Wahrlich, ich sage dir: heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Luc. 23, 43.
Daß dieses das zweite Wort unsers Heilandes Jesu Christi sei, das er an seinem Kreuz gesprochen, daran laßt uns die Erzählung des Evangelisten Lucä nicht zweifeln, als welcher in seiner Erzählung die Zeitordnung genau zu beobachten pflegt. Nun aber finden wir Cap. 23. vom 33-43. Verse einen solchen Zusammenhang der Umstände: „Und als sie kamen an die Stätte, die da heißet Schädelstätte, kreuzigten sie ihn daselbst, und die Uebelthäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun. Und sie theilten seine Kleider und warfen das Loos darum. Und das Volk stand und sähe zu. Und die Obersten sammt ihnen spotteten sein und sprachen: Er hat Andern geholfen, er helfe ihm selber, ist er Christ, der Auserwählte Gottes. Es verspotteten ihn auch die Kriegsknechte, traten zu ihm, und brachten ihm Essig, und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber. Es war auch oben über ihm geschrieben die Überschrift mit griechischen und lateinischen und hebräischen Buchstaben: Dieß ist der Juden König. Aber der Uebelthäter einer, die da gehenkt waren, lästerte ihn, und sprach: Bist du Christus, so hilf dir selber und uns. Da antwortete der Andere, strafte ihn und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, da du doch in gleicher Verdammniß bist? Und zwar wir sind billig darinnen, denn wir empfangen, was unsere Thaten werth sind, dieser aber hat nichts Ungeschicktes gehandelt. Und sprach zu Jesu: Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst. Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Hier sehen wir also, in welcher Ordnung die Sachen aufeinander gefolgt sind. Da nämlich Jesus nunmehr am Kreuz erhöht und befestigt war, und für seine Kreuziger gebetet hatte, so fingen allerlei Arten der Menschen, die um das Kreuz herum standen, an, ihn zu verspotten. Es spottete seiner der gemeine Pöbel, die Obersten, die Kriegsknechte; es spottete seiner selbst einer von den Uebelthätern, die mit ihm zugleich gekreuzigt waren, welchen Spötter aber der andere, der in seinem Herzen anfing, für die Ewigkeit zu sorgen, öffentlich bestrafte, sich zu Christo wendete und darauf die Versicherung von ihm erhielt, daß er noch heute mit ihm im Paradiese sein sollte.
Wie nun nach der Zeitordnung dieß Wort auf das erste gefolgt ist, also hat es auch, wenn man die geistliche Ordnung der Sache erwägt, gar bequem darauf folgen können. Das erste Wort Christi betraf die noch unbußfettigen Sünder; es war ein Wort der Fürbitte, das andere ein Wort der Verheißung. In dem ersten wird eine Buß- und Gnadenfrist ausgebeten, in dem andern wird die Thüre der Gnade einem großen Sünder geöffnet. Das erste zielt auf die Gerechtmachung, das andere auf die Herrlichmachung, welche beide Handlungen auch Paulus genau miteinander verknüpft, Röm. 8, 30., da er spricht: „Welche er hat gerecht gemacht, die hat er auch herrlich gemacht.“ Das erste betrifft das Reich der Gnade, das andere das Reich der Herrlichkeit. Endlich in dem ersten Wort hat Christus sein hohepriesterliches Amt ausgerichtet in einer auf sein eigenes Opfer gegründeten Fürbitte; in dem andern Wort hat er eine königliche Handlung vorgenommen eben zu der Zeit, da sein königliches Amt auf's äußerste verspottet wurde. Nach dieser seiner königlichen Macht öffnete er einem großen Missethäter sein Reich und spricht: Wahrlich, ich sage dir: heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Da nun dieses Wort eine Antwort in sich faßt auf eine vorhergegangene Bitte, so müssen wir, wenn wir dasselbe recht verstehen wollen, unsere Betrachtung richten
I. Auf des Uebelthäters Bitte, und
II. Auf Christi Antwort.
Des Uebelthäters Bitte lautet im 42. Vers also: „Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ Man kann leicht erachten, daß gar viel in dem Gemüthe dieses Mannes vorgegangen sein müsse, ehe dieses Wort hervorgekommen, und daß diese Bitte wohl ein rechtes Benoni oder Schmerzenskind gewesen, das mit vieler Angst geboren worden ist.
