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Rambach, Johann Jakob - Betrachtungen über die sieben letzten Worte des gekreuzigten Jesu - Das erste Wort.

Luc. 23, 34.
Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun.

Vorbereitungs - Gebet.

Theurer Heiland, Herr Jesu Christe, der Du Dich für uns in den Tod gegeben und durch die Vergießung deines Blutes uns Leben und ewige Seligkeit erworben hast, wir preisen Dich von Herzen für diese allerhöchste Wirkung deiner göttlichen Liebe. Wir preisen Dich für dein geheimnißvolles Stillschweigen, da Du vor dem geistlichen und weltlichen Gerichte wie ein Lamm verstummt und das Todesurtheil ohne Widerrede über Dich hast fällen lassen. Wir preisen Dich aber auch für die geheimnißvollen Worte, die Du in deinem Leiden, und besonders am Kreuz in deinen letzten Stunden ausgesprochen hast. Da wir nun jetzt, lieber Heiland, den Anfang machen wollen, diese deine letzten Worte zu betrachten, so gib uns Allen dazu aufmerksame und begierige Seelen, damit wir diese Worte, die aus deinem Herzen geflossen, wieder in unsere Herzen einstießen lassen. Laß uns nicht nur den rechten Verstand derselben erreichen, sondern auch die Geheimnisse der Liebe, die darin verschlossen liegen, uns durch deinen Geist, der Dich verklärt, so aufgeschlossen werden, daß wir den süßen und edeln Kern derselben schmecken und genießen mögen. Laß uns niemals unerweckt und ungerührt von einander gehen, aber gib auch, daß Niemand die gesegneten Rührungen deines Geistes wieder ersticke, sondern vielmehr sie in's Gebet einführe, und sein Herz zu einem feinen und guten Acker bereiten lasse, worin der Same deiner letzten Worte aufgehen und hundert-, ja tausendfältige Früchte zur Verherrlichung deines Todes bringen möge. Erhöre uns um deiner Liebe willen. Amen.

Es ist für dießmal unser Zweck, über die sieben Worte, welche unser Mittler an seinem Kreuz gesprochen hat, unsere Betrachtung anzustellen. Es sind zwar alle Worte unsers Heilandes, Worte des ewigen Lebens, Joh. 6, 68., die er zu dem Ende geredet, daß wir selig werden sollen, Joh, 5, 34. Doch haben seine letzten Reden, die man am Kreuz von ihm gehört hat, eine besondere Kraft, das Herz zu rühren und es zur Ehrerbietigkeit und Andacht zu erwecken. Sie sind zwar kurz, deutlich und einfältig, daher sie nicht sowohl eine mühsame Erklärung, als eine bußfertige und gläubige Zueignung erfordern; allein unter dieser Einfalt sind unerforschliche Tiefen der Weisheit und Liebe verborgen. Sie führen einen geheimen Balsam des Lebens bei sich und geben einen lieblichen und kräftigen Geruch, welche gedemüthigte und gnadenhungrige Seelen wohl empfinden.

Forschen wir aber nach den Ursachen, warum diese Worte vor andern Worten Christi einen solchen Vorzug haben, so möchten etwa folgende angezeigt werden können, die uns zugleich zu einer begierigen Aufmerksamkeit ermuntern sollen.

Es sind 1) Worte eines Sterbenden, welche man insgemein mit besonderer Stille anzuhören, auch wohl sorgfältig aufzuzeichnen pflegt, damit sie nicht vergessen werden, wie der Geist Gottes also die letzten Reden Jakobs, 1 Mos. 49., Mosis, 5 Mos. 32. und 33., Josuä, c. 34., Davids, 2 Sam. 23.. Simeons, Luc. 2., der heiligen Schrift mit einverleibt hat. Es sind solche Reden nicht nur ein sicheres Zeugniß von der innerlichen Beschaffenheit eines Menschen, weil doch in der Todesstunde die Heuchelei ihre Larve ablegen und fallen lassen muß, sondern es lehrt auch die Erfahrung, daß der heilige Geist, der in den Gläubigen wohnt, zu der Zeit, wenn sie in die Ewigkeit eingehen sollen, öfters seine Kraft am stärksten bei ihnen werden und gleichsam einige Strahlen aus der nahen Ewigkeit in dieselben einschieben läßt, woraus sie ein starkes Licht bekommen, aus welchem Manche um solche Zeit etwas reden, das über ihren sonst gewöhnlichen Begriff geht. Besonders haben die letzten Reden der Märtyrer, welche von dem Scheiterhaufen oder Richtplatz oder unter dem Galgen gehalten worden, öfters gar einen gesegneten Nachdruck in den Gemüthern hinterlassen. Diese Worte aber, die wir jetzt zu betrachten vor uns nehmen, sind nicht Worte eines frommen sterbenden Menschen, auch nicht Worte eines bloßen Märtyrers, welcher die Wahrheit mit seinem Blute versiegelt, sondern es sind Worte eines sterbenden Gottes, die aller Aufmerksamkeit und Annehmung würdig sind.

