Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.
Luc. 23, 46.
Von den letzten Worten des gekreuzigten Jesu ist noch das allerletzte zu betrachten übrig, welches Luc. 23, 46. beschrieben steht, da es also heißt: „Und Jesus rief laut, und sprach: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! und als er das gesagt, verschied er.“
Daß dieses das letzte Wort des Herrn Jesu gewesen, nach welchem er kein anderes Wort mehr gesprochen, das ist offenbar theils aus dem Inhalt desselben, theils aus der Erzählung des Evangelisten Johannes 19, 30., da es heißt: „Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht, und neigte das Haupt und verschied“, oder nach dem Grundtext: „und übergab den Geist.“ Mit welcher Beschreibung des Todes gar deutlich gezielt wird auf das letzte Wort des Herrn: „Vater, in deine Hände will ich meinen Geist übergeben.“
Wir haben aber bei diesem letzten Worte Christi zu betrachten
I. Die Art und Weise, wie es ausgesprochen worden, und
II Den wichtigen Inhalt desselben.
Was erstlich die Art und Weise anlangt, wie dieß Wort ausgesprochen worden, so heißt es davon: „Jesus rief laut“, oder „mit einer großen und erhabenen Stimme.“ Es wollte nämlich unser Heiland nicht als eine stumme, sondern als eine redende Person sterben, um auch hierin seinem Charakter gemäß sich zu bezeigen, da er das Wort des Vaters war. Er wollte aber dieses sein letztes Wort nicht mit einer unvernehmlichen Stimme (mit welcher gemeiniglich die allerletzten Worte Sterbender geredet werden), sondern mit einer lauten, starken und vernehmlichen Stimme aussprechen. Nicht um seines himmlischen Vaters willen, als welcher auch das stumme Seufzen seines Sohnes und dessen stilles Sehnen und Verlangen verstanden haben würde, sondern um der Umstehenden willen, theils damit er seine Freunde in ihrem Glauben stärkte, daß er der Sohn Gottes sei, der, wie er von seinem Vater ausgegangen und in die Welt gekommen, nun wieder die Welt verlasse und zu seinem Vater gehe; theils damit er seinen Feinden zu verstehen geben möchte, daß er Kräfte genug übrig habe, noch länger zu leben, daß er aber sein Leben freiwillig niederlege, wie er vorher gesagt hatte, Joh. 10, 8.: „Niemand nimmt mein Leben von mir, sondern ich lasse es von mir selber. Ich habe es Macht zu lassen, und habe es Macht wieder zu nehmen.“ Daher auch Marcus c. l5, 38. angemerkt hat, daß dieses laute Geschrei des Herrn Jesu einen großen Eindruck in das Herz des Hauptmanns gegeben, der beim Kreuze die Wache halten mußte, indem es da heißt: „Da der Hauptmann hörte, daß er mit solchem Geschrei verschied, sprach er: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen.“
Doch wir müssen noch tiefer in das Geheimniß dieses starken Geschreies Christi hineinzugehen suchen. Es hat der Herr Jesus zwei Worte an seinem Kreuz mit einer außerordentlich lauten und erhabenen Stimme ausgerufen. Erstlich das Wort: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?„ und zum andern das Wort: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Daher wir denn diese zwei Worte sorgfältig miteinander vergleichen müssen, wenn wir die Spur dieses Geheimnisses finden wollen, wie uns auch der Evangelist Matthäus c. 27. darauf führt, wenn er, nachdem er das vierte Wort V. 46. erzählt, bald V. 50. hinzusetzt: „Jesus aber schrie abermal laut und verschied.“ Das erste Wort, das er mit einem lauten Geschrei vorgebracht, enthielt eine sehr klägliche und wehmüthige Jammerklage über die Entziehung alles göttlichen Lichtes und Trostes, da die Seele Jesu Christi gleich war einem Menschen, der in ein tiefes Wasser gefallen, in welchem er keinen Grund und Boden fühlt, Ps. 69, 1. 2., und weil er die Gefahr zu versinken vor sich sieht, mit lauter Stimme um Hülfe ruft. In dieser Angst nun wendete er sich zu Gott und rief: „Eli, Eli, das ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Die Juden aber und die Kriegsknechte, die um das Kreuz herumstanden, verdrehten ihm aus einem verfluchten Frevel und Muthwillen dieses klägliche Wort gleichsam im Munde und gaben vor, daß er in seiner Noth den Propheten Elias um Hülfe angerufen hätte. Hiemit wollte der Spottgeist den Sohn Gottes in den Verdacht bringen, als ob er mit seinem Vertrauen sich von Gott zu den Kreaturen gewendet, Hülfe bei ihnen gesucht und als ein treuloser Abgötter gestorben sei. Damit nun aber Christus diesem genommenen Aergerniß zuvorkommen und dieser Lästerung alle Wahrscheinlichkeit benehmen möchte, so ruft er nun in dem letzten Worte sein Vertrauen auf seinen himmlischen Vater mit einer eben so lauten Stimme aus, als er vorhin seine Klage ausgerufen hatte, damit also eben dieselben Personen Zeugen seiner Zuversicht zu Gott sein möchten, welche vorher Zeugen, aber auch zugleich freche Spötter seiner Wehmuth gewesen waren. Darum wurden eben diese beiden Worte mit einem so lauten Geschrei vorgebracht.
