Daß die Demuth etwas ungemein Schönes ist, das weiß ein Jeder, aber was die Demuth eigentlich sei, ist sehr schwer herauszubekommen. Denn die Hochmüthigen können’s nicht sagen, da sie nicht Erfahrung, noch Verstand davon haben; und die Demüthigen können’s erst recht nicht sagen, dieweil ein Jeder, der von sich weiß und aussagt, daß er demüthig ist, nichts weniger als demüthig ist.
Aber es giebt viele Dinge in der Welt, die man nicht recht definiren kann und die doch da sind; und Gott sei Dank, es giebt auch Demuth in der Welt, wenigstens in der Welt, die an den Heiland glaubt und darum nicht mehr Welt ist. Und wo man der Demuth begegnet, da freut man sich so recht innerlich, trotz dem so viel Anonymes dabei ist.
Da saßen einmal als Gäste an einem Tisch ein großer Gottesgelehrter, der aus seinem Schatze viel Altes und Neues herausgegeben hatte zum Besten gemeiner Christenheit, und ein kleiner Gottesgelehrter, der Alles, was jener herausgegeben hatte, mit großem Fleiß und Eifer gelesen und gelernt hatte. Nichts war natürlicher, als daß der Zweite, da er eben zum ersten mal in seinem Leben mit dem Ersten in persönliche Berührung gekommen war, weniger der Mahlzeit des Wirthes, der sie geladen, zusprach, als vielmehr seine Lippen überfließen ließ von Worten der Verwunderung und des Dankes für den großen Segen, den er aus den Schriften des Ersten empfangen hatte. Nichts aber kam dem Ersten unnatürlicher vor, als daß ihm Einer so viel Dank für seine Bücher bezeugte, und ob er gleich sonst wenig von Wetter und Wind zu reden gewohnt war, so redete er jenem doch immer drein von dem wunderschönen Wetter, das draußen sei und daß es nicht mehr so windig sei, und was das mehr war. Als aber der Zweite trotz alledem nicht aus dem Context zu bringen war und immer wieder seiner Dankbarkeit Worte lieh; da wurde der Erste endlich ganz stumm, und war ihm auf dem Angesicht zu lesen, daß er im Augenblick viel drum gegeben hätte, wenn er niemals ein Buch geschrieben hätte. Man hätte schier den großen Gottesgelehrten für verlegen halten können, aber er war nur demüthig.
Man braucht indeß gar kein großer Gelehrter zu sein, um der Demuth zu pflegen. Jenes kleine Kind hatte die Demuth auch heraus, das alle Morgen im Winter den armen Vögelchen Brosamen von seinem Morgenbrod hinstreute, um ihnen das Leben zu fristen, und auf die Einrede der Mutter, das helfe nicht viel, es könne ja doch nicht allen Vögelchen den Hunger stillen, verwundert fragte: „Aber füttern denn nicht alle Kinder in der ganzen Welt des Morgens die Vöglein?“
Geben und abgeben, ohne Dank und ohne Lohn, als müßte das nur so sein, und es muß auch so sein, das ist eine von den vielen Weisen, in denen die Demuth sich kund giebt. Es hat aber Jeder, der wahre Demuth besitzt, seine besondere Weise.