Das schönste Zimmer im Hause wurde aufgeräumt. Denn die Frau des Hauses sollte daselbst ihren Einzug halten. Nicht die blühende, junge Frau, die eben ihren Auszug aus dem Vaterhause gehalten. Ach nein, der Einzug war schon vor vierzig Jahren und länger geschehn. Jetzt zog sie ein als eine alte, müde, kranke Frau, der das Siechthum nicht mehr erlaubte, außer dem Bette zu sein. Der Gatte sah nicht ein, warum das Bette der Kranken einen Monat nach dem andern oben in dem engen Schlafstübchen stehen sollte; er ließ der geliebten Kranken lieber ihr Bette im geräumigsten und schönsten Zimmer des Hauses machen. Enge Schlafstuben und weite Staatszimmer, ist das nicht auch die umgekehrte Welt? Dem schwächsten Gliede gebührt die meiste Ehre, dem kränksten Familienmitgliede das schönste Zimmer. Der feierliche Einzug war geschehn. Es hatte auch nicht an Blumen gefehlt. Wie ein kleines Gärtlein war es bei ihrem Bette; der Gatte und gute Freunde hatten ihr allerlei Astern und andere Herbstblumen um ihr Lager gestellt. Aber die schönste Herbstblume war sie selbst; denn schöner als alle Blumen, die man im Spätjahr noch in den Gärten pflückt, ist eine fromme Menschenseele, die nach des Lebens Last und Hitze das letzte Siechthum geduldig trägt und auch unter Schmerzen die Güte Gottes preist.
Sie aber pries die Güte Gottes auch nach ihren schlaflosen Nächten. Wenn so eine lange, bange Nacht vorüber war, dann wußte sie zwar nicht, was sie sagen sollte – „guten Tag, lieber Morgen!“ oder „guten Morgen, lieber Tag!“ Aber sie wußte am Morgen und am Tage selbst viel, immer viel zu sagen dem Gatten und den besuchenden Freunden von dem Erbarmen des milden Heilandes, der die Seinen an der Hand führt, so lange sie gehen können, der die Seinen auf seinen Armen trägt, wenn sie müde und matt sind. Und wenn sie so in sabbathlichen Feierstunden in dem Staatszimmer zusammen saßen, die liebe Kranke auf ihrem Bette, fromm die Hände faltend, der greise Gatte neben ihr auf dem Sorgenstuhl das Haupt gebeugt, und der Pfarrer las ein Wort oder zweie aus dem Buch der Bücher vor und betete darüber – ja, hier will ich die Geschichte abbrechen und nur dies Eine noch sagen, es giebt auf dieser armen Erde noch manches, manches liebe Bethanien, noch manchen Lazarus, noch manche Martha, noch manche Maria, auch noch manche Martha-Maria.
Und wo du, Menschenkind, ein Bethanien antriffst, sei es in der Heimath, sei es in der Fremde, da sollst du dich bei deinem Gott bedanken und an das bethanische Wort von dem Einen, was noth ist, denken. Eins ist noth! Nur Eins! Nur Eins!