Es war aber auch dieses von den Propheten vorher verkündigt, daß der Messias in seinem Leiden laut rufen und schreien werde. Zum Exempel Ps. 40,2. 3. heißt es: „Ich harrete des Herrn und er neigte sich zu mir und hörte mein Schreien, und zog mich aus der grausamen Grube und aus dem Schlamm, und stellte meine Füße auf einen Fels, daß ich gewiß treten kann.“ Deßgleichen Ps. 69., der gleichfalls vom Leiden Christi handelt, heißt es V. 3. 4.: „Ich versinke im tiefen Schlamm, da kein Grund ist. Ich bin in tiefen Wassern, und die Fluth will mich ersäufen. Ich habe mich müde geschrieen, mein Hals ist heisch, das Gesicht vergeht mir, daß ich so lange muß harren auf meinen Gott.“ Und Ps. 88, 2 - 4.: „Herr Gott, mein Heiland, ich schreie Tag und Nacht vor dir. Laß mein Gebet vor dich kommen, neige deine Ohren zu meinem Geschrei, denn meine Seele ist voll Jammers und mein Leben ist nahe bei der Hölle.“ Auf diese prophetischen Texte hat Paulus sein Absehen, wenn er Hebr. 5, 7. schreibt, daß unser Hohepriester am Tage seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Thränen geopfert habe.
Wie aber ein solches laute Geschrei gemeiniglich aus Furcht, Angst und Schrecken herrührt, so ist auch dieß letzte Geschrei Jesu Christi als ein Angstgeschrei anzusehen, welches verursacht worden durch die mit voller Wuth ihn überfallenden Todesschmerzen, da er den Tod nicht nur kosten, sondern verschlingen, 1 Cor. 15, 54., und also dessen ganze Bitterkeit vollkommen schmecken, Hebr. 2, 9., und empfinden mußte, was derselbe für ein schmerzlicher Sold der Sünde sei. Wären wir in einem Lazareth, wo Viele schmerzlich krank liegen, oder stündlich an dem Meer, wo Viele plötzlich Schiffbruch leiden, oder bei einem Hause, das die Feuersbrunst mit allen Einwohnern eingeschlossen, und hörten da das Heulen und Schreien der Elenden, so würden wir aus ihrem Geschrei auf die große Angst ihres Herzens leicht schließen können, die doch nur stürben um ihrer Sünden willen. Unser Heiland stirbt um aller Menschen Sünden willen und schreit so stark im Tode. Ach, wie groß muß seine Todesangst gewesen sein!
Mit diesem seinem lauten Geschrei aber hat er theils etwas gebüßt, theils uns etwas verdient und erworben.
Er hat damit gebüßt das ungestüme Geschrei der Menschen, das sie zum Exempel wenn sie trunken sind, oder wenn sie voll Zorn sich miteinander herumkeifen und schelten, von sich hören lassen, wovon Paulus Ephes. 4,31. sagt: Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei sei ferne von euch sammt aller Bosheit. Wie nun durch dieses Geschrei Gott auf's höchste verunehrt und sein Ebenbild beschimpft wird, so hat hingegen der Sohn Gottes durch sein sanftmüthiges und kindliches Geschrei seinen himmlischen Vater wieder geehrt und die Sünden gebüßt, welche wir mit unserem ungestümen und zornigen Geschrei begehen. Ja, er hat hiemit die Kraft seines Verdienstes auch über dasjenige Geschrei der Menschen ausbreiten wollen, welches öfters in heftigen Schmerzen durch Schwachheit oder Ungeduld ausgepreßt wird.
