Auszug einer Betrachtung des sel. Johann Jacob Rambach, über die Worte Jesu: Selig sind, die da hungert und durstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.
Diese Sättigung ist nichts anders, als die vergnügungsvolle Erfüllung des sehnlichen Verlangens. Derjenige der befohlen hat, daß man die Hungrigen speisen, und die Durstigen tränken solle, der dem Vieh sein Futter giebt, und alles, was da lebet, sättiget mit Wohlgefallen, der wird eine Seele nicht verschmachten lassen, die sich nach seiner Gnade in Christo sehnet. Die Hungrigen füllet er mit Gütern, Luc. 1,53. und die Elenden sollen essen, daß sie satt werden. Die da dürsten nach Gott, nach dem lebendigen Gott, die sollen bey Ihm finden die lebendige Quelle, Ps. 36, 10. und mit Wollust getränket werden, wie mit einem Strom. Denn die da irre giengen in der Wüsten, hungrig und durstig, und ihre Seele verschmachtete, und sie zum Herrn riefen in ihrer Noth, und er sie errettete, aus ihren Aengsten; die sollen dem Herrn danken um seine Wunder, die er an den Menschenkindern thut, daß er sättiget die durstige Seele, und füllet die hungrige Seele mit Guten, Ps. 107, 4. 9. Es geschiehet diese Sättigung, dem Anfange nach, im Reich der Gnaden, und zwar anfänglich in der Rechtfertigung, da auf das Verlangen des Glaubens ein wirkliches Verlangen folget, da die hungrige und bey dem dürren Sinai ausgemergelte Seele nun mit herzlicher Zuversicht das blutige Versöhnopfer Christi ergreifet, und um desselben willen der Vergebung ihrer Sünden und der göttlichen Gnade, zu ihrem großen Vergnügen, versichert wird. Da heißts nach Baruch 2,13. Eine Seele, die sehr betrübt ist, und gebückt und jämmerlich einher gehet, und ihre Augen schie ausgeweinet hat, und hungrig ist, die rühmet, Herr, deine Herrlichkeit und Gerechtigkeit.
Nachgehends aber geschieht solche Sättigung auch in der Heiligung, da die Seele nach dem heiligen Geist und dessen Gnade dürstet, da wird sie gesättigt, wenn die heiligen Begierden ihres Herzens gestillet werden, daß sie aus der Fülle Jesu Christi eine Gnade um die andre nehmen, und aus dem Heilbrunnen mit Freuden schöpfen kann, Esa. 12,3. Im Reich der Herrlichkeit aber wird die vollkommne Sättigung erfolgen, da sie weder hungern noch dürsten soll, Offenb. 7, 16. da sie satt werden wird, wenn sie erwachet, nach dem Bilde Gottes, Ps. 17, 15. diese Wahrheit soll angenommen werden.
I. Zur Prüfung. Wie stehts um unser Herz? Ist darinnen ein solcher Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit Jesu Christi? oder hungert und verlanget es nach Ehre, Reichthum, Wollüsten, guten Tagen? ist es angefüllet mit einer unordentlichen und unersättlichen Begierde nach Büchern und weltlichen Wissenschaften, dadurch das kleine Fünkchen des Verlangens nach Christo gemeiniglich ersticket und ausgelöschet wird. Haben wir aber ein Verlangen nach Christo, so ist die Frage, ob es auch die Kennzeichen eines wahren Verlangens habe? Hat es zum Grunde die Einsicht in unser tiefes Verderben? ist es auch ernstlich, und mit einem Gebrauch der gehörigen Mittel verknüfet? ist es beständig und tief in der Seele eingewurzelt? Fehlt es hieran, so laßt uns Gott bitten, daß er uns in die Schule der geistlichen Armuth und göttlichen Traurigkeit führen wolle.
II. Zur Erweckung, daß wir die Gerechtigkeit Jesu Christi, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird, recht hoch achten. Es sind hierbey zwey Abwege sorgfältig zu vermeiden. Auf der einen Seite wird gefehlet, wenn man, unter dem Schein eines besondern Eifers für die Lebensgerechtigkeit, einen heimlichen Ekel an der Glaubensgerechtigkeit hat, und dergestalt auf die Heiligkeit und ein innres Christenthum dringet, daß man von Christo für uns nichts wissen will, ja wohl gar diese apostolische Lehre verwirft und verspottet, als ob sie den Weg zu einer fleischlichen Sicherheit bahnete. Von solchen mag es billig heissen: Unselig sind, die einen Ekel haben an der Gerechtigkeit: denn sie selbst werden nicht gesättiget, und versperren auch andern hungrigen Seelen die Vorrathskammern des Evangelii, daß sie nicht gesättiget werden. Auf der andern Seite versündiget man sich, wenn man eine falsche und heuchlerische Hochachtung vor der Gerechtigkeit Christi bezeuget, dieselbe zu einem Deckmantel seines fleischlichen und ungeänderten Herzens brauchet, und daraus ein Polster unter den Kopf des alten Adams machen will, darauf er fein ruhig in seiner Sicherheit fortschlafen kann; da es doch Christo nie in den Sinn kommen, seine theure Gerechtigkeit, die Ihm Blut und Leben gekostet, zu so schändlichem Mißbrauch herzugeben. Zwischen diesen Abwegen ist die sichre Mittelstraße diese, daß man diese theure Wahrheit in der wahren Ordnung recht gebrauche, und mit Verleugnung aller eigenen Gerechtigkeit seine Zuflucht dazu nehme, sie auch zur Beförderung eines wahren Fleißes in der Heiligung bey sich kräftig seyn lasse.
III. Zum Troste. Denn die nun einen solchen Hunger nach Christo haben, die sind bereits selig, und sollen unfehlbar hier im Gnadenreich, und dort in der Herrlichkeit gesättiget werden. Derjenige der sich den leiblichen Hunger seines Volkes jammern ließ, der wird vielmehr für Ihre Seele sorgen, und dieselbe erquicken.
Quelle: Wöchentliche Beyträge zur Beförderung der ächten Gottseligkeit.