15. Die Weihe der Freundschaft.

Mit guten Freunden Freundschaft zu pflegen, ist für Jedermann Herzensbedürfniß, ob er im Glauben stehe oder im Unglauben. Aber anders sind geselliger Verkehr und freundschaftliche Unterhaltung bei denen, die den Herrn Jesum lieb haben, und anders bei denen, die auf das Christenthum nicht gut zu sprechen sind. Wo gute Freunde versammelt sind in ihrem eigenen Namen, da ist immer eine eigenthümliche Leerheit vorhanden, die weder durch eine Fülle höflicher und feiner Redensarten, noch durch Kartenspiel und Tanz und daß etwas ausgefüllt werden kann; aber wo gute Freunde im Namen Christi versammelt sind, da ist Er selber mitten unter ihnen, und das Gespräch behält auch unter allem „sich zwanglos gehen lassen“ etwas Liebliches und Gesalzenes.

Denn, wie Spitta sagt, wir fangen immerdar auf’s neue die liebliche Erzählung an, wir reden von des Herrn Treue und dem, was er an uns gethan. Das thaten denn einst auch einige Freunde und Freundinnen, die, nachdem ein jeder den Tag über in seinem Dienst und Beruf gewirkt hatte, den Abend gemeinschaftlich vor dem Herrn verlebten. Sie besprachen mit einander, wie unser Herr auch in diesen Tagen kleiner Dinge so Großes thut zur Mahnung seines Reichs; der Eine erzählte von dem Ringen und Regen geistlicher Kräfte im fernen heiligen Lande; der Andere theilte erfreuliche Erfahrungen von der ewig jungen Kraft der alten Bibel aus nächster Nähe mit; ein Dritter sprach von der Sonntagsheiligung und wie doch wohl diejenigen Seelen, die immer Sabbath feiern, am Sabbath größerer Freiheit genössen, worauf ein Vierter meinte, daß doch auch die geheiligten Seelen am Sabbath gut thäten, alle Kopfarbeit, und sei es auch die frömmste, einzustellen und des Sprüchleins eingedenk zu sein: Du sollst von deinem Thun lassen ab, daß Gott sein Werk in dir hab‘. Dazwischen wurden Gedichte neuerer christlicher Dichter vorgelesen und auch dieser und jener Vers zur Ehre des Herrn gemeinschaftlich gesungen. So war die Zeit über die Maßen schnell verronnen, und der Hausvater las etliche Sprüche aus Psalm 119 vor und lenkte die gemeinschaftliche Andacht auf den 52. Vers: „Herr, wenn ich gedenke, wie Du von der Welt her gerichtet hast, so werde ich getröstet.“ Er gab zu bedenken, wie fern dem gewöhnlichen christlichen Denken der Trost aus Gottes Gerichten liege, vielleicht auch dieser Schriftgedanke überspannt und verzerrt werden könnte, wie er aber in der That ein reicher Trost sei, an solchen Gerichten, wie sie zum Exempel über Saul und Judas gingen, zu merken, daß Gott doch schließlich Sieger bleibt und Jeden mit seiner Macht beugt, der vor seiner Gnade sich nicht hat beugen wollen, und wie der Psalm-Vers auch ein Licht werfe auf die Gesinnung, mit welcher die Seligen des Himmels einst auf die Hölle blicken werden; so schrecklich das göttliche Strafgericht der ewigen Verdammniß der Gottlosen sei, so werde doch für die innigst mit Gott Verbundenen alles Schreckliche der ewigen Pein verlorner Brüder sich in den ewigen Trost auflösen, daß Gottes Ehre auf ewig gerettet ist. Einer der Freunde aber bemerkte, daß der Trost aus den göttlichen Gerichten ihm vor Allem darin bestände, daß dieselben für Viele ein Anlaß der Bekehrung würden, wie schon die bloße Androhung der Gerichte Ninive zur Buße in Sack und Asche gebracht habe. Aber ein Andrer sagte: Ich blicke, wenn ich Psalm 119,52 lese, auf Golgatha; da ist an Jesu Christi mein Gericht vollzogen; die Strafe liegt auf ihm, auf daß ich Frieden habe; das ist mein allerbester Trost!

Darauf haben sie denn noch alle ihre Knie gebeugt vor dem, der für sie in’s Gericht gegangen ist, auf daß sie Frieden hätten, und haben Ihn zu guter Nacht in großem Frieden angebetet und sind heimgegangen mit dem Bekenntniß: Mit guten Freunden Freundschaft pflegen, bringt Gnade, Kraft und tausend Segen.