Es sind 2) Worte einer solchen Person, die in ihrem ganzen Leben Kein einziges unnützes Wort geredet, und die in ihrem Leiden sehr wenig gesprochen hat, so daß sich selbst der heidnische Richter Pilatus darüber verwundert, Marc. l5, 5. Der heilige Geist hat das lange vorher verkündigt, Jes. 53, 7., da unser Heiland in seinem Leiden vorgestellt wird als ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und als ein Schaf, das verstummet vor seinem Scherer und seinen Mund nicht aufthut, ob er wohl anderswo von eben demselben Geiste das wesentliche Wort des Vaters genannt wird. Da nun auch die Worte solcher Personen, welche sonst wenig zu reden pflegen, allezeit aufmerksamer angehört werden, als die vielen Worte eines unnützen Schwätzers, so werden billig diese Worte Christi um so viel höher geschätzt, weil er sie zu einer solchen Zeit gesprochen, da er sehr wenig geredet hat.

Es find 3) Worte, die der prophetische Geist größten Theils viele hundert Jahre vorher hat verkündigen und aufschreiben lassen. Wie Christus in seinem Leben nichts anderes gethan, noch geredet hat, als was ihm sein Vater zu reden und zu thun anbefohlen, und daher Joh. 8, 28. spricht: „Wie mich mein Vater gelehret hat, so rede ich“, so sind auch seine letzten Worte, mit welchen er sein Leben beschlossen hat, bereits in dem ewigen Rath Gottes abgeredet und durch die Propheten vorher verkündigt worden. Daß er für seine Feinde bitten werde, das hat Jesajas 53, l2. vorher gesagt, wo es am Ende heißt: „Er wird für die Uebelthäter bitten.“ Das vierte Wort: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ steht im Anfang des 22. Psalms. Bei dem fünften Worte, worin er seinen großen Durst kund machte, hat uns Johannes selbst in die Schrift hinein gewiesen, Joh. 19, 28., wo es heißt: „Auf daß die Schrift erfüllet würde, sprach er: Mich dürstet!“ Endlich sein letztes und siebentes Wort: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ hat der prophetische Geist durch den Mund Davids aussprechen lassen Ps. 3l, 9. Und eben darum wollte unser theurer Heiland den vergalleten Myrrhenwein, den man ihm vor seiner Kreuzigung zu trinken geben wollte, nicht annehmen, weil dieser Wein ihm zu dem Ende gereicht wurde, daß seine Sinne und sein Verstand verrückt werden sollten. Er aber hatte noch Worte an seinem Kreuz zu reden, durch deren Aussprechung die Schrift erfüllt werden mußte, daher er mit guter Vernunft und völligem Verstände am Kreuze hangen und an demselben seinen Geist aufgeben wollte.

Es sind endlich 4) solche Worte, welche mit einem ganz besondern Nachdruck ausgesprochen sind, unter dem Gefühl der äußersten Schmerzen und unter einem großen Getümmel des Volks, da her sie auch mit einer sehr lauten und erhabenen Stimme und einem starken Geschrei ausgerufen worden sind. Da es also Worte sind, die von Herzen gegangen, was ist es Wunder, daß sie wieder zu Herzen gehen, wenn sie nur nicht steinerne Herzen antreffen? Worte, die ein sterbender Heiland aus einem so zarten Liebestriebe gegen seinen Vater und gegen seine Gläubigen, ja auch selbst gegen seine ärgsten Feinde ausgesprochen hat, die dringen billig wie Spieße und Nägel in die Herzen und lassen darin einen süßen und kräftigen Stachel zurück. Zu geschweigen, daß auch selbst die siebente Zahl etwas Geheimnißvolles in sich faßt und von der Vollkommenheit dieser Worte zeugt.