Er hat uns aber dadurch die Gnade erworben, daß der himmlische Vater unser Angstgeschrei, es geschehe nun in den Schmerzen der Buße oder in allerlei schweren Anfechtungen und Prüfungen, da öfters das Gebet in ein lautes Geschrei verwandelt wird, Ps. 61, 2., nicht verschmäht, sondern vielmehr um des Geschreies Jesu Christi willen liebreich anhört und beantwortet, wie er dort zu Mose sagte: „Ich habe gesehen das Elend meines Volkes und habe ihr Geschrei gehört.“ 2 Mos. 3, 7. Ja, er hat uns dadurch den Geist der Kindschaft erworben, der in unserem Herzen nicht nur redet, sondern schreit und ruft: „Abba, lieber Vater“, Gal. 4, 6., und wenn der Satan als ein brüllender Löwe mit seiner erschrecklichen Stimme unser Gewissen beunruhigt und uns zuruft: Du bist kein Kind Gottes, du hast keinen Antheil an dem ewigen Leben, solches Geschrei des Satans durch sein Zurufen übertäubt und spricht: Du bist ein Kind Gottes, du hast Recht und Antheil an allen durch das Blut Jesu Christi erworbenen Gütern. Dieses Rufen des Geistes haben wir dem Geschrei des Sohnes Gottes zu danken. Es war aber dieses Geschrei kein bloßes Geschrei, sondern eine starke und vernehmliche Stimme, wodurch eine gewisse Sache laut ausgerufen wurde.
Daher haben wir zum andern den Inhalt dieser Worte zu betrachten, worin vorkommt theils die Anrede in dem Wort: „Vater“, theils der Vortrag selbst: „in deine Hände befehle ich meinen Geist.“
Die Anrede geschieht mit dem Worte: „Vater!“ Hiemit wollte der Herr Jesus die Lästerungen der um sein Kreuz herumstehenden Juden widerlegen, da sie nämlich vorgaben, als hätte er sich in der Noth mit seinem Vertrauen von Gott abgewendet, und weil er keine Hülfe bei ihm finden konnte, die Heiligen (dergleichen Elias war) um Hülfe angerufen. Denjenigen aber, den er vorher in seiner wehmüthigen Jammerklage seinen Gott genannt, den nennt er in dem ersten und letzten Worte seinen Vater. Wie er also sein ganzes Leiden im Oelgarten mit dem Vaternamen angefangen hatte, also will er nun auch dasselbe mit eben diesem angenehmen Vaternamen beschließen, um hiemit anzuzeigen, daß er vom Anfange bis zum Ende seines Leidens ein süßes, kindliches Herz gegen seinen Vater getragen, und sich durch keine Schmerzen des Leibes, durch keine Angst und Traurigkeit der Seele aus diesem Mittelpunkt des kindlichen Vertrauens habe verrücken lassen.
War denn aber Gott sein Vater, so muß er sein wahrhaftiger Sohn gewesen sein, wie denn der Hauptmann bei dem Kreuz eben aus diesem mit lautem Geschrei ausgerufenen Worte den Schluß macht: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen“, Marc. 15, 39. Denn der Vater und Sohn sind solche Namen, davon sich einer auf den andern bezieht. Ob also gleich der hohe Rath zu Jerusalem Christum um deßwillen zum Tode verdammt hatte, weil er gesagt: „Ich bin Gottes Sohn“, Matth. 26, 63-65., weil sie solches in ihrer Blindheit für eine todeswürdige Gotteslästerung ansahen, so hat dennoch der Herr Jesus, da er Gott auch im Tode seinen Vater nennt, damit öffentlich bezeugen wollen, daß er bei diesem Bekenntniß, daß er Gottes Sohn sei, welcher noch kurz vorher unter dem Kreuz verspottet worden war, Matth. 27, 43., bis an den letzten Athem beharre, ja, daß er darauf sterben und solches mit seinem Tode besiegeln wolle. Hiemit hat er uns nicht nur ein Exempel hinterlassen, wie wir die Wahrheit bis in den Tod bekennen sollen, sondern uns auch die Kraft erworben, daß wir, wenn wir anders an seinen Namen glauben, und in ihm, dem einig geliebten Sohne Gottes, erfunden werden, auch selbst im Tode Gott unsern Vater nennen und unsern Ausgang aus der Welt als einen Hingang zum Vater ansehen können. Das war also die Anrede, mit welcher unser Heiland sein letztes Wort angefangen hat.