Was den vorigen Zustand dieses Mannes betrifft, so war er, wie ihn Lucas im 32. Vers benennt, ein Uebelthäter gewesen, der große und öffentliche Laster begangen hatte, und zwar, wie ihn Marcus 15, 27. beschreibt, so war er ein Räuber, mit welchen Leuten das jüdische Land damals überschwemmt war. Dergleichen Leute aber pflegen nicht nur die Reisenden zu berauben und zu plündern, sondern auch, wenn sie sich widersetzen, todt zu schlagen, Luc. 10, 30, und aus der Uebertretung des fünften und siebenten Gebots ihr tägliches Handwerk zu machen. Ob nun dieser Mensch auch von dieser Gattung gewesen, oder ob er vielmehr, wie Andere wollen, unglücklicher Weise sich zu solchen Leuten geschlagen, die des römischen Jochs überdrüssig waren, und in einem Aufruhr, bei welchem Einige um's Leben gekommen, mit gefangen genommen und zum Tode verurtheilt worden, das können wir so eigentlich nicht bestimmen. Doch hatte er ohne Zweifel etwas von Christo und seinem Reich gehört, wie denn damals ganz Judäa mit den Erzählungen von den Predigten und Wunderwerken Jesu angefüllt war. Allein vor der Bosheit seines Willens konnten diese Nachrichten zu keiner Kraft bei ihm kommen, Doch mag etwa manches, was er von Christo gehört hatte, bei ihm aufgewacht sein, da er in seinem Gefängniß, worin er vielleicht eine geraume Zeit zubringen mußte (denn die römischen Landpfleger pflegten die Hinrichtung solcher Personen bis auf die hohen Feste der Juden zu versparen), Zeit gehabt, in der Stille dem nachzudenken, was ihm bisher vom Messias zu Ohren gekommen war, da er denn vielleicht ein sehnliches Verlangen getragen, diesen Mann vor seinem Tode noch zu sehen und mit demselben bekannt zu werden, damit er von dem Zustande seiner Seele, für welche er nun anfing ernstlich zu sorgen, mit ihm sprechen könnte. Dieses sein Verlangen wurde nun durch die weise Regierung Gottes erfüllt, da er mit dem Herrn Jesu zugleich zum Tode hinausgeführt und neben ihm gekreuzigt wurde.
Ohne Zweifel hat er seine Augen, so viel vor dem Getümmel des Volks geschehen konnte, unverrückt auf diesen Mann gerichtet und sein Verhalten gar genau bemerkt. Er hat mit angehört die Rede Christi, die er bei seiner Hinausführung den jüdischen Weibern gehalten, Luc. 23, 28 - 31.: „Ihr Töchter von Jerusalem, weinet nicht über mich, sondern weinet über euch und über eure Kinder. Denn siehe, es wird die Zeit kommen, in welcher man sagen wird: Selig sind die Unfruchtbaren, und die Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht gesäuget haben. Dann werden sie anfangen zu sagen zu den Bergen: Fallet über uns! und zu den Hügeln: Decket uns! Denn so man das thut am grünen Holz, was will am dürren werden?“ Aus welcher Predigt ihm einige prophetische Strahlen, ja Strahlen einer göttlichen Allwissenheit, die diesem Manne beiwohnen müsse, in die Augen leuchteten. Er hatte ferner das erste Wort aus dem Munde des Herrn gehört: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun“, und ist ohne Zweifel durch die unbegreifliche Sanftmuth und Liebe Jesu Christi in seinem Herzen innig gerührt worden. Da nun bald darauf das erschreckliche Gespött anging und Alles lästerte, was nur eine Zunge im Halse hatte, da selbst die Hohen-Priester, Pharisäer, Schriftgelehrten und Obersten des Volks unter das Kreuz hintraten und die allerschmählichsten Reden wider Christum ausstießen, ja, da sein eigener Kamerad, der auf der andern Seite hing, mit einstimmte, so überfiel ihn ein heiliger Schauer, wie man aus den Worten schließen kann: „Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott?“ Er gerieth in eine heilige Furcht vor Gott und dachte, es ist doch höchst unbillig, daß man einen Mann so verspottet, aus dessen Bezeigen gleichwohl ganz etwas anderes hervorleuchtet, als aus dem Bezeigen anderer Uebelthäter, der wie ein stilles Lamm dahängt und seine Zunge zu nichts anderem braucht, als für seine Feinde zu beten, und denen, die ihn an's Kreuz geheftet, die Vergebung ihrer Sünden auszubitten.
