Unrecht. 11. Ihre Häupter richten um Geschenke, ihre Priester lehren um Lohn, und ihre Propheten wahrsagen um Geld, verlassen sich auf den HErrn, und sprechen: Ist nicht der HErr unter uns? Es kann kein Unglück über uns kommen. 12. Darum wird Zion um euretwillen wie ein Feld zerpflügt, und Jerusalem zum Steinhaufen, und der Berg des Tempels zu einer wilden Höhe werden.
Der Missglaube tut oft so großen Schaden als der Unglaube. Bei überhandnehmendem Verderben im Leben sich auf die Reinigkeit der Lehre allein verlassen, und sich um deswillen ferne vom bösen Tag achten, ist Missglaube; im Geistlichen nur allein auf die Verheißungen sehen, und die auf die überhandnehmenden Sünden gesetzten Drohungen nicht achten wollen, ist so schädlich, als wenn man im weltlichen Regiment nur immer gute Nachrichten am Hof haben will, und dem, was den wahren Zustand aufdeckte, den Zutritt und die Einsicht versagt. Freilich gerät das Reich GOttes nie ins Stocken; aber inzwischen kann es doch von uns genommen und Andern gegeben werden. Da zu Jerusalem kein Stein mehr auf dem andern geblieben ist, hat GOtt anderwärts viel tausend lebendige Steine zu Seiner Behausung im Geist auferbaut.