Wir nehmen denn jetzt besonders das erste Wort unsers Heilandes zur Betrachtung vor uns, welches Luc. 23, 33. 34. aufgezeichnet steht, da es heißt: „Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn daselbst, und die Uebelthäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!“

Es erhellt aus dieser Erzählung des Evangelisten Lucas, welcher alles genau nach der Zeitordnung zu beschreiben pflegt (Luc. 1, 3.), daß dieses das erste Wort gewesen, welches auf dem Berge Golgatha aus dem Munde unsers Heilandes gegangen, weil es Lucas mit der Anheftung an das Kreuz unmittelbar verknüpft.

Ohne Zweifel haben seine Feinde, welche in großer Menge um ihn herumgestanden, ihre Augen an dieser blutigen Handlung zu weiden, damals ihre Ohren gespitzt und darauf gelauert, was er doch nun sagen werde, wenn mau seine Hände und Füße mit Nägeln an's Kreuz heften würde. Ohne Zweifel haben sie gedacht, er werde entweder alles, was er bisher gelehrt, widerrufen, damit er sein Leben retten möchte, oder es werde nun seine Geduld aufhören und sich in Murren und Ungeduld wider Gott und Menschen, ja in Drohen und Schelten verwandeln, wie im Buch der Weisheit c. 2, 19. 20. die Gedanken der Gottlosen bei dem Leiden der Kinder Gottes also entdeckt werden: Mit Schmach und Qual wollen wir ihn stöcken, daß wir sehen, wie fromm er sei, und erkennen, wie geduldig er sei. Wir wollen ihn zum schändlichen Tode verdammen, da wird man ihn kennen au seinen Worten! Aber es traf auch hier ein, was V. 21. folgt: „Solches schlagen sie an und fehlen,“ Denn damit der Evangelist zeigen möchte, wie sehr sich die verblendeten Leute in ihrer fleischlichen Hoffnung betrogen haben, so verbindet er diese Worte Christi mit dem vorhergehenden durch das Wörtlein aber: Jesus aber sprach, um dadurch den offenbaren Gegensatz auszudrücken zwischen der Erwartung der Feinde und dem heiligen Verhalten Jesu Christi.

Die Quelle, woraus dieses erste Wort geflossen, ist ein Herz voll süßer göttlicher Liebe, die von keinem Grimm, von keiner Bitterkeit, von keiner Ungeduld etwas weiß, die sich kreuzigen laßt und dennoch Liebe bleibt, die als eine Flamme des Herrn von ganzen Strömen der Beleidigung nicht ausgelöscht werden kann.

Diese Worte selbst heißen nun also: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun, welche in sich fassen: I. Die Anrede in dem Wort Vater. II. Die Bitte selbst: Vergib ihnen. III. Den Beweggrund, der dieser Bitte beigefügt wird: Denn sie wissen nicht, was sie thun.

I

Was denn erstlich die Anrede anlangt, so ist dieselbe in dem süßen Vaternamen begriffen. Denjenigen Gott, von welchem Jesus in die Welt gesandt war, das große Werk der Erlösung zu vollbringen, nennt er hier mit dem allerhöchsten Rechte seinen Vater, weil ihn derselbe aus seinem Wesen auf eine unbegreifliche Art gezeugt und ihm sein Ebenbild mitgetheilt hatte, Col. 1, 15. Hebr. 1,3. Ob nun gleich dieser sein lieber Vater jetzt sein Angesicht im Zorn vor ihm verborgen und sein Herz gleichsam verschlossen hat, so klopft er doch mit einem kindlichen süßen Liebestriebe an dieses verschlossene Vaterherz an und sucht dasselbe zu einem erbarmenden Mitleiden über die bösen und unartigen Kinder, unter deren unbarmherzigen Händen er sich jetzt befand, zu bewegen.