Da er nun unter den Wirkungen der vorlaufenden Gnade Gottes treu war, und die ersten Ueberzeugungen von der Unschuld Christi nicht dämpfte, noch denselben widerstrebte, so war auch wiederum der Geist Gottes so treu, daß er ihn zu einer tieferen Erkenntniß des Messias brachte und unter der wehmüthigsten Zerknirschung seines Herzens einen sehr herrlichen und vortrefflichen Glauben an Jesum Christum in seiner Seele wirkte.
Man findet demnach an diesem Manne 1) alle Kennzeichen einer wahren und ungeheuchelten Muße. Man trifft bei ihm an eine aufrichtige Erkenntniß und ein öffentliches Bekenntniß seiner Sünden, eine heilige Furcht vor Gott und eine Rechtfertigung der göttlichen Gerichte, indem er spricht: „Wir leiden, was unsere Thaten werth sind“; man trifft endlich bei ihm an einen ernstlichen Haß und Verabscheuung seines vorigen gottlosen Lebens und aller bösen Thaten, die er in demselben verübt hatte, sammt einem Verlangen, auch andere Sünder zu bekehren. Wenn man diese Stücke zusammen nimmt, so machen sie das Bild einer rechtschaffenen Buße aus.
Man findet an ihm 2) alle diejenigen Stücke, welche zu einem wahren Glauben an Christum gehören. Man trifft zuvörderst bei ihm an ein sehr herrliches Erkenntniß Jesu Christi, indem er denselben in der tiefsten Schmach, da er als ein Fluch zwischen Himmel und Erde am Kreuz hing, für einen Herrn, der ein Reich habe, folglich für den König von Israel und für den Sohn Gottes erkennt. Man trifft bei ihm an ein inniges Verlangen nach der Gnade dieses Herrn, welches aber verknüpft ist mit der allertiefsten Demuth und Gelassenheit, indem er Christo nichts vorschreibt, sondern sich nur ein gnädiges Andenken ausbittet. Man trifft endlich bei ihm an ein zuversichtliches Vertrauen, da er sich mit seinem Herzen von allen Menschen, die unter der Sonne sind, abwendet, und sich hingegen zu diesem Könige von Israel hinwendet, und in diesem Leben die Vergebung seiner Sünden, nach diesem Leben aber eine besondere Gnade von ihm erwartet. Wenn man nun wieder diese Stücke zusammen nimmt, so machen sie ein vollkommenes Bild des wahren und lebendigen Glaubens aus.