Der Vortrag selbst aber liegt in den übrigen Worten: „In deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Es stehen diese Worte in dem 3l. Psalm, da es im 6. Vers also heißt: „In deine Hände befehle ich meinen Geist. Du hast mich erlöset, Herr, du getreuer Gott.“ Daraus sehen wir also, daß dieser 31. Psalm, woraus Christus sein letztes Wort genommen, so wie der 22. Psalm, woraus er sein viertes Wort entlehnt, nicht von David, sondern von dem Sohne und Herrn Davids handle, und daß darin durch den prophetischen Geist der leidende Messias redend eingeführt werde.
Es betrifft aber dieser Vortrag des Herrn Jesu seinen Geist oder seine Seele, welche nunmehr durch den natürlichen Tod von dem Leibe getrennt werden sollte. Diese Seele Jesu Christi, welche wegen der persönlichen Vereinigung mit der Gottheit einen unendlichen Werth hatte, war dasjenige Lösegeld, welches zur Auskaufung aller Seelen der Menschen in's göttliche Gericht niedergelegt werden sollte, wie unser Heiland selbst Matth. 20,28. spricht: „Des Menschen Sohn ist nicht kommen, daß er ihm dienen lasse, sondern daß er diene, und gebe sein Leben“ (eigentlich seine Seele) „zu einer Erlösung oder zu einem Lösegelde für Viele“, das ist, für die große Menge aller Nachkommen Adams; daher es 1 Tim. 2,5. 6. heißt: „Der Mensch Christus Jesus hat sich selbst gegeben für Alle zur Erlösung.“ Diese Seele Jesu Christi hatte bisher den Zorn des unendlichen Gottes getragen, sie war mit Traurigkeit umringt und mit allen Fluthen der Angst überschwemmt gewesen, sie hatte mit der beleidigten Gerechtigkeit Gottes gerungen und bis auf die äußerste Entkräftung zum Heil der Menschen gearbeitet, Jes. 53, N. Nun aber diese schwere Arbeit verrichtet und mit dem erfreulichen „Es ist vollbracht“ beschlossen war; so sieht sie sich um nach einem Orte, wo sie sicher ruhen könne. Sie kann aber keinen bessern Ort finden, als die Hände des himmlischen Vaters, wodurch nichts anders, als seine mächtige und gnädige Vorsorge, welche er für seine Kinder und besonders für seinen eingebornen Sohn trägt, verstanden wird, von welcher Christus auch Jes. 49, 2. spricht: „Mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt.“ Es werden aber Gott, auf eine ihm geziemende Art, mehrere Hände zugeschrieben, weil er mehr als Ein Machtmittel hat, die Seinigen zu beschirmen und ihnen Sicherheit zu verschaffen.