Dadurch hat er denn erstlich gebüßt und versöhnt die schrecklichen Gedanken, welche wir öfters von Gott in der Stunde der Anfechtung haben, und die häßlichen Titel, welche Gott zuweilen von seinen besten Kindern in ihrer Angst bekommt. Da es z. E. in den Klagliedern Jeremiä 2, 4. heißt: „Er hat seinen Bogen gespannt wie ein Feind, seine rechte Hand hat er geführt wie ein Widerwärtiger, und hat erwürgt alles, was lieblich anzusehen war, und seinen Grimm wie ein Feuer ausgeschüttet in der Hütte der Tochter Zion!“ Deßgleichen c. 3, 10-12.: „ Er hat gelauert auf mich wie ein Bär, wie ein Löwe im Verborgenen. Er läßt mich des Weges fehlen, er hat mich zerstückt und zunichte gemacht. Er hat seinen Bogen gespannt und mich dem Pfeil zum Ziel gesteckt!“ Im Buch Hiob 30, 21. spricht Hiob in der Angst zu Gott: „Du bist mir verwandelt in einen Grausamen und zeigest deinen Gram an mir.“ Von Hiskia steht Jes. 38, 13.: „Ich dachte: Möchte ich bis morgen leben, aber er zerbrach mir alle meine Gebeine wie ein Löwe.“ Seht, solche Titel muß unser Schöpfer von seinen Kreaturen annehmen, so muß er sich von ihnen als ein Feind, als ein Widerwärtiger, als ein Bär, als ein Löwe, als ein Grausamer beschreiben lassen. Damit uns nun diese häßlichen Titel, die wir Gott in der Angst geben, vergeben werden könnten, so hat solche der liebe Sohn mit seinem Abba! Vater! zugedeckt und die Nichtzurechnung derselben verdient.

Zum Andern aber hat er uns auch dadurch den Geist der Kindschaft erworben, welcher die Seele bewahrt, daß sie im Leiden nicht von ihrem Vater, sondern zu ihrem Vater flicht, in seinen Schooß eilt, sein allerhöchstes Vaterrecht über sich erkennt und mit einem kindlichen Gehorsam sich unter seine Ruthe und unter seine gewaltige Hand demüthigt. O welch eine Weisheit ist das, so die Vernunft nicht lehren kann, sondern die man allein in der Schule Jesu Christi lernt! Wie schwer wird es nicht einer Seele, welche ihre Sünden und den dadurch verdienten Zorn Gottes in ihrem Gewissen fühlt und um die Vergebung derselben ängstlich bekümmert ist, wie schwer, sage ich, wird es ihr, ehe sie zum ersten Mal das Abba sprechen und den süßen Vaternamen über ihre Zunge dringen kann, indem ihr immer das Bild eines strengen Richters vor ihren Augen steht und ihre blöde und schwache Zuversicht darniederschlägt. Da kommt ihr denn aber ihr treuer Fürbitter, Jesus Christus, bei dem Vater zu Statten, welcher auch das Richteramt Gottes erkennt und verehrt (denn Sünde vergeben ist ja eine richterliche Handlung), aber nichts desto weniger auch versichert ist, daß auf dem Richterstuhle ein Vater sitze, welcher auch gegen seine bösesten Kinder ein mitleidiges und erbarmendes Herz trägt. Wenn dieses Licht in einer Seele aufgeht, wenn sie mitten unter dem Gefühl ihrer Sünden einen Blick in das Vaterherz Gottes thun, ja ihn selbst ihren Abba und ihren lieben Vater nennen lernt, entsteht Freude und Wonne, verschwindet die Traurigkeit, und das Weinen wird in Lachen, das Klagen wird in Danksagung verwandelt.

II

Auf diese Anrede folgt die Bitte selbst, die in diesen Worten enthalten ist: Vergib ihnen. Das ganze Leiden Christi hat diesen nächsten Endzweck, daß uns dadurch die Vergebung unserer Sünden erworben würde. Daher unser Erlöser, als er bei der Einsetzung des heiligen Abendmahls sein Blut den Jüngern zu trinken überreichte, dabei sprach: „Das ist mein Blut des neuen Testaments, welches vergossen wird für Viele/ Zu welchem Endzweck und in welcher Absicht? „Zur Vergebung der Sünden“, Match. 26, 28. So bittet demnach der liebe Heiland, daß der Vater diese Frucht seines Blutes, nämlich die Vergebung der Sünden, zuerst denjenigen wolle zu statten kommen lassen, die eben jetzt ihre Hände damit befleckten, und durch die Durchbohrung seiner heiligen Hände und Füße den Weg zu ganzen Strömen des Blutes öffneten.