Man findet an demselben A) alle Früchte und Wirkungen des Glaubens. Denn da der wahre Glaube durch die Liebe thätig sein muß, so war auch sein Glaube an Christum durch die Liebe thätig, und zwar zuvörderst durch eine wahrhaftige Liebe gegen Jesum, aus welcher ein heiliger Eifer für dessen gekränkte Ehre, und eine öffentliche Vertheidigung seiner Unschuld herfloß, so daß man wohl sagen mag, daß, da jetzt Alles von der Unschuld Christi still geschwiegen, hier ein Stein angefangen habe zu reden, und dieselbe zu rühmen und zu bekennen. Es war ferner sein Glaube thätig durch eine wahre Liebe des Nächsten, aus welcher die Bestrafung seines Mitgesellen herkam, dabei er zu gleicher Zeit allen Umstehenden das erbaulichste Exempel gab, woraus man also sieht, wie sein Glaube nicht müßig, sondern höchst geschäftig gewesen, in welchem guten Zustande er bis an sein Ende verharrte, und sich in diesem Glauben an Christum durch das betrübte Wort, das er noch mit anhören mußte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, nicht stören, noch irre machen ließ, auch in seinen letzten Schmerzen, da ihm am Kreuz die Beine mit eisernen Keulen zerschmettert wurden, kein Zeichen der Ungeduld von sich gab, sondern in der Hoffnung, bald mit Jesu im Paradies zu sein, willig litt, was er mit seinen bösen Thaten verdient hatte.
In diesem seinem veränderten Zustande, darein ihn die Gnade gesetzt hatte, that er nun diese Bitte an den Herrn Jesum: „Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst“, oder: „wenn du in deinem Reiche kommen wirst“. In diesen Worten erkennt er 1. diesen Jesum, der nackt und bloß am Kreuze hing, für einen Herrn, und zwar für einen solchen Herrn, der ein Reich habe, welches er erst nach seinem Tode völlig in Besitz nehmen und seine königliche Herrlichkeit darin offenbaren werde, ja für einen solchen Herrn, der in seinem Reich völlig Macht habe, zu thun, was ihm wohlgefalle, und derer in Gnaden zu gedenken, deren er gedenken wolle. Diese Erkenntniß hatte der Geist Gottes in seiner Seele gewirkt mitten unter der äußersten Verspottung des königlichen Amtes Christi. Nächst dem bittet er 2. in diesen Worten, „daß der Herr seiner in Gnaden eingedenk sein wolle“, wie etwa Nehemias in seinem Buch öfters bittet: „Gedenke meiner, mein Gott, im Besten.“ Neh. 5. 19. c. 13, 14. 22. 3l.
Ob er also gleich bekannte, daß Christus ein Reich und in diesem Reiche eine vollkommene Macht habe, anzuordnen, was ihm beliebe, so ist er dennoch nicht so kühn, daß er sich in diesem Reich eine besondere Ehrenstelle ausbitten sollte, wie dort die Kinder Zebedäi verlangten, Marc. 1l, 35. 37., sondern er bittet nur um ein geneigtes Andenken; das andere alles überläßt er der weisen Einrichtung, Liebe und Gütigkeit Jesu Christi. Ein solches Bild haben wir uns von diesem Manne zu machen, daraus denn zugleich erhellt, wie weit seine Buße unterschieden sei von der gemeinen Buße, die auf dem Todtenbette aus Furcht des Todes und der Hölle geschieht.
Darauf folgt denn nun zum Andern die Antwort Jesu Christi. Derjenige, der auf alle Lästerungen, die damals um seine Ohren herum schallten, kein Wort antwortete, sondern als ein stilles und verstummtes Lamm in seinem Blut und Schmerzen da hing, und Alles dem befahl, der da recht richtet, 1 Petr. 2, 23., der antwortet hier einem armen Sünder, der ihn gebeten hatte, seiner eingedenk zu sein, und spricht zu ihm: „Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradies sein.“
Die Quelle dieser Antwort Jesu Christi war eine zarte Liebe gegen diese treue und redliche Seele, die den Wirkungen der vorlaufenden Gnade gehorsam geworden, und welche als ein Brand aus dem Feuer, als ein Lamm aus dem Rachen des Wolfes herausgerissen war. Diese Seele betrachtete der Sohn Gottes als die erste Beute, die ihm sein Vater am Kreuz schenkte, und als die erste Frucht seiner Fürbitte, und umfaßte sie demnach mit der allerzärtlichsten und innigsten Liebe. Diese Liebe war verknüpft mit einer geheimen Freude über diesen Sünder, der Buße that, und mit einem herzlichen Verlangen, diese zitternde und bebende Seele, die jetzt auf der Schwelle der Ewigkeit stand, zu trösten, sie seiner Gnade völlig zu versichern und allen Zweifel in ihr zu dämpfen. Aus einem solchen heiligen Triebe ist dieses Wort des Herrn Jesu Hergeflossen.
