Rieger, Carl Heinrich - Über die zwölf kleinen Propheten - Amos - Das fünfte Kapitel

heißt der Prophet selber: ein Klagelied über das Haus Israel. Wie nun in einem Klagelied das gegenwärtige Leid empfindlich ausgebreitet, daneben aber Alles, was zu gegenwärtiger und künftiger Linderung desselben dienen könnte, schicklich angebracht wird; so ist auch in diesem Klagelied der Sünden-Gräuel und der daraus entstehende Verwüstungs-Gräuel kläglich vorgestellt, zugleich aber auch Ermahnung, ihrem GOtt so zu begegnen, dass der Schaden noch einigermaßen gelindert werden könnte, immer ineinander geflochten.

I. Der Prophet fängt mit kläglicher Beschreibung ihres Verfalls an:

1. Hört, ihr vom Hause Israel, dies Wort; denn Ich muss dies Klagelied über euch machen: 2. Die Jungfrau Israel ist gefallen, dass sie nicht wieder aufstehen wird; sie ist zu Boden gestoßen, und ist Niemand, der ihr aufhelfe. 8. Denn so spricht der HErr GOtt: Die Stadt, da Tausend ausgehen, soll nur hundert übrig behalten; und da hundert ausgehen, soll nur zehn übrig behalten im Hause Israel.

II. Zwischen dies ernstliche Drohen kommt sogleich ein väterlicher Rat zur Buße hinein.

4. Darum so spricht der HErr zum Hause Israel: Sucht mich, so werdet ihr leben. 5. Sucht nicht Beth-El, und kommt nicht gen Gilgal, und geht nicht gen Ber-Seba. Denn Gilgal wird gefangen weggeführt werden, und Beth-El wird Beth-Aven werden. 6. Sucht den HErrn, so werdet ihr leben; dass nicht ein Feuer im Hause Josephs überhand nehme, das da verzehre, und Niemand löschen möge zu Beth-El. 7. Die ihr das Recht in Wermut verkehrt, und die Gerechtigkeit zu Boden stoßt.

GOttes Rat benennt gleich das Böse, von welchem sie ablassen, und das Gute, so sie tun sollten, aber auch die Stricke, in welchen sie am härtesten gefangen liegen, die Ungerechtigkeit, in welcher sie die Wahrheit GOttes aufhalten.

III. Er treibt aber noch weiter mit Macht auf ihre Herzen, Alles, was ihnen eine durchdringende Furcht einzujagen, und ihre Unlittigkeit, sich bestrafen zu lassen, ihre Einbildung, als ob ihnen Alles so hingehen müsste, ihnen zu benehmen vermögend sein könnte.

8. Er macht die Glucke und Orion; der aus der Finsternis den Morgen und aus dem Tage die finstere Nacht macht; der das Wasser im Meer ruft und schüttet es auf den Erdboden: Er heißt HErr; 9. Der über den Starken eine Verstörung anrichtet, und bringt eine Verstörung über die feste Stadt. 10. Aber sie sind dem gram, der sie im Tor straft, und haben den für eine Gräuel, der heilsam lehrt. 11. Darum, weil ihr die Armen unterdrückt, und nehmt das Korn mit großen Lasten von ihnen; so sollt ihr in den Häusern nicht wohnen, die ihr von Werkstücken gebaut habt, und den Wein nicht trinken, den ihr in den feinen Weinbergen gepflanzt habt. 12. Denn ich weiß euer Übertreten, des viel ist, und eure Sünden, die stark sind, wie ihr die Gerechten drängt, und Blutgeld nehmt, und die Armen im Tor unterdrückt. 13. Darum muss der Kluge zu derselbigen Zeit schweigen; denn es ist eine böse Zeit.

Die Weltmenschen freuen sich, wenn sie meinen, es so weit gebracht zu haben, dass ihnen nun ihr Mutwille glücklich fortgeht, dass sich ihr Einkommen vom Lohn der Ungerechtigkeit mehrt, dass sie sich damit Ansehen machen, Andere in Furcht setzen, über die heilsame Lehre und Strafe mit Verachtung wegsehen, den Klugen zurücktreiben können, dass er schweigen muss, und sehen, wie gegen einen solchen Strom nichts auszurichten sei. Aber GOttes Zorn-Blicke in ihr Gewissen: Ich weiß euer Übertreten, bleiben um deswillen nicht außen; aber die durchdringenden Strahlen, wie ein Leichtes es dem großen GOtt sei, auch im Regiment der Welt so schnelle Veränderungen einzuführen, als Er in der Natur aus dem Tag die finstre Nacht macht, können sie doch nicht verhüten, dass sie ihnen nicht mit manchem Schrecken durchs Herz fahren. Der Kluge aber, wenn er auch schweigen muss um solche Zeit, genießt doch das Wohl, wovon es Psalm 94, 12. 13. heißt: Wohl dem, den Du, HErr, züchtigst; und lehrst ihn durch Dein Gesetz, dass er Geduld habe, wenn es übel geht, bis dem Gottlosen die Grube bereitet werde.

IV. GOttes brünstige Barmherzigkeit setzt noch einmal an, sie vom Bösen abzuziehen, und aufs Gute zu lenken, und verspricht ihnen alles Verschonen, droht aber auch bei weiterem Ungehorsam mit den empfindlichsten Strafen.