Diese Leute begingen die größte Sünde, die jemals auf dem Erdboden geschehen war. Denn wo kann eine größere Sünde erdacht werden, als diese, seine Hand an den eingebornen Sohn Gottes legen und denselben kreuzigen? Daher hätte man nach der Vernunft denken sollen, daß Christus, der bisher alles Unrecht, das man ihm angethan, mit Geduld ertragen, doch nun bei diesem erfolgten äußersten Grade der Bosheit nicht länger an sich halten, sondern um Rache schreien und die Gerechtigkeit Gottes anrufen werde, daß sie die Bösewichter zur gebührenden Strafe ziehe. Aber dieses Lamm Gottes weiß von keinem Grimm. Dieses Blut schreit nicht um Rache, wie das Blut Abels, 1 Mos. 4. 10., sondern es redet bessere Dinge, Hebr. 12, 24., nämlich: „Vater, vergib ihnen.“

Hiemit bittet denn unser Heiland diesen Leuten dreierlei aus, 1. eine Buß- und Gnadenfrist, oder einen Aufschub der Strafe, welche die göttliche Gerechtigkeit an diesen muthwilligen Beleidigern der höchsten Majestät mit gutem Recht alsobald hätte vollziehen können. Ein unerhörtes Verbrechen hätte auch billig eine unerhörte Strafe verdient. Mußte sich die Erde aufthun und diejenigen verschlingen, die wider Moses, einen Knecht Gottes, murrten und harte Worte gegen ihn redeten, 4 Mos. 16, 32.; mußte das Feuer vom Himmel auf diejenigen Hauptleute und Soldaten fallen, welche sich an Elia vergreifen wollten, 2 Kön. 1, 10. 12.; mußten die Bären aus dem Walde kommen und zweiundvierzig kleine Knaben zerreißen, welche Elisam verspottet und ihn einen Kahlkopf genannt hatten, 2 Kön. 2, 23. 24; was hätte denn nicht geschehen sollen bei dieser ungemeinen Bosheit, welche nicht an einem Knechte, sondern an dem einigen Sohn Gottes verübt wurde? Aber der Sohn fällt mit diesem Worte „vergib“ der beleidigten Gerechtigkeit Gottes in die Arme und bittet, die Ausführung der Strafe und Rache aufzuschieben, wie etwa Luc. 13, 8. dieses Wort in eben dieser Bedeutung vorkommt, da der Gärtner für einen unfruchtbaren Baum bittet: „Laß ihn noch“ dieses Jahr „stehen/

Er bittet ihnen 2) aus die Gnade der Bekehrung, ohne welche die Strafe nicht in die Länge aufgeschoben, vielweniger aufgehoben werden kann. Er ersucht also seinen himmlischen Vater, daß er an diesen armen Leuten, die sich jetzt so hoch an ihm versündigten, durch seinen Geist arbeiten lassen wolle; daß er ihnen die Decke von ihren Augen wegnehme, damit sie erkennen lernen, an wem sie sich vergriffen, und mit was für einem Blute sie ihre Hände befeuchteten; ja daß er ihre Herzen umkehren und verändern, und anstatt des Hasses gegen seine heilige Person Glaube und Liebe darin wirken wolle.

Er bittet ihnen in dieser Ordnung 3) aus die wirkliche Vergebung ihrer Sünden, daß Gott ihnen dieses schreckliche Verbrechen, das sie an seinem eingebornen Sohn begangen, nicht zur Verdammniß zurechnen, sondern ihnen vielmehr seine vollkommene Genugthuung, sein blutiges Verdienst und seinen ganzen Gehorsam, in dessen Leistung eben jetzt der Sohn beschäftigt war, zurechnen wolle. Daraus wir denn alsobald sehen, daß sich diese Fürbitte Christi auf seine Genugthuung gründe. Er bittet um die Vergebung der Sünden als ein solcher, der die Sünde trägt, Jes. 53, 12. Er bittet um die Erlassung der Strafe als ein solcher, der jetzt als ein Fluch zwischen Himmel und Erde schwebt.