Diese Hände des himmlischen Vaters werden hier entgegengesetzt den Händen der Menschen, wovon Christus, Luc. 9, 44., spricht: „Des Menschen Sohn muß überantwortet werden in der Menschen Hände.“ Weil wir nämlich die Sache Gottes in fremde Hände gespielt hatten, so mußte nun der eingeborne Sohn des Vaters sich in die Hände der Menschen, wohin er eigentlich nicht gehörte, überliefern lassen. Und o wie unbarmherzig waren diese Hände mit diesem Ebenbilde des unsichtbaren Gottes umgegangen! wie erbärmlich hatten sie ihn mit ihren Backenstreichen und andern Schlägen zugerichtet, so daß er weder Gestalt, noch Schönheit mehr hatte, und mehr einem blutigen Wurm, als einem Menschen ähnlich sah. Nun aber nimmt der Vater diesen seinen verspeieten und zerschlagenen Sohn wieder aus den Fäusten der Menschen in seine Hände und in seine treue und allmächtige Verwahrung, in welche denn auch hiemit der Sohn seine Seele niederlegt, wenn er spricht: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist“; eigentlich „hiemit will ich meine Seele in deine Hände niederlegen.“
Es wird nämlich dieses Wort sonst gebraucht von derselben Handlung, da man einem treuen Freunde etwas aufzuheben gibt, damit er dasselbe mit eben derselben Sorgfalt, die er für seine eigene Sache trägt, verwahre, und wenn man es über eine Zeit wieder fordert, es seinem Eigenthumsherrn wieder zustelle. So betrachtet denn hiemit der sterbende Erlöser seine Seele als eine theure Beilage von unschätzbarem Werth, welche er der Vorsorge seines Vaters so lange übergibt und anvertraut, bis er sie am dritten Tage wieder zu sich nehmen und mit seinem auferweckten und verklärten Körper wieder vereinigen werde; wie er Joh. 10,17, gesprochen: „Ich habe Macht, mein Leben zu lassen“ (oder meine Seele hinzulegen). „und habe Macht, es wieder zu nehmen,“ Ob er nun gleich mit der Seele auch seinen Leib dem Vater zur Verwahrung übergibt, so wird doch nur hier der Seele gedacht. Damit wollte er uns lehren, wie man auf seinem Todtenbette mehr wegen seiner unsterblichen Seele, als wegen des elenden Leibes bekümmert sein solle. Es ist uns zwar erlaubt, auch unsere leiblichen Umstände Gott zu befehlen und zu singen: „Dem Leib ein Räumlein gönn' bei frommer Christen Grab, auf daß er seine Ruh' an ihrer Seite hab.“ Allein es muß doch solche Bitte dem göttlichen Willen anheimgestellt werden. Wenn man allzuviel Verordnungen wegen seines nichtigen Körpers macht, was noch nach dem Tode für Pracht damit getrieben werden soll, so wird gemeiniglich die Sorge für die Seele darüber vergessen.
Es hat aber diese Handlung des sterbenden Mittlers, da er seine Seele dem Vater übergibt, viel mehr zu sagen, als wenn ein sterbender Christ seine Seele Gott anbefiehlt. Es war nämlich eine priesterliche Handlung, indem hier die Gottheit Jesu Christi diejenige Seele, mit welcher sie persönlich vereinigt war. dem Vater als ein angenehmes Opfer übergibt, daß er dasselbe als ein gültiges Lösegeld für die Seelen aller übrigen Menschen annehmen und mit seinem Wohlgefallen darin ruhen möge. Wie also der Hohepriester altes Testaments an dem großen Versöhnungsfest mit dem Blute der Thiere (in welchem der Thiere Seele ist, 3 Mos. 17. 14.) in das Allerheiligste hineinging und es daselbst gegen den Gnadenstuhl sprengte, also geht auch dieser wahre Hohepriester, nachdem er sein Blut auf Erden vergossen und dadurch eine ewige Erlösung erfunden, mit seiner Seele in das Allerheiligste ein, nicht in dasselbe, das mit Händen gemacht ist, sondern in den Himmel selbst, daselbst zu erscheinen vor dem Angesicht Gottes für uns. Und o mit was für freundlichen Liebesblicken wird der himmlische Vater die abgemattete Seele seines Kindes empfangen, wie wird er sie umarmt, geküßt und getröstet haben! Weil aber die Seelen aller Menschen dem Bürgen auf seine Seele gebunden waren, so hat er mit seiner Seele zugleich die Seelen aller Menschen übergeben und besonders die Seelen seiner Gläubigen, die durch sein Blut gewaschen und durch seinen Geist geheiligt sind, als angenehme Geschenke dem Vater überreicht und durch sein Versöhnungsopfer ihn willig gemacht, auch unsere Seelen in seine Hände aufzunehmen. Daher es im Buche der Weisheit 3, 1. heißt: „Der gerechten Seelen sind in Gottes Hand, und keine Qual rühret sie an.“
Sobald nun der Herr Jesus dieses sein letztes Wort gesprochen halte, verschied er, und übergab also wirklich seinen Geist als ein unschätzbares Pfand in die Hände seines himmlischen Vaters, dabei er zugleich, wie Johannes, der es mit Augen gesehen hat, erzählt, gar sanft „das Haupt neigete“, und in der Gestalt eines Schlafenden, welcher das Haupt niedersinken läßt, von den Seinigen, die er bis in den Tod geliebt, Abschied nahm. So endigte endlich die höchste Verlassung, die der Sohn Gottes ausstehen mußte, in die höchste Gelassenheit; so erfolgte endlich auf seine saure Arbeit ein angenehmer Schlaf, durch welchen auch unser Tod in einen sanften Schlaf verwandelt und seines Stachels beraubt worden ist.