14. Sucht das Gute, und nicht das Böse, auf dass ihr leben mögt: so wird der HErr, der GOtt Zebaoth, bei euch sein, wie ihr rühmt. 15. Hasst das Böse, und liebt das Gute; bestellt das Recht im Tor: so wird der HErr, der GOtt Zebaoth, den Übrigen in Joseph gnädig sein. 16. Darum, so spricht der HErr, der GOtt Zebaoth, der HErr: Es wird in allen Gassen Wehklagen sein, und auf allen Straßen wird man sagen: Wehe! wehe! und man wird den Ackermann zum Trauern rufen und zum Wehklagen, wer da weinen kann. 17. In allen Weinbergen wird Wehklagen sein; denn ich will unter euch fahren, spricht der HErr.

Hasst das Arge, hängt dem Guten an, muss beisammen sein und bleiben. Mancher kommt zur bösen Zeit mit seinem Hang zum Guten gleichwohl zu kurz, weil er sich nicht genugsam mit Hass wider das Arge waffnet. Mancher meint aber auch Eifer wider das Böse zu haben; ist aber in der Liebe zum Guten nicht gesund; sondern steckt in der Heuchelei, wogegen nun sogleich im Folgenden die nötige Augenfalbe angeboten wird.

V. Weil es nämlich zur bösen Zeit immer auch viele Weltkinder gibt, die aus Ungeduld und Unzufriedenheit des HErrn Tag mit Unverstand verlangen, und Sein Gericht über diejenigen setzen wollen, unter deren Hand sie zu leiden haben; so wird diesen nun gar ernstlich bedeutet, wie viel ihnen noch zu der gehörigen Bereitschaft auf des HErrn Tag abgehe, und was sie schon von langem her für eine abtrünnige falsche Art seien.

18. Wehe denen, die des HErrn Tag begehren! Was soll er euch? Denn des HErrn Tag ist eine Finsternis, und nicht ein Licht. 19. Gleich als wenn Jemand vor dem Löwen fliehe, und ein Bär begegnete ihm; und als wenn Jemand in ein Haus käme, und lehnte sich mit der Hand an die Wand, und eine Schlange stäche ihn. 20. Denn des HErrn Tag wird ja finster und nicht licht sein, dunkel und nicht helle. 21. Ich bin euern Feiertagen gram, und verachte sie, und mag nicht riechen in eure Versammlung. 22. Und ob ihr mir gleich Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich keinen Gefallen daran; so mag ich auch eure feisten Dankopfer nicht ansehen. 23. Tue nur weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Psalterspiel nicht hören. 24. Es soll aber das Recht geoffenbart werden, wie Wasser, und die Gerechtigkeit, wie ein starker Strom. 25. Habt ihr vom Hause Israel mir in der Wüste die vierzig Jahre lang Schlachtopfer und Speisopfer geopfert? Ja wohl. 26. Ihr trugt den Sichuth, euern König, und Chiun, euer Bild, den Stern eurer Götter, welche ihr euch selbst gemacht hattet. 27. So will ich euch von hinnen jenseits Damaskus wegführen lassen, spricht der HErr, der GOtt Zebaoth heißt.

Des HErrn Tag heißt in der Schrift eigentlich der jüngste Tag; weil aber alle vorhergehende Gerichte ein Angeld auf dies letzte sind, und GOtt mit jeder solcher Heimsuchung, allemal Seinen Tag und die Offenbarung Seines gerechten Zorns ins Angedenken bringen will; so heißen auch solche frühere Tage der Rache „des HErrn Tag.“ So was Edles es nun um eine wahre Liebe zu JEsu Erscheinung, und um eine aus der Liebe GOttes fließende Freudigkeit auf frühere Gerichtstage ist; so was Unwertes und Ekelhaftes ist es hingegen, wenn manche mit so viel Blindheit an sich selber, mit so viel Ungeduld und Kreuzflucht GOtt und Sein Gericht herausfordern, und unter solchen Veränderungen Ruhe und Vorteil für das Fleisch suchen; zu ihrer vermeinten und angemaßten Würdigkeit, vor dem HErrn zu stehen, keinen bessern Grund haben, als solch Heu und Stroh, das der künftige Tag geschwind anzünden wird, und das GOtt zum voraus da so wegschätzt: ich mag es nicht riechen, ich habe keinen Gefallen daran, ich mag es nicht ansehen 2. O, GOtt ist ein eifriger GOtt, diene Ihm Keiner mit falschem Herzen. Stehst du noch nicht in der Lauterkeit vor GOtt, so begehre wenigstens Seinen Tag nicht, sondern lerne vorher Seine Geduld für deine und Anderer Seligkeit achten. Was selbst Moses von dem schlechten Verhalten ihrer Väter in der Wüste nicht hat aufzeichnen sollen, das hat hier, zur Niederschlagung ihrer Rechthaberei, noch müssen ans Licht gebracht werden; wie sich auch Stephanus in gleicher Absicht darauf beruft, Apostelg. 7, 42. O reize Niemand GOtt so, dass Er einem Seinen Kot ins Angesicht werfen muss.