Was nun den Inhalt desselben betrifft, so treffen wir darin an 1) eine Verheißung: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein“, und 2) eine Bekräftigung dieser Verheißung: „Wahrlich, ich sage dir.“
Was die Verheißung selbst betrifft, so verspricht Christus diesem bußfertigen Sünder, daß er heute noch mit ihm im Paradies sein solle. Durch das Paradies versteht der Herr Jesus den Ort oder Zustand, worin die von ihren Leibern abgeschiedenen seligen Seelen sich befinden, sammt allen angenehmen Erquickungen, welche mit diesem Zustande verbunden sind. Wie denn solche Benennung bei den Juden nicht unbekannt war, und auch anderswo im Neuen Testamente, 2 Cor. 12, 4. und Offenb. 2,7., also vorkommt. Die Ursachen aber, warum derselbe Ort das Paradies genannt wird, sind zu suchen in der Aehnlichkeit, welche zwischen dem Paradies, in welches Adam gesetzt worden, und diesem Orte, worin sich die Geister der vollendeten Gerechten befinden, anzutreffen ist.
Aber, möchte man sagen, wenn dieses Letztere seine Richtigkeit hat, wie kommt denn der Schächer dahin? Wie kommt denn ein Mörder an einen Ort, in welchen nichts Gemeines, noch Unreines gehen soll? Hierauf mögen wir billig antworten, was dort eine Stimme vom Himmel dem Petrus antwortete: Was Gott gereinigt hat, das mache du nicht gemein„, Apstg. 10, 15. Dieser Mensch war vor Gott nicht mehr als unrein geachtet, nachdem sein Herz durch den Glauben gereinigt war. Er kam also nicht als ein Dieb und Straßenräuber in's Paradies, sondern als ein solcher, der in dem Blute Jesu Christi von seinen Sünden gewaschen war. Ob denn nun gleich in der Geschichte der Evangelisten nichts steht von der Vergebung seiner Sünden, so wurde er doch eben dadurch, da ihm Christus das Paradies versprach, zugleich auf's kräftigste derselben versichert. Es wurden ihm hiemit alle Laster, die er in seinem ganzen Leben begangen, vergeben, und alle seine Blutschulden durch das Blut des erwürgten Lammes zugedeckt. Er wurde mit eingeschlossen in den allgemeinen Pardon, den Christus seinen Feinden vorher vom Vater ausgebeten hatte, und der treue Heiland eilte mit dieser theuren Seele, die er gerecht gemacht hatte, nun zur Verherrlichung. Das heißt: „Du wirst im Paradies sein!“
Es setzt aber Christus noch zwei bedenkliche Umstände dazu. Erstlich die Zeit, wenn solches geschehen sollte, und zum andern die Art und Weise, wie es geschehen sollte.
Die Zeit wird ausgedrückt in dem Wort: „Heute“. Heute wirst du mit mir im Paradies sein. Dieser arme Mann hatte in seiner Bitte keine Zeit bestimmt, wenn Christus an ihn gedenken sollte; vielmehr schien er's weit hinausgesetzt zu haben, wenn er sagt: Herr, gedenke an mich, wenn du einmal in deinem Reiche kommen wirst. Also erbot er sich, daß er gern so lange warten wolle, bis der Herr einmal in seinem Reiche seiner eingedenk sein werde. Christus aber versicherte ihm, daß es nicht so lange wahren solle, sondern noch diesen Tag, noch vor Untergang der Sonne, nämlich in dem Augenblick, da seine Seele von seinem Körper werde getrennt werden, da solle sie von dem blutigen Kreuz in's Paradies übergehen, und zum Anschauen der Herrlichkeit Gottes, ja zu dem Genuß der unendlichen Erquickungen, die vor seinem Angesichte sind, gelangen. Gewiß, hätte Einer erst ein Fegfeuer und eine Reinigung nöthig gehabt, so hätte es dieser Mann nöthig gehabt, der so kurz vor seinem Ende erst bekehrt ward. Aber die Liebe Christi weiß hier von keinem Läuterungs- und Reinigungsfeuer, sondern er verspricht dieser treuen Seele, die an seinen Namen glaubte, daß sie, sobald sie vom Leibe würde geschieden sein, bei ihm in seiner Herrlichkeit sein sollte.