Wollte man fragen, warum ihnen Christus nicht selbst die Sünde vergebe, warum er ihnen nicht selbst die Absolution vom Kreuz herab verspreche, sondern seinen Vater ersuche, daß er ihnen dieselbe ertheilen wolle? so dient zur Antwort, daß Christus allerdings Macht und Recht dazu gehabt habe, indem er auch, als des Menschen Sohn, Macht bekommen, auf Erden die Sünde zu vergeben, nach Matth. 9, 6. Er fand es aber für gut, sich der wirklichen Ausübung dieses Rechts jetzt zu enthalten, da er mit der Erwerbung der Vergebung beschäftigt war. Ueberdieß war es billig, daß der Vater, als der allerhöchste Richter, um Gnade und Vergebung angesprochen wurde, weil derselbe durch die Mißhandlung seines Kindes auf's höchste beleidigt worden, und weil er derjenige ist, der „seines Sohnes Ehre sucht und richtet“, Joh. 8, 50. Indessen will er hiemit so viel sagen: Ich für meine Person vergebe diesen armen Leuten das Unrecht, so sie mir zufügten. Vergib du es ihnen auch, mein Vater, und laß ihnen solches nicht zum Gericht angeschrieben werden.

Was waren es denn aber eigentlich für Personen, für welche er diese Vergebung ausbittet, und von welchen er spricht: Vater, vergib ihnen? Zunächst waren es freilich diejenigen, welche jetzt wirklich ihre Hände an ihn legten und ihn mit Nägeln an das Kreuz hefteten; dann aber auch alle übrigen, welche auf irgend eine Art und Weise mit dazu behülflich gewesen waren. Er hatte also seine Absicht auch mit gerichtet auf das ganze jüdische Volk, welches geschrieen: “ Kreuzige, kreuzige ihn“; und welches verlangt, daß das Blut dieses Gerechten über sie und ihre Kinder kommen sollte. Er hatte seine Absicht auf die Hohen-Priester, Schriftgelehrten und Aeltesten, welche das Volk dazu verleitet hatten, daß sie den Tod dieses Gerechten begehrten. Er hatte seine Absicht mit auf Pilatus, der ihn, auf das ungestüme Geschrei des Volkes und ihrer Aeltesten, zum Tode des Kreuzes verurtheilt hatte. Ja alle Menschen, so viel ihrer von Adam an gelebt haben, und bis an's Ende der Welt leben werden, sind in diese große Begnadigung, welche Christus von seinem Vater ausbittet, mit eingeschlossen, weil ihrer aller Sünden in das schmerzliche Leiden Jesu Christi ihren Einfluß gehabt haben. Folglich hat er auch sein liebreiches Auge auf uns Alle gerichtet, als diese Worte aus seinem heiligen Munde gegangen sind.