Nun heißt es, bleibe stehen, o Mensch, der du zur Ewigkeit reisest, bleibe stehen vor dem Kreuz, an welchem der erblaßte Körper deines Seligmachers hangt. Dieser Liebestod muß dein Herz im Leibe verwandeln und umkehren. Siehe, Gott hat seinen eigenen Sohn für dich dahin gegeben und dir damit seine Liebe aufs allerhöchste angepriesen. Er hat durch den Tod seines Sohnes solche wesentliche Proben seiner Liebe vor Augen gelegt, welche selbst eine Seele, die schon mit der Verzweiflung ringt, von deren Gewißheit überzeugen können, und hat solches auf eine so liebliche und angenehme Art gethan, daß auch der größte Bösewicht darüber gerührt werden muß. Was willst du nun thun, o Sünder? Willst du fortfahren, einen solchen Gott zu hassen und zu beleidigen, der aus Liebe zu dir sein Kind dem Tode übergeben, damit er dich zu einem Mitgenossen seines ewigen Lebens machen möchte? Willst du fortfahren, die Sünde zu lieben, die den Sohn Gottes an einem schmählichen Kreuz erwürgt und getödtet hat? O schlage an deine Brust und kehre um, wie es zum Theil diejenigen gemacht, die diesen Tod mit angesehen haben. Laß dich von dieser Liebe ergreifen und aus deinem Verderben erretten, welche einen so großen Ernst bewiesen hat, dich, elenden Wurm, selig zu machen. Wo willst du hin auf deinem Todtenbette, wenn du dich durch den Tod eines sterbenden Gottes nicht hast bewegen lassen, dich demjenigen mit Leib und Seele zu ergeben, der dich durch so ein theures Lösegeld erkauft hat? Wird dir dein Sterbebette nicht in eine Folter verwandelt werden, worauf du von deinem bösen Gewissen gepeinigt und gemartert werden wirst, wenn du denjenigen, vor dessen Richterstuhl du nun erscheinen sollst, nicht auch deinen Vater nennen kannst, gleichwie ihn der sterbende Sohn also genannt hat? In wessen Hände willst du alsdann deine häßliche und mit der Larve des Satans verstellte Seele befehlen? Du wirst freilich den Händen Gottes nicht entgehen können; aber wie schrecklich wird es sein, in die Hände eines erzürnten Richters zu fallen! Wie wird dir zu Muthe sein, wenn so viele unreine Geister deinen abgeschiedenen Geist ergreifen und in die äußerste Finsterniß hinschleppen werden? Aber stehe, dein sterbender Mittler will dich so gern erretten und als eine dem Satan entrissene Beute in die Hände seines himmlischen Vaters überantworten, wenn du nur seiner Gnade, die Alles allein verrichten will, in deinem Herzen Raum lassen, die vergängliche Weltlust fliehen, die Ergötzungen der Sünde verleugnen und dich entschließen willst, demjenigen zu leben, der für dich gestorben ist. So laß dir demnach helfen aus deinem Verderben, damit dieses letzte Wort Jesu Christi auch dein letztes Wort sein möge, und du mit Stephanus einmal sagen könnest: „Herr Jesu, nimm meinen Geist auf.“
O Seelen, die ihr glaubet an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes, wie selig seid ihr, nachdem ihr durch die Liebe, die sich in die Geburtsschmerzen des Todes zu eurem Heil gegeben hat, aus dem Zorngerichte Gottes in seine Gnade versetzt seid. Haltet euch nun für solche, die zugleich mit der Seele Christi den treuen und allmächtigen Händen des himmlischen Vaters überliefert worden. Wer will euch nun aus diesen starken Händen reißen, welche Himmel und Erde aus nichts gemacht haben, und welche Himmel und Erde wieder zerstören und in ihr erstes Nichts verwandeln können? Durch diesen Tod Jesu Christi, dabei er, nachdem er des Todes bittern Stachel gefühlt und zerbrochen, als ein Schlafender sein Haupt geneigt hat, ist auch euer Tod in einen sanften Schlaf verwandelt worden, so daß ihr euch ebensowenig vor demselben zu fürchten habt, als sich ein müder Wandersmann vor dem Bett fürchtet, worin er sich des Abends niederlegen und ausruhen soll. O wie groß ist eure Seligkeit, daß ihr auch vor dem Tode selbst, den ein Heide das allerschrecklichste unter allen erschrecklichen Dingen genannt hat, euch nicht entsetzen dürft, sondern mit aller Freudigkeit sagen könnt: Ein Spott aus dem Tode ist worden!