Die Art und Weise aber, wie solches geschehen sollte, ist ausgedrückt in den Worten: mit mir. Heute wirst du mit mir im Paradies sein. Zuerst heißen diese Worte, der Kraft nach, so viel als: durch mich und durch meine Vermittlung. Denn Christus verschaffte diesem erretteten Sünder durch sein Verdienst einen Zugang zu dem Baum des Lebens, der mitten im Paradies Gottes ist, Offenb. 2, 7. Wie der erste Adam das Paradies für sich und alle seine Nachkommen verscherzt hatte, also hat es dieser andere Adam für sich und seine geistlichen Kinder wieder erlangt und erworben. Der erste Mensch, der nach dem Fall sich des himmlischen Paradieses verlustig gemacht hat, war ein Mörder, nämlich Kain; und der erste Mensch, der nach der Versöhnung des Falles wieder ins Paradies aufgenommen worden, war auch ein Mörder; darin man gewiß ein besonderes Spiel der göttlichen Weisheit wahrnehmen muß. Dann aber heißen auch die Worte: mit mir, so viel als: in meiner Gemeinschaft; und wollte also Christus zu diesem Manne sagen: Wie du mit mir in meiner Schmach Gemeinschaft gehabt hast, also sollst du auch mit mir in der Herrlichkeit Gemeinschaft haben. Wie du dich mit mir durch den Glauben vereinigt hast, so sollst du auch im Tode ungetrennt bei mir bleiben, und wo ich bin, da sollst du, als mein Diener und als ein öffentlicher Bekenner meiner Unschuld und meines Königreichs, auch sein, und von meinem Vater geehrt werden, Joh l2. 26 O was leuchtet hieraus für eine unbegreifliche Liebe Jesu Christi hervor, daß er sich der Gemeinschaft mit einem abscheulichen Mörder nicht schämt, sondern einen solchen mit sich in's Paradies nehmen will, mit dem sich kein Bettler vereinigen, noch sich zu ihm gesellen würde! O eine Liebe, die alle Erkenntniß übersteigt! Und das war denn die Verheißung, die dieser Mann anhörte.
Dazu kam aber noch zur Stärkung seines Glaubens eine Bekräftigung: „Wahrlich, ich sage dir!“ Ich sage dir, als das Wort, welches Macht hat, ein solch Wort zu reden. Ich sage dir, als der Herr, wofür du mich erkannt und öffentlich ausgerufen hast. Ich sage dir, als der Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, Offenb. 3, l3, auf dessen Versicherung man sich gewiß verlassen kann.
Fragt man aber, warum dieser wahrhaftige Zeuge seine Versicherung mit dieser Art eines Eidschwures bekräftigt, so muß man dabei auf den Zustand, worin sich dieser Mann befand, und auf die innerliche Beschaffenheit seines Gemüths sehen. Ohne Zweifel hat diese arme Seele, die jetzt zum Glauben an Christum durchgebrochen war, noch gezittert und gebebt, wie ein blutig Schaf, das erst den Zähnen des Wolfes entrissen ist und sich noch eine Zeitlang ängstlich umsieht, ob der Wolf wieder hinter ihm herkomme. Da halte er also einen starken Zuruf und Trost nöthig, Hebr. 6, 18, Er sollte jetzt, da er auf der Schwelle der Ewigkeit stand und den Tod vor sich sah, sich mit seinem Glauben auf einmal so hoch hinaufschwingen und Christo zutrauen, daß er nicht nur seiner gedenken, sondern ihn auch in seinem paradiesischen Reiche seiner Herrlichkeit theilhaftig machen wolle. Diese Gnade war, seinem Bedünken nach, zu groß für ihn, und das hatte er sich nimmermehr eingebildet, daß ihm Christus eine solche Verheißung geben sollte. Da prallte gleichsam sein Glaube zurück, und konnte diese hohe und ungemeine Liebe Jesu Christi nicht erreichen. Daher mußte der Herr Jesus zugreifen und mit seinem „Wahrlich“ diese zappelnde Seele unterstützen und auf diese glimmende Docht ein solches Oel gießen.