O Sünder! Ihr seid also die ersten, an welche der sterbende Mittler an seinem Kreuz gedacht hat. Ehe er noch an seine liebe Mutter, ehe er noch an seinen werthen Schooßjünger Johannes, ja ehe er noch an sich selbst gedacht hat, so hat er für euch gesorgt, und euch ungerathenen Geschöpfen die Vergebung der Sünden ausgebeten. Er trug euch auf seinem Herzen mit hinauf an das Kreuz, als er an dasselbe erhöht wurde. Es jammerte ihn euer Verderben, weil sein allwissendes Auge die schrecklichen Fluthen des Zornes Gottes vorhersah, welche euch bis in den Abgrund der Hölle verfolgen würden, wo keine Vergebung eurer Sünden erfolgte. Daher fällt er mit ausgebreiteten und blutigen Händen seinem gerechten Vater in die Arme und bittet ihn, daß er euer schonen und euch nicht verderben wolle. Fragt doch nun nicht lange, ob noch Hoffnung für euch übrig sei, daß euch eure großen, vielen und langwierigen Sünden vergeben werden könnten. Hört ihr nicht, daß der Sohn, welcher allzeit von seinem Vater erhört wird, für euch bittet? Seht ihr nicht, wie dieser Hohepriester mit dem Rauchwerk seiner Fürbitte zwischen Todte und Lebendige als ein anderer Aaron hintritt, 4 Mos. 16, 46-48., und verhindert, daß die Rache Gottes nicht über euch entbrenne und euch als ein verzehrend Feuer verderbe. Begebt euch demnach, so tief ihr auch in Sunden und Bosheit stecken mögt, in die selige Ordnung der Buße, darin ihr Vergebung aller eurer Sünden erlangen könnt, und seid denn gewiß versichert, daß diese Fürbitte des eingebornen Sohnes vom Vater auch euch zu gut kommen werde. Geht nur hin in euer Kämmerlein, werfet euch nieder vor dem Thron dieser mitleidigen Liebe, bringt ihr die Erstlinge eurer Thränen und Seufzer, vereinigt euer Gebet mit ihrer Fürbitte, und laßt ohne Widerstreben ihr Werk an euch vollenden; so werdet ihr erfahren, was für eine Kraft in diesem Worte Jesu Christi liege. Aber auch ihr, die ihr bereits die Kraft dieses Wortes an euren Seelen erfahren und nun sagen könnt, daß euch die Sünden vergeben sind in dem Namen des Sohnes Gottes; auch ihr habt diese Worte tief zu Herzen zu nehmen. Hier beweist sich euer Heiland als ein treuer Hoherpriester, der nicht nur für die Sünde, sondern auch für die Unwissenheit des Volks opfert und betet, Hebr. 9, 7. Wißt demnach, daß er auch für die Vergebung eurer verborgnen Fehler bittet, die ihr täglich aus Schwachheit begeht. Hat er für seine Feinde gebeten, sollte er denn vergessen, für euch zu bitten, nachdem ihr durch sein Blut gerecht und durch seinen Geist seine Freunde geworden seid? Folget ihm nun auch in der Liebe der Feinde. Nicht Elias, der Feuer vom Himmel fallen ließ, nicht Elisa, der den Knaben fluchte, die ihn verspotteten, und sie durch Bären aus dem Walde zerreißen ließ; nicht Jeremias, welcher 20, 12. sprach: „Herr, laß mich deine Rache an ihnen sehen“, ist euch zum Muster der Nachfolge vorgestellt; sondern das sanftmüthige Lamm Gottes, ans dessen Munde kein Drohen und Fluchen gehört worden, das seine letzten Kräfte auf die Fürbitte für seine Feinde gewendet, und das warme Blut, das jetzt aus seinen Wunden floß, dem himmlischen Vater zur Versöhnung ihrer Sünden und zum Lösegeld für ihre Seelen angeboten. So sucht demnach als die Heiligen und Geliebten Gottes die Eingeweide der Erbarmung Jesu Christi anzuziehen, und bewahrt unter allem Unrecht, das euch widerfährt, ein süßes Herz gegen eure Beleidiger, damit auch die Welt erkenne, daß ihr zu den Hausgenossen des Sohnes der Liebe gehört.

III.

Laßt uns aber zum Dritten auch den Beweggrund kurz betrachten, welchen unser Heiland seiner Bitte beifügt. „Denn“, spricht er, „sie wissen nicht, was sie thun.“ So hält er demnach die Unwissenheit und Blindheit dieser armen Leute seinem Vater, als ein mitleidiger Hohepriester vor, um ihn durch dieß Elend zur Barmherzigkeit zu bewegen. Die unwissenden Kriegsknechte thaten freilich in ihrer Blindheit nach der Ordre, die ihnen gegeben war; wie also auch Johannes eine andere That derselben, nämlich die Theilung der Kleider Jesu Christi, mit Wehmuth erzählt, c. 19, 24.: „Solches thaten die Kriegsknechte.“ Das arme Volk, welches zum Theil aus fernen Ländern auf das Fest nach Jerusalem gekommen war, ließ sich auch durch das Ansehen der Priester und Schriftgelehrten verblenden und verleiten, diesen Jesum von Nazareth für einen Verführer und schädlichen Mann zu halten. Die Hohenpriester aber, Aeltesten und Obersten des Volks hätten es wohl wissen können, wen sie vor sich hätten, und an wem sie sich vergriffen. Aber der treue Heiland sieht ihre Unwissenheit auf der wunden Seite an, damit er nur einen Angriff finden möge, worin seine Fürbitte haften könne. Wie auch Petrus hierin seinem Meister nachfolgt und spricht: „Nun, lieben Brüder, ich weiß, daß ihr's aus Unwissenheit gethan habt, wie auch eure Obersten“, Apstg. 3, 17. Hierin hat der Sohn Gottes ein Meisterstück seiner Liebe bewiesen, daß er aus dem, was Ursache zur Anklage hätte sein können (denn diese Unwissenheit war unverantwortlich), eine Ursache zur Entschuldigung macht. Hiemit hat er uns lehren wollen, wie das die rechte Art der Liebe sei, daß man Anderer Fehler und Sünden nicht gehässig vergrößere, sondern vielmehr zudecke, entschuldige und auf's Allergelindeste, soviel als möglich ist, davon rede, daß man also nicht das Herz eines strengen Richters, der Alles auf's Genaueste sucht, sondern das Herz einer liebreichen Mutter, welche die Fehler ihres Kindes entschuldigt, gegen seinen Nächsten beweise.

