20. Was aus Einem werden kann.

Sie war katholisch gewesen, und war evangelisch geworden. Denn alle Messen und Wallfahrten, alles Allmosengeben und Ave-Maria-Beten hatte ihr nicht den Frieden gegeben, nach welchem ihre Seele dürstete, wie der Hirsch nach frischem Wasser. Das Evangelium hatte ihr den Frieden gezeigt, in der evangelischen Kirche hatte sie den Frieden gefunden. Evangelisch sein und voll Friedens sein, war für sie ein und dasselbe Ding; sie war evangelisch geworden.

Sie war jung gewesen, und sie war alt geworden. Gar herrlich hatte sie in der Jugendschöne geprangt, sie war gefeiert und bewundert worden; ein vornehmer Herr hatte sie zu seiner Gattin erkoren. Aber die Jugend geht mit jedem Tage rascher zu Grabe; und die Jahre, die uns nicht gefallen, kommen eher, als wir’s meinen. Die Kinder wuchsen heran, der Gatte starb, ihre Haare bleichten, ihre Gestalt verfiel, sie war alt geworden.

Sie war dankbar gewesen, und sie war immer dankbarer geworden. Es war ihr immer eine süße Lust gewesen, dem Herrn zu danken in guten Tagen; sie hatte damals auch immer gemeint, wenn man dem Herrn nicht dankte in guten Tage, dann könnte man sie nicht ertragen und sie schadeten Einem. Aber nun in bösen Tagen dankte sie noch viel brünstiger. Wie denn? War sie etwa so erhaben über des irdischen Lebens Leid und Lust, daß sie nichts zu klagen hatte? Nein, so eine Säulenheilige war sie von ferne nicht und wollte es auch nimmermehr sein. Sie hatte es sich nur zur Regel gemacht, jedes Gebet, möchte sie nun viel oder wenig oder nichts zu klagen haben, immer mit Danken anzufangen, und so oft sie denn mit Danken anfing, konnte sie schlechterdings nie des Dankens ein Ende finden, so viele Gnade drängte sich vor ihre Blicke, und da hat sie denn auch in den trübsten Tagen für das Klagen in ihren Gebeten nie Zeit behalten, und es immer beim Danken geblieben. So wurde sie immer dankbarer.

Sie war eine Pilgerin gewesen, und sie ist nun längst in die Ruhe der Heimath eingegangen. Schon während ihres Pilgerlaufes war ihr sehnliches Herz oft nicht mehr hier, sondern schwang sich weit über Berg und Thal und Feld zur hochgebauten Stadt. Jetzt ist sie nicht blos mit dem Herzen, jetzt ist sie ganz da, wo jedes Gebet ein Dankgebet, jedes Lied ein Lobepsalm, ja jedes Wort ein Jubelhymnus ist.