O so bleibt denn in diesem seligen Zustande, bleibt in den Armen eures guten Hirten, macht einen Bund mit ihm und sprecht: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich auch, dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbest, da sterbe ich auch. Auch selbst der Tod soll dich und mich nicht scheiden“, Ruth 1, 16. 17.
So haben wir denn nun durch Gottes Gnade die sieben Worte des gekreuzigten Heilandes miteinander betrachtet. Unsere Herzen müßten ja alles Gefühl verloren haben, wenn sie nichts von guten Bewegungen unter der Abhandlung eines so beweglichen Gegenstandes empfunden haben sollten. Denn da überhaupt die Worte sterbender Personen einen tiefen Gindruck in den Herzen derer, die sie hören, hinterlassen, so müssen ja gewiß die Worte eines sterbenden Gottes einen unendlich tiefen Eindruck auf die Gemüther machen. O daß nun aber die guten Bewegungen, welche ein Jeder empfunden hat, also verwahrt werden möchten, daß sie nicht wieder durch Betrug der Sünden erstickt würden. Ach, mit welchem Schrecken werden sich einst die Verdammten erinnern, daß sie bei dieser und jener Gelegenheit unter der Anhörung des Worts gerührt worden, deren Qual aber eben dadurch vermehrt werden wird, wenn sie bedenken, in was für einem seligen Zustande sie sich nun befinden könnten, wenn sie diesen Rührungen des Geistes Gottes, von denen auch die allerkleinste edler ist, als die ganze Welt, gefolgt hätten, und sich durch dieselben zu einer wahren Bekehrung und Veränderung ihres Herzens hätten bringen lassen. Darum sei Niemand so unbarmherzig gegen seine Seele, Niemand so undankbar und unbescheiden gegen den Geist Gottes, daß er ihn, wenn er an sein Herz anklopft, nicht anders, als ob er den geringsten Bettler vor sich hätte, abweisen wollte. Ein Jeder bedenke zum Schluß, daß, da wir einmal Rechenschaft geben sollen von allen unnützen Worten, die wir geredet haben, wir vielmehr werden Rechenschaft geben müssen von allen guten und erbaulichen Worten, die wir gehört haben.
Der lebendige Gott aber verleihe einem Jeden, der dieß liest, überschwängliche Gnade, damit diese Worte Jesu Christi, die ihn dereinst richten werden (wie er selber spricht: „Das Wort, welches ich geredet habe, wird euch richten am jüngsten Tage“, Joh. 12, 48), Niemanden ein Geruch des Todes zum Tode, sondern vielmehr Allen ein Geruch des Lebens zum Leben werde.
Nun Herr Jesu, Du getreuer Heiland, der Du als das ewige Wort des Vaters bis in den Tod geschäftig gewesen, Worte auszusprechen, die Geist und Leben sind, Worte, wodurch schon mancher arme Sünder aus seinem Elende errettet, Worte, wodurch schon manches geängstete und bebende Gewissen erquickt und getröstet worden ist; ach, Du wollest diese deine letzten Worte als Spieße und Nägel in unsere Herzen hineintreiben und sie darin bewahren ewiglich. Bitte über sie allen denjenigen Segen von deinem Vater aus, der ihnen bereits von Ewigkeit her liebreich zugedacht ist, und lasse sie noch ferner ein heilsames und kräftiges Mittel sein, wodurch viele rohe Herzen aus dem Schlaf ihrer Sicherheit aufgeweckt, viel blöde Gewissen getröstet und aufgerichtet, viele treue Seelen in deiner Gnade gestärkt und erhalten werden mögen. Das wollest Du geben um deiner Liebe willen, in welcher Du diese Worte ausgesprochen hast. Amen.