Das ist also, Geliebte, die hohepriesterliche Fürbitte Jesu Christi für seine Feinde. Was dieselbe für ein angenehmer und süßer Geruch seinem Vater gewesen, kann man aus den gesegneten Wirkungen derselben genugsam abnehmen. Die Bekehrung des Schächers, die Bewegung des Hauptmanns, die Rührung des Volkes, welches der Kreuzigung zugesehen, Luc. 23, 47. 48, die Bekehrung so vieler tausend Juden am ersten Pfingstfeste, die Bekehrung Pauli, durch welchen hernach das Blut Christi auf die Gewissen so vieler Heiden gesprengt worden, 1 Tim. 1, 13., find lauter Früchte und Wirkungen dieses Worts. Ja, so oft noch heutzutage ein Sünder sich zu Jesu Christo bekehrt, so hat er die Vergebung seiner Sünden der Kraft dieser Fürbitte zu danken, daß es also reichlich erfüllt worden, was der Vater Jes. 53, 11. 12. seinem Sohne verheißen, daß er ihm nämlich „eine große Menge zur Beute geben wolle, weil er für die Uebelthäter gebeten.

O daß denn dieses erste Wort Jesu Christi, welches am Kreuz aus seinem Munde gegangen, auch bei dieser abermaligen Vorhaltung und Erklärung Beute, Beute, Beute machen möchte. O Sünder, der du dieses hörst, es greift dieses Wort auch nach dir, es dringt unter der Begleitung des Blutes Jesu Christi, unter dessen Vergießung es ausgesprochen worden, mit einer geheiligten Gewalt in dein Inwendiges und will dein Herz zur Beute haben. Du magst so tief in Sünden stecken, als du willst; du magst so unwissend und boshaft sein, als du willst, so hat es eine gerechte Anforderung an deine Seele. Es fesselt deinen Willen mit Seilen der Liebe. Fühlst du es nicht, wie es dich zu überwältigen sucht? Fühlst du es nicht, wie es in deinem Gewissen arbeitet? Es kommt nun darauf an, ob du ein ewiger Raub des Satans, oder eine Beute der für dich bittenden und sterbenden Liebe weiden wollest, ueberlege demnach wohl, was du thun wollest. Der am Kreuz für dich gebeten, der wird dich dereinst auf dem Thron seiner Herrlichkeit richten. Der Herr gebe dir ein weises Herz, zu bedenken, was zu deinem Frieden dient.

Gebet.

Nun, Herr Jesu, Du treuer Heiland, Du Sohn der Liebe deines Vaters, der Du für deine Beleidiger gebeten und dein Blut zu ihrer Versöhnung hergegeben. Du Haft Dich an dem wahren Versöhnungstag als ein großer Hoherpriester über das Haus Gottes erwiesen, der nicht nur geopfert, sondern auch geräuchert, nicht nur mit seinem eigenen Blut in das Allerheiligste eingegangen, sondern auch Gebet und Fürbitte gethan hat. Du Haft aber auch uns zu geistlichen Priestern gemacht und Haft uns dazu bestellt, daß wir auch für die, so uns beleidigen, bitten, und die, so uns fluchen, segnen sollen. So nimm doch das grimmige, unversöhnliche, unbarmherzige und harte Herz von uns hinweg, salbe uns mit deiner Liebe und waffne uns mit deinem Sinn gegen alle Versuchungen zur Rachgier und Unbarmherzigkeit. Amen.