So nehmt denn dieses Wort mit nach Hause, ihr zuerst, ihr elenden Seelen, die ihr, was den vorigen Zustand dieses Mannes betrifft, ihm in den meisten Stücken gleich seid, die ihr zwar mehr, als Jener, von Christo gehört und in seiner Erkenntniß von Jugend auf unterrichtet seid; aber dabei in offenbaren Werken des Fleisches gelebt und die Fünklein dieser Erkenntniß durch die Bosheit eures Willens erstickt habt. Seht, hier habt ihr ein Exempel eines abscheulichen Sünders, eines Mörders, eines Straßenräubers vor euch, den aber die Liebe Jesu Christi nicht verschmäht, sondern ihre Hand nach ihm ausstreckt, Buße und Glauben in ihm gewirkt, ihn in ihrem Blute gewaschen, in ihre Gnade eingenommen, ja ihm das Paradies und die Herrlichkeit Gottes versprochen hat. Hier seht ihr also, was auch ihr zu erwarten habt, wenn ihr aufhören wollt, die Sünde für euer Paradies zu halten, und wenn ihr euch wenden wollt zu dem Lamm, das eure Schuld getragen und sich für euch zu todt geblutet hat. So gut kann es auch euch werden. Diese große, breite und weite Gnade, die höher als der Himmel und tiefer als der Abgrund ist, die will auch euch, wenn ihr auch die abscheulichsten Höllenbrände wäret, unter ihre Flügel versammeln und Einwohner des Paradieses aus euch machen. An diesem großen Sünder hat sie ein öffentliches Exempel aufgestellt, wie sie es mit einem jeden Sünder machen wolle, der da mit seinem Willen aus der Sünde ausgeht, der sich von der Eitelkeit und Bosheit abwendet und sich seinem Erlöser ergibt. Kronen will sie ihm austheilen, ihr Paradieß will sie ihm öffnen, sie will ihn hinzulassen zum Genuß aller Seligkeiten Gottes; seine begangenen Sünden aber will sie ihm nicht vorwerfen, noch derselben ferner gedenken, sondern sie in dem Meer ihres Blutes ersäufen und nimmermehr wieder vor ihre Augen kommen lassen. Das betrachtet denn zu Hause in der Stille, und wendet euch zu dieser gekreuzigten Liebe. Hebt eure Stimme vor ihr auf, weint und sprecht: Hast du denn nur Einen Segen, mein Heiland? segne mich auch, mein Heiland. Hier ist noch ein großer Sünder. Ach, Herr, gedenke auch an mich, und laß auch meiner Seele die Versicherung widerfahren, daß du sie zu Gnaden aufgenommen habest!
Schiebt aber diese wichtige Sache nicht auf bis an den letzten Augenblick eures Lebens, denkt nicht, ihr wollt die Ergötzung der Sünden genießen, und dann mit dem armen Schächer von dem Todtenbette einen Sprung in das Paradies wagen. Hätte dieser große Sünder so viel Gelegenheit zur Buße gehabt, als ihr habt, er würde ohne Zweifel sich eher bekehrt haben. Ihr aber lebt unter so vielen Gnadenmitteln, der Weg zur Seligkeit wird euch bei aller Gelegenheit angewiesen, die Ueberzeugungen des Geistes Gottes dringen in euer Gewissen, seine Rührungen beunruhigen euer Herz; und ihr habt nichts, womit ihr den Aufschub eurer Buße entschuldigen könnt. O darum wagt es nicht, auf Gnade zu sündigen, damit euch nicht mit Ungnade gelohnt weide. Wenn das Exempel des einen Schächers, der sich bekehrt hat, euch in euren Sünden sicher macht, so laßt euch durch den Anblick des andern Schächers, der sich verstockt und in seinen Sünden gestorben ist, zu einem heiligen Zittern bewegen und die Worte des Geistes Gottes euch zu Gemüthe führen: ^Heute, so ihr des Herrn Stimme höret, so verstocket eure Herzen nicht“, Hebr. 3, 7. 8.
Ihr Freunde Jesu Christi aber, die ihr seiner Gemeinschaft und Liebe genießt, und denjenigen wieder lieht, der euch bis in den Tod geliebt hat, lernet aus diesem Worte Jesu Christi, daß ihr einen solchen Heiland habt, der die Schlüssel des Paradieses besitzt, und eurer Seele die Thüre zu demselben in der Stunde eures Todes zu öffnen willig ist. Macht euch demnach mit diesem Erwerber des Paradieses im Glauben bekannt, liebt ihn unverrückt, und bleibt dergestalt an ihm hangen, daß der Tod, wenn er kommt, euch abzuholen, euch nirgends antreffe, als in den Armen Jesu Christi, aus welchen euch kein Tod und kein Teufel reißen kann. Freut euch darauf im Glauben, daß, sobald ihr eure Augen zuschließen werdet, ihr die Herrlichkeit Gottes sehen und ohne eine langwierige und beschwerliche Reinigung alsbald denjenigen schauen sollt, den ihr nicht gesehen und doch lieb gehabt. Der gekreuzigte Jesus verhelfe euch zu dieser Seligkeit um seiner Wunden willen!
Lebendiger Heiland, der Du gekreuzigt bist in der Schwachheit, aber nun lebest in der Kraft und unendlich selig machen kannst, die durch Dich zu Gott kommen, wir bewundern die Tiefe und die Höhe, die Breite und die Länge deiner unbegreiflichen Liebe, welche Du am allerherrlichsten in den letzten Augenblicken deines Lebens am Kreuz bewiesen hast. Wir verwundern uns darüber, daß Du einem so elenden Sünder, der entweder aus eigener Bosheit, oder durch Anderer Verführung auch so weit gegangen war, daß er seine Hände mit unschuldigem Blut befleckt, so freundlich gewesen, denselben so liebreich angeredet und ihm größere Dinge verheißen, als er nimmermehr sich unterstanden hätte, von Dir zu bitten, ja daß Du an deinem Kreuz Kronen ausgetheilt, das Paradies geöffnet und einen, der schon der Hölle im Rachen gesteckt, mit Dir hineingenommen hast. Ach, laß diese Bewunderung deiner Liebe bei uns allen diese Wirkung haben, daß wir unser Haupt nicht sanft niederlegen, bis wir auch wissen, wie wir mit Dir daran sind, und die Versicherung erlangen, daß unsere Seele bei Dir sein solle, wenn sie die Wohnung dieser irdischen Hütte verlassen muß. Drücke denn dieses Wort, das du am Kreuz gesprochen hast, recht tief in alle diejenigen Seelen hinein, welche tief in der Sünde versunken sind, welche tief in dem Rachen des Teufels stecken und in den abscheulichsten Bosheiten bisher gelebt haben, und segne solches Wort dazu, daß ihre Herzen umgekehrt, verändert, erweicht und bei der großen Gluth dieser deiner Liebe zerschmolzen werden. Drücke es aber auch in die Herzen deiner Freunde und stärke sie in deiner Hoffnung, daß sie von Dir ein ewiges Leben erwarten. Laß besonders dieses dein Wort in unserer Todesstunde uns zu Statten kommen und als ein Balsam des Lebens unser brechendes Herz erquicken, um deiner Todesschmerzen